Leopold von Ranke
Geschichtsbilder aus Leopold v. Rankes Werken
Leopold von Ranke

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54. Die Ablehnung der deutschen Kaiserwürde 1849.

Zur Geschichte Deutschlands und Frankreichs. Werke Bd. 49 u. 50 S. 508 ff. Briefwechsel Friedrich Wilhelms IV. mit Bunsen.

Die Frankfurter Versammlung ist dadurch einzig in ihrer Art, daß in ihrer Mitte alle Fragen über das Gesamtleben der Nation in freier Diskussion erörtert wurden und die verschiedensten Standpunkte wie in einer aneinander schließenden Kette ihre Vertreter fanden. Sie war gleichsam eine Akademie der politischen Wissenschaften in bezug auf die nationalen Anliegen, in Form einer Staatsgewalt, tatsächlich ohne alle Macht, aber, inwiefern sie ihren Beruf auf das Prinzip der Nationalsouveränität begründete, von alles umfassendem Anspruch. Neben dem Streite der Meinungen machten sich nun faktische Verhältnisse geltend, die auf den Ausschlag der Beratungen entscheidenden Einfluß übten. Ein solches war jene Erhebung der Radikalen,Der Aufstand in Frankfurt am 18. September 1848. durch welche die Nationalversammlung, in ihrer Existenz bedroht, genötigt wurde sich den Mächten, deren Truppen sie ihre Rettung verdankte, anzuschließen. Die größte Rückwirkung auf die Versammlung entsprang aus der Ermannung dieser beiden Mächte selbst und ihrer siegreichen Haltung gegenüber den destruktiven Tendenzen, welche sie bisher zersetzt hatten.

Die Versammlung wurde inne, daß sie nicht mehr das entscheidende Wort zu sprechen hatte. Alles beruhte auf dem Verhältnis, in das sie sich zu der einen oder der andern setzen würde. In unmittelbaren Kontakt geriet sie mit den Ereignissen in Berlin, die eine Seite hatten, durch die sie ihr willkommen waren. Sie hatte zuletzt nichts dagegen, daß eine auf dem königlichen Willen einseitig beruhende Verfassung oktroyiert5. Dezember 1848. und angenommen wurde, denn diese war doch erfüllt von den Ideen der Zeit und stellte ein konstitutionelles Regiment in Aussicht; die in Frankfurt vorwaltende, mehr konservative Partei bekam dadurch neuen Rückhalt. Dagegen schnitt die Erklärung von KremsierErklärung des Ministers v. Schwarzenberg im österreichischen Reichstage 28. November 1848. jede Hoffnung ab, die Frankfurter Beschlüsse in Österreich zur Geltung zu bringen. Die Entfernung der Österreicher aus dem Reichsministerium, die dann folgte, erweiterte die Trennung, so daß die umgebildete Zentralgewalt den schon angeregten Gedanken, zwischen Österreich und den übrigen deutschen Staaten zu unterscheiden und ersteres bei den ferneren Beratungen nicht mehr zu berücksichtigen, mit Entschiedenheit ergriff. Der Gedanke eines weitern Bunds, zu dem Österreich gehören, und neben ihm eines engern, von dem es ausgeschlossen sein sollte, wurde gefaßt und von der Mehrheit der Versammlung unter mancherlei Schwankungen doch zuletzt genehmigt.

