Leopold von Ranke
Geschichtsbilder aus Leopold v. Rankes Werken
Leopold von Ranke

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40. Besitzergreifung von Schlesien durch Friedrich den Großen.

Preußische Geschichte III u. IV. Werke Bd. 27 u. 28 S. 341-355.

Wollte man den Unterschied der angegriffenen Macht von der angreifenden ganz im allgemeinen bezeichnen, so dürfte man sagen, daß in dieser die Einheit der monarchischen Gewalt den Gegensatz der provinzialen Interessen überwunden hatte, in jener aber noch im Kampfe mit denselben begriffen war. Die österreichische Staatsgewalt machte nicht eben geringe Anforderungen; die Leistungen, die sie gebot, erfüllten meistens das Maß des Erreichbaren; da sie an dem Begriffe einer herrschenden Religion festhielt, so fühlte man die Gesinnung des Hofes bis in die tiefsten Kreise. Aber dabei besaßen doch die verschiedenen Landschaften eine ständische Organisation von anerkanntem Ansehen, ihren abgesonderten Haushalt, der auch die von dem Staate auferlegten Lasten umfaßte, und standen als mächtige Körperschaften in unaufhörlichem Widerstreit sowohl untereinander als mit dem kaiserlichen Hofe.

Besonders war dies in Schlesien der Fall. Als im Sommer des Jahres 1740 einige Regimenter von Ungarn in neue Standquartiere verlegt wurden, mußten sie an den schlesischen Grenzen förmlich Quarantäne halten. Der Conventus publicus, der mit einem großen Teile der Landesverwaltung beauftragte ständische Ausschuß, der in Breslau seinen Sitz hatte, schickte, ehe er sie einrücken ließ, erst eine medizinisch-chirurgische Kommission ab, um ihren Gesundheitszustand zu prüfen; mit demselben wurde dann über die Dislokation, den Marsch, die Verpflegung der Truppen ein weitläufiger Schriftwechsel gepflogen. Die Provinz klagte über das Hin- und Wiederführen der Mannschaft in ihren Grenzen, die »unbeschreiblichen Excesse«, die sich die Feldsoldaten schon zuschulden kommen ließen, wenn sie beisammen waren, und die nicht minder widerwärtigen, die man von ihnen erlebte, wenn sie als untüchtig erkannt und entlassen wurden, worauf sie sich zuchtlos über das Land ausbreiteten. Sie forderte, daß der Staat den Regimentern eine besondere Kriegskasse anweise, konnte es aber nicht erreichen.

Zwischen dem Hofe und der ständisch-provinzialen Autorität war gleichsam ein Abkommen getroffen, kraft dessen die letztere sehr ausgedehnte administrative Befugnisse behauptete, aber keinerlei Unabhängigkeit in Anspruch nehmen durfte. Sie widersetzte sich den Forderungen eine Weile, fügte sich aber in der Regel und ergoß sich dann in Klagen. Wie oft hatten die Stände von Schlesien ihr Verhältnis zu den böhmischen Erblanden, denen Schlesien zugezählt wurde, und das Verhältnis Böhmens überhaupt zur Monarchie erwogen und berechnet; sie behaupteten, daß wie die böhmischen Erblande überhaupt gegen die andern, so Schlesien noch besonders gegen Böhmen und Mähren in großem Nachteil stehe. Wenn man ihren wiederholten Berichten nicht allen Glauben versagen will, so befand sich Schlesien in ökonomischer Hinsicht kurz vor dem Tode Kaiser Karls VI. keineswegs in blühenden Umständen. Die Landesmemorialien, Denkschriften, welche der Conventus an das Oberamt richtete, führen aus, daß sich ein Unglücksfall an den andern, eine Beschwerde an die andre kette. Die Auflagen, durch starke Zinszahlungen für auswärtige Anleihen gewachsen, seien unerschwinglich, der Handel durch die Zollerhebungen der Nachbarn und die eigenen in offenbarem Verfall. Sie versichern, unzählige Bauerngüter und Bürgerhäuser seien in Sequestration geraten; kaum aber reiche die Nutzung des Sequester für die Auflagen hin, denn Geld habe nun einmal niemand mehr; da es an Käufern fehle, sei es unmöglich, den Gläubigern zu ihren klarsten Forderungen zu verhelfen; dem Landmann bleibe keine Hoffnung übrig, sich aus seinen schweren Drangsalen jemals herauszuarbeiten.

