Leopold von Ranke
Geschichtsbilder aus Leopold v. Rankes Werken
Leopold von Ranke

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23. Deutschland vor dem dreißigjährigen Kriege.

Zur deutschen Geschichte, Werke Bd. 7 S. 93-97.

Blicken wir auf die durchlaufene Bahn zurück, so sehen wir zuerst unser Vaterland durch günstige Umstände in Frieden gesetzt, von dem Auslande abgeschlossen, sich selber zurückgegeben. Man ist reich und gewerbtätig, stärker in den Waffen als irgendein andres Volk; der Protestantismus überwiegt in allen Teilen des Landes; auf eigenen Bahnen in Literatur und Kunst bewegt sich der deutsche Geist. Eine versöhnliche, gemäßigte Gesinnung vereinigt die Häupter der Nation, sowohl die Gewalthaber als die begabten und fähigen Geister; man kann erwarten, daß die noch übrigen Entzweiungen ausgetragen, die Mängel der Verfassung verbessert werden, daß man den gefährlichsten FeindDie Türken, s. o. S. 62 u. 98. besiege und den Nachbarn Maß gebe, statt es von ihnen zu empfangen. Ja, es war in jenem Reiche lebendiger Geister, welche eine Nation ausmachen, in ihren Bestrebungen und Gesinnungen eine großartige Richtung zu gleichartiger allgemeiner Entwicklung, zur Ausführung großer Unternehmungen, zur Bildung zusammenhaltender starker Institutionen; auf seinem Wege hatte man sie vor sich, mit Besonnenheit und überwiegender Rücksicht auf die allgemeine Wohlfahrt wäre man dahin gelangt. Allein es gab auch widerstrebende Elemente, deren Emporkommen das Ganze zersetzen mußte; eben diese kamen empor.

Ist es die Beschränkung des überwältigenden Theorems oder Leidenschaft oder beides, in dem Protestantismus entwickelt sich über das Dogma selber ein heftiger Streit. Die Parteien ergreifen die extremen Ansichten und setzen sich einander feindselig gegenüber. Mit untergeordneten Interessen im Bunde fassen sie, sowie die eine oder die andre mächtiger wird, in den verschiedenen Landschaften Fuß. Eine Zeitlang widersetzten sich die vorwaltenden gemäßigten Fürsten dieser Richtung; allmählich, nicht ohne Einwirkung politischer Verhältnisse, werden sie selber davon ergriffen. Es zerfallen zuerst die sächsischen Häuser nochmals; es kommt zwischen ihnen zu einer Fehde, die von der einen Seite Opposition gegen das Reich, von der anderen Exekution von Reichs wegen, aber im Grunde doch der alte Zwist ist. Pfalz und Württemberg, so nahe Nachbarn, die Linien der Pfalz untereinander selbst zerfallen. Kursachsen und Kurpfalz, beide Protestanten, aber durch die weiter entwickelten theologischen Systeme getrennt, geraten in die entschiedenste Feindseligkeit. Hierüber versäumt man die großen Interessen, man bringt es in der Reichsverfassung niemals zu dem erwünschten Ziele; die geistige Bewegung der Nation nimmt eine Richtung, welche keiner Gesamtunternehmung günstig ist. Das Oberhaupt, mehr geistreich als stark,Kaiser Maximilian II. wird durch den Widerstreit der Meinungen geirrt und weiß nicht seine Entwürfe durchzusetzen. Der Einfluß der Nachbarn, in deren Streitigkeiten man sich einmischt, nimmt aufs neue überhand; man hält die französischen Händel für seine eigenen, Spanien hat wieder seine Parteigänger; man schlägt in ihren Schlachten. Hauptsächlich aber werden durch die heftigen Entzweiungen der protestantischen Meinung gar viele irre; der Katholizismus, welcher geistig bereits besiegt war, der sich indes zu einem ähnlichen Systeme gestaltet hat wie die entgegengesetzte Lehre faßt neuerdings Fuß.

