Leopold von Ranke
Geschichtsbilder aus Leopold v. Rankes Werken
Leopold von Ranke

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

48. Der Friede zu Basel.

Hardenberg und die Geschichte des preußischen Staates I, Werke Bd. 46 S. 210 ff. 252 ff.

Man sprach damalsIm Winter 1794/5. viel von einem vierten Feldzuge, was so aussieht, als sei es nur eben auf eine Fortsetzung des Krieges gegen Frankreich angekommen. In Tat und Wahrheit aber war der Krieg gegen die Revolution nicht mehr in dem Sinne gemeint, in dem er anfangs unternommen worden. Die drei großen Mächte England, Rußland, Österreich hatten Absichten gefaßt, die über die ursprünglichen Motive weit hinausgingen. England trachtete vor allem nach Ausdehnung seiner maritimen Macht. Um zur See die Überlegenheit zu behaupten, hielt es die Fortsetzung des kontinentalen Krieges namentlich durch Österreich für notwendig; zu diesem Zwecke bewilligte es Österreich große Anleihen und stellte ihm andre Hilfsleistungen in Aussicht. Dadurch bekam Österreich neue Kräfte und den Mut, in seinen Eroberungsabsichten nicht allein an den französischen Grenzen, sondern auch nach andern Seiten hin zu verharren. Es faßte die mitteleuropäische Stellung, nach der Joseph II. gestrebt hatte, in noch größerem Umfange als dieser selbst ins Auge. Nicht ohne Rußland jedoch konnte Österreich zu seinen Intentionen zu gelangen sich Hoffnung machen; um Rußland zu gewinnen, entschloß es sich, dessen Besitznahme ausgedehnter polnischer Provinzen anzuerkennen und selbst die Ansprüche der Kaiserin auf die Donaufürstentümer zu berücksichtigen. Indem nun diese Entwürfe ergriffen und diese Verbindungen eingeleitet wurden, kam in Preußen die fernere Teilnahme an dem Kriege gegen Frankreich in ernstliche Erörterung.

Es ist leicht zu erklären, daß dem Könige, der den Feldzug gegen die Revolution mit einer Art von Enthusiasmus begonnen hatte, unendlich schwer wurde, sich zu einem Schritte der Annäherung an das bekämpfte Element zu verstehen. Nur mit vielen Bedacht ließ er sich zu einer solchen herbei. Wären ihm nicht jene SubsidienVon England. versagt worden, in einer Weise, die er als Beleidigung seiner Kriegsehre betrachtete, so würde er schwerlich dazu geschritten sein. Aber dadurch wurde er in die Unmöglichkeit gesetzt, den Krieg mit Nachdruck fortzuführen, und zugleich in eine Aufwallung gebracht, welche ihn der Koalition entfremdete. Um die Entschlüsse zu beurteilen, welche in Berlin gefaßt wurden, muß man sich erinnern, daß die Nachrichten aus Paris den friedlichen Äußerungen BarthélemysFranzösischer Gesandter in der Schweiz. entsprachen. Die große Reaktion gegen das Schreckenssystem war noch in vollem Gange; der Jakobinerklub war geschlossen, die 73 Girondisten waren wieder in den Konvent eingetreten (9. Dezember 1794). Man erfuhr von einer durchaus veränderten Stimmung in der Nation und der höheren Gesellschaft. In der Hauptstadt kehre man, so versicherten ein paar Reisende, die aus Paris soeben in Basel angekommen waren, zu den alten Sitten zurück; die Bezeichnungen Bürger und Bürgerin verwandelten sich wieder in das altgewohnte Monsieur und Madame; man duze sich nicht mehr, man vermeide das kurz abgeschnittene Haar, an welchem man die Jakobiner erkannt hatte; alles rufe nach Frieden; das Volk begehre wieder eine öffentliche Gottesverehrung; bei der wachsenden Gereiztheit von Rußland, Österreich und England beginne man einen Umschlag des bisherigen Glückes zu fürchten und würde geneigt sein, die in den Niederlanden und längs des Rheins gemachten Eroberungen wieder aufzugeben, um Frieden zu erhalten. Man sieht, wie sehr diese Mitteilungen den Wünschen des Berliner Kabinetts entgegenkamen.