Als Friedrich in Schlesien einrückte,Über die vorhergehende Erwägung des Unternehmens mit dem Minister v. Podewils und dem Feldmarschall Schwerin s. Preußische Geschichte 3 u. 4, S. 327-333. war er der Bevölkerung schon insofern nicht unwillkommen, weil er eine gefüllte Kriegskasse mit sich brachte und den Landesprodukten, die sonst nicht zu verwerten waren, einen unerwarteten Absatz verschaffte. Die oberste Regierungsbehörde der Provinz, das Oberamt, erließ den Befehl, daß niemand den Einrückenden Lebensmittel zuführen noch Handreichung tun solle: wie wäre aber daran zu denken gewesen, daß sich die Einwohner durch Weigerungen dieser Art zugleich des willkommenen Gewinns berauben und der offenbaren Gewalt hätten aussetzen sollen. Der Conventus publicus selbst stellte es dem Oberamt als eine unbedingte Notwendigkeit dar, die Landesältesten an das preußische Kriegsheer zu schicken, um mit demselben ein Abkommen über die ihm zu liefernden Lebensmittel zu schließen, sonst werde die Erpressung nur einzelne Ortschaften treffen und diese zugrunde richten, zum äußersten Verderben des ohnehin verarmten Landmanns.

Am 22. Dezember 1740 langte König Friedrich nach einigen starken und wegen der Witterung nicht eben bequemen Märschen vor der ersten Festung an, die sich ihm entgegensetzte, dem alten Bollwerk Schlesiens, Glogau, und schlug sein Lager in Herrendorf auf. Hier erschienen die Landesältesten der Fürstentümer Glogau, Liegnitz, Wohlau in freier Übereinstimmung mit dem Conventus und trafen mit dem preußischen Kriegskommissariat Abrede über die Verpflegung sowohl derjenigen Heeresabteilungen, welche Glogau belagern, als der andern, welche vorwärts rücken sollten. Denn unverzüglich wendete sich der Feldmarschall Graf Schwerin nach der großen Straße, welche am Fuß des Gebirges nach dem Glatzischen führt. Für ihn halfen sie die Marschroute bestimmen und gaben ihm Kommissarien mit, um ihn von Stadt zu Stadt, von Kreis zu Kreis zu führen. Man dürfte nicht glauben, daß Schlesien ganz ohne Verteidigung gewesen wäre. Die österreichischen Mannschaften, allerdings viel zu schwach um das Feld zu halten, reichten doch hin, um die festen Plätze des Landes, die zum Teil sehr ansehnlich waren, zum Teil wenigstens haltbar erschienen, zu besetzen. Sie zweifelten nicht, daß es ihnen gelingen werde, diese Plätze wenigstens so lange zu behaupten, bis ein regelmäßiges Heer versammelt sei, hinreichend um den Feind aus dem Lande zu verjagen; sie hofften, ebenso leicht als er es einnehme.

Es läßt sich nicht sagen, trotz der angedeuteten ökonomischen Verwirrungen, auf welche Hindernisse der König gestoßen, wie die Sache gegangen sein würde, wenn nicht noch eine ganz andre, tiefere Verstimmung der Einwohner ihm sein Unternehmen unendlich erleichtert hätte. Schlesien gehört zu den Ländern, wo die protestantische Weltanschauung, die deutsche Religion die Gemüter am frühesten und tiefsten ergriffen hatteVgl. Deutsche Geschichte 2, 324 ff. Herzog Friedrich II. von Liegnitz berief schon 1522, der Rat von Breslau 1523 einen evangelischen Prediger. und alsdann mit der größten Anstrengung zurückgedrängt worden war. Eine mächtige Dazwischenkunft übte einst Karl XII. aus, indem er im Altranstädter Vertrage wenigstens für die früher mittelbaren Herzogtümer und die Stadt Breslau einen erträglichen Zustand festsetzte. Der Wiener Hof hat diesen Vertrag im allgemeinen beobachtet, aber sein System konnte er darum nicht ändern; die katholische Kirchenform wurde nach wie vor allein als die wahrhaft berechtigte betrachtet. Die Protestanten waren vom Staat und den bürgerlichen Ämtern, wenn auch nicht allezeit vom Heere ausgeschlossen. Sie mußten die katholischen Feiertage halten, den katholischen Eheverboten nachkommen; ihre Konsistorien standen unter katholischen Regierungen und Vorstehern und durften nur nach deren Beschlüssen verfahren. Übertritt zu ihnen wurde als Apostasie behandelt, der Übertritt zum Katholizismus oft erzwungen; unaufhörlich hatten die Stockmeister widerspenstige Lutheraner in Haft.

