Friedrich v. Oppeln-Bronikowski
Schlüssel und Schwert
Friedrich v. Oppeln-Bronikowski

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36. Der Tod

Verzehrende Glut brütete über Rom. Die Steine schienen in den Mauern zu schmelzen, und die lotrechte Sonne brannte erbarmungslos nieder auf Menschen und Tiere. In den Gärten starrten die Zypressen mit ihren schwarzen Spitzen unbeweglich in den ehernen Himmel empor, wie ein unbezwingliches Schicksal, und am Horizont ballten sich dicke gelbe Wolken, des erlösenden Gewitters harrend.

Trotzdem herrschte auf dem Quirinalplatze ungewöhnliches Leben. Gesandte und Kardinäle kamen und gingen, in der Sänfte oder zu Fuße, die Hand vor den Augen haltend, um sie gegen das blendende Licht zu schützen. Die roten Gewänder der Purpurträger leuchteten wie Blut in der Volksmenge, die sich immer zahlreicher zusammenfand. Aus den einzelnen Gruppen drang dumpfes Raunen. Mit listigem Lächeln wiesen die Leute auf diesen oder jenen Kardinal hin und vertrauten ihren Freunden an, daß sie bei der nächsten Papstwahl auf ihn zu wetten gedächten.

In den Vorzimmern des Palastes war ein gedrücktes Flüstern, ein Lauschen und Warten. Donna Camilla rauschte mit trüben, verweinten Augen vorbei. Montalto kam ihr bleich entgegen und führte sie in das Gemach des Papstes. Bei seinem Erscheinen verneigten die Höflinge sich schon minder tief als sonst. Der Fürst von Venafro mit seiner Gemahlin, der Fürst und die Fürstin Colonna und die Fürstin Orsini weilten bereits bei dem Sterbenden.

In einer Ecke des Vorsaales saß der alte Kardinal Alessandrino und weinte dicke Tränen. Er gedachte des letzten Konklaves und jener Nacht fiebernder Erregung, wo er seinem Freunde Montalto den Sieg verkündet hatte.

In einer Fensternische stand Capelletto gebeugt und stumm neben Graziani, der bisweilen ein Wort über die Größe des Papstes sprach, das er epigrammatisch zuspitzte.

»Er ist wie Augustus«, sagte er. »Er hätte nie kommen sollen oder ewig bleiben müssen. Nun werden die Pygmäen das Werk des Riesen zerstören.«

»Man sollte Sorbetts herumreichen lassen«, bemerkte ein Höfling. »Die Schwüle ist kaum noch erträglich.«

»Wartet, bis der erste Regen fällt«, spottete ein Jesuit. »Dann könnt Ihr die Regentropfen aufschnappen, um Eure Zunge zu letzen, wie der reiche Mann in der Hölle.« »Nein, die Hölle ist draußen«, entgegnete der Höfling und trat mit ihm an ein Fenster. »Seht doch nur, alle Augenblicke kriegt einer den Sonnenstich. Trotzdem weichen sie nicht vom Fleck, wie Löwen im Zirkus, die auf den Fraß harren.«

»Ich bin gespannt, was sie tun werden«, versetzte der Jesuit lächelnd.

»Wißt Ihr übrigens schon,« fragte sein Partner, »daß der Kammerjude Lopez, der Portugiese, und die Mehrzahl seiner reichen Glaubensbrüder mit Sack und Pack ausgerissen sind, um der Volkswut zu entgehen? Man macht sie für die harten Finanzmaßnahmen des Papstes verantwortlich.«

Ein Kammerherr trat bleich in den Vorsaal und bahnte sich stumm einen Weg durch die ihn umdrängenden Frager. Dann winkte er dem Kardinal Alessandrino und den beiden Familiären, ihm zu folgen. »Er will Abschied von uns nehmen«, murmelte Capelletto, die Tränen niederkämpfend.

Plötzlich erschien Graf Olivarez, steif und hochmütig, mit hinkendem Gange, die Hand auf den Korb seines langen Degens gestützt. Bei seinem Anblick steckte alles die Köpfe zusammen und tuschelte boshaft. »Will er ihm den Todesstoß versetzen? ... Er hat ihm Gift beibringen lassen und wartet auf die Wirkung.«

Sangalletto, der eben den Vorhang hob, um die Gerufenen einzulassen, trat auf ihn zu und antwortete auf seine Fragen mit bissiger Höflichkeit: »Soweit ist es noch nicht. Gedulden Euer Gnaden sich noch etwas.« Und er komplimentierte ihn wieder zur Tür.

»Hat er die Sterbesakramente empfangen?« fragte der Spanier im Hinausgehen.