Hardenberg kam am 18. März 1795 in Basel an und eröffnete am folgenden Tage seine Unterhandlung. Er überzeugte sich bald, daß die Erwähnung der AbtretungDes linksrheinischen preußischen Gebietes (Kleve, Mörs, Obergeldern). nicht zu vermeiden sein werde, wenn man nicht die Möglichkeit, den Krieg im Bunde mit der Koalition fortzusetzen, in Aussicht stellen könne. Da das aber die Meinung des Königs nicht sei, da er den Frieden wünsche, so bleibe nichts übrig, als in einem besonderen Artikel jede endgültige Bestimmung in allgemeinen Ausdrücken auf den Friedensschluß mit dem Reiche zu verweisen. Er kam damit auf den Standpunkt zurück, den Haugwitz angedeutet und den auf der andern Seite auch Barthélemy an die Hand gegeben hatte; die fernere Okkupation der preußischen Landschaften bis zum allgemeinen Frieden entschloß er sich nachzugeben, nur nicht ganz in den Ausdrücken des französischen Entwurfs.

Die Absicht des preußischen Hofes war, Frieden mit Frankreich zu schließen ohne Nachteil für Deutschland. Es war vielleicht ein Irrtum Hardenbergs, dies für möglich zu halten; er schmeichelte sich, daß es zu einer Abtretung nicht kommen würde. Namentlich meinte er die unmittelbare Feindseligkeit der Franzosen zu vermeiden und zugleich Gelegenheit zu erlangen, ihrem anderweiten Umsichgreifen entgegenzutreten. Er trat mit einem Vorschlage hervor, durch welchen eine Demarkationslinie zwischen den beiderseitigen Armeen und die Neutralität des nördlichen Deutschlands festgesetzt werden sollten. Die Franzosen wandten ein, daß dieser Vorschlag ein neuer sei und die Sache besser einer besonderen Übereinkunft zugewiesen werden dürfte; Hardenberg bestand um so mehr darauf, da sein Sinn dahinging, die übrigen norddeutschen Staaten um den König zu scharen. Er erwiderte, die Neutralität des Reiches sei von Anfang an in Antrag gebracht worden, und der jetzige Vorschlag erhalte mehr eine Ermäßigung des alten als etwas Neues. Wohl beschied er sich, daß der Artikel nicht in den öffentlichen VertragDieser bestimmte, daß Frankreich die rechtsrheinischen preußischen Gebiete binnen 14 Tagen räume; über die linksrheinischen solle bei dem allgemeinen Frieden entschieden werden. Dazu kamen die im folgenden erwähnten Bestimmungen, daß der Kriegsschauplatz von Norddeutschland entfernt gehalten werde, und daß Preußen die Vermittlung für diejenigen Reichsstände übernehme, die sich an Preußen wenden würden, mit der Frist von drei Monaten, Österreich ausgenommen; endlich Auswechslung der Gefangnen. Die geheimen Artikel setzten die Demarkationslinie fest und eine Entschädigung Preußens für den Fall, daß Frankreich bei dem allgemeinen Frieden seine Grenzen bis an den Rhein ausdehne. Vergl. Häußer, Deutsche Geschichte, am Ende des ersten Bandes. aufgenommen werden könne, aber er fand Gelegenheit, eine Andeutung davon, die seiner Absicht entsprach, in denselben zu bringen. In dem Entwurf des Pariser Wohlfahrtsausschusses fand sich ein Artikel, in welchem von der Herstellung des Handels mit Preußen die Rede war; Hardenberg fügte hinzu, daß zu diesem Zwecke der Krieg von Norddeutschland ferngehalten werden müsse. In dem dritten geheimen Artikel wurde dann die Linie bestimmt, welche die französischen Kriegsoperationen nicht überschreiten sollten. Hierbei kam die Frage über die Vermittlung nochmals zur Sprache. Die Franzosen hatten sich bereit erklärt, die guten Dienste des Königs für diejenigen Reichsstände stattfinden zu lassen, welche sich direkt an Frankreich wenden würden. Schon darin lag eine Modifikation ihrer Absicht, mit den kleinen Staaten selbständig zu verhandeln. Von Hardenberg wurde jetzt hinzugefügt, daß diese Vermittlung nur für diejenigen stattfinden solle, die sich deshalb an den König wenden würden, wie dies von vielen bereits geschehen war. Schon hatten einige der mächtigsten Stände sich erboten, ihre Gesandten nach Basel zu schicken; Hardenberg hatte leicht begreiflich diese Erbietungen fürs erste abgelehnt. Gleichwohl versprachen die Franzosen, in den nächsten drei Monaten diejenigen nicht feindlich zu behandeln, für welche Preußen sich interessieren würde. Hardenberg legte Wert darauf, daß alle Fürsten diesseit und jenseit des Rheins der guten Dienste Preußens teilhaftig werden sollten, was eine unabhängige Unterhandlung derselben mit Frankreich, etwa über die Abtretung ihrer Gebiete, ausschloß; er legte Wert darauf, daß die Fürsten, gegen einen französischen Einfall sichergestellt, Zeit haben sollten, in Verhandlungen mit Frankreich zu treten, aber unter den Auspizien des Königs, so daß die Unterhandlung in dessen Hand fallen werde. Der vierte Artikel des französischen Entwurfs, durch welchen der König verpflichtet werden sollte, in seinen rechtsrheinischen Landen nicht mehr Truppen zu halten als vorher, wurde jetzt von den Franzosen selbst als unannehmbar bezeichnet.