Und noch immer war das Übergewicht des Katholizismus im Zunehmen. Während die heiligen Gefäße der Reformierten, in Hoffnung auf bessere Zeiten, einem Handelshause in Verwahrung gegeben werden mußten, durchzogen die katholischen Prozessionen in allem Pomp die Straßen von Breslau, eine besonders feierliche im September 1740, als die Reliquien des heiligen Theodor, eben aus Rom angelangt, nach dem Domstift gebracht wurden. Bei der Tronbesteigung Maria Theresias ließen die katholischen Eiferer verlauten, daß man nun in Schlesien ebensowenig wie in einer andern Provinz auf Konventionen mit fremden Mächten Rücksicht nehmen oder eine Berufung darauf gestatten werde; die katholische Kirche werde auch hier ausschließend herrschen. Schon erwarteten die Protestanten noch einmal, nach der erwähnten Truppenbewegung, die Erneuerung der antireformatorischen Bedrängnisse. Bei der Ankunft der Harrachschen Grenadiere, die nach Glogau gingen, meinte man im Liegnitzischen nicht anders, als daß sie eben hiezu bestimmt seien; am dritten Adventsonntage, 11. Dezember, solle ein neues Werk offener Gewaltsamkeiten beginnen.

Einen Eindruck ohnegleichen mußte es nun auf sie machen, daß im nämlichen Augenblick der mächtigste evangelische Fürst in Deutschland, der junge König von Preußen, in ihren Grenzen erschien. Sie zeigten Prophezeiungen auf, die ein solches Ereignis in ihren höchsten Nöten immer angekündigt hatten; sie wußten zu erzählen, der König habe einst im Traum die Provinz in Flammen stehen sehen, und dreimal hintereinander habe ihn eine vernehmliche Stimme ermahnt, ihr zur Hilfe zu eilen; sie erblickten in ihm einen vom Himmel geschickten Schutzengel. Wie sonderbar, daß einem von dem positiven Glauben der protestantischen Kirche abgewandten Fürsten dieses überschwengliche Vertrauen derselben entgegenkam. Was bei ihm Politik und Ehrgeiz war, umkleideten sie mit religiöser Phantasie. Seinen persönlichen Meinungen fragten sie nicht weiter nach, als insofern sie ihnen Heil brachten: sie hielten sich mit Recht nur daran, daß er der König eines protestantischen Reiches war. Wenn es ihm einigermaßen gelang, so mußte er ihnen helfen.

Wenn nun aber überall so mächtig, so wirkte seine Ankunft doch am durchgreifensten in der Hauptstadt ein, wo die Bürgerschaft zwar ihre alte religiöse Freiheit behauptete, aber durch den Anblick der Tätigkeit und des Fortschreitens der Gegner derselben in unaufhörlicher Besorgnis und Aufregung gehalten ward. Bei der ersten Nachricht von dem Einmarsch der Preußen schwiegen die zelotischen Kontroversprediger, die Gefangenen wurden losgelassen. Dagegen nahm man in den evangelischen Kirchen einen Psalm zum Text, nach welchem Gott, der sein Volk verstoßen und »ihm ein Hartes erzeigt hat«, ihm wieder ein Panier aufsteckt, um es zu retten (Ps. 60, 3-7).

