Leopold von Ranke
Geschichtsbilder aus Leopold v. Rankes Werken
Leopold von Ranke

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9. Karls V. Flucht aus Innsbruck 1552.

Deutsche Geschichte V, Werke Bd. 5 S. 169 ff.

Karl V. war in Insbruck mit seinen konziliaren und dynastischen Entwürfen auf eine Weise beschäftigt, daß er für nichts anderes Sinn zu haben schien. Eben in dieser Zeit meinte er dem Konzil zu Trient die Richtung zu geben, welche er demselben von je her zu geben beabsichtigt hatte; er hoffte außer den drei Kurfürsten am Konzil auch die drei anderen in kurzem in seiner Nähe anlangen zu sehen, um die SukzessionssacheKarl V. wollte die Kaiserwürde zunächst seinem Bruder Ferdinand, dann aber seinem Sohne Philipp, der auch Spanien erben sollte, zuwenden. Maximilian, Ferdinands Sohn, sollte sich mit der Würde eines römischen Königs begnügen, zugleich Böhmen und Ungarn von seinem Vater erben. Deutsche Geschichte 5, 81 ff. mit ihnen zu Ende zu bringen. Soeben war ein neuer Versuch auf König Maximilian gemacht worden. Indem er diese idealen Absichten verfolgte und nur soviel als unbedingt notwendig war tat, um den Feindseligkeiten der Franzosen, die er in den Niederlanden und Italien erwartete, daselbst zu begegnen, bemerkte er nicht, was in Deutschland gegen ihn vorbereitet ward.

Es fehlte ihm nicht an Warnungen; sogar der französische Gesandte hat dem Hof einmal von einer Konspiration gesagt, von der er höre, wahrscheinlich nur um denselben auf eine falsche Spur zu leiten, die dann ArrasDer jüngere Granvella, s. o. S. 49, damals Bischof von Arras. verfolgte, natürlich ohne etwas zu entdecken. Vielen anderen war die Verbindung der Franzosen mit Kurfürst Moritz kein Geheimnis mehr. In der Relation eines venetianischen Gesandten ist derselben schon im Jahre 1550, unmittelbar nachdem sie begonnen hatte, und, wie wir aus den Depeschen MarillacsFranzösischer Gesandter in Brüssel bei der Statthalterin Maria, Karls V. Schwester; s. Deutsche Geschichte 5, 120. sehen, auch ganz richtig gedacht worden. Gegen Ausgang 1551 war es ein ganz allgemeines Gerücht, das die kleinsten Höfe und Provinzialregierungen kennen. Auf den Kaiser machte es keinen Eindruck, er antwortete, man müsse sich nicht von jedem Winde bewegen lassen. Gab ihm doch SchwendiKaiserlicher Kriegskommissar bei der von Kurfürst Moritz unternommenen Belagerung von Magdeburg, s. Bd. 5 S. 130; später als kaiserlicher General in den Türkenkriegen ausgezeichnet, gestorben 1584. fortwährend über die Stimmung und die Absichten des Kurfürsten ganz günstigen Bericht; einer von dessen vornehmsten Räten erschien in Innsbruck und meldete, sein Herr werde unverzüglich nachkommen. Und hatte derselbe nicht seine Prokuratoren nach Trient, seine Theologen auf den Weg dahin geschickt? In Rosenheim am Inn hielten sich zwei sächsische Räte auf in der festen Meinung, ihren Herrn, der auch wirklich eine Strecke in entsprechender Richtung vorwärts reiste, zu erwarten. Der Kaiser hielt für gewiß, der Kurfürst werde kommen; hätte er etwas anderes im Sinn, das wäre von einem deutschen Fürsten nie erhört. Noch am 28. Februar schrieb er dem Kurfürsten von Brandenburg, er versehe sich zu Moritz alles Gehorsams, guten und geneigten Willens. Aber einen größeren Meister in der Verstellung hat es wohl kaum je gegeben, als Moritz war. Keiner von seinen alten Räten, Carlowitz so wenig wie die anderen, hatte Kunde von seinen Entwürfen. Noch von Schweinfurt aus, am 27. März, hat er die Bitte um Loslassung des Landgrafen erneuert, unter dem Vorgeben, daß er sich sonst in das Gefängnis der Kinder desselben einstellen müsse. Und doch vereinigte er in diesem Augenblicke schon sein Heer mit dem Kriegshaufen eben dieser jungen Landgrafen, durch alle denkbaren Verträge gebunden, dem Kaiser selber zu Leibe zu gehen.