Überhaupt boten die Unterhandlungen in Basel keine großen Schwierigkeiten dar. Zwischen den französischen Bevollmächtigten, von denen ein Teil der vorgelegten Artikel selbst herrührte, und Hardenberg, der diese modifizierte und ergänzte, bildete sich eine gewisse Vertraulichkeit aus. Die Franzosen trugen kein Bedenken, die ihnen zugehenden Weisungen des Wohlfahrtsausschusses dem Preußen mitzuteilen, und dieser bat seine Regierung um ostensible Depeschen, die er den Franzosen mitteilen könne. Bacher, der engere Beziehungen zu Paris hatte als Barthélemy, zweifelte nicht, daß die in Basel vorgenommnen Abänderungen des Entwurfs in Paris gutgeheißen werden würden; er rechnete dabei auf die Wirkung des Prozesses gegen Barère,Ein früherer Genosse Robespierres. der eben im Zuge war, und den Einfluß der wiedereingetretenen 73 alten Mitglieder der Gironde. Die Meinung war, daß die gemäßigte Partei im Konvent die Oberhand behalten und auf die in Basel gefaßten Gesichtspunkte eingehen werde. Diese waren noch umfassender, als sich aus der Diskussion über die Artikel allein hätte schließen lassen. Sie gingen auf ein volles Einverständnis zwischen dem deutschen Reiche, Preußen und Frankreich. Hardenberg versicherte: wenn Frankreich von der Erwerbung der Rheingrenze abstünde, so würde das deutsche Reich keinen Augenblick zögern, mit ihm Frieden und Freundschaft zu schließen. Die Franzosen sagten hierauf wohl, in Deutschland sei man ohnehin des Krieges müde; Hardenberg warnte sie, von dieser Stimmung zuviel zu erwarten; sie möchten sich hüten, den Keim zu neuen Kriegen zu legen. Man muß sich diese Lage, diese Absichten und Wünsche vergegenwärtigen, um den Frieden zu begreifen, der allerdings eine Sezession Preußens von der Koalition enthält, aber seine Allianz mit den Franzosen, selbst nicht eine Bestimmung zu den Annexionsgelüsten ihrer damaligen Regierung. Man erwartete noch, diese werde davon abstehen und alsdann in einen festen Frieden mit Preußen und dem Reiche eintreten. Bereits am 31. März wurde der von Hardenberg ausgefertigte Entwurf von den beiden französischen Bevollmächtigten genehmigt und dann am 5. April in aller Form unterzeichnet. Die Genehmigung des Wohlfahrtsausschusses war damals noch nicht eingetroffen, aber Schwierigkeiten hatte es damit nicht, wie Bacher vorausgesetzt; einige Tage später lief sie ein. Dazu hatte hauptsächlich auch die Unterdrückung der jakobinischen Erhebung vom 12. Germinal (1. April) beigetragen.

