Leopold von Ranke
Geschichtsbilder aus Leopold v. Rankes Werken
Leopold von Ranke

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32. Ludwigs XIV. Ausgang; Rückblick auf seine Staatsverwaltung.

Französische Geschichte IV, Werke Bd. 11 S. 303 ff.

Wenn man das Glück eines zu Ende gehenden Lebens in das Bewußtsein setzen darf, die großen vorgesteckten Ziele erreicht zu haben, so kann davon bei Ludwig XIV. nicht eigentlich die Rede sein. Die vornehmsten Pläne des königlichen Ehrgeizes waren nicht durchgeführt, weder der politische, der auf ein allgemeines Übergewicht in Europa, noch der religiöse, der auf eine vollkommene kirchliche Uniformität gerichtet war. Vielmehr waren aus denselben, wie es nicht anders sein konnte, widerwärtige und unglückliche Rückwirkungen ohne Zahl hervorgegangen. Es scheint jedoch nicht, als habe ein Gefühl hiervon den König betrübt oder gekränkt. Er sah doch seinen Enkel auf dem spanischen Thron, sein eigenes Reich erweitert und nach außen mächtig. Den innern Übelständen hoffte er noch beizukommen, die Erbfolge meinte er soeben sichergestellt zu haben. In der gewohnten Weise lebte Ludwig XIV. seinen Geschäften und Erheiterungen.

Der Hof war sogar zuweilen noch recht glänzend, z. B. im Herbst 1714, als der Kurfürst von Bayern, der sich den französischen Sitten mit Vorliebe anschloß, anwesend war und vor seiner Rückkehr nach HauseMaximilian II. Emanuel, 1704 aus Bayern vertrieben, kehrte nach Abschluß des Friedens zu Rastatt in sein Land zurück. von allen, die es vermochten, mit Festlichkeiten geehrt wurde. Die Männer waren nach dem Frieden zahlreich zurückgekehrt, viele mit ihren Damen; in Fontainebleau sah man diese in großen und kleinen Kaleschen, jene zu Pferde, den Kanal umschwärmen, wo der Kurfürst auf einer Barke mit festlicher Musik eine andre Gruppe bildete; der König fehlte nicht. Meistens jedoch war man einsam. Die Prinzessinnen hatten sich zurückgezogen, um nur bevorzugte Freunde zu sehen; der Geschmack an Landhäusern war aufgekommen, jede Familie hatte das ihre. Zu allgemeinen Reunionen kam es nur dann, wenn etwa Frau von MaintenonSeit dem Herbst 1685 Gemahlin Ludwigs XIV.; Französische Gesch. 3, 413. in ihren Gemächern ein Konzert veranstaltete. Nur Musik und die Fortsetzung seiner Bauten schienen dem König noch Vergnügen zu machen. Einige Verschönerungen in Fontainebleau sind das Werk seiner letzten Jahre; er richtete sich selbst noch ein Zimmer ein, das die Bewunderung derer, die es sahen, erweckte. Und dabei entzog er sich doch keinen Augenblick der Arbeit. Seine Minister haben ihm einmal den Vorschlag gemacht, die Geschäfte in einem Komitee für sich vorzubereiten und ihm dann erst, wenn sie sich geeinigt hätten, vorzulegen, um nicht mit abweichenden Meinungen vor ihm zu erscheinen. »Wie?« rief er aus, »bin ich zu alt, um zu regieren?« Niemand hätte ihm mit einem solchen Vorschlag wieder kommen dürfen. Es wäre als eine Beleidigung erschienen, wenn man ihn hätte schonen wollen.

Nachdem er eines Tages im August 1715 dem Konseil beigewohnt und in gewohnter Art mit dem Kanzler gearbeitet hatte, ward er bei seinem Abendessen von einer Betäubung ergriffen, in der man die Vorboten des Todes erkannte. Er bereitete sich zu seinem Hinscheiden, denn er meinte ein wohlbestelltes Haus zurückzulassen, mit ungestörter Seelenruhe vor; er traf alle seine Anordnungen mit vollkommener Unbenommenheit des Gemütes, nicht anders als gälte es etwa nur eine Reise anzutreten.

