Leopold von Ranke
Geschichtsbilder aus Leopold v. Rankes Werken
Leopold von Ranke

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5. Kaiser Karl V.

Die Osmanen und die spanische Monarchie, Werke Bd. 35, 36 S. 90 ff. Deutsche Geschichte I, Werke Bd. 1 S. 325.

Wenn die alte Sage ihre Helden schildert, gedenkt sie zuweilen auch solcher, die erst eine lange Jugend hindurch untätig zu Hause sitzen, aber alsdann, nachdem sie sich einmal erhoben, nie wieder ruhen, sondern in unermüdlicher Freudigkeit von Unternehmung zu Unternehmung fortgehen. Erst die gesammelte Kraft findet die Laufbahn, die ihr angemessen ist. Man wird Karl V. mit einer solchen Natur vergleichen können. Bereits in seinem sechzehnten Jahre war er zur Regierung berufen, doch fehlte viel, daß er in seiner Entwicklung dahin gewesen wäre, sie zu übernehmen. Lange war man versucht, einen Spottnamen, den sein Vater gehabt, weil er seinen Räten allzu viel glaubte, auch auf ihn zu übertragen. Sein Schild führte das Wort: »noch nicht«. Ein Herr von Croy leitete ihn und seinen Staat vollkommen. Während seine Heere Italien unterwarfen und wiederholte Siege über die tapfersten Feinde davontrugen, hielt man ihn, der indes ruhig in Spanien saß, für unteilnehmend, schwach und abhängig. Man hielt ihn solange dafür, bis er im Jahre 1529, im dreißigsten seines Lebens, in Italien erschien.

Wie viel anders zeigte er sich da, als man erwartete! Wie zuerst so ganz sein eigen und vollkommen entschieden! Sein geheimer Rat hatte nicht gewollt, daß er nach Italien ginge, hatte ihn vor Andrea Doria gewarnt und ihm Genua verdächtig gemacht. Man erstaunte, daß er dennoch nach Italien ging, daß er gerade auf Doria sein Vertrauen setzte, daß er dabei blieb, in Genua ans Land steigen zu wollen. So war er durchaus. Man nahm keinen überwiegenden Einfluß eines Ministers wahr; an ihm selber fand man weder Leidenschaft noch Übereilung, alle seine Entschlüsse waren gereift, es war alles überlegt; sein erstes Wort war sein letztes. Dies bemerkte man zuerst an ihm, darauf, wie selbsttätig, wie arbeitsam er war. Es erforderte einige Geduld, die langen Reden der italienischen Gesandten anzuhören; er bemühte sich, die verwickelten Verhältnisse ihrer Fürsten und Mächte genau zu fassen. Der venetianische Botschafter wunderte sich, ihn um nicht weniges zugänglicher und gesprächiger zu finden, als er drei Jahre zuvor in Spanien gewesen war. In Bologna hatte er ausdrücklich darum eine Wohnung genommen, aus welcher er den Papst unbemerkt besuchen konnte, um dies so oft zu tun wie möglich, um alle Streitpunkte selbst aufs reine zu bringen.

Von dem an begann er seine Unterhandlungen persönlich zu leiten, seine Heere selber anzuführen; er fing an, von Land zu Land und immer dahin zu eilen, wo das Bedürfnis und die Lage der Geschäfte seine Gegenwart erforderte. Wir sehen ihn bald in Rom sich bei den Kardinälen über die unversöhnliche Feindschaft Franz' I. beklagen, bald in Paris die Gunst der Frau von EstampesGeliebte des Königs Franz I.; Französische Geschichte 1, 95. 98. suchen und gewinnen, bald in Deutschland dem Reichstage vorsitzen, um die religiöse Entzweiung beizulegen, bald in den kastilischen Kortes bemüht, sich die Auflage des Servicio stimmen zu lassen. Dies sind friedliche Bemühungen; öfter aber steht er an der Spitze seiner Heere. Er dringt über die Alpen in Frankreich vor und überschwemmt die Provence, er setzt Paris von der Marne aus in Schrecken. Dann kehrt er um nach Osten und Süden. Den Siegeslauf Solimans hält er ein an der Raab; er sucht den Halbmond bei Algier auf. Das Heer, das ihm in Afrika gedient, folgt ihm an die Elbe, und auf der Lochauer Heide hört man das Feldgeschrei Hispania. Da ist Karl das am meisten beschäftigte Haupt der Welt. Gar manchmal schifft er über das Mittelmeer, über den Ozean. Indessen sind seine Seeleute Entdecker in früher nie befahrenen Meeren, seine Krieger Eroberer von früher nie betretenen Erden. In so weiter Ferne bleibt er ihr Regierer und Herr. Sein Wahlspruch »mehr, weiter« hat eine glorreiche Erfüllung.