Wenn es unmöglich gewesen war, dem Reiche den Frieden zu verschaffen, so war es doch schon ein unschätzbarer Gewinn, einen großen Teil des Reichsgebiets den Bewegungen des Kriegs zu entreißen. Hätten die Befürchtungen sich erfüllt, die man Anfang 1795 hegte, hätten die Franzosen die schwachen Linien, mit denen man sie abzuhalten suchte, durchbrochen und Deutschland schon damals überflutet, so wäre an eine ruhige Fortentwicklung des deutschen Geistes, wie sie seit dem Hubertusburger Frieden eingetreten war, nicht zu denken gewesen. Durch den Frieden zu Basel und die Demarkationslinie wurde inmitten der kämpfenden Weltmächte ein neutrales Gebiet geschaffen, in welchem man unter der Ägide des preußischen Adlers die Segnungen des Friedens genoß.

Bezeichnend ist es, daß unter den weltlichen Fürsten Karl August von Weimar eigentlich der erste war, welcher die Aufnahme in die Neutralität begehrte und erhielt. Seine kleine Hauptstadt und die benachbarte Universität Jena bildeten einen der vornehmsten Mittelpunkte der Literatur. Ich wage zu behaupten, daß die Zeit der Neutralität dazu gehörte, um den begonnenen Trieben zu ihrem Fortwachsen und ihrer Reife Raum zu verschaffen. Unleugbar ist es doch, daß die Unruhen und Gefahren des Kriegs alles gestört und vielleicht allem eine andre Richtung gegeben haben würden. Der Fortgang der sich selbst überlassenen Kultur beruhte auf der Fortdauer des innern Friedens und den unerschütterten sozialen Zuständen, zugleich aber auf den Anregungen, die aus der allgemeinen Weltbewegung hervorgingen. Ich will keine Theorie aufbauen, sondern nur in Erinnerung bringen, daß die Jahre der Neutralität fast die fruchtbarsten in der deutschen Literatur gewesen sind, fruchtbar besonders an originalen und für die Nation unschätzbaren Hervorbringungen.

Noch lebte Kant. Seiner Schule gehörte damals der denkende Teil der Nation überhaupt an. Aus derselben erhoben sich bereits philosophische Geister von echter Begabung, welche für das moralische Leben und die Herrschaft der Idee noch weitere Bahnen eröffneten: Fichte und Schelling. Die philosophischen Studien führten zu den gelungensten Reproduktionen der vornehmsten Werke des klassischen Altertums, welche irgendeine Nation aufzuweisen hat, und zugleich zu einer Anschauung der Anfänge ihres Entstehens; Voß und Wolf wirkten zusammen. Niemals hatte die Poesie eine ähnliche Epoche; die »römischen Elegien« und »Hermann und Dorothea«, gleichsam die Pole der klassischen Studien, von denen der eine südliche Nacktheit, der andre germanische Tiefe und häusliches Leben darstellt, erschienen bald nacheinander. Und was ist sonst nicht alles in dieser Zeit entstanden! Der Roman, welcher ein Abbild der Zustände des damaligen gesellschaftlichen Lebens (1795–1805) für alle Zeiten enthält, einige der schönsten Balladen der beiden Meister der Dichtung und Sprache, das Lied von der Glocke, welches nachgehends die Kinder auswendig lernten, und die großen Tragödien, an denen sich die Seelen kräftiger Männer nährten und erfrischten. »Wallenstein«, »Jungfrau von Orleans«, »Wilhelm Tell« entstammen dieser Epoche. Die besten Teile der Schweizer Geschichte des Johannes von Müller, der vierte und fünfte, denen es doch gelang, die historischen Ereignisse entlegner Zeiten zu vergegenwärtigen, sind damals geschrieben worden. Ihnen zur Seite legte die Göttinger historische Schule die Grundlage für die Auffassung der Staatengeschichte und der Geschichte der Wissenschaften im allgemeinen. Nur die Titel der Bücher zu übersehen erfüllt mit Sympathie. Auch die Kunst wandte sich dem Ideale zu. Die Literatur, in der sich auf allen Gebieten mannigfaltige geniale Kräfte regten, erlangte eine unvergängliche Wirksamkeit für das Gesamtleben der Nation. Noch bewahrte sie ihren theologischen Charakter; die Zeit sollte schon kommen, wo dies nicht mehr möglich war und andre allgemeine und patriotische Impulse sich aller Geister bemächtigten.

Der Vertrag zu Schönbrunn, Bd. 47 S. 159–178. Die Schlacht bei Jena und Auerstädt, S. 240–250.


 << zurück weiter >>