Der Kaiser glaubte wohl, als die Sache ernster ward,Am 4. April zog Moritz in Augsburg ein, S. 168. es sei auf nichts andres abgesehen als eben auf die Befreiung des Landgrafen. Allein die Ausschreiben der verbündeten Fürsten,Es waren Kurfürst Moritz von Sachsen, Landgraf Wilhelm von Hessen, Markgraf Albrecht von Brandenburg-Kulmbach, die Herzöge Johann Albrecht und Georg von Mecklenburg. die in einem Moment durch Deutschland flogen, belehrten ihn bald eines andern. Nicht allein von dieser Befreiung war darin die Rede, sondern eine ganze Reihe Beschwerden geistlicher und weltlicher Natur ward darin namhaft gemacht. Da leuchtete nun wohl ein, daß es auf eine Abänderung des ganzen kaiserlichen Regiments, wie es in und nach dem schmalkaldischen Krieg eingerichtet worden, abgesehen sei. Noch einmal erhob sich die ungebändigte Freiheit des alten Germaniens gegen die Ordnung und Gewalt, welche der Sieger gegründet hatte und zu gründen im Begriff war. Und zwar standen eben diejenigen an der Spitze, die früher von ihren Glaubensgenossen abgefallen, die Niederlage derselben befördert, die Partei des Kaisers gehalten hatten, die Mächtigsten und Kriegsgeübtesten. Die Antipathieen der Religion, die durch alle die bisherigen offenen oder indirekten Angriffe und durch die Bedrohungen des Konzils angeregt worden, gaben ihrem Unternehmen eine breite nationale Grundlage und kamen ihnen aufs mächtigste zu Hilfe.

Und wenn nun der Kaiser gegen diese Erhebung des protestantischen Elements Unterstützung von den Katholischen erwartete, so sah er sich auch darin getäuscht. Er wendete sich zunächst an die geistlichen Kurfürsten, die unter diesen Umständen Trient zu verlassen eilten. Der Kurfürst von Trier antwortete, er werde sich immer als ein gehorsamer Reichsfürst bewähren, um aber zu wissen, was er in diesem Fall tun solle, müsse er erst mit seinen Räten sprechen. So erklärte sich auch Köln; Mainz machte sogar auf Hilfeleistung Anspruch. Und nicht bereitwilliger ließen sich die ältesten Verbündeten und nahen Verwandten vernehmen. Herzog AlbrechtVon Bayern. versicherte seine Ergebenheit, gab aber zu bedenken, welcher Gefahr er sich aussetze, wenn er sich jetzt ohne Verzug auf die Seite des Kaisers schlage. Schon früher hatte man sich am kaiserlichen Hofe beklagt, daß Ferdinand den Versuch, zur Abdankung des von Magdeburg abgezogenen Heeres eine Anleihe aufzubringen, nicht mit seinem Kredit unterstützen wolle. Fast feierlich forderte ihn jetzt der Kaiser auf, ihm zu sagen, was er als Bruder und römischer König aus den Mitteln seiner Länder in dieser gemeinschaftlichen Gefahr zu leisten gedenke. Der König antwortete, er brauche alle seine Kräfte wider die Osmanen in Ungarn. Statt der Unterstützung kam dem Kaiser vielmehr von dieser Seite eine Forderung zu. Seine Tochter Maria, Gemahlin Maximilians, ersuchte ihn in diesem Augenblick um 300 000 Dukaten ihrer Aussteuer, wofür sie sich eine gut rentierende Besitzung in Ungarn kaufen wolle. Der Kaiser war sehr geneigt, diese Bitte den Einflüsterungen ihres ihm im Herzen feindlichen Gemahls zuzuschreiben. Er meinte fast, es sei eine allgemeine Verschwörung gegen ihn im Werke. Die Wechslerhäuser in Augsburg, an die er sich wendete, verweigerten ihm ihre Unterstützung, so günstig auch die Bedingungen waren, die er ihnen vorschlug.

