Leopold von Ranke
Geschichtsbilder aus Leopold v. Rankes Werken
Leopold von Ranke

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38. Friedrich Wilhelm, der große Kurfürst von Brandenburg.

Preußische Geschichte I u. II, Werke Bd. 25 u. 26 S. 378-382.

Kurfürst Friedrich Wilhelm erscheint als ein Mann von natürlichster Einfachheit, der, wenn er über den Markt geht, wohl ein paar Nachtigallen kauft, die man feilbietet, denn er liebt Singvögel in seinen Gemächern; der in seinem Küchengarten das aus der Fremde gebrachte Reis mit eigner Hand pfropft, in Potsdam die Trauben im Weinberge lesen, die jungen Karpfen im Teich fischen hilft. Dabei aber richtet er sich doch eine stattliche Hofhaltung ein; er hält auf die Abzeichen, die ihn von allen andern unterscheiden, er legt selbst Wert darauf, daß er einen gewissen Aufwand machen kann, nach welchem ihn niemand zu fragen hat. Für die Künste wohnte ihm ein natürliches Talent inne, so daß er das Gute und Brauchbare auf den ersten Blick unterschied. Er war mehr ein Kriegsmann als ein Gelehrter, aber er hatte Sinn für Gelehrsamkeit und den Wunsch sich allseitig zu unterrichten. Wichtige Fragen über zweifelhafte Punkte legte er den Gelehrten vor, die er erreichen konnte, und ließ sich von ihnen Vortrag halten, ohne die Kontroverse zu scheuen. In seinen mittleren Jahren geschah das alle Tage; die Staatsgeschäfte litten dabei nicht. Er war vielmehr überzeugt, daß er eben des Rates der Gelehrten bedürfe, um sie zu führen.

Seine Staatsverwaltung hatte eine patriarchalisch-familiäre Ader. Eine große Anzahl eigenhändiger Briefe von ihm an seinen vertrautesten Rat, Otto von Schwerin, sind aufbehalten. Alle öffentlichen Geschäfte und häuslichen Ereignisse werden darin in den Formen der herzlichsten Freundschaft erörtert. Der Fürst wünscht z. B. seinem Minister einen glückseligen guten Morgen oder Gottes Beistand bei der bevorstehenden Entbindung seiner Frau Liebsten. Darum aber durfte dieser keine persönlichen Interessen in die Verhandlungen mischen. Er wird wohl bedeutet, keine Affekte blicken zu lassen, wo er nur seine Meinung zu sagen habe.

In der alten Weise deutscher Fürsten liebte Friedrich Wilhelm noch regelmäßige und eingehende Deliberation. Schon OxenstiernaDer schwedische Reichskanzler, 1631-36 in Mainz Leiter der damals die Geschicke Deutschlands bestimmenden schwedischen Politik, gestorben 1654. lobt einmal den Fleiß, mit welchem der Kurfürst in seiner Jugend den Sitzungen seines Geheimen Rates beigewohnt, wie er sich sogar die Mühe gegeben habe, die verschiedenen Abstimmungen aufzuzeichnen. Er zog besonders juristisch gebildete Männer, welche politisches Talent verrieten, in denselben. Im versammelten Staatsrat hielt er fürs beste alle sprechen zu lassen, und zwar die jüngsten Mitglieder zuerst, weil sie, wenn die älteren ihre Meinung zuvor aussprächen, durch deren Autorität leicht beherrscht werden würden. Seine Methode war, alles zu hören, aber selbst keine definitive Meinung zu äußern. Dafür behielt er die stille Überlegung mit sich selbst vor, nicht ohne Gebet. Durch diese Erhebung der Seele meinte er in den Stand gesetzt zu werden, den besten Rat zu finden und zu wählen. Man verglich sein Urteil mit dem Neigen der Zunge in der Wage, nach der Seite hin, wo das Übergewicht der Gründe fällt, fast ohne Willkür. »Und was ich dann«, sagt er, »im Geheimen Rat einmal beschlossen, das will ich auch vollzogen haben.«Schreiben an Schwerin, 8. Februar 1671. R. Eben aus dieser Verbindung von Deliberation und entschiedenem Willen leitete man seine Erfolge her. Seine Grundsätze waren: wohl überlegen, rasch ausführen; wo die Not vorhanden, da gilt kein Privilegium.