Nun hatte aber die Stimmung von Breslau eine nicht geringe politische und sogar eine militärische Bedeutung. Es war allerdings nicht mehr jenes Breslau, dessen Geschichten EschenloerPeter Eschenloer, Stadtschreiber von Breslau, schrieb die Geschichte der Stadt von 1438-79 als Zeitgenosse. beschrieben hat, als es eine Rolle unter den Mächten des östlichen Europa spielte; doch besaß es noch manche Attribute munizipaler Selbständigkeit, unter andern das Recht, sich selbst zu bewachen und zu verteidigen. Innerhalb der Stadt duldete man nur Soldaten, welche der Stadt geschworen hatten. Wollten königliche TruppenSchlesien war ein Nebenland des Königreichs Böhmen; Maria Theresia war Königin von Böhmen und Ungarn. Die Kaiserwürde ruhte seit dem Tode Karls VI. ihren Durchzug durch die Stadt nehmen, so verstärkte man die Wachen, sperrte die Straßen mit Ketten; nur in kleinen Abteilungen, unter dem Geleit der städtischen Mannschaften zogen sie herein und hinaus. Es leuchtet ein, daß bei dem plötzlichen Herandringen eines mächtigen Feindes einer der vornehmsten Gesichtspunkte der österreichischen Regierung dahin gehen mußte, der Hauptstadt des Landes mächtig zu bleiben und dieser Beschränkung sich zu entledigen.

Das Oberamt forderte den Rat auf, dem Obersten, der den Dom von Breslau, einen in bürgerlicher und militärischer Hinsicht von der Stadt getrennten Bezirk, zu schützen bekomme, und der ein Evangelischer sein werde, zuvörderst nur die gemeinschaftliche Besetzung des nächsten Tores zu bewilligen; erst wenn er von einer überlegenen Macht angegriffen, sich daselbst nicht mehr behaupten könne, solle er das Recht haben, mit seinen Truppen in die Stadt aufgenommen zu werden. Bei allem Anschein und aller Neigung zu Widerstand und Eigenwillen kamen doch, wie berührt, Stände und Städte in Schlesien in der Regel dem nach, womit es der Regierung ernst war. Der damalige Rat von Breslau hatte es noch besonders zu seinem Grundsatz gemacht, allen Hader mit der Regierung zu vermeiden; er stimmte ohne weiteres ein. Einige Schwierigkeit hatte es mit den Vorstehern der Bürgerschaft, ohne welche der Rat nichts festsetzen konnte; doch wußte man auch diese zu gewinnen, indem man sie paarweise in die Ratsstube berief. Erst als die Sache an den Ausschuß der Bürgerschaft, Zunft und Zechen, und an die Bürgerschaft selber kam, begann der Widerstand.

Noch einmal erhob sich hier jener Geist der städtischen Gemeinden, der sich schon seit dem 14. Jahrhundert den Eingriffen der geistlichen Macht nachdrücklich widersetzt und im 16. der großen Bewegung der Reformation Bahn gemacht hat. Die Bürger wollten von der Aufnahme einer königlichen Besatzung nichts hören, deren Anwesenheit sie ihrer kirchlichen und politischen Freiheit auf einmal berauben könne; sie seien sagten sie, nicht gesonnen sich dem Übermut der Feldtruppen, von denen sie bisher bloß gehört, nun auch selber auszusetzen; überdies welch ein hoffnungsloser Gedanke, eine preußische Belagerung aushalten zu wollen; Breslau sei nur ein verwahrter Handelsplatz und keineswegs eine Festung. Besonders führte ein Schuhmacher namens Döblin das große Wort, ein geistlich angeregter Mann, dem aber übrigens der Lärm des Marktes oder ein munteres Gelag besser behagten als der Fleiß der Werkstatt. Die meiste Wirkung brachte er, wie sich denken läßt, auf die jungen Bürger hervor. Die mutigsten von ihnen begaben sich auf das Rathaus, »straußten hart«, wie ein altes Tagebuch sich ausdrückt, nicht allein wider den Rat, sondern auch wider ihre eignen Vorsteher, und bewirkten, daß das Beschlossene zurückgenommen und die Verteidigung der Stadt auch für den Fall eines Angriffs den Bürgern allein übertragen wurde. War die evangelische Bürgerschaft hiefür so entschieden und feurig, so erklärten sich doch auch die katholischen Geistlichen nicht dagegen. Sie wünschten die Vorstädte, in denen es so manche Klöster und Kirchen ihrer Konfession gab, nicht um einer Belagerung willen dem Feuer übergeben zu sehen.