Von der Gefährtin seiner letzten Lebensjahre nahm er in der Erwartung Abschied, sie in kurzem wiederzusehen; er sagte ihr, glücklich habe er sie nicht gemacht, aber immer geliebt und hoch gehalten. Am schwersten schien er zu empfinden, daß es ihm nicht beschieden gewesen sei, den KirchenfriedenDer Streit zwischen den Jesuiten und den Jansenisten (Anhängern des 1638 gestorbenen Bischofs von Ypern, Cornelius Jansen) war 1653 und nochmals 1713 durch päpstliche Bulle zugunsten der ersteren entschieden worden; dennoch behielt die freiere Richtung der Jansenisten, die in Utrecht ein eignes Erzbistum, unabhängig von Rom, gründeten, viel Anhang. Französische Geschichte 4. 360; Geschichte der Päpste 3, 129 f. herzustellen; er tröstete sich damit, daß die Sache vielleicht besser in andern Händen liege als in den seinen, weil man ihn im Verdacht habe, voreingenommen zu sein und zu weit zu greifen. Über seinen Urenkel sprach er seinen Segen aus, nicht ohne eine Ermahnung zum Frieden, eine Anklage gegen sich selbst, der den Krieg allzusehr geliebt habe. Er bezeichnete ihn schlechthin als den König; seine Umgebung zeigte sich davon erschüttert; er sagte, ihm errege das kein peinliches Gefühl. Er starb am 10. September 1715, wenige Tage vor Vollendung seines 77. Jahres.

Der monarchische Begriff, den Ludwig XIV. geltend machte, entsprach im Grunde der in dem späteren römischen Reiche herrschenden Verfassung, nach welcher nicht allein die exekutive Gewalt, sondern auch die legislative dem Fürstentum gehörte, nicht durch Usurpation noch Willkür, sondern notwendig und der Natur der Sache gemäß. Von allen Beschränkungen, welche der germanische Staat der legislativen Gewalt zu ziehen versucht hatte, war in Frankreich nur die eine, die in den ParlamentenDie obersten Gerichtshöfe; anfänglich war nur in Paris das königliche Gericht, dann kamen im 14. und 15. Jahrhundert die Obergerichte in Toulouse, Dijon, Rouen, Rennes, Bordeaux und andre hinzu. erschien, in ununterbrochener Wirksamkeit geblieben. Übrigens war die Monarchie dadurch noch stärker geworden, daß sie die germanische Erblichkeit mit dem Besitz der höchsten Gewalt verband. So erinnert auch das Verhältnis, in welchem sich die Kirche befand, an die ältesten Zeiten. Man dürfte sagen: noch immer gab der König, wie einst Chlodwig jenes Gefäß, den besten Teil der Beute dem Bischof und strafte diejenigen gewaltsam, die sich dem zu widersetzen wagten. Der katholischen Kirche zu genügen war eine seiner vornehmsten Bestrebungen. Wenn aber schon der Stifter der Monarchie die Ernennung der Bischöfe in seine Hand nahm, wieviel größer war die Autorität über die Geistlichkeit, welche Ludwig XIV. aus diesem Recht entwickelte, umfassender als sie jemals einer seiner Vorfahren besessen hatte.

Und niemand konnte die Elemente des feudalistischen Staates verkennen, die unter ihm noch in großem Umfang bestanden. Wenn man von denselben mit einem Mal eine Anschauung haben will, so braucht man sich nur zu erinnern, wieviel die Revolution davon zu zerstören notwendig fand: die Besonderheiten der Provinzen, festgehalten durch ständische und gerichtliche Institutionen oder selbst durch Verträge gewährleistet; die Vorrechte der großen Städte, des Adels in seinen verschiedenen Klassen, alle die Herrenrechte, gegen welche später politische Theorien und der Haß des Volkes vereint oder abwechselnd ankämpften. Noch in seinem Testament spricht Ludwig XIV. die Überzeugung aus, daß die vornehmste Kraft seines Reiches in dem Adel bestehe. Aber die Großen hatte er von aller Teilnahme an der Gewalt zu entfernen und dem gesetzlosen Treiben der Geringeren Schranken zu ziehen gewußt. Sein Edikt über die Duelle ist fast symbolisch für sein Verhalten gegen den Adel. Diesen letzten Ausdruck der Selbsthilfe und persönlichen Autonomie verfolgte er mit der äußersten Strenge; aber er tat es zugleich, um den Adel, der durch den Mißbrauch des Duells zugrunde zu gehen in Gefahr geriet, zu erhalten.