Sehr bequem und beliebt war sein Regiment mit nichten; die allgemeine Klage war, daß er die Untertanen zu sehr belaste, und zwar immer stärker, je älter er wurde. Man hatte viel von seinem Jähzorn zu leiden, der dann auch keineswegs ohne Einfluß auf die Geschäfte blieb. Wenn die großen Angelegenheiten überhaupt selten ohne Leidenschaft verwaltet werden, so war das auch bei ihm nicht der Fall; aber in der Situation lag ein gutes Korrektiv momentaner Aufwallungen. Man hat wohl erlebt, daß er nach irgendeiner ihm geschehenen Mißachtung Feuer und Flamme war, um sich zu rächen, den andern Tag aber Friedensentwürfe zum Vorschein brachte, welche sehr wohl erwogen und von der andern Seite angenommen werden konnten. Alles war voll von Gärung und Wechseln der Entschlüsse; wer im vorigen Jahre mit Krieg und Verderben bedroht worden, dem wurden nach veränderten Umständen im laufenden Anerbietungen zu der engsten Verbindung gemacht. Jede neue Wendung der Dinge regte neue Entwürfe auf; die persönliche Stimmung wurde doch immer durch die allgemeine Erwägung beherrscht.

In seinem Geiste war etwas Weitausgreifendes, man möchte sagen: allzuweit, wenn man sich erinnert, wie er Brandenburg in unmittelbaren Bezug zu den Küsten von Guinea brachte und auf dem Weltmeer mit Spanien zu wetteifern unternahm, oder wie er auf den Entwurf einging, zur Begründung einer allgemeinen Wissenschaft eine von aller Rücksicht auf die christlichen Konfessionen unabhängige Universität zu stiften.Die Universität in Duisburg wurde dann doch als reformierte Universität gestiftet 1655; sie hat bis 1802 bestanden. Er zweifelte nicht an dem Erfolge der geheimen Wissenschaften;Astrologie, Alchymie. Laboratorium seines Kammerdieners Kunkel auf der Pfaueninsel bei Potsdam. er liebte von dem Entlegenen und Wunderbaren zu hören, und dabei war er doch durch und durch praktisch. An jeder Tätigkeit der Menschen hat die Imagination großen Anteil, denn das Zukünftige muß sich dem Geiste in ergreifbaren Formen darstellen. Die Verbindung einer ausführenden Tätigkeit mit einer Phantasie, die vor dem Unausführbaren nicht auf den ersten Blick zurückweicht, gibt seinem Wesen um so mehr etwas Großartiges und Außerordentliches. Wir fühlen um ihn her die geistige Luft, in welcher der Genius atmet, die Handlungen, die sich auf einem unendlichen Hintergrund der Gesinnung und der politischen Anschauungen erheben.