Hierauf begann man in Breslau die städtische Rüstung. Die jungen Leute wurden aufgeschrieben, aus den Zeughäusern mit Waffen versehen, kriegerischen Übungen unterworfen; man sah neben den Soldaten der Stadt auch Bürger die Wache beziehen; Bekanntmachungen erschienen, wie, wenn das fremde Volk anrücke, ein jeder mit Ober- und Untergewehr sich bei den Bürgerkapitäns einfinden, die rote Fahne aufgezogen, Feuer gegeben werden solle. Wir wollen nicht erörtern, ob diese Bürgermiliz überhaupt dazu angetan war, gegen die heranrückende preußische Kriegsmacht etwas auszurichten; sicherlich war das Prinzip, aus dem sie hervorging, mehr annähernder als feindlicher Natur. Auch fühlte sich König Friedrich bei den Nachrichten aus Breslau angetrieben, so rasch wie möglich dahin zu eilen. Eben trafen noch einige von den beorderten Regimentern ein, und er konnte dem Prinzen von Anhalt, der stark genug dazu blieb, die Blockade von Glogau überlassen.

Am Neujahrstag 1741, eines Sonntags, am Morgen langte der König mit den Truppen seines linken Flügels, zu dem auch Dragoner und Grenadiere von dem rechten gestoßen waren, vor den Wällen von Breslau an. Seine Aufstellung war darauf berechnet, daß der volkreichen Stadt die Zufuhr abgeschnitten werden konnte. Im Notfall war er entschlossen, mit seinen Grenadieren einen Sturm gegen die wenig wehrhaften und jetzt durch die zugefrorenen Gräben nicht mehr geschützten Wälle zu unternehmen.

Aber die Bürger von Breslau dachten an keine Feindseligkeit. Den Heranrückenden schickten sie Lebensmittel in die nächsten Dörfer entgegen; mit Wohlgefallen sahen sie von den Türmen und Wällen zu, wie die brandenburgische Kriegsmacht in ihrer Ordnung auf dem Schweidnitzer Anger aufmarschierte und sich unter ihren Fahnen und Standarten nach den verschiedenen Vorstädten verteilte. Mit besonderer Teilnahme bemerkt die Chronik, wie S. Maj. Fridericus II. an jenem Sonntag um halb neun Uhr herangeritten kam und in dem Scultetischen Garten seine Wohnung aufschlug. Seine militärische Umgebung in ihren knappen Monturen, mit den funkelnden Gewehren erregte die Bewunderung der Menge.

Es kostete der Stadt kein langes Bedenken, daß sie die Neutralität einging, welche der König anbot, wobei er sich nur vorbehielt, in einer Vorstadt ein Magazin anlegen und von seinen Truppen beschützen zu lassen. Jedoch den Dom entriß er der Besatzung der Königin; er selber war bei dem ersten Einmarsch. Den Geistlichen, die ihm bei der Kreuzkirche zitternd ihre Schlüssel überreichten, sprach er freundlich Mut ein. Man könnte fragen, ob er nicht besser getan haben würde, sich seiner Übermacht zu bedienen und zu einer militärischen Okkupation auch der Stadt zu schreiten. Noch hielt er aber an dem ursprünglichen Gedanken einer soviel möglich friedlichen Besitznahme fest. Hat er doch abgeschlagen Schutzwachen zuzugestehen, weil man diese nur in einem feindlichen Lande zu erteilen pflege. Schon die Neutralität und seine Aufnahme in der Stadt bot ihm einen unendlichen Vorteil dar.

»Ich habe Breslau«, schrieb er am 4. Januar an seinen KabinettsministerHeinrich v. Podewils, geboren 1695 in Pommern, 1720 Geheimer Kriegsrat, 1730 Kabinettsminister für das Auswärtige, gestorben 1760. »und will nun weiter gegen den Feind vorrücken. Bis zum Frühjahr hoffe ich ihn zugrunde zu richten«. Er meinte noch in diesem ersten Anlauf sich des gesamten Landes mit Einschluß der Festungen zu bemächtigen. In der Tat fiel Ohlau, gegen das er sich zunächst wandte, ohne Widerstand in seine Hand. Ehe noch ein Schuß geschehen, kapitulierte der Oberst Formentini, wahrscheinlich weil er seine Leute unnützerweise aufzuopfern besorgte. Er bedang sich aus, daß dieselben an Zahl 350 Mann, mit scharfem geschultertem Ober- und Untergewehr ihren Auszug nehmen, der König dagegen, daß sie weder in Neiße noch in Brieg bleiben, sondern unverzüglich über Zuckmantel aus Schlesien abziehen sollten. Für ihn war die Einnahme eines einigermaßen festen Platzes so hoch an der Oder, wo nun Magazine angelegt und die Kriegsbedürfnisse mit Sicherheit gesammelt werden konnten, ein sehr bedeutender Fortschritt.