Wie war dem alten Sieger und Herrscher da zumute, als sich in demselben Augenblicke alle Feinde erhoben und alle Mittel versagten! Einst hatte es in seiner Wahl gestanden, an der Spitze der deutschen Nation, mit Begünstigung des reformatorischen Elements, laut der Reichsschlüsse von 1544, seine Macht gegen die auswärtigen Feinde zu richten: wie gegen die Franzosen, welche besonders durch deutsche Unterstützung früher in Italien besiegt und damals in ihrer Heimat zum Frieden genötigt worden, so hauptsächlich gegen die Osmanen, was in jener Zeit das größte Interesse hatte und der allgemeine Wunsch war. Dann hätte er das Kaisertum in dem Sinne, wie es ihm bei seinen Zügen nach Afrika vorschwebte, entwickeln können. Freilich hätte er z. B. Philipp von Hessen nicht als Feind, sondern als Mitstreiter behandeln, die Einheit der abendländischen Christenheit nicht in die Gleichförmigkeit des Bekenntnisses setzen müssen. Dafür wäre es ihm aber, so lange die Türken sich noch nicht in Ungarn befestigt hatten, vielleicht möglich gewesen, zugleich dieses Land zu befreien und den Trieb der Kultur und Ausbreitung, der in den Deutschen lebte, nach der mittleren Donau, dem südöstlichen Europa, hinzuleiten. Aber er schlug einen entgegengesetzten Weg ein. Er traf eine Abkunft mit den Osmanen, die ihnen Zeit ließ, sich in den eingenommenen Landschaften zu befestigen, mit dem Werke der Barbarisierung vorzuschreiten, und nahm sich vor, in den Streitigkeiten des Glaubens und des Ritus, welche die Jahrhunderte nicht haben beseitigen können, beiden Parteien Maß zu geben, er von seinem politischen Standpunkt aus.

Nun konnte aber die natürliche Feindseligkeit gegen die Osmanen doch nicht auf die Länge beseitigt werden; im Jahre 1551 brach sie wieder in volle Flammen aus. Überhaupt wurde die kaiserliche Politik nach dem Tode des älteren Granvella nicht geschickt genug nach den friedlichen Gesichtspunkten hin geleitet. In demselben Augenblick erhob sich die wetteifernde Macht von Frankreich, die man unbekümmert ihrer andern Gegner hatte Herr werden lassen, zu den alten Bestrebungen. Und indes war doch das Ziel der inneren Politik mit nichten erreicht, weder die Kirchenversammlung in die gewünschte Bahn geleitet noch die Sukzession befestigt worden. Vielmehr erwachte infolge dieser Versuche ein allgemeiner Widerwille in beiden religiösen Parteien über Italien und Deutschland hin und strömte nun in plötzlichem Ausbruch mit den äußeren Feindseligkeiten zusammen. In Ungarn verjagte der Pascha von Ofen die Haiduken und Spanier Ferdinands aus Szegedin, noch ehe sie sich daselbst befestigt, und bezeichnete den Anfang des April mit der Eroberung von Vesprim; zugleich näherten sich noch zwei andre Heere unter dem Beglerbeg von Rumili und dem zweiten Wesir der Pforte den ungarischen Grenzen. In Wahrheit, Ferdinand hatte ganz recht, wenn er darin eine Gefahr erkannte, die alle seine Kräfte in Anspruch nehme. Auch zur See regten sich die Feinde; in den Gewässern von Malta erschien Sala Rais in denselben Tagen, in welchen der König von Frankreich durch LothringenDamals noch immer ein zum deutschen Reiche gehöriges Herzogtum. nach dem Elsaß und dem Oberrhein zog, und die protestantischen Fürsten Augsburg bedrohten.