In seinen jüngeren Jahren erschien der Kurfürst als ein schöner Mann, groß und wohlgewachsen, mit vollem Gesicht, bedeutend ausgeprägten Zügen und hellen Augen. Er vereinigte den Ausschluß der Entschlossenheit mit höflichem Wesen; man urteilte aus seinem Gespräch, daß er die Welt kenne und die Geschäfte verstehe. So erschien er bei jener Zusammenkunft in Bromberg,Nach dem Vertrage zu Wehlau 1657; Preußische Geschichte 1, 259. auf welche dann bald ein Besuch der Königin von Polen in Berlin folgte. Da kehrte der Kurfürst eine andre Seite seines Wesens hervor; er holte sie mit einem Gefolge von 4000 Mann ein und ansehnlichem Geschütz, das zu ihrer Begrüßung gelöst wurde. So begleitete er sie auch, als sie wieder abreiste. Als sie sich von seiner Gemahlin getrennt hatte, ritt er noch eine Zeitlang neben dem Wagen her, stieg dann ab, um persönlich Abschied zu nehmen. Der Besuch hatte seiner Gemahlin Luise Henriette von Oranien gegolten, die auch mit ihm in Bromberg gewesen war. Sie erschien neben ihm sanfter und ruhiger, sie war klein, aber wohlgestaltet; sie sprach wenig und verriet eine Neigung zu Melancholie. Sie fastete alle Dienstage, weil ihr Bruder an diesem Tage gestorben war. Auch bei festlichen Gelagen hielt sie dies ihr Gelübde; sie nahm die Gesundheiten an, die man ihr brachte, und erwiderte sie, ohne zu trinken. Aber mit ihrer religiösen Devotion verband sich doch auch ein Verständnis für die vorliegenden Fragen; sie hielt es beinahe für die Pflicht der Gemahlin eines Fürsten, sich mit den öffentlichen Angelegenheiten zu beschäftigen. Der Kurfürst hat sich bei ihren Ratschlägen wohlbefunden; er hat sie nach ihrem Tode oft vermißt. Seine zweite Gemahlin, Dorothea von Holstein-Glücksburg, war aus stärkerem Stoff gebildet; sie begleitete ihn auf seinen Feldzügen, in das Getümmel des Feldlagers, in die Gefahren der Belagerungen; niemals wollte sie ihn verlassen. Sie behandelte ihn als den großen Mann, der er war, und war besorgt für sein Glück und seinen Ruhm. Man findet nicht, daß sie in den großen Angelegenheiten Einfluß auf seine Entschlüsse ausgeübt hat; dagegen in seiner äußeren Umgebung herrschte sie unbedingt. Unter den Freunden und Genossen der Familie war sie bekannt dafür, daß es ihr das größte Vergnügen auf der Welt mache, zu befehlen. Dem Kurfürsten, der sie gewähren ließ, verschaffte sie eine seiner Natur entsprechende Häuslichkeit. Er erscheint als ein Hausvater alter Zeit, wie wenn er vor Tische im Lehnstuhle sitzend die Begrüßung seiner Kinder empfing, die ihn ehren, aber auch fürchten. Wie ihn seine Bildnisse zeigen und die, welche ihn kannten, versichern, in ihm war eine seltene Verbindung von Ernst und Wohlwollen, Güte und Majestät. In jedem Augenblick erschien er würdig und gediegen, seiner Stellung bewußt, die doch großenteils sein eignes Werk war.

Er hat den brandenburgischen Staat nicht etwa geschaffen, denn in seinen Grundlagen bestand derselbe bereits und hatte seinen eigentümlichen Charakter, aber diese Bestandteile hat Kurfürst Friedrich Wilhelm nicht allein zusammengehalten, sondern auch solche von wesentlichster Bedeutung hinzugefügt und ihnen die Idee eines Staates eingehaucht, das Bewußtsein nicht allein eines äußern, sondern auch eines innern Zusammenhaltes. Die bewaffnete Macht war der vornehmste Mittelpunkt der Einheit des Landes; sie hat ihm selbst und allen seinen Nachfolgern ihre Stellung in der Welt gegeben. Seine ganze Staatsverwaltung beruht darauf; er selbst hat der Armee zwei Drittel der Einkünfte zugewendet; seinem Nachfolger hat er sterbend das Heer als seine eiserne Hand empfohlen und ihn verpflichtet, sie aufrechtzuerhalten. Ein andres Moment, das alles zusammenhielt, war die Religion. Nicht sowohl die Ausbreitung des evangelischen Bekenntnisses als die Verteidigung desselben hat seine Politik alle die Jahre seiner Regierung hindurch beschäftigt. Anknüpfend an die Altvordern hat er dem werdenden Staate seinen protestantischen Charakter auf das tiefste eingeprägt und ihn für alle Folgezeit befestigt.Sein politisches Testament vom Jahre 1667, von Ranke im Anhang mitgeteilt, empfiehlt dem Nachfolger in der Kurmark und Pommern keine Katholiken zuzulassen; in Ostpreußen und in den als Äquivalent für Vorpommern erworbenen Landen sei ihnen die Religionsübung, wie sie 1624 war, zugesichert, dabei müsse er sie schützen, aber ein mehreres nicht einräumen; im Klevischen möge er die von Johann Sigismund gegebenen und von ihm bestätigten Reversalien in Kraft halten.