So ist sein Leben, wenn wir es im ganzen betrachten: nach ungewöhnlich langem Ruhen volle Tätigkeit. Es läßt sich bemerken, daß die nämliche Erscheinung, anfangs Ruhen, Warten, Zusehen, spät die Tat, auch während seines bewegtesten Lebens in den einzelnen Ereignissen immer wiederkehrt.

Obwohl in der allgemeinen Willensrichtung völlig entschieden, faßte er Fall für Fall doch nur langsame Entschlüsse. Auf jeden Vortrag antwortete er anfangs unbestimmt, und man mußte sich hüten, seine vieldeutigen Ausdrücke für eine Gewährung zu nehmen. Dann beriet er sich mit sich selbst. Er schrieb sich oft die Gründe für und wider auf; da brachte er alles in so gutem Zusammenhang, daß wer ihm den ersten Satz zugab, ihm den letzten zuzugeben gewiß genötigt war. Den Papst besuchte er zu Bologna einen Zettel in der Hand, auf welchem er alle Punkte der Unterhandlung genau verzeichnet hatte.Alles nach italienischen Gesandtschaftsberichten, die man bei Ranke zitiert findet. Nur GranvellaNikolaus Perenot de Granvella, aus der Freigrafschaft Burgund gebürtig, zuerst Sekretär der Erzherzogin Margarete, Tochter Maximilians, welche 1507-1530 Statthalterin der Niederlande war, dann im Dienste Karls V.; er starb 1550 während des Reichstags zu Augsburg. Vgl. Deutsche Geschichte 3, 209; 4, 149f.; 5, 71. Sein Sohn Anton war später Minister der Statthalterin Margarete von Parma, Tochter Karls V., starb 1580 zu Madrid. pflegte er jeden Bericht, jeden Vortrag mitzuteilen; diesen fanden die Botschafter immer, bis auf die einzelnen Worte, welche sie geäußert, unterrichtet. Zwischen beiden wurden alle Beschlüsse gefaßt; langsam geschah es, häufig hielt Karl den Kurier noch ein paar Tage länger auf. War es aber einmal so weit, so war nichts auf der Welt vermögend ihm eine andere Meinung beizubringen. Man wußte dies wohl. Man sagte, er werde eher die Welt untergehen lassen, als eine erzwungene Sache tun. Es war kein Beispiel, daß er jemals durch Gewalt oder Gefahr zu irgend etwas genötigt worden. Er äußerte sich einst selbst mit einem naiven Geständnis hierüber; er sagte zu Contarini:Päpstlicher Legat in Deutschland 1541, s. Deutsche Geschichte 4, 149 f.; Geschichte der Päpste 1, 101-111. »Ich bestehe von Natur hartnäckig auf meinen Meinungen.« »Sire,« entgegnete dieser, »auf guten Meinungen bestehen ist nicht Hartnäckigkeit, sondern Festigkeit.« Karl fiel ihm ins Wort: »Ich bestehe zuweilen auch auf schlechten.«

Der Beschluß ist indes noch lange nicht die Ausführung. Karl hatte eine Scheu die Dinge anzugreifen, auch wenn er sehr gut wußte, was zu tun war. Im Jahre 1538 sagte TiepoloVenetianischer Gesandter, s. Geschichte der Päpste 1, 161. von ihm, er zögere so lange, bis seine Sachen gefährdet, bis sie ein wenig im Nachteile seien. Eben das fühlte Papst Julius III.: Karl räche sich wohl, doch müsse er erst einige Stöße fühlen, ehe er sich erhebe. Auch fehlte es dem Kaiser oft an Geld; die verwickelte Politik gebot ihm tausend Rücksichten. Indes er nun harren mußte, behielt er seine Feinde unausgesetzt im Auge. Er beobachtete so genau, daß die Gesandten erstaunt waren, wie gut er ihre Regierungen kannte, wie treffend er zum voraus beurteilte, was sie tun würden. Endlich kam die Gelegenheit, die günstige oder die dringende Stunde doch. Dann war er auf, dann führte er aus, was er vielleicht seit zwanzig Jahren im Sinne gehabt. Das ist die Politik, die seinen Feinden verabscheuungswürdig und Hinterlist, seinen Freunden ein Muster von Klugheit schien. Wenigstens darf man sie kaum als ein Werk der Wahl, der Willkür betrachten. So ruhen, sich unterrichten, harren, erst spät sich erheben und schlagen, eben das ist die Natur dieses Fürsten.