»Er ist zu schwach dazu«, antwortete der Kämmerer kleinlaut.

»Dann sei Gott seiner Seele gnädig«, versetzte Olivarez mitleidig. Er sah ihn bereits in der Hölle.

Als der Papst die Gerufenen erkannte, richtete er sich noch einmal auf, und Sangalletto stützte sein Kopfkissen empor. Seine Augen flackerten, und mit kaum hörbarer Stimme sprach er:

»Liebe und Getreue, Wir wollten euch noch einmal sehen und euch Unsern apostolischen Segen als Scheidegruß geben. Gregor hat vierundachtzig Jahre gelebt, aber Uns ruft Gott schon mit siebzig ab, ehe Wir Unser Erdenwerk ganz vollbracht haben. Unerforschlich sind seine Wege.«

Die Angehörigen hatten ihnen Platz gemacht, und alle drei sanken weinend vor dem Bette nieder.

Sixtus erhob die Rechte, um das Zeichen zu machen, aber sie vollendete es nicht, und er sank ohnmächtig in seine Kissen zurück. Der Kardinal Montalto winkte ihnen, zu bleiben, und sie traten zurück.

»Sein Puls ist kaum mehr zu fühlen , sagte der Leibarzt.

Der Sterbende begann zu röcheln, und seine Finger scharrten über die Bettdecke, als wolle er sich selbst das Grab wühlen. Ab und zu stieß er dunkle Worte hervor, welche die Anwesenden mit Bangnis erfüllten.

»Er phantasiert«, sagte Donna Camilla und beugte sich über ihn, um den Schweiß von seiner Stirn zu wischen. Aber er erkannte sie nicht mehr; sein Geist war dieser Welt schon entrückt. Er glaubte den Todesengel zu sehen, der sich über ihn neigte.

»So nahst du mir endlich, dunkler Bote , murmelte er. »Ich habe dich längst erwartet. Einst bangte mir vor deinem Flügelschlage, denn mir blieb noch so viel zu tun. Nun aber kommst du, mich zu erlösen.«

»Sein Todeskampf ist schwer , seufzte Montalto unter Tränen. Und er kniete nieder, um die lateinischen Totengebete zu sprechen.

Aber er und die andern täuschten sich über seine Todesnot und über den Sinn seiner Worte, denn sie vernahmen die Reden des Engels nicht, den Sixtus erblickte.

Der sprach zu ihm:

»Fra Felice, du hast viele gute Werke vollbracht, aber du warest auch hart und zornmütig und bisweilen hoffärtig. Gott verzeihe es dir in Ansehung dessen, daß du deinen schlimmsten Feinden viermal verziehen hast. Denn als Mönch hast du einen Feind zum Prior empfohlen und das Haupt deiner Gegner beim Papste freigebeten. Als Kardinal hast du den Mördern deines Neffen verziehen -- bis auf einen, den du später hinrichten ließest; das mindert dein Verdienst --, und als Papst hast du dem verstoßenen Ketzer Navarra die Hand zum Frieden geboten.«

»Wüßte ich nur,« stöhnte der Sterbende, »ob er in den Schoß der Kirche zurückkehren wird. Dann stürbe ich in Frieden. Gönne mir einen Blick in die Zukunft; dann will ich von hinnen fahren und auf das Verdienst meines Heilands bauen.«

»Es sei«, sprach der Engel. »Das Werk, das du schufest, wird Jahrhunderte überdauern, und so magst du sehen, wie es weiter gedeiht. Ich gewähre dir drei Blicke in die Zukunft.«

Da ward sein Geist auf den höchsten Gipfel der Alpen entrückt, und der Engel stand neben ihm. Doch der kalte Glanz des Firnenlichtes blendete seine Augen. »Ich sehe nichts als starrende Schneegipfel und grausige Schlünde«, sprach er mit halb vernehmlicher Stimme.

»Du siehst wie ein Mensch«, entgegnete der Engel. »Sieh mit den Augen der Seligen! Vor dem Herrn sind tausend Jahre wie ein Tag.« Und er berührte seine Lider mit den Fingern.

Da wurden seine Augen aufgetan, und er sah ganz Europa, die Länder und Städte und die winzigen Menschlein, die wie Ameisen darin umherkribbelten. Sie zogen rasch an ihm vorüber wie die Bilder einer Zauberlaterne auf einer Leinwand.

»Siehe da, sprach der Engel, auf Frankreich deutend, »Heinrich von Navarra zieht als Sieger in Paris ein. Nun betritt er Notre Dame, um die Messe zu hören. Aber er schont die Hugenotten, und das Land hat Frieden.«

»Frieden!« murmelte Sixtus. »Gelobt sei Gott! Aber erhält er auch die Absolution des Papstes?« fragte er plötzlich bang.

