Leopold von Ranke
Geschichtsbilder aus Leopold v. Rankes Werken
Leopold von Ranke

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4. Kaiser Maximilian I.

Deutsche Geschichte I, Werke Bd. 1 S. 234 ff.

Die Meinung, welche in Maximilian den schöpferischen Begründer der späteren Verfassung des Reiches erblickt, muß nun wohl aufgegeben werden. Haben wir früher gesehen, wie die organisierenden Ideen, welche in seinen ersten Jahren hervortraten,Auf den Reichstagen zu Worms und Lindau 1495 und 1496. von ihm viel mehr Widerstand erfuhren als Förderung, wie er dann mit seinen eigenen Entwürfen so wenig durchdrang, so nehmen mir nunmehr wahr, daß er auch die Fürsten des Reichs nicht zusammenzuhalten vermochte, daß gerade um ihn her sich alles in Parteien gruppierte. Notwendigerweise hatte man dann nach außen hin eher Verluste erlitten, als Fortschritte gemacht. In Italien war nichts gewonnen, die Schweiz war zu größerer Selbständigkeit gelangt, Preußen eher noch mehr gefährdet als gesichert;Maximilian hatte früher den Hochmeister Albrecht, aus dem Hause Hohenzollern, unterstützt, dann aber sich mit dessen Gegner, König Sigismund von Polen, verbündet; Deutsche Geschichte 1, 230. die Politik von Frankreich hatte wieder Einfluß auf das innere Deutschland gewonnen, Geldern und jetzt auch WürttembergHerzog Ulrich, von Maximilian bedroht wegen Mißhandlung seiner Gemahlin, einer Nichte des Kaisers, hatte sich an Frankreich gewandt; er wurde 1519, wenige Monate nach dem Tode des Kaisers, vom Schwäbischen Bunde vertrieben. hielten sich offenbar zu dieser Macht. Wenn Maximilian dennoch, auch bei seinen Zeitgenossen, ein so rühmliches Andenken hinterlassen hat, so rührt das nicht von dem Erfolge seiner Unternehmungen, sondern von seinen persönlichen Eigenschaften her.

Alle guten Gaben der Natur waren ihm in hohem Grade zu Teil geworden: Gesundheit bis in die späteren Jahre, – wenn sie etwa erschüttert war, reichte eine starke Leibesübung, anhaltendes Wassertrinken hin, sie wieder herzustellen –; zwar nicht Schönheit, aber gute Gestalt, Kraft und Geschicklichkeit des Leibes, so daß er seine Umgebung in jeder ritterlichen Übung in der Regel übertraf, bei jeder Anstrengung ermüdete; ein Gedächtnis, dem alles gegenwärtig blieb, was er jemals erlebt oder gehört oder in der Schule gelernt hatte; natürlich richtige scharfe Auffassung: er täuschte sich nicht in seinen Leuten, er bediente sich ihrer zu den Dienstleistungen, die für sie selbst eben die angemessensten waren; eine Erfindungsgabe ohne gleichen: alles was er berührte, ward neu unter seinen Händen; auch in den Geschäften ein das Notwendige mit sicherem Gefühle treffender Geist: wäre die Ausführung nur nicht so oft an andere Bedingungen seiner Lage geknüpft gewesen! eine Persönlichkeit überhaupt, welche Bewunderung und Hingebung erweckte, welche dem Volke zu reden gab.Vgl. die in den »Geschichten der romanischen und germanischen Völker«, Werke Nd. 33 u. 34, S. 71 f., zusammengestellten Charakterzüge. Was erzählte man sich alles von seinen Jagden: wie er im Lande ob der Enns einen gewaltigen Bären in freiem Hag allein bestanden; wie er in Brabant in hohlem Weg einen Hirsch, der schon einen Anlauf wider ihn genommen, noch in dem Moment erlegt; wie er im Brüsseler Walde von einem wilden Schwein übereilt, ehe er vom Pferd gestiegen, es zu seinen Füßen erstochen habe; besonders von den Gefährlichkeiten seiner Gemsenjagd im höchsten Gebirge, wo er zuweilen wohl den Jäger, der ihm beigegeben war, selber vor dem Sturz errettet hat: er zeigt in allem behenden Mut, gleichsam eine elastische Gegenwart des Geistes. So erscheint er dann auch vor dem Feinde. Im Bereiche feindlicher Geschütze setzt er ans Land, bildet seine Schlachtordnung und gewinnt den Sieg; im Scharmützel nimmt er es wohl mit vier oder fünfen allein auf; in den Schlachten muß er sich oft eines gerade gegen ihn ausgeschickten Feindes in zweikampfartigem Zusammentreffen erwehren, denn immer voran findet man ihn, immer mitten im Getümmel der Gefahr. Proben von Tapferkeit, die nicht allein dienten, um in müßigen Stunden erzählt, im Theuerdank aufgezeichnet zu werden: der venetianische Gesandte weiß nicht auszudrücken, welch ein Zutrauen er bei den deutschen Soldaten aller Art eben deshalb genoß, weil er sie in Gefahren niemals verließ.