Das Gewicht der monarchischen Gewalt repräsentierte sich in der Armee und in der Administration. In seinen Kriegen bildete sich Ludwig XIV. eine Armee, derengleichen die Welt noch nicht gesehen hatte. Wie weit war sie von dem freiwilligen und auf eine gemessene Zeit beschränkten Dienste des Adels, mit welchem Heinrich IV. seine Feldzüge hatte führen müssen, und von der zweifelhaften Ergebenheit ausländischer Söldner und ihrer Führer, auf welche Richelieu noch angewiesen war, entfernt. Der sonst mit all seinem Tun und Denken im Unterschied der Geburt befangene, von lokalen Oberhäuptern abhängige Adel unterwarf sich der Rangordnung des königlichen Dienstes. Die Regimenter hörten auf, die Farben ihrer Obersten zu tragen; die Abzeichen und die Tracht des Königs vereinigten die bewaffnete Macht zu einem gleichartigen Körper. Desertion ward als ein Kapitalverbrechen mit dem Tode bestraft; Tapferkeit und Treue zu belohnen genügte ein Zeichen der Gnade des Fürsten, hauptsächlich der militärische Orden, den Ludwig XIV. im Jahre 1693 eingerichtet hatte. Er selbst war erstaunt über seine Wirkung und trug Sorge sie zu stärken. Der König übernahm, die dienstunfähig Gewordenen zu versorgen. Diese großartige Einheit machte es erst möglich, dem militärischen Prinzip nach seinen inneren Notwendigkeiten gerecht zu werden. Wieviele für die Gesamtheit der Waffenübung zuträgliche Verbesserungen, wieviele für Disziplin und Führung unentbehrliche Dienstleistungen, welche den heutigen Armeen ihre Physiognomie geben, schreiben sich von Ludwig XIV. her. Die moderne Armee gelangte unter ihm zur Erscheinung. Auch die Marine ist unter ihm gestaltet worden; nach kurzer Abweichung ist die spätere Zeit auf die Einrichtungen zurückgekommen, die er gegründet hat.

Die Administration empfing dadurch einen eigentümlichen Charakter, daß es für dieselbe eine Menge ererbter oder erkaufter, durch einen glänzenden Titel ausgezeichneter Ämter gab. Man hätte sie gern abgeschafft, zurückgekauft; da das nicht anging, so ließ man ihnen ihre Ehre, ihren Geldgewinn; vom Anteil an der Verwaltung aber waren sie ausgeschlossen. Die lokalen Autoritäten, Gouverneurs und Parlamentspräsidenten, Magistrate und Feudalherren bedeuteten nichts mehr neben den Intendanten, die in den Provinzen die oberste Gewalt in die Hände nahmen, und ihren Unterbeamten, den Kommissären, Inspekteurs, welche alles Wesentliche der Geschäfte besorgten. Mochten z. B. die Schatzmeister von Frankreich auch den Titel Voyers, Aufseher der Wege führen: die Sorge für die Straßen fiel den Ingenieurs zu, welche von den Intendanten eingesetzt wurden.

Der Unterschied der beiden Klassen ist, daß die erste einen Rechtstitel hatte, der ihr eine gewisse Unabhängigkeit verlieh, die Beamten der zweiten jeden Augenblick abgesetzt werden konnten. Denn eine andre Rücksicht als Tauglichkeit zum Dienst und unbedingter Gehorsam sollte nicht mehr gelten. Es war das System Richelieus, gegen das man sich in der Fronde erhoben hatte, das aber siegreich geblieben und dann von Ludwig XIV. vollkommen durchgeführt war. An der Spitze dieser Hierarchie standen die Minister, deren nach unten hin unbedingten Gehorsam erzwingende, von dem Monarchen aber ebenso unbedingt abhängige Autorität in der langen Regierung Ludwigs XIV. erst Wurzel geschlagen hatte. Sie waren allmächtig, aber jeden Augenblick absetzbar.