»Sieh«, sprach der Engel und wies auf Rom.

Vor der Peterskirche war der Papstthron aufgeschlagen. Die Kardinäle und Prälaten umstanden ehrerbietig den Heiligen Vater, der eine goldene Rute in der Rechten hielt. Gesandte traten vor den Thron und verlasen ein Schriftstück.

»Was ist das?« fragte Sixtus.

»Es sind die Abgesandten König Heinrichs des Vierten«, erklärte der Engel. »Sie verlesen sein Bittgesuch um die Wiederaufnahme in den Schoß der Kirche.«

Die Gesandten warfen sich dem Papste zu Füßen, und mit einem Schlage seiner goldenen Rute erteilte er ihnen die Absolution.

»Gelobt sei Gott«, sagte Sixtus. »Nun kann meine Seele in Frieden hinfahren. Aber wer ist der Papst? Ist es nicht Aldobrandini?«

»Er ist es«, nickte der Engel. »Er ist in deine Fußtapfen getreten; er hat die Briganten von neuem ausgerottet und die Peterskirche vollendet.« »Gelobt sei Gott!« wiederholte der Papst.

Als der Kardinal Aldobrandini seinen Namen hörte, glaubte er sich noch einmal erkannt und beugte sich über den Sterbenden. Aber seine Augen blickten ins Leere.

Der Engel wies auf Deutschland. Am Fuße der Alpen und an den Küsten des Nordmeeres ballten sich dunkle Wolken, und unter ihnen ballten sich die Menschen zu Heeren. Ein Blitz flammte auf und fuhr nieder. »Der schlug in Böhmen ein«, sagte der Engel. Und der Donner hallte über ganz Deutschland, und die Wolken und Heere wälzten sich aufeinander zu, und unter dem himmlischen Gewitter entlud sich ein irdisches aus hunderttausend Feuerschlünden. »Dort liegt Sachsen«, sagte der Engel Und das doppelte Gewitter raste über dem Lande Luthers. Dann aber breitete es sich rasch über ganz Deutschland aus, und wo die Wolken und Heere sich verzogen, erblickte Sixtus zerstörte Städte und verwüstete Fluren, über denen Rabenschwärme kreisten. »Herr Gott, ende diese Pein!« stöhnte er.

»Wie er leidet«, schluchzte Donna Camilla.

Plötzlich zerteilten sich die Wolken und Heere. »Und das Land hat Frieden«, sprach der Engel. »Die Rechtgläubigen stimmen ein Te Deum an, und die Lutheraner singen: ›Nun danket alle Gott.‹ Und alle kehren zu ihren zerstörten Städten und verwüsteten Fluren zurück, um sie wieder aufzubauen und zu bestellen ... Nun aber ist deine Zeit abgelaufen.«

»Gönne mir noch drei Blicke in die Zukunft«, bat Sixtus.

»Du warst stets unersättlich«, entgegnete der Engel. »Aber es sei.« Und er wies wieder auf Frankreich.

Da ballten sich neue Wetterwolken, und plötzlich brach das Unwetter über Paris aus. »Weh!« ächzte Sixtus, »eine neue Bartholomäusnacht!« Blutgerüste stiegen empor, und die Häupter fielen unter dem Fallbeil wie die Ähren unter der Sense des Schnitters. Und der Pöbel drang in die Kirchen und verwüstete sie. Und der Papst sah halbnackte, verwilderte Menschen, mit Meßgewändern vermummt, durch die Straßen toben wie bei einem höllischen Karneval. Und andere tranken aus den heiligen Abendmahlskelchen und brüllten bezecht: »Es lebe die Freiheit!« Und die Heere ballten sich zusammen und wälzten sich über halb Europa. Und der Papst entfloh aus Rom.

»Weh!« stöhnte Sixtus. »Das Reich des Antichrist ist gekommen. Ich will nichts mehr sehen.«

»Du hast es selbst gewollt«, entgegnete der Engel. »Sieh nun hin.« Und er wies auf einen Mann, der plötzlich aus dem Gewühl emporwuchs. Da verschwanden die Blutgerüste. Und der Mann reckte sich turmhoch auf, und die Heere überschwemmten ganz Deutschland.

»Wer ist das?« fragte Sixtus.

»Ein Italiener aus Korsika«, entgegnete der Engel.

»Seltsam!« murmelte der Papst.