Der Kaiser selbst, ohne Truppen und Geld, entfernt von den eigenen Landschaften, aus denen er beides hätte ziehen können, sah sich überrascht in dem wenig verwahrten Innsbruck und so gut wie hilflos. Gleich bei der ersten Nachricht von Augsburg erkannte er die persönliche Gefahr, in der er sich befand. Er besorgte, eines Tages in seinem Bett überfallen zu werden; welche Schmach für ihn, in Gefangenschaft der deutschen Fürsten zu geraten! Einen Augenblick dachte er daran, sich zu seinem Bruder zurückzuziehen; der konnte es aber in der verlegenen und schwierigen Lage, in der er sich befand, selber nicht wünschen und widerriet es ihm. Ein anderer Ausweg für Karl wäre gewesen, sich nach Italien zu wenden und hier aufs neue zu rüsten. Allein auch da war der KriegEs war ein Streit um das Herzogtum Parma entstanden; König Heinrich II. von Frankreich hatte Truppen gesandt, um die Ansprüche der Familie Farnese auf dasselbe zu unterstützen, Bd. 5 S. 123 ff. nicht eben glücklich gegangen, überall war das Land durch die Truppenzüge in Aufregung gesetzt. Es schien dem Kaiser nicht ratsam, mit seiner geringen Umgebung auf den dortigen Landstraßen zu erscheinen, und wenn er einmal in Italien wäre, so würde er eine Reise nach Spanien nicht gut ablehnen können; wie leicht, daß ihm dann bei der Überfahrt ein Unfall von den Franzosen oder gar den Osmanen begegne, noch zuletzt in seinen alten Tagen. Dagegen hielt er es für möglich, den Oberrhein zu erreichen und nach den Niederlanden durchzukommen. In tiefstem Geheimnis, mit Zurücklassung eines Briefes an Ferdinand, der aber erst abgegeben werden sollte, wenn die Sache gelungen sei, brach der Kaiser am 6. April nach Mitternacht von Innsbruck auf, begleitet von seinen beiden Kammerherren, Andelot und Rosenberg, einem eigenen und zwei Dienern Rosenbergs. Sie hofften, die große Straße durch die Klause nach Ulm noch frei zu finden. Durch Gebirg und Wald reitend, kamen sie am 7. mittags nach Nassereith und nach kurzer Rast in die Nähe der Klause. Hier aber erfuhren sie, daß Moritz bereits auf dem Wege sei, um an demselben 7. April Füßen zu besetzen. Sie wären ihm in die Hände gegangen, wären sie fortgeritten und eilten nach Innsbruck umzukehren. Es war für den Kaiser keine Rettung, als daß er zuerst nur dieses nächsten und gefährlichsten Feindes durch irgendeine Abkunft, einen Stillstand, sich zu entledigen suchte.

Und so durfte es noch als ein Glück erscheinen, daß sein Bruder immer mit Moritz in freundlicher Verbindung gewesen war und in dem Moment seines Auszuges aus SachsenIm März war Moritz nach Franken gezogen, von da nach Augsburg. eine Zusammenkunft mit ihm in Linz verabredet hatte. Diese fand am 18. April wirklich statt und führte nach einiger Unterhandlung zu einem wenn auch nur vorläufigen Stillstand, der hauptsächlich dazu dienen sollte, eine zahlreichere Versammlung »zur Abstellung der Irrungen und Gebrechen deutscher Nation« in Passau möglich zu machen. Moritz hatte den Anfang desselben wegen der Entfernung seiner Bundesgenossen und mit Vorbehalt ihrer Einwilligung auf den 11. Mai festgesetzt; sie genehmigten ihn aber erst vom 26. Mai an. Nun hatte der Kaiser im Laufe des April doch am Ende einiges Geld zusammengebracht und begann sich zu rüsten. In weiterer Ferne bei Frankfurt sowie in der Nähe bei Ulm sammelten sich Truppen auf seinen Namen; nach allen Seiten hin waren Unterhandlungen angeknüpft. Karl V. faßte einen Gedanken, den bereits jedermann von ihm erwartete. Sollte er nicht gegen den Kurfürsten, der ihn angriff, die nämliche Waffe zücken, die ihm in dem vorigen Kriege so große Dienste geleistet hatte: sollte er nicht die Reichsacht über ihn aussprechen? Noch war der alte Geächtete, Johann Friedrich, in seinem Gewahrsam. Er dachte diesen selbst zum Vollstrecker der Acht zu ernennen; dann, meinte er, würden auch dessen alte Freunde, die Herzoge von Kleve und Pommern, sich gegen Moritz erklären. Soeben erschien auch König Ferdinand in Innsbruck; er ging, wiewohl nicht gerade gern, auf den Gedanken ein. Er übernahm es, selbst mit Johann Friedrich zu reden, wie dieser zu seiner Sicherheit es wünschte; wenn man sich verständige, sollte es sein Bewenden bei der Kapitulation von Wittenberg haben; sollte es aber zur Achtserklärung kommen, so sollte Johann Friedrich wieder in das Kurfürstentum eingesetzt werden. Man rechnete dann auf den Abfall seiner Untertanen, die dem alten Kurfürsten noch immer ergeben waren.