Die Vorkämpfer der Privilegien des Adels haben geklagt, die Unterordnung des Dienstes sei dazu erfunden worden, um das Vorrecht der Geburt herabzuwürdigen; sie können sich nicht darüber zufrieden geben, daß die Großen des Landes von der obersten Regierung ausgeschlossen, daß die vornehmsten Edelleute den Intendanten untergeordnet sind; sie sehen darin fast eine absichtliche Erniedrigung des Adels unter den dritten Stand. Das war nun aber einmal das Resultat der historischen Entwicklung. Die Teilnahme an der höchsten Gewalt war den Großen des Reichs in langem Kampfe abgerungen worden; wie hätte man darauf kommen sollen, sie ihnen zurückzugeben?

Für Ludwig XIV. knüpfte sich an seine Verwaltungsweise noch ein besonderes Mittel, den Gehorsam zu befestigen. Unter allem, was um ihn her ein eigenes Recht besaß, genoß das Parlament das größte Ansehen in der Nation, jede Bewegung desselben hätte ihm gefährlich werden können. Wenn wir sehen, wie er es geflissentlich niederhielt,Über königliche Thronsitzungen, durch welche die Eintragung von Verordnungen in die Register des obersten Gerichtshofes in Paris erzwungen wurde; s. Französische Geschichte 3, 46, 187. so müssen wir doch hinzufügen, daß er es auch zu gewinnen wußte. Die großen Stellen des Staats wurden in der Regel parlamentarischen Männern zuteil; die hohe und beneidete Wirksamkeit, welche den vornehmsten Persönlichkeiten aus den großen Familien der RobeLa robe, die Amtstracht der Parlamentsräte. zufiel, die vielfache Förderung, die auch den übrigen zugute kam, machte die Parlamente geneigt, sich der Regierung anzuschließen, wiewohl diese ihre besonderen Gerechtsame sonst zurückdrängte.

Das Prinzip, von dem man ausging, war kein andres, als welches schon unter Ludwig dem Heiligen gegolten: die allgemeinen Interessen, deren Träger das Königtum ist, denjenigen gegenüber aufrechtzuerhalten, die durch ihren Stand darüber erhaben zu sein glaubten. Der Staat mußte eine ihm eigene lebendige Repräsentation haben. Aber unleugbar ist doch, daß es für den dritten Stand als solchen von Bedeutung war, wenn die Ausübung der höchsten Gewalt an Männer kam, die ihm angehörten und ihm zugerechnet wurden, ob sie schon Adelstitel trugen.

Diese zentralisierte und durch ergebene Hände ausgeübte Autorität der allgemeinen Interessen, deren Einfluß man nicht leichthin verdammen darf, bemächtigte sich der Gemüter. Gar nicht auszusprechen ist, wie Ludwig XIV. durch Anwendung ansehnlicher Mittel auch in den späteren Jahren zur Förderung der Wissenschaften gewirkt hat. An die Gründung des ObservatoriumsSternwarte für die von Colbert eingerichtete Akademie der Wissenschaften; Französische Geschichte 3, 275. knüpften sich die Fortschritte der Astronomie und Geographie, an die Einrichtung des botanischen Gartens die Entwicklung der Naturgeschichte, selbst der Physiologie. Die großen historischen Sammelwerke verdanken seiner Protektion ihren Ursprung und Fortgang. Verdienste, die weit über die Staatsverhältnisse hinausreichen und doch auch für diese nicht ohne Bedeutung sind, weil dadurch eine Anzahl ausgezeichneter Männer in nahen Zusammenhang mit der Regierung trat. Auch Gewerbe und Verkehr fühlten sich als ein Teil des Ganzen. Ein jeder wußte, daß, wenn die kommerzielle und industrielle Tätigkeit sich in den von dem höchsten Willen vorgeschriebenen Richtungen bewegen mußte, der leitende Gedanke dabei auf Erhöhung der materiellen Kräfte der Nation, Beförderung ihres Reichtums nach den noch allenthalben geltenden Begriffen gerichtet war.