Da war es nun von doppelter Bedeutung, daß eine verwandte Ansicht in Preußen sich Bahn brach, und zwar wie im Staate so auch bei König Friedrich Wilhelm IV. An sich durch die Erinnerungen an den letzten großen Krieg und durch den gemeinschaftlichen Gegensatz gegen die Revolution an Österreich gefesselt, gab doch der König der Überzeugung Raum, daß eine Regeneration von Deutschland, wie auch er sie billigte, in Verbindung mit Österreich unmöglich sein würde. Bei aller Rücksicht, mit der die Zirkularnote abgefaßt war, enthält sie doch eine Abwendung von der österreichischen Idee zu der deutschen. Wenn nun dergestalt Berlin und Frankfurt sich in einem und demselben Gedanken begegneten, so waren sie doch darum bei weitem nicht einverstanden. Der König wollte vor allem das Recht des Fürstentums, als dessen Sachwalter er sich ansah, und sein eignes anerkannt wissen, die Versammlung in Frankfurt dagegen die Verfassung zustande bringen, mit der sie schon so lange beschäftigt war. Deren Konsequenzen schlossen Österreich aus. Von geistvollen mitbeteiligten Männern ist zwar bedauert worden, daß man nicht auch ferner solche Beschlüsse faßte, denen Österreich beitreten konnte, aber das lag außerhalb der Folgerichtigkeit der Tatsachen.

Für Österreich erschien es sogar unter den damaligen Umständen als eine Notwendigkeit, auf die Vereinigung seiner deutschen Landschaften mit Deutschland Verzicht zu leisten, um dieselben für seine eigne innre Konsolidation und Macht ungeirrt verwenden zu können. In Österreich wollte man das nicht Wort haben; man glaubte noch mit der eignen Rekonstruktion eine vorwaltende Macht in Deutschland verbinden zu können. Es gab eine mächtige Stimme in Europa, die dem widersprach: in England meinte man ein entschiednes Übergewicht Österreichs auf dem Kontinent nicht dulden zu können und von dem fortwährenden Konflikt in Deutschland die widerwärtigsten Folgen fürchten zu müssen. Denn wie leicht, daß Frankreich sich einmal wieder erhebe und in Süddeutschland Meister werde; selbst ein russisch-französisches Supremat lasse sich besorgen. Als das wünschenswerteste betrachtete man auch dort, daß sich Österreich für sich selbst rekonstruiere mit Einschluß seiner deutschen Provinzen, das übrige Deutschland aber sich um Preußen zu einem engern Bunde vereinige. Wenn man zweifeln mußte, daß der König von Preußen mit der erforderlichen Entschiedenheit dazu die Hand bieten werde, so wurde durch den vertrauten VermittlerBaron Stockmar; Ranke zitiert seine Denkwürdigkeiten S. 555.zwischen den englischen Ministern und dem Reichsministerium diesem der Rat gegeben, sich nicht darum zu kümmern, sondern auf Grund der Machtvollkommenheit des Parlaments einen Beschluß über die Stellung herbeizuführen, welche Preußen in dem zu errichtenden Bundesstaate einzunehmen habe. Bei dem Gegensatz der Parteien und den steten Einwirkungen Österreichs auf dieselben hatte das die größten Schwierigkeiten, aber der Fortgang der innern österreichischen Angelegenheiten selbst, die Anfang März 1849 zu einer noch stärkern Erklärung über den zu bildenden unteilbaren unauflöslichen Gesamtstaat Österreich führten, überzeugte am Ende auch die wärmsten Anhänger dieser Macht, daß man das begonnene Verfassungswerk aufgeben müsse, wenn man sich nicht von ihr sondere. Auch sie richteten jetzt ihre Augen auf Preußen.