Als einen großen Feldherrn können wir ihn nicht betrachten; allein für die Organisation einer Truppe, die Ausbildung der verschiedenen Waffengattungen, die Bildung eines Heeres überhaupt wohnte ihm eine treffliche Gabe bei. Die Miliz der Landsknechte, von welcher der Ruf der deutschen Fußvölker wieder erneuert worden, verdankt ihm ihre Begründung, ihre erste Einrichtung. Das Geschützwesen hat er auf einen ganz andern Fuß gebracht; eben hier bewährte sich sein erfinderischer Geist am glänzendsten; da übertraf er die Meister selbst. Seine Biographen schreiben ihm eine ganze Anzahl von glücklichen Verbesserungen zu; auch die Spanier, die unter ihm dienten, sagen sie, habe er zum Gebrauch des Handgeschützes angeleitet. Die Widersetzlichkeit, die sich in diesem Söldnerhaufen bei der Unregelmäßigkeit seiner Finanzerträge oftmals erhob, wußte er, wo er persönlich zugegen war, noch in der Regel zu beseitigen; man erinnert sich, daß er in hohen Nöten den Unmut der Leute durch die Possen eines Narren, den er rufen ließ, beschwichtigte.

Überhaupt hatte er ein unvergleichliches Talent, die Menschen zu behandeln. Die Fürsten, welche seine Politik verletzte, wußte er doch in persönlichem Umgang zu befriedigen; nie, sagte der Kurfürst Friedrich von Sachsen, sei ihm ein höflicherer Mann vorgekommen. Die wilden Ritter, gegen die er Reich und BundGemeint ist der 1488 zur Sicherung des Landfriedens geschlossene Schwäbische Bund; Deutsche Geschichte 1, 68. aufbietet, erfahren doch wieder solche Äußerungen von ihm, daß es ihnen, wie Götz von Berlichingen sagt, eine Freude im Herzen ist und sie nie etwas gegen Kaiserliche Majestät oder das Haus Österreich getan hätten. An den Festlichkeiten der Bürger in den Städten, ihren Tänzen, ihren Schießübungen nimmt er Anteil; nicht selten tut er selber den besten Schuß mit der Armbrust. Er setzt ihnen Preise aus: Damast für die Büchsenschützen, einige Ellen roten Samt für die Armbrustschützen; gern ist er unter ihnen, damit unterbricht er die schwierigen und ermüdenden Geschäfte des Reichstags. Im Lager vor Padua ritt er geradezu auf eine Marketenderin los und ließ sich zu essen geben; Johann von Landau, der ihn begleitete, wollte die Speise erst kredenzen; der Kaiser fragte nur, von wo die Frau sei. Man sagte ihm: von Augsburg. Ah, rief er aus, dann ist die Speise schon kredenzt, denn die von Augsburg sind fromme Leute. In seinen Erblanden saß er noch oft in Person zu Gericht; nahm er einen Verschämten wahr, der da hinten stand, so rief er ihn zu sich heran. Von dem Glanze der höchsten Würde war er selber am wenigsten bestochen. »Lieber Gesell«, sagte er zu einem bewundernden Poeten, »du kennst wohl mich und andere Fürsten nicht recht.« Ein einfacher Mann, von mittlerer Gestalt, blaß von Gesicht, der auf jedermann einen guten Eindruck machte, immer bei seiner Sache war und allen Pomp vermied. Alles, was wir von ihm lesen, zeigt eine frische Unmittelbarkeit der geistigen Auffassung, Offenheit und Ingenuität des Gemütes. Er war ein tapferer Soldat, ein gutmütiger Mensch; man liebte und fürchtete ihn.