So diente das religiöse Interesse, welches der Krieg auf eine und die andre Weise darbot, dem Klerus zum Antrieb für die umfassenden Bewilligungen, welche seine Unterordnung unter die Krone zugleich an den Tag brachten und befestigten. In mancherlei Art kam der Klerus der königlichen Autorität zu Hilfe, selbst bei Eintreibung der Steuern. Die Beichtväter wurden erinnert, das Gewissen ihrer Pflegebefohlenen gegen die Defraudationen zu schärfen, über welche die Partisans und AntizipantenSteuerpächter, von Richelieu eingesetzt; 3, 43. klagten. Die Bischöfe versäumten nicht, ihre Verwandten, die dem König mit den Waffen dienten, aus den Überschüssen ihrer Pfründen zu unterstützen. Der Bauer fluchte, wenn er die Steuer zu zahlen hatte; mit dem Rest seines Geldes begab er sich dann ins Wirtshaus, um mit seinem Nachbar zu schwatzen. Den Gegenstand ihres Gesprächs bildeten die Kriegsereignisse; in Gedanken eroberten sie Festungen, gewannen Schlachten und nahmen teil an den kriegerischen Großtaten ihrer Landsleute; sie endigten damit, auf die Gesundheit des Königs und der nahmhaftesten Kriegsführer zu trinken.

An Mißvergnügten konnte es nicht fehlen, aber es gab niemand, um den sie sich hätten sammeln können. Eine so enge Verflechtung aller Interessen bestand, daß an keine Absonderung eines einzelnen zu denken war. Wenn dennoch Gegensätze auftauchten, so entsprang das vor allem daher, daß die höchste Gewalt auch in der umfassenden Autorität, mit der sie ausgerüstet war, ihre Zwecke nicht erreichen konnte. Nachdem der König alles getan, um mit der Kirche in gutem Vernehmen zu stehen, war er doch zuletzt in eine kirchliche Streitigkeit geraten,Streit mit dem Erzbischof von Paris, veranlaßt durch die päpstliche Bulle von 1713: Französische Geschichte 4, 251 ff. 295 ff. aus welcher er keinen Ausgang finden konnte. Sobald hohe Geistliche den Mut faßten, seinem Willen zu widerstreben, hatte man auf geistlichem Gebiete kein legales Mittel, sie zur Unterwerfung zu nötigen. Das innigste Zusammenwirken des Papsttums mit dem Königtum wäre dazu nötig gewesen; aber es fand entweder an den Satzungen des Königreichs oder an den Maximen von Rom ein unüberwindliches Hindernis. Um seine Regierungsweise über die Dauer seines Lebens hinaus fortzupflanzen, griff der König zu Mitteln, deren Legalität sehr zweifelhafter Natur war.Edikt zugunsten seiner natürlichen Söhne; 4, 301.

Man hat in dieser Epoche den Versuch gemacht, die Grenzen der absoluten Gewalt zu bestimmen. Die Protestanten, welche früher die gehorsamsten Untertanen gewesen, suchten nach einer Rechtfertigung ihres Widerstandes, wiewohl derselbe nur eigentlich in der Flucht hervorgetreten war,Nach der Aufhebung des Edikts von Nantes 1685; 3, 396. und fanden eine solche in der Lehre von der Souveränität des Volkes,Früher hatten die Jesuiten diese Lehre verkündet; s. Geschichte der Päpste 2, 123 ff. und Werke Bd. 24 S. 225 ff. die allerdings auf den König übergegangen sei, aber nicht ohne die Beschränkung, welche ihr von Natur einwohne. Später hat man jede Gewaltsamkeit mit der Idee der Volkssouveränität zu rechtfertigen gemeint; Jurieu dagegen lehrt, daß sie sehr bestimmte Grenzen, habe, vor allen Dingen kein Recht, die Gewissen zu zwingen, ein solches also auch nicht auf den König übertragen sein könne. Er unterschied absolute Gewalt, welche die ganze Summe der Souveränität in sich schließe, und schrankenlose Gewalt, die es überhaupt nicht geben könne. Sein Sinn war weniger auf ein Herbeiziehen der Volksmasse, als auf die Nachweisung der natürlichen Grenzen der absoluten Gewalt aus dem Begriffe der übertragenen Souveränität gerichtet.