Es muß dieser Versammlung, die sich als den Ausdruck der Nationalsouveränität betrachtete, immer hoch angerechnet werden, daß sie in ihrem methodischen Gange an den Grundlagen eines geordneten Staatswesens festhielt, die Republik ausschloß, die monarchischen Gewalten anerkannte und der kräftigsten derselben, der preußischen, die Zentralgewalt anzuvertrauen die Absicht faßte. Die Gesichtspunkte, die hierfür in der Verhandlung entscheidend waren, erscheinen in einer Rede Soirons,Während des Sommers 1848 Vizepräsident des Parlaments. worin ausgeführt wird, daß nur der mächtigste Fürst zum Oberhaupte tauge, weil nur er imstande sei das Widerstreben der an ihre Souveränität gewöhnten ehemaligen Reichsstände niederzuhalten. In den immer steigenden Zerwürfnissen der Versammlung erschien die einzige Rettung in der unverzüglichen Wahl des Königs von Preußen. Um diese zu bewirken, gingen die Altliberalen den Radikalen gegenüber noch einen Schritt weiter, als er ihrem System entsprach. Um der Mehrheit sicher zu sein, gaben sie ihren Gegnern das radikale Wahlgesetz nach, auf welchem diese bestanden, und fügten sich darin, dem künftigen Oberhaupte nur ein suspensives Veto zu bewilligen. Sie erschraken, aber gaben nochmals nach, als diese Beschränkung der höchsten Autorität auch auf Fragen der Verfassung ausgedehnt wurde, so daß deren Bestand nur eine sehr zweifelhafte Gewähr behielt. Um das Prinzip, die monarchische Gestaltung des Bundesstaats, zu behaupten, willigte man in eine an sich unwillkommene Beschränkung der obersten Gemalt in demselben, wenn diese dann nur dem mächtigsten Fürsten, dem König von Preußen, zufiel. Wohl wußte man, daß sich Friedrich Wilhelm diese Würde verbeten hatte; aber man hielt ihn für beugsam und rechnete auf seine Beistimmung im letzten Augenblick: hatte er sich doch nach langem Schwanken zuletzt entschlossen, im Widerspruch mit Österreich den engern Bund auch seinerseits anzubahnen.

Aufs neue wurde dergestalt dem preußischen Staate die Frage vorgelegt, inwiefern er nunmehr die Verbindung mit den deutschen Reformideen, wie sie sich im Parlament manifestierten, eingehen wolle oder nicht. Eine neue große Aussicht wurde ihm geboten, eben die, eine dominierende Stellung in Deutschland zu erlangen. Und mußte nicht auch dem Könige daran liegen, den Verwirrungen ein Ende zu machen, die Macht in die Hand zu nehmen? Ein starkes politisches Interesse sprach dafür, über die anstößigen Einzelheiten hätte sich später hinwegkommen lassen; die Überzeugung der meisten war, daß es dazu nur eines festen Willens bedürfe. An und für sich wäre nun auch König Friedrich Wilhelm IV. fähig und selbst geneigt gewesen, die höchste deutsche Würde anzunehmen. Es entsprach einem tiefen und berechtigten Ehrgeiz seines Herzens. Aus allem, was er dagegen sagt, leuchtet doch dieser Zug hervor: die Krone der Salier und Hohenstaufen an die Hohenzollern zu bringen, wäre ihm als der Gipfel persönlichen und dynastischen Glücks erschienen. In seiner Seele teilte er alle die Gefühle für Herstellung der deutschen Einheit, welche seine Zeitgenossen seit dem Jahre 1806 erfüllten. Aber auf der andern Seite zeigten sich doch die gewichtigsten Gegengründe. Einmal konnte sich der König des Gedankens nicht erwehren, der aus seiner historischen Anschauung entsprang, daß dem Hause Österreich die erste Stelle in Deutschland gebühre. Nicht als ob es nicht Fälle hätte geben können, in denen er die obere Leitung übernommen hätte; allein in diesem Augenblick, in welchem Österreich zu erneuter Macht gelangt war und die revolutionären Elemente siegreich bekämpfte, lag ein für ihn gültiger Anlaß dazu nicht vor. Alles, was er über sich gewinnen konnte, war jener Versuch, den engern Bund zustande zu bringen. Dies sollte jedoch mit möglichster Schonung Österreichs geschehen. Bei den Verhandlungen hierüber ist man dem Könige zuweilen schon zu weit gegangen; in seinem Unmut hat er einmal an Bunsen geschrieben (11. Febr. 1849), er habe die preußische Politik in die Hände des Staatsministeriums gelegt, sie sei hinfort nicht mehr die seine. Dazu kam eine wachsende Verstimmung des Königs über das Verhalten des Frankfurter Parlaments in der dänischen Angelegenheit, das dem besondern preußischen Staatsinteresse entgegenlaufe. Aber die Hauptsache war doch der Widerspruch, in welchem sich Friedrich Wilhelm mit den liberalen und radikalen Tendenzen der Versammlung befand. Seine ganze Gesinnung widerstrebte der Annahme der Krone, die ihm geboten wurde, denn dies Anerbieten trat ihm aus der Mitte der revolutionären Bewegung entgegen. Es hätte ihn sogar zur Teilnahme an derselben und zur Verteidigung der in Frankfurt auf Grundlagen, die er verabscheute, aufgebauten Beschlüsse verpflichtet. Überdies, er war viel zu sehr ein geborner Fürst und von dem ausschließenden Rechte des deutschen Fürstentums, über das Kaisertum, d. h. die höchste Würde auf Erden, zu verfügen, durchdrungen, als daß er nicht den Versuch der Versammlung, aus eigenmächtiger Erhebung diese Würde zu übertragen, als eine Usurpation und gleichsam als Standesbeleidigung betrachtet hätte.