Sehr möglich, daß Moritz von diesen Verhandlungen Kunde erhielt, denn schon hatte Johann Friedrich einen seiner Räte nach Passau geschickt, um mit den Fürsten, die dort allmählich zusammenkamen, vorläufige Rücksprache zu nehmen. Und auf keinen Fall wollte Moritz dem Kaiser die dortigen Pässe, deren Besitz in dem vorigen Kriege entscheidend geworden war,Schärtlin v. Burtenbach hatte sie im Juli 1546 besetzt, war aber von den Kriegsräten zurückberufen worden, so daß italienische Hilfstruppen des Kaisers ungehindert hindurchziehen konnten; s. Bd. 4 S. 309. und die er auch jetzt verstärkte, in den Händen lassen. Einer der kaiserlichen Musterplätzed. h. Plätze zur Musterung, Werbeplätze. war Reitti, unfern der Ehrenberger Klause, welche ebenfalls in Verteidigungsstand gesetzt werden sollte. Noch war der für den Waffenstillstand festgesetzte Termin nicht eingetreten; Moritz behielt noch Zeit und trug kein Bedenken, sie zu benutzen, um dem Kaiser diese Stellung zu entreißen. Am 18. Mai griffen die verbündeten Fürsten das Lager von Reitti an und sprengten es auf der Stelle auseinander. Besonders in dem freudigen Georg von Mecklenburg erwachte hierüber eine Schlachtbegier und Siegeszuversicht, die alles mit sich fortriß. Da sich ein Teil der Truppen nach der Klause zurückzog, so ließen sie sich durch ihr gutes Verhältnis zu König FerdinandLandesherr von Tirol. nicht abhalten, unmittelbar auf diesen Platz loszugehen. Noch in der Nacht nahmen sie eine Höhe ein, welche die Befestigungen beherrschte. Von hier aus den andern Morgen vordringend fanden sie weder in den Schanzen an der Klause, noch in dem verbollwerkten Passe, noch in dem Schlosse selbst nachdrücklichen Widerstand; neun Fähnlein fielen in ihre Hand. Und wie nun, wenn sie in dem hierdurch eröffneten Lande vordrangen und den Kaiser in Innsbruck überfielen? Es ist als ein Irrtum anzunehmen, sie hätten das nicht gewollt. Am 20. Mai ist zwischen ihnen förmlich geratschlagt worden, ob sie, wie sie sich sehr unehrerbietig ausdrücken, »den Fuchs weiter in seiner Spelunke« suchen sollten; sie entschlossen sich hierzu. Gott weiß, was geschehen wäre, hätte nicht das tumultuarische Kriegsvolk, eben als es vorwärts gegen Aiterwang geführt werden sollte, nach dem Sturmsold geschrieen, den es so eigentlich nicht verdient hatte und der ihm wirklich aberkannt worden ist, und darüber seine Waffen gegen Moritz selbst gerichtet, so daß dieser ihm nur mit Mühe entkam.

Bei der ersten Nachricht von dem Falle der Klause beschloß der Kaiser, Innsbruck zu verlassen. Er empfand, daß die Gefahr, welche er von Anfang an gefürchtet hatte, unmittelbar über ihm schwebe; er hätte durch eine Reitertruppe überrascht und aufgehoben werden können. Es war am 19. ziemlich spät, daß die Nachricht eintraf. Karl und Ferdinand waren einig, daß kein Augenblick verloren werden dürfe, um in Sicherheit zu gelangen, denn wie bald konnte sich der vorrückende Feind der nächsten Pässe und Straßen bemächtigen und die Entfernung unmöglich machen. Die wichtigsten Schriften und Kleinodien wurden eilends nach dem festen Schloß Rodeneck gebracht. Nun erst sprach Ferdinand mit dem gefangenen Kurfürsten im Schloßgarten; er reichte ihm die Hand zum Zeichen der Versöhnung und kündigte ihm seine Befreiung an, wiewohl unter der Bedingung, daß er noch eine Zeitlang dem Hofe ungezwungen folgen möge. Man bedurfte der Mannschaft, die ihn bisher bewacht hatte, zur Bedeckung bei der Abreise. Diese erfolgte noch am 19. abends um 9 Uhr beim Scheine brennender Windlichter. Die Nacht war regnerisch und kalt, das Gebirge noch mit Schnee bedeckt; der Kaiser litt an einem Anfall seiner Krankheit. Sein erster Zufluchtsort war Brunecken, nicht einmal ein eigenes Schloß, sondern dem Kardinal von Trient gehörig, der in den Verhandlungen über die WahlDes Prinzen Philipp, gemäß dem Sukzessionsentwurf, s. o. S. 69. nicht eben als Anhänger des Kaisers erschienen war. Den andern Morgen folgte Johann Friedrich auf demselben Wege. Er lebte nun, was er immer von seinem Gott erwartet: zum ersten Male seit fünf Jahren sah er sich von keiner spanischen Garde umgeben; er stimmt auf seinem Wagen ein geistliches Danklied an.