Es ist sehr erklärlich, daß diese Ansichten in dem damaligen Frankreich wenig Eingang fanden. Wie manche andre aber regten sich doch auch da, die mit dem Staate Ludwigs XIV. in nicht geringerem Widerspruch standen! Wir gedachten des geistvollen Priesters,Fénelon, Erzbischof von Cambrai, Erzieher des Herzogs von Burgund, des. Enkels von Ludwig XIV., der 1712 starb; Französische Geschichte 4, 72. der die kriegerische Monarchie, welche ihre Größe sich als vornehmsten Zweck setzte und gegen die Nachbarn um sich griff, überhaupt verwarf; ihm und seinen Anhängern stand die Idee des Menschengeschlechts höher als die der Nation, sie sahen in jenen Kriegen nichts besseres als Bürgerkriege, eine Ansicht, welche, ihrem Wesen nach religiös, eine unmittelbare Anwendung auf die kirchlichen Verhältnisse fand. Denn wenn die Nationalität in bezug auf Krieg und Politik keine unbedingte Geltung hatte, welchen Anspruch konnte sie auf eine solche im Gebiete der Kirche machen, die ihrer Natur nach alle Völker zu umfassen strebt.

Andre wünschten im Gegenteil die Einheit der Autorität in der Einheit der Gesetzgebung darzustellen, wie denn einer der großen Juristen der Epoche, Domat, unter den Auspizien des Königs den Entwurf eines allgemeinen Gesetzbuchs verfaßte, welcher so vielen späteren Versuchen zum Vorbilde gedient hat. Die weitaussehendsten Vorschläge wurden durch die zutage liegenden und immer wachsenden Unordnungen und Mißbrauche hervorgerufen.Hier folgt bei Ranke Näheres darüber, wie man die Käuflichkeit vieler Ämter und Offizierstellen beseitigen und die Staatseinkünfte verbessern wollte. So oft der Vorschlag der Generalstände erscheint, hat er einen aristokratischen, fast antimonarchischen Charakter. St. SimonVerfasser wichtiger Denkwürdigkeiten über die Zeit 1692-1742; s. Französische Geschichte 5, 251 ff. hoffte von ihnen, daß sie das Reich und den Adel von der Herrschaft der Beamten und von der unbeschränkten Macht des Königtums, aus der er zuletzt alle Übel herleitet, befreien würden.

Es ist nicht tatsächlicher Widerstand, was den Staat Ludwigs XIV. bedroht, sondern die Gedanken der Menschen reißen sich von ihm los. In jedem Zweige, der Armee, der Kirche, der Administration, dem Handel, überall stößt die Autorität des Fürsten auf die beginnende Regung freier Elemente. Kaum sollte man es glauben, aber es ist wahr: manche begrüßten die UnfälleGemeint sind namentlich die Niederlagen im spanischen Erbfolgekrieg. als heilbringend, sie hätten fast eine noch entschiedenere Niederlage herbeigewünscht, damit das alte System vollkommen zugrunde gerichtet würde. Wie Fenelon mit der Salbung seines bischöflichen Stils es ausdrückt: »Was kann uns retten, wenn wir aus diesem Krieg ohne eine gänzliche Demütigung hervorgehen?« Das wahre Heil Frankreichs sah er in der Anwendung der Mittel, die er vorschrieb, einer gänzlichen Änderung der inneren Politik; ohne große Unglücksfälle aber schien ihm diese nicht möglich zu sein.

Drei große politische Tendenzen, auf verschiedenen Gedankenreihen beruhend, erscheinen an dieser Stelle in der französischen Welt. Die eine ist die der Monarchie selbst, die doch die äußersten Unfälle noch vermieden hat und sich durch friedliche Reform auf ihrem bisherigen Wege vollkommen wiederherzustellen gedenkt; noch hält sie die Geister großenteils durch innre Herrschaft fest. Neben ihr erhebt sich das aristokratische Verlangen, sich des von ihr auferlegten Gehorsams wieder zu entledigen, zu der alten Autonomie zurückzukehren. Dem aber setzt sich wieder eine populäre Theorie entgegen, welche diesen Gehorsam noch sehr unzureichend findet und eine bei weitem strengere Einheit der Nation zu realisieren meint. Die Bestrebungen der späteren Zeiten gehen in mannigfaltigen und abweichenden Strahlen von dieser Epoche aus.

Blüte der französischen Literatur unter Ludwig XIV. 3, 269-276. Oppositionelle Literatur des 18. Jahrhunderts 4, 402-409.


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