Der Engel wies auf Venedig hin. »Dort wählen sie einen neuen Papst«, sprach er. »Und der Mann reicht ihm die Hand zum Bunde, und der Papst zieht nach Paris. Und beide treten in Notre Dame ein, und der Papst salbt ihn.«

»Die Kirche hat wieder einen Schirmherrn«, sagte Sixtus erleichtert. »Oder ist es ein neuer Philipp von Spanien, der sie knechten will?«

»Sieh«, sprach der Engel. »Der Papst will ihm die Krone aufsetzen. Er aber entreißt sie ihm und krönt sich selbst wie ein Heide.«

Und der große Heide warf den Papst in den Kerker und legte seine Hand auf ganz Europa. Und seine Heerscharen wälzten sich bis in die Eiswüsten Rußlands.

»Wehe,« stöhnte Sixtus, »ein neues heidnisches Weltreich!«

»Nein«, sprach der Engel. »Ein Koloß auf tönernen Füßen.«

Und die Heere wogten zurück und ballten sich wieder in Sachsen. Und der Koloß stürzte. »Und Europa hat Frieden«, sprach der Engel. »Nun aber ist deine Zeit abgelaufen.«

»Gönne mir noch einen Blick in die Zukunft, nur einen«, flehte Sixtus. »Laß mich sehen, was aus der Kirche wird.«

»Die Herrschaft der Kirche ist wieder befestigt«, sprach der Engel. »Selbst die Könige der Ketzer schicken ihre Gesandten nach Rom.«

»Um sich zu bekehren?« fragte Sixtus freudig.

»Nein, um Frieden zu haben. Aber frage nicht weiter.«

»Gönne mir doch einen letzten Blick«, flehte Sixtus. »Was wird aus Rom und dem Kirchenstaat?«

»Du Vorwitziger!« schalt der Engel lächelnd. »Du weißt nicht, um was Du bittest. Aber es sei.«

Der Kardinal Montalto vollzog weinend die Zeremonie der letzten Ölung, aber Sixtus fühlte nichts mehr. Er sah ein Heer sich um Rom ballen.

»Sind das Briganten?« fragte er bang. »Oder lutherische Landsknechte, welche die Heilige Stadt plündern wollen? Oder ein spanischer Zwingherr, der päpstlicher ist als der Papst?«

»Nicht das eine noch das andere«, entgegnete der Engel. »Es sind Italiener.«

Und das Heer erstieg die Mauern und besetzte Rom. Und die weltliche Macht des Papstes war dahin.

»Wehe«, stöhnte der Sterbende. »Dreimal wehe! Italiener! Kinder, welche die Hand gegen die Mutter erheben! Schlimmer als die Briganten! Schlimmer als die Spanier! Schlimmer als die Ketzer! Sie seien dreimal verflucht!«

»Gott sei seiner Seele gnädig!« schluchzte Donna Camilla.

»Amen«, sprach der Kardinal Montalto. Und er betete das Da profundis.

»Was wird nun aus der Kirche?« ächzte Sixtus. »Geraubt ist ihr das Patrimonium Petri, das sie zwei Jahrtausende besaß. Wehe, dreimal wehe!«

»Die Kirche grünt und blüht«, entgegnete der Engel. »Was sie an weltlicher Macht verliert, kommt ihrer geistlichen Macht zugute. Und die Welt hat Frieden ...«

»Frieden!« wiederholte Sixtus. Und sein Haupt sank zur Seite, und er verschied lächelnd.

»Gott hat ihn zu sich genommen«, schluchzte Donna Camilla und warf sich über den Toten.

Alle Anwesenden sanken aufs Knie und bekreuzten sich.

Einen Augenblick herrschte Totenstille in dem Gemach. Plötzlich aber rüttelte ein Windstoß an den Fenstern, und ein Regenschauer prasselte gegen die Scheiben. Das Gewitter brach los. Ein Blitz zuckte auf, und ein Donnerschlag krachte, daß alle erbebten.

»Zeus hat ihn in den Olymp erhoben«, flüsterte Graziani. Aber Capelletto hörte ihn nicht.

»Sankt Peter hat ihn ins Paradies geführt«, sagte er, in Tränen hinschmelzend.

 

Der Maggiordomo öffnete die Tür des Sterbegemaches und trat in den Vorsaal. Dann stieß er mit seinem Stabe dreimal auf die Steinfliesen und sprach mit dumpfer Stimme:

»Seine Heiligkeit, Papst Sixtus der Fünfte, ist soeben verschieden.«

Einem Ährenfeld gleich, über das eine Bö hinfährt, sank alles ins Knie. Doch im nächsten Moment richteten sich all diese menschlichen Halme wieder auf. Gruppen entstanden, Stimmen schwirrten, und hastige Schritte strebten zur Tür.