In Friedrich Wilhelm lebte der Begriff der legitimen Gewalt, in Verbindung jedoch mit der freien Entwicklung, die sie gestattete. Der König ging nicht so weit, die Nationalversammlung von Frankfurt schlechthin zu verdammen; als Volkshaus oder als zweite Kammer hätte er sie anerkannt, aber er bestritt ihr die Machtvollkommenheit und konnte eine Krone nicht annehmen, in deren Übertragung der Begriff der Nationalsouveränität zur Erscheinung kam. Wir erwägen hier nicht die Berechtigung der entgegengesetzten politischen Systeme, aber vielleicht ist es dem Könige zuzuschreiben, wenn die Idee der Nationalsouveränität in Deutschland niemals festen Grund und Boden gefunden hat. Darauf beruht noch heute der Unterschied zwischen Frankreich und Deutschland. Noch ein andres Moment bestärkte den König in seiner Haltung; er sah die radikalen Elemente vor sich, welche er von ganzer Seele haßte und verabscheute. In ihrem Treiben sah er gleichsam ein satanisches Beginnen gegen Religion und Staat, dem er nicht Raum zu geben, sondern selbst mit dem Schwerte Gideons zu widerstehen die heilige Pflicht habe.

Am 27. März wurde in Frankfurt die Kaiserwahl definitiv und feierlich vollzogen. Bunsen, der die Nachricht davon am 31. erhielt, hat noch an demselben Tage dem König ausführlich darüber geschrieben, um ihm die Annahme der Wahl aufs dringendste anzuraten. Und nicht ohne Gewicht sind die Argumente, die er dafür anführt. Die Ablehnung würde, so sagt er, für die Person und das Haus des Königs, für die preußische Monarchie und die Zukunft von Deutschland gefährlich werden. Die Manifestation von Österreich, nach der dieses bei seinem Eintritt mit gesamter Macht in den deutschen Bund 38 Stimmen für sich habe, wahrend den Deutschen nur 32 zufallen sollten, mache jedes weitere Wort überflüssig. »Deutschland kann in Zukunft nur bestehen als freies Bundesreich neben dem österreichischen Gesamtstaate, dazu nur in Form eines Reiches mit einem erblichen Oberhaupte. Preußen hat zwischen dieser Stellung und einer kümmerlichen Abhängigkeit von Österreich und Rußland zu wählen. Ew. Majestät können das, was geschehen muß, vielleicht auf Ihre Lebenszeit verhindern. Geschehen wird es aber, denn das Gefühl Deutschlands, eine Nation zu sein und als solche dem Auslande gegenüberzustehen in Krieg und Frieden, ist unvertilgbar.« Damit biete sich jetzt die friedliche Überleitung der revolutionären Bewegung in ein parlamentarisch-monarchisches Gleise. Der König würde, wenn er ablehne, zugleich mit seiner Vergangenheit und seiner Zukunft brechen. Er drückt sich hierüber so stark wie möglich aus: der König, ein konstitutioneller Fürst, werde dieser Notwendigkeit nicht entgehen ohne eine Gegenrevolution oder Abdankung. Die Einwendungen, die man von dem Wahlgesetz oder dem nur suspensiven Veto hernimmt, schlägt er nur gering an, denn das erste sei ja das preußische System, das zweite habe in einem Bundesstaate nicht so viel zu bedeuten wie in einem Einzelstaate. Für eine unbedingte Annahme war Bunsen selber nicht. Das Verhältnis zu Österreich sollte doch auf Grund der Bundesakte aufrechterhalten, die Abänderung der Reichsverfassung durch einfache Majorität vorbehalten werden. Nur die Ablehnung bestritt er mit all seiner dringenden Lebhaftigkeit. Gewiß war es ihm Ernst mit der Verwandlung der demokratischen Bewegung in eine konstitutionelle. Das aber war es eben, wovon der König niemals zu überzeugen war. Er glaubte nicht anders, als daß die demokratische Bewegung sich seiner Macht bedienen wolle, um die revolutionären Ideen in Deutschland zur Geltung zu bringen.