Während die beiden protestantischen Parteien sich ihr Gebiet untereinander streitig machen, bemächtigt sich der Katholizismus derjenigen Länder wieder, die er zwar zum größten Teil, aber nicht völlig verloren hatte. Er bekommt einen bedeutenden Verbündeten. Der süddeutsche Adel war von Anfang an gut evangelisch; nur sah er mit Widerwillen, wie durch die Erfolge der Reformation die Fürstenmacht wuchs. Eine Zeitlang versuchte er eine Gegenwirkung, indem er sich an die heftigste protestantische Partei anschloß. Es ist merkwürdig, wie dies Veranlassung wurde, daß Bayern sich völliger als bisher dem katholischen System ergab. Aber auch von den protestantischen Fürsten ward die Unabhängigkeit des Adels bedroht; er sah seine Rettung allein in der Behauptung der geistlichen Fürstentümer. In den Jahren 1563, 1567 war seine Bewegung noch protestantisch, doch der fürstlichen Macht entgegengesetzt; das letzte blieb sie ferner, aber eben deshalb warf sie sich in das Interesse des Katholizismus. Seitdem nahmen die Gegenreformationen, vornehmlich in den geistlichen Fürstentümern, ihren Fortgang. Indessen hatte der Papst ein Mittel gefunden, sich mit einigen Fürsten enger und enger zu verbinden. Bayern ging voran; bald folgte Baden-Baden, der Erzherzog Karl von Steiermark,Vater Kaiser Ferdinands II., vgl. o. S. 165. der Pfalzgraf von Neuburg. So kleine Fürsten wie der Herzog von Teschen mußten sich doch im Anfang des 17. Jahrhunderts durch Gegenreformationen bemerklich zu machen. Nicht als sei dies alles mit Gewalt durchgesetzt worden; es war auch das Werk der Lehre; es war die Wirkung der Jesuiten, die ihresorts dann auch die öffentliche Meinung zu gewinnen wußten.

Da sich nun zu gleicher Zeit der Calvinismus von der Pfalz aus nach allen Seiten ausbreitete, im heftigsten Gegensatz zu dem wieder emporkommenden Katholizismus, nur siegreich in bereits protestantischen Ländern, so war an keine Vereinigung weiter zu denken. Wie hätte man in diesem Zwiespalt die allgemeinen Interessen sorgsam wahrnehmen sollen! Den Handel auf dem Belt zerstörte Schweden durch unaufhörliche Feindseligkeiten; Dänemark erschwerte die Fahrt durch den Sund mit willkürlichen und starken Zollerhöhungen. Der erste Gebrauch, den die Holländer von einer Freiheit machten, die sie zum Teil mit Hilfe der Oberdeutschen erworben, war, daß sie uns den Rhein verschlossen, den sie nie wieder geöffnet haben.Geschrieben im Jahre 1831. Der 1814 geschlossene Friede zu Paris bestimmte, daß die Rheinschiffahrt frei sein solle bis zum Meere; aber das damals neugeschaffene Königreich der Niederlande errichtete Zollstätten an den Mündungsarmen des Rheins; vgl. Treitschke, Deutsche Geschichte 3, 470 ff. »Endlich ist es aber doch gelungen,« sagt Ranke (Zur Geschichte der deutschen Handelspolitik, Werke Bd. 49/50 S. 278), »durch den Vertrag vom 31. März 1831 für die Schiffe der Rheinuferstaaten die freie Fahrt bis in die See und aus der See unmittelbar bis zu den Rheinhäfen durchzusetzen.« England vernichtete nicht allein die Privilegien der Gildhalle; es nahm die Schiffe, die den Kanal auf der Fahrt nach Spanien passierten; zugleich sendete es seine Monopolisten nach Emden, um den englisch-deutschen Verkehr allein zum Nutzen der Engländer einzurichten. Schritt für Schritt sah man ihre Übermacht kommen, aber man sah ihr zu. Da war keine Abwehr, keine kräftige Maßregel; es war keine Einheit. Fing man doch im Innern erst jetzt recht an, ein Gebiet vom andern durch Zölle zu scheiden. Man hat einmal den Gedanken gehabt, einen Reichsadmiral im mittelländischen und westlichen Meere aufzustellen, um die Vorrechte des Reiches wahrzunehmen; es blieb ein flüchtiger Gedanke.

Immer weiter griff die Entzweiung. Der Reichsabschied mußte 1608 allein in Gegenwart der katholischen verkündet werden, alle anderen hatten sich in Entrüstung entfernt. Im Jahre 1613 erklärten die Korrespondierenden, die Stimmenmehrheit sei ein unerträgliches Joch; vor Erledigung ihrer Beschwerden wollten sie zu keiner Beratschlagung schreiten. Das »schnitt dem Kaiser durchs Herz«, sagt das Protokoll dieses Reichstages; tief schmerzt es uns noch heute, die wir diese Dinge betrachten. Schon standen Liga und Union zum Kampfe gerüstet einander gegenüber; es bedurfte nur jenes Anlasses in Böhmen, so brach er aus.

Es war der dreißigjährige Krieg. Verwüstet, arm, seines Handels vollends beraubt, ein Spiel der fremden Mächte, ging Deutschland aus demselben hervor. Seine Kultur wie sein Dasein war von dem Ausland abhängig. Wieviel hat es gekostet, wie gewaltige, tiefe langaushaltende Anstrengungen, bis wir wieder erst äußerlich unser eigen wurden, bis alsdann der deutsche Geist selbständige Kräfte entfaltete und uns innerlich befreite.


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