Die Verbindung Brandenburgs mit dem Reiche war die Grundlage seiner Politik. Die Idee des Reiches trug er tief in seiner Seele; man sagte wohl, er sei der einzige, in welchem diese Idee lebe, ohne ihn würde sie zugrunde gehen. Und wenn Brandenburg durch ihn eine gesicherte Stellung in Deutschland und Europa gewann, so hat er gleichsam seinen Nachkommen ihre künftigen Bahnen demgemäß vorgezeichnet. Die Erwerbung von Pommern in den Verbindungen, in denen sie später ausgeführt worden ist, die Eroberung von Schlesien schon mit Andeutung eines Feldzugsplanes zu diesem Behuf, selbst ein Unternehmen gegen Frankreich, wo er das alte durch Parlamente und mächtige Stände beschränkte Königtum, mit welchem Europa in Frieden leben konnte, herzustellen gedachte, hat er entworfen; eine kleine Marine, die freilich wieder zugrunde ging, hat doch die Idee einer brandenburgischen Seemacht lebendig erhalten.

Eine der empfindlichsten Schwierigkeiten in seinem Leben bildete die Differenz des reformierten Bekenntnisses, zu welchem er sich mit vollem Herzen hielt, und des lutherischen, welches seine Untertanen mit altdeutscher Glaubensfreudigkeit erfüllte. Seiner Gemahlin Dorothea, die ihm zu Liebe zum reformierten Bekenntnis übergetreten war, schreibt man zu, daß sie seinen Eifer gegen die Lutheraner gemäßigt habe. Er hätte dann nichts mehr gewünscht, als beide Bekenntnisse, wenn nicht zu vereinigen, so doch zu versöhnen. Er beschwerte sich oft über die Hartnäckigkeit der Lutheraner, aber auch über den Eifer der Reformierten, namentlich in Behauptung der Beschlüsse von Dordrecht. Noch in seinen letzten Stunden beklagte er sich darüber, daß unter den Evangelischen so wenig Eintracht herrsche. Er wußte, welch ein Moment entscheidungsvoller Kämpfe dem Protestantismus bevorstand.Ludwigs XIV. Angriff auf die Pfalz und Wilhelms III. Landung in England, um das katholische Königtum Jakobs II., der mit Frankreich verbündet war, zu stürzen. Friedrich Wilhelm versprach seinem Neffen Wilhelm III. Hilfstruppen zu senden; sein Nachfolger sandte 6000 Mann, von denen ein Teil in Holland blieb, ein andrer die Landung in England mitmachte; Englische Geschichte 6, 182. 185. 207. Jene Erwartung einer durchgreifenden Umwandlung der europäischen Politik zugunsten des allgemeinen Gleichgewichts, die er in seinen letzten Tagen kundgab, war zugleich religiöser Natur. Was aber könnte den Abschied aus diesem Leben leichter machen als religiöse Überzeugung? Der Kurfürst zeigte ein volles Bewußtsein davon. Der Stoismus, den man ihm wohl zuschreibt, ist eben der feste, seiner Sache gewisse Glaube. Er wußte, was die Lehre von der Erlösung bedeute: die Reinigung der im Laufe des Lebens nicht ohne Makel gebliebenen Seele und ihre Rettung. In ihm durchdrang sich das Vertrauen auf den Sieg der guten Sache in der Welt und auf die Fortdauer des persönlichen Daseins auf einer höheren Stufe.

Unterwerfung der ostpreußischen Stände, Preußische Geschichte 1 u. 2, S. 284 bis 288. Schlacht bei Fehrbellin, S. 318-321. Aufnahme der französischen Reformierten, S. 351-360. Testament. S. 388-401.


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