Ehe dieser Brief Bunsens eintraf, hatte der König den entgegengesetzten Entschluß nicht etwa gefaßt, denn das war längst geschehen, aber feierlich ausgesprochen. Der Deputation, die ihm meldete, »daß ihn das Vaterland als den Schirm und Schutz seiner Einheit, Freiheit und Macht zum Oberhaupte des Reiches erkoren habe«, antwortete er: »In ihrer Botschaft erkenne er die Stimme der Vertreter des deutschen Volkes; sein Blick werde dadurch auf den König der Könige gelenkt und auf die Pflicht, die ihm als König von Preußen und als einem der mächtigsten deutschen Fürsten obliege; er danke für das Vertrauen das man ihm beweise, aber er würde heilige Rechte verletzen und mit sich selbst in Widerspruch geraten, wenn er ohne das freie Einverständnis der gekrönten Häupter, der Fürsten und freien Städte Deutschlands einen für alle, Fürsten und Stämme, entscheidenden Entschluß fassen wolle; von jenen müsse erst geprüft werden, ob die Verfassung den einzelnen und dem Ganzen fromme, ob er durch die ihm zugedachten Rechte instand gesetzt sein würde, die Geschicke des großen deutschen Vaterlands mit starker Hand zu leiten.« Eine Ablehnung für immer liegt darin nicht; aber dem Sinne gemäß, in dem er sich schon immer erklärt hat, fordert der König eine vorläufige Übereinkunft der Regierungen und der Versammlung, wie in bezug auf das Anerbieten selbst, so auch auf den Umfang der ihm zu übertragenden Gewalt. Zugleich spricht er seine Hingebung für die Sache und das Wohl Deutschlands auf das nachdrücklichste aus: in allen Gauen möge man verkündigen, daß Preußen in innern und äußern Gefahren der Schirm und Schild Deutschlands sein werde.

Indem aber der König die Krone, wie sie ihm von der Deputation angeboten wurde nicht annahm, hielt er doch an dem durch die Zirkularnote vom 20. Januar 1849 ergriffnen Standpunkt fest. In einem besonderen Erlaß erklärte er sich bereit, wenn es ihm von den deutschen Regierungen angetragen werde, unter Zustimmung der Nationalversammlung die provisorische Leitung der deutschen Angelegenheiten zu übernehmen und an die Spitze eines Bundesstaats zu treten, der aus den Staaten sich bilde, welche sich demselben freiwillig anschließen würden.