»Nun wird manche Wetterfahne sich drehen«, lächelte der Höfling in der Fensternische.

»Laßt sehen, was das Volk draußen tun wird«, versetzte der Jesuit mit gespannter Miene.

Die Menge auf dem Quirinalsplatze hatte bisher in geduldiger Neugier geharrt. Erst der Ausbruch des Unwetters hatte sie aufgeschreckt. Nun aber fuhr die Kunde vom Tode des Papstes wie ein zweiter Blitzschlag in sie, und ein wilder Tumult brach aus. Die rechtlose Zeit des Interregnums begann, und die Volksleidenschaft, bis zuletzt durch die Furcht vor dem großen Papste niedergezwungen, spritzte auf wie der Gischt eines brodelnden Kessels, dessen Deckel man plötzlich auftut. Flüche und Drohungen wurden laut; Fäuste ballten sich zu dem Palast empor, und ein Bettelmönch schrie aus der Menge heraus:

»Der Böse hat Fra Felices Seele entführt. Seht nur die dicke schwarze Wolke über dem Palaste!«

Mit aufgerecktem Arme wies er auf die dichte Staubwolke hin, die der Wettersturm steil emporwirbelte.

Regenschauer prasselten hinein und peitschten die aufkreischende Menge.

Plötzlich gellte eine Stimme: »Auf zum Kapitol!«

Mit fliegenden Kleidern tobte das Volk durch den Regenguß fort wie ein Schwarm Korybanten, während Blitze über den Himmel hinjagten und Donnerschläge krachten, als nahe das Jüngste Gericht.

Mitten in diesem Getöse streute die Glocke des Kapitolsturms ihre erzenen Trauerklänge über die Stadt, indes die Menge den Stufenweg Michelangelos hinaufraste. Sie mußte etwas haben, woran sie ihre Wut ausließ. Auf dem Platze zwischen den drei Palästen ragte das Standbild des Papstes, das die Konservatoren von Rom ihm gesetzt hatten.

»Fluch dem Bedrücker! Dem Erpresser! Dem Ketzerfreund. Er ist an der Hungersnot schuld!« gellte es aus tausend Kehlen.

Plötzlich flog ein Tau wie ein Lasso um den Hals des Standbildes. Hundert nervige Arme griffen zu, als gälte es, einen neuen Obelisken aufzurichten. Die Wütenden glitten auf den nassen Steinfliesen aus, stürzten nieder, rafften sich wieder empor und zerrten weiter, bis das Standbild wankte. Mit dröhnendem Krach schmetterte es auf die Steine; seine Bruchstücke spritzten umher wie die einer berstenden Granate, schlugen in die Menge, die kreischend zurückprallte.

Im nächsten Moment stürzte das Volk wie besessen über die Trümmer her und zerschlug sie wie Brennholz. Ein jeder wollte an diesem Rachewerk teilhaben. Man stieß und riß sich um die einzelnen Stücke, trat mit Füßen darauf und spie sie an. Dann knüpfte man den Strick um den verstümmelten Rumpf und schleifte ihn polternd den triefenden Treppenweg abwärts, um ihn in den Tiber zu stürzen.

Erst als das Unglück geschehen war, langte der Konnetabel Colonna, der Gatte der Ursula Peretti, mit einer großen Zahl von Edelleuten an, um dem Toben des Pöbels Einhalt zu tun.

Am nächsten Tage versammelten sich die Konservatoren von Rom in ihrem Palaste, um über ihren Anteil an den Leichenfeiern zu beraten und Anordnungen für das bevorstehende Interregnum zu treffen. Von der Volkswut erschreckt, beschlossen sie, künftig nie wieder einem Papste bei Lebzeiten ein Denkmal zu setzen. Doch in die Fenster des Konservatorenpalastes blickte von fernher in stiller Größe das harmonische Halbrund der Peterskuppel, das unsterbliche Denkmal Michelangelos und Sixtus des Fünften.

Der Baumeister Fontana fiel in Rom in Ungnade und wandte sich nach Neapel, das er mit herrlichen Bauten erfüllte. Dort herrschte jetzt Graf Olivarez als spanischer Vizekönig. Seltsamer Wandel des Schicksals! Der treuste Diener des Papstes an der Seite seines grimmigsten Feindes!

Torquato Tasso jedoch fand in Rom unter dem Papst Aldobrandini, was er unter Sixtus vergebens ersehnt hatte: Fürsorge und Ruhm. Selbst sein heißer Wunsch, zum Dichter gekrönt zu werden, war der Erfüllung nah, als er starb. Den Lorbeerkranz aber legte man ihm auf den Sarg.

ENDE


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