Am 23. Mai rückte Moritz an der Spitze seiner Reiter und Fußvölker in Innsbruck ein. Die Landsknechte brüsteten sich in den prächtigen spanischen Kleidern; denn alles, was den Spaniern gehörte, ward ihnen von dem Kurfürsten als gute Beute überlassen. Auf ihren Hüten glänzten portugiesische Goldstücke, einer nannte den andern Don; bei alledem aber wußte sie Moritz aufs beste in Zucht zu halten. Er tadelte Georg von Mecklenburg, der sich nur eine Truhe auf dem Schloß hatte öffnen lassen. Ihm war es genug, daß er soweit vorgedrungen; er begehrte nicht mehr. Noch in Brunecken erhielt König Ferdinand einen Brief von ihm, in welchem er, eigentlich gegen dessen Erwartung, dem was vorgefallen zum Trotz, sich entschlossen erklärte, den Waffenstillstand von dem bestimmten Tage an eintreten zu lassen. Er fragte an, ob man auch auf der anderen Seite diese Gesinnung hege, und ob ihm das sichere Geleit, das ihm zur Zusammenkunft in Passau gegeben worden war, gehalten werden solle, und ob auch der König selbst erscheinen wolle. Die beiden Brüder hielten für gut, darauf einzugehen.

Unverweilt machte sich hierauf Moritz zu der angesetzten Versammlung nach Passau auf den Weg. Auch ohne noch die Verabredungen zu berücksichtigen, die daselbst getroffen worden sind, muß man anerkennen, daß ihm durch den Gang der Begebenheiten und ihre Entscheidung die größten Erfolge gelungen waren. Vor ihm her wich der mächtige Kaiser höher ins Gebirge, nach Villach. Er ließ die Brücken hinter sich abwerfen und in den Pässen spanische Soldaten aufstellen, um ein etwaiges Nachdringen zu verwehren. Und indessen löste sich auf der andern Seite des Gebirges das Konzil von Trient selber auf. Gleich auf die erste Nachricht von den deutschen Ereignissen, am 15. April, sprach der Papst, der ohnehin nur einen zu bekennenden Grund dazu herbeigewünscht hatte, die erneute Suspension des Konzils aus. Das Konzil, das man für gut hielt selbständig handeln zu lassen, machte diesen Beschluß am 28. April zu dem seinen. Noch widersetzten sich jedoch die entschiedenen Anhänger des Kaisers, und bei weitem nicht alle waren abgereist, als die Nachricht von der Eroberung der Klause erscholl. Man glaubte in Trient, die protestantische Bewegung werde unmittelbar der Stadt des Konzils gelten, und alles, Prälaten und Einwohner, Vornehme und Geringe, flüchtete in wilder Verwirrung auseinander, höher in die Berge hinauf oder hinab nach der See, in die dichtesten Wälder oder die festesten Städte.

Der päpstliche Legat Crescentio ließ sich durch seine Krankheit nicht abhalten, dem allgemeinen Zuge folgen; er starb, als er in Verona ankam. Das konnte man wohl vorhersehen, daß eine Kombination kaiserlicher und konziliarer Macht wie die, welche Karl V. ins Leben gerufen und mit der er die Christenheit zu beherrschen gedachte, so bald nicht wieder erscheinen würde. Was aber erfolgen würde, wer hätte darüber in der Verwirrung jener Tage auch nur eine Vermutung hegen können?

Charakter des Kurfürsten Moritz von Sachsen. Deutsche Geschichte 5, 161–163; sein Tod 234–237. Augsburger Religionsfriede 255-282. Karls V. Abdankung zu Brüssel 291–299. Wiederberufung u. Abschluß des Konzils zu Trient, Päpste 1, 212–227.


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