Und auch in seinem öffentlichen Leben würden wir ihm Unrecht tun, wenn wir bei den mißlungenen Versuchen, das Reich zu konstituieren, stehen bleiben wollten. Den Staatsformen, welche zwischen Oberhaupt und Ständen Kompetenzen um die höchste Gewalt hervorrufen, hängt es als ein fast unvermeidlicher Mangel an, daß dann auch das Oberhaupt sein persönliches Interesse von dem der Gesamtheit trennt. Maximilian hat das Reich nicht verabsäumt. In Rom erinnerte man sich noch lange nach ihm, daß er der Kurie gegenüber seine Absichten ins Werk setzte und erst dann um Genehmhaltung einkam. Er war der letzte König von Germanien, der eben nur deutscher Fürst war. Aber dabei ist doch unleugbar, daß er bei seinem Tun und Lassen noch mehr die Zukunft des eigenen Hauses im Auge hatte als den Vorteil des Reiches an sich.

Als achtzehnjähriger Jüngling war er nach den Niederlanden gegangen und hatte durch die Verbindung von Burgund und Österreich eine neue europäische Macht begründet. Es gibt überall, im Staate wie in den Wissenschaften, vermittelnde Tätigkeiten, die das Neue zwar noch nicht zustande bringen, aber aus allen Kräften vorbereiten. Die Macht, die sich bildete, kam unter Maximilian noch nicht zu voller Erscheinung. Aber dadurch, daß er die fürstlichen Gerechtsame so in den Niederlanden wie in Österreich aufrecht erhielt, dort die Franzosen, hier die Ungarn abwehrte, daß er die große spanische Erbschaft herbeiführte, zu der ungarisch-böhmischen definitiv den Grund legte, ist seine Tätigkeit doch von dem größten Einfluß auf die folgenden Jahrhunderte gewesen. Wie ganz anders als damals, da sein Vater von Österreich verjagt, er selber in Brügge gefangen war, standen nun seine Enkel! Nie hatte ein Geschlecht großartigere, umfassendere Aussichten. Aus diesem Gesichtspunkte sah er auch die deutschen Verhältnisse an.

Bis in die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts war Österreich von Deutschland fast ausgeschlossen; wie griff es dagegen jetzt in die Verhältnisse aller Landschaften so gewaltig ein, der weltlichen wie der geistlichen, der städtischen und der ritterschaftlichen Territorien; es konnte sich nichts regen, mochte man sich ihm nun anschließen oder widersetzen, wovon es nicht unmittelbar berührt worden wäre. Wenn es unleugbar ist, daß das Reich, in seiner Totalität betrachtet, Verluste erlitten hatte, so ist doch nicht minder wahr, daß gerade die Vereinigung des Hauses Österreich mit der burgundischen Macht dazu gehörte, um die niederländischen Provinzen wieder in eine bewußte Verbindung mit Deutschland zu bringen, daß die ferneren Aussichten, welche sich an die ungarische und besonders an die spanische Verwandtschaft knüpften, auch der Nation neue Kreise der Tätigkeit eröffneten.Handel der Hanse nach Spanien; Kolonie des Hauses Fugger in Venezuela. In Maximilian lebte ein höchst lebendiges Vorgefühl der kommenden Dinge, von dem sein Tun und Lassen beherrscht ward, und all das scheinbar Unstete, Geheimnisvolle, persönlich Einseitige seiner Politik herrührt. Er hat nichts zu vollbringen, zu stiften; er hat nur das Zukünftige vorzubereiten; unter den widerstrebenden Kräften der Welt hat er nur die Aussichten und Ansprüche seines Hauses aufrecht zu erhalten, zu erweitern.


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