Nicht die Machtlosigkeit, sondern die Rekonstruktion von Österreich als europäischer Gesamtstaat verhinderte dessen gleichmäßige Teilnahme an den eigentlich deutschen Angelegenheiten. Ohne mit sich in Widerspruch zu geraten konnte der König daran denken, in der Reorganisation Deutschlands die leitende Rolle zu übernehmen. Wenn er den engern Bund zustande brachte, so gründete er um sich her ohne mit Österreich zu brechen, doch gleichsam eine neue Macht. Diesen Gedanken ergriff er, als er die Krone ablehnte, entschieden und bewußt als einzige Rettung der Idee der deutschen Selbständigkeit und Einheit gegen die Übermacht und auf den andern als deutschen Gesichtspunkten beruhenden Einfluß Österreichs. Diese Absicht sprach er aufs neue in einer Zirkularnote vom 28. April und in einem Manifest vom 15. Mai 1849 aus; alle seine politischen Handlungen in den Jahren 1849 und 1850 beruhen darauf.

Und schon kennen wir die europäische Tragweite dieses Vorhabens. Eine innre Konsolidation Deutschlands unter der Führung Preußens war besonders den englischen Ministern in hohem Grade genehm. Sie sahen darin eine Befestigung des durch die alten Verträge begründeten Gleichgewichts der Mächte, denn den kleineren Staaten würde es unmöglich sein, sich inmitten des demokratischen Garens und Wühlens in einer Stellung zu behaupten, in der sie die Übermacht von Frankreich abwehren könnten. Es war zugleich eine konservative und antifranzösische Tendenz, was die englischen Minister bewog sich zugunsten eines engern Bundes der deutschen Staaten unter der Hegemonie von Preußen zu erklären. Sie wünschten ein mächtiges Deutschland in der Mitte zwischen Frankreich und Rußland, das auf eignen Füßen stehend eine unabhängige Politik ergreifen und befolgen könne. Wieviel aber gehörte dazu, diesen Plan auszuführen! Die vornehmste Schwierigkeit entsprang aus der Vermischung zweier doch in der Tat weit auseinanderliegenden Gedanken. Der eine war die Erneuerung der alten deutschen Kaiserwürde mit einer sehr nach der Demokratie hinneigenden Verfassung, der andre das Zustandebringen des engern Bunds. Man könnte meinen, für die Nationalversammlung wäre der richtige Weg gewesen, sich auf das letzte zu beschränken und all ihr Ansehen auf dessen Durchführung zu verwenden. Das mag kaum möglich gewesen sein; wir streiten nicht darüber. Aber die Übertragung eines erblichen Kaisertums an die Krone Preußen, unschätzbar als Manifestation, hatte als politische Handlung von vornherein die schwersten Bedenken gegen sich. Denn in der Tat mußte man doch befürchten, wenn es auch nicht mit Bestimmtheit vorausgesehen ward, daß der König die Krone ablehnen würde. Dann mußte die Folge sein, wie sie es denn auch war, daß die konstitutionelle Partei, die jenen Beschluß herbeigeführt hatte, ihr leitendes Ansehen nicht behaupten konnte. Man erlebte sofort, daß die radikale Richtung in Frankfurt das Übergewicht erhielt; die Versammlung, in offenem Widerstreit mit der bestehenden Ordnung der Dinge, zerfiel in sich selbst und löste sich auf.

Sei es uns gestattet, dieser Reflexion, die freilich bestritten werden kann, noch eine andre von ebenso unmaßgeblichem Charakter über die folgenden Ereignisse hinzuzufügen. Ohne den Rückhalt, welchen die Versammlung für die nationalen Ideen bot, war es unmöglich, den engern Bund in einer dem Bedürfnis entsprechenden Weise zustande zu bringen. Der Dreikönigsbund, die Union, die Erfurter Versammlung bilden bedeutende Momente in diesen Bestrebungen; der König nahm daran persönlich den lebendigsten Anteil; aber Erfolg konnten sie nicht haben. Die Beredsamkeit, das Talent und die Energie von Radowitz, der dem König ebenso nahe stand wie Bunsen und als Vorfechter der Unionspolitik auftrat, vermochten nicht zum Ziele zu führen. In den deutschen Fürsten, die durch die Union einen Teil ihrer Souveränität verloren haben würden, fand diese Politik, die auf ihre freiwillige Beistimmung berechnet war, einen immer wachsenden Widerstand. Der österreichische Gedanke, den alten Bund wiederherzustellen, war notwendigerweise auch der ihre.