In wieviel anderen Dingen war es mit ihm nicht anders bestellt! Er bestrafte zwar, doch ließ er sich zuvor viel gefallen; er belohnte wohl, aber freilich nicht sogleich. Mancher mußte jahrelang unbezahlt ausharren, dann aber bedachte er ihn mit einem jener Lehen, mit einer jener Pfründen, deren er so viele hatte, daß er reich machen konnte, wen er wollte, und ohne selbst etwas auszugeben. Hierdurch brachte er andere dahin, in seinem Dienste alle Mühseligkeiten der Welt zu erdulden. Wenn man ihm die Waffen anzog, so bemerkte man, daß er über und über zitterte; erst wenn er gerüstet war, dann ward er mutig, so mutig, daß man glaubte, er trotze darauf, daß noch nie ein Kaiser erschossen worden.

Ein solcher Mensch, voll Ruhe und Mäßigung, leutselig genug um sich verschiedenen zu bequemen, scharf genug, um viele zugleich in Unterwerfung zu halten, scheint wohl geeignet, mehreren Nationen zusammen vorzustehen. Man lobt Karl, daß er durch Herablassung die Niederländer, durch Klugheit die Italiener, durch Würde die Spanier an sich gezogen habe; was besaß er aber, um den Deutschen zu gefallen? Seine Natur war nicht fähig, sich zu jener treuherzigen Offenheit zu entwickeln, welche unsere Nation an ausgezeichneten und hochgestellten Menschen zu allererst anerkennt, liebt und verehrt. Ob er wohl die Manier, wie die alten Kaiser sich mit Fürsten und Herren gehalten, gern nachahmte; ob er sich wohl bemühte, deutsche Sitten anzunehmen und sogar den Bart in Deutschland nach deutscher Weise trug, so erschien er den Deutschen doch immer als ein Fremder. Besonders seit dem Schmalkaldischen Kriege zerfiel er mit der Meinung der Nation. Man nannte seine beiden Gegner die Großmütigen; er aber, Karl von Gent, wie man ihn hieß, habe hämisch gelacht, wie er den guten Kurfürsten gefangen genommen; mit welcher Hinterlist habe er sich in Halle des Landgrafen bemächtigt! In Deutschland ward ihm nie recht wohl; die Entzweiungen nahmen alle seine Tätigkeit hin, ohne ihm Ruhm zu gewähren; das Klima war seiner Gesundheit nachteilig; er konnte die oberdeutsche Sprache nicht recht; die Mehrzahl der Nation mißverstand ihn und war ihm abgeneigt.

So hoch Karl V. die Würde der Kaisertums schätzte, so ist es doch sehr menschlich und natürlich, daß er den Mittelpunkt seiner Politik nicht in den deutschen Interessen sah. Nur aus dem Komplex seiner Reiche und Verhältnisse konnte die Summe seines Denkens hervorgehen. Er fühlte sich immer als der burgundische Prinz, der mit seinen anderen zahlreichen Kronen auch die höchste Würde der Christenheit verband. Insofern mußte er dabei stehen bleiben, die Rechte des Kaisertums als einen Teil seiner Macht zu betrachten, wie schon sein Großvater getan; noch viel weniger als dieser konnte er sich den inneren Bedürfnissen Deutschlands mit voller Hingebung widmen. Von dem Treiben des deutschen Geistes hatte er ohnehin keinen Begriff; er verstand weder unsere Sprache noch unsere Gedanken.

Ein merkwürdiges Schicksal, daß die Nation in dem Augenblick ihrer größten, eigensten inneren Bewegung sich ein Oberhaupt berufen hatte, das ihrem Wesen fremd war, in dessen Politik, die einen bei weitem größeren Kreis umfaßte, die Bedürfnisse und Bestrebungen der Deutschen nur als ein untergeordnetes Moment erscheinen konnten.

Kaiserkrönung zu Bologna Deutsche Geschichte 3, 157 f. Reichstag zu Augsburg 3, 117-171. Schmalkaldischer Krieg 4, 310 ff. 375. 381. Machtstellung um 1550. 5, 66-68.


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