Unaufgehalten hatte indes auch Schwerin an der Spitze des rechten Flügels die fleißigen und gewerbreichen Städte, die sich am Fuße des Riesen- und Eulengebirges hinziehen, eingenommen; am 7. Januar finden wir ihn in Frankenstein. Allmählich jedoch, je weiter man in diesen oberen Gegenden vorrückte, wo die Landbevölkerung bereits katholisiert war, stieß man auch auf Gegenwehr. Ein Versuch auf Glatz, von welchem der König sich viel versprach, weil das Land noch offen sei, mußte aufgegeben werden. Man fand die Brücken abgebrochen, die engen Pässe durch Verhaue gedeckt und durch Waldschützen verteidigt, gegen die in dieser Jahreszeit nichts auszurichten war, und vernahm daß Glatz selbst in gute Bereitschaft gesetzt sei.

Endlich erschienen auch Truppen der Königin im offenem Felde. Im ersten Drittel des Januar hatte Browne ein kleines Korps beisammen und schien sich zu einigem Widerstand anzuschicken. Das erste Zusammentreffen der Preußen und Österreicher mit feindseligen Waffen fand dort unfern der Neiße statt, indem Schwerin auf dem Wege von Frankenstein und Kamenz nach Ottmachau vorrückte.Die nähere Schilderung dieses Treffens und der dann folgenden Einnahme von Ottmachau s. bei Ranke S. 325 f.

Leicht war dann die Stadt Ottmachau besetzt, aber das alte Schloß auf seiner terrassenförmig aufsteigenden Anhöhe, mit gewaltigen Ringmauern versehen, behauptete sich, bis der König selbst erschien und die Grenadiere seiner Mörser ansichtig wurden. Hierauf, am 12. Januar ergaben sie sich zu Kriegsgefangenen; früher waren ihnen bessere Bedingungen angeboten, doch wollte der König diese jetzt nicht mehr gewähren.

Kurze Zeit waren Friedrich und Schwerin vor Neiße beisammen; gleich darauf trennten sie sich wieder. Der König unternahm einen Angriff auf Neiße. Wenn man von ernstlichem und nachdrücklichem Widerstande reden will, so ist ihm ein solcher zuerst eben hier geleistet worden. Oberst Roth, derselbe, welchem der Dom von Breslau hatte anvertraut werden sollen, jetzt zum Kommandanten von Neiße ernannt, hatte die Bürger den Eid der Treue erneuern lassen und kein Bedenken getragen die Vorstädte sämtlich dem Feuer zu übergeben. Hierdurch ward der Ort wirklich haltbar; den auffordernden Trompeter wies man mit Flintenkugeln zurück. Diesen Trotz hoffte der König durch ein Bombardement zu brechen, und einige Tage ist Neiße sehr ernstlich beschossen worden. Auch war das Feuer nicht ohne Wirkung; nur eine solche brachte es nicht hervor, welche zur Übergabe genötigt hatte. Und da nun auch der bisher sehr milde Winter strenger zu werden begann, so daß sich an keine regelmäßige Belagerung denken ließ, beschloß der König, sich auch hier mit einer Blockade zu begnügen, wie er eine solche vor kurzem gegen Glogau und jetzt gegen Brieg angeordnet hatte.