Und höchst ungünstig gestalteten sich die europäischen Verhältnisse in allen andern Beziehungen, namentlich auch in der dänisch-deutschen Frage. Friedrich Wilhelm IV. wollte nicht eigentlich Krieg gegen Dänemark, aber die eventuelle Losreißung Schleswig-Holsteins von dem Sundkönig, die Verbindung dieses Landes mit Deutschland. Hierbei aber stieß er auf den Gegensatz der Macht, auf deren Teilnahme und Unterstützung er sonst rechnete. England wollte Dänemark unter allen Umständen als Gesamtstaat erhalten wissen. Besonders verwundete den König, daß Palmerston hierbei auf Österreichs Seite trat, welches durch die Niederwerfung Ungarns und den Bund mit Rußland, der dazu geführt hatte, wieder erstarkt war und seinen alten Einfluß in Deutschland als dem Stützpunkt seiner Macht erneuerte.

Alle diese Umstände brachten den Konflikt hervor, der im Herbst 1850 zu offnem Kriege zu führen drohte. Preußen hatte die drei Mächte, die es als seine Verbündeten betrachtete, gegen sich; sie waren selbst mit Frankreich einverstanden. Man hat oft erzählt, Friedrich Wilhelm IV. habe den Aufforderungen zu schärferm Auftreten entgegnet, er sei kein Friedrich II. Aber dieser hatte bei seiner gefahrvollsten Waffenerhebung doch eine vorteilhaftere Stellung als Friedrich Wilhelm IV.; er hatte wenigstens eine von den großen Mächten auf seiner Seite. Und wie unendlich weit war seine schlagfertige Kriegsmacht im Verhältnis zu seinen Nachbarn dem Heere überlegen, welches Friedrich Wilhelm IV. damals ins Feld stellen konnte! Bei dem ersten Vorbereitungen zu einem Kampfe, bei der Mobilmachung zeigten sich die Mängel des militärischen Systems stärker als man irgend erwartet hatte. Indem man dann den Versuch machte, zu einem haltbaren Austrag zu gelangen, kam der Nachteil der Lage Preußens in der Übereinkunft, die es zu Olmütz eingehen mußte, zutage, noch mehr fast in den Konsequenzen, die aus derselben gezogen wurden. Unleugbar ist, daß diese Wendung der Dinge eine politische Niederlage in sich schloß.

Doch lag darin keineswegs eine definitive Entscheidung der großen Frage. Die Momente, die wir berührten, haben wie mit dem Vorangegangenen so auch mit dem Folgenden einen engen Zusammenhang. Seit diesem Mißerfolg traten die militärischen Interessen des Staats wieder in den Vordergrund, die Bedürfnisse der Armee fanden ausgiebigere Berücksichtigung, der Gedanke der Militärreorganisation konnte mit Entschiedenheit ergriffen werden. Die neuen Differenzen mit Österreich, welche eben in den Bundesangelegenheiten zum empfindlichsten Ausdruck kamen, riefen noch bei Friedrich Wilhelm IV. Entfremdung und Widerwillen gegen die Staatsmänner in Wien hervor und führten zu der Überzeugung, daß es für Preußen unmöglich sei, sich mit der zweiten Rolle in Deutschland zu begnügen. Der Gedanke des engern Bunds trat nach einigen Jahren unter dem Nachfolger Friedrich Wilhelms mit innrer Notwendigkeit wieder hervor und hat die Ereignisse herbeigeführt, welche Deutschland und Europa eine neue Gestalt gegeben haben. Dann konnte auch die Kaiserwürde unter Bedingungen, wie sie Friedrich Wilhelm IV. aufgestellt hatte, angenommen werden, allerdings nicht ohne daß das Machtverhältnis geändert worden wäre. Die Waffentaten, die dazu führten, gehören zu den glorreichsten, welche die Weltgeschichte kennt.


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