Indessen machte sich Schwerin nach Oberschlesien auf, um Browne aus den schlesischen Grenzen zu verjagen. Der rechte Flügel, der ihm hierzu anvertraut blieb, war nur von mittelmäßiger Stärke, aber noch schwächer war durch die Besatzungen, die er von sich abgesondert hatte, Browne geworden. Er wich von Neustadt nach Jägerndorf, von Jägerndorf nach Troppau, von da über Grätz, wo beide Teile noch einmal aufeinanderstießen, nach Mähren, zufrieden, daß er einige Posten im Gebirge behauptete. Er hatte überall die Steuerkassen, und was sonst von besonderem Wert war, mit sich genommen; seine Magazine aber fielen größtenteils den Preußen zu, die nun in Oberschlesien überall die Herren waren. Nach wenigen Tagen nahmen sie auch den steilen Paß über die Beskiden, die Jablunka ein, welcher ihnen Ungarn eröffnete. Friedrich hat gesagt, und viele andre teilten diese Meinung, daß ihn nichts aufgehalten haben würde, hätte er bis nach Wien vordringen wollen; aber seine Absicht, fügt er hinzu, sei nur gewesen, das Land in Besitz zu nehmen, von dem ihm ein großer Teil von Rechts wegen gehöre.

Er wollte überhaupt, wenn dieser Unterschied zu machen ist, nicht die Monarchie angreifen, sondern sich nur der Provinz bemächtigen. In wenigen Wochen hatte er sie, bis auf die drei Hauptfestungen, so gut wie vollständig gewonnen; auch Namslau, wo der Widerstand der Besatzung, welche sich in dem Schlosse behauptete, durch Brandkugeln gebrochen werden mußte, fiel Anfang Februar in seine Hände. Und unverzüglich setzte sich ein ganz andrer Zustand durch. Das österreichische System, kraft dessen die Autorität im Lande einigen Mitgliedern der großen Familien von besondrer Ergebenheit, in den Städten dem absichtlich bevorzugten katholischen Magistrat in die Hand gegeben war, fiel gleichsam in sich selbst zusammen. Wie in Breslau die Karossen der Grandes, so nannte man sie, nicht mehr die Straßen durchfuhren, so wichen die großen Herren allenthalben von ihren Ämtern; in einer Stadt nach der andern traten evangelische Ratsherren in die Stellen, aus denen sie verdrängt worden waren, wieder ein. Die öffentlichen Bilder verschwanden, die man bisher zum Hohn des Protestantismus aufgestellt gesehen hatte; die Feldprediger verkündigten, ihr König sei gekommen, um die alte Religionsfreiheit herzustellen. Überall erneuerte sich der evangelische Gottesdienst; die bisher verborgenen Gefäße dienten wieder auf einem dem reformierten Bekenntnis gewidmeten Altar; den lutherischen Gemeinden, die dessen am meisten bedurften, wurden junge Geistliche von Berlin aus zugesandt. In den Kirchen hörte man auf für »unsere Erblandsfrau die Königin von Ungarn« zu beten; die Zeitungen erschienen nicht mehr mit dem doppelten, sondern mit dem einfachen schlesischen Adler.

Nicht allein auf Eroberung, sondern zugleich auf Abfall beruhte die Besitzergreifung von Schlesien. Mit dem alten, von den Piasten überkommenen Erbrecht des Hauses Brandenburg hatte die Wiederherstellung des evangelischen Elements in seine religiöse und politische Unbedrängtheit eine innere Verwandtschaft. Als Brandenburg stark genug geworden war sein Recht zurückzufordern und endlich auch das Herz dazu faßte, ging der größere Teil von Schlesien zu ihm über. Die militärische Aufstellung und Macht erweckte das Zutrauen der bisher Bedrückten; die Unterstützung, die sie leisteten, bahnte wieder den Weg zum Siege. Daß es nun aber mit dieser Veränderung Bestand haben würde, nahm man mehr aus einem dunklen Gefühl an, als weil man die Möglichkeit davon deutlich eingesehen hätte. Die alten Anhänger des Hauses Brandenburg zitterten, wenn sie sich die möglichen und ihnen wahrscheinlichen Folgen überlegten. Andre, gleichgültig oder feindlich gesinnt, hätten der Pläne des Königs von Anfang an gespottet, sie für Hirngespinste eines jungen Menschen erklärt. Um so mehr erhob sich in diesem der Ehrgeiz, sein Werk zu vollenden; er wollte beweisen, daß seine Entwürfe echte Gedanken der Politik seien, die er mit Ruhm durchzuführen vermöge.

Schlacht bei Mollwitz, S. 404-409; bei Czaslau und Chotusitz, S. 519-526.


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