Friedrich v. Oppeln-Bronikowski
Schlüssel und Schwert
Friedrich v. Oppeln-Bronikowski

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28. Der römische Karneval

Von Monsieur de la Chapelle begleitet, verließ der Herzog von Luxembourg die pomphafte Kirche Gesù, das vielbewunderte Vorbild so vieler neuer Kirchen, in der jetzt der weltmüde Kardinal Farnese an der Seite des heiligen Ignatius ruhte. Der Hochaltar über dem Grabmal strahlte von tausend Kerzen, deren rosiger Schein sich in dem Gold und dem bunten Marmor der Säulen und Wände spiegelte, und schmachtender Gesang schwebte zu den farbenreichen Gemälden der hohen Wölbung empor. Alles, was irdische Kunst vermochte, war in dieser Kirche vereint, um die Seelen dem Himmel zu gewinnen. Draußen aber lärmten die Karnevalsmasken mit Klappern und Pfeifen, denn Papst Sixtus hatte das Maskenverbot seines Vorgängers aufgehoben. Mandolinen klangen durch die blaue, durchsichtige Dämmerung, und Fackeln wurden geschwenkt wie bei einem heidnischen Feste. So wohnten Geistliches und Weltliches hier dicht beieinander und vermischten sich seltsam.

Der Abgesandte der katholischen Pairs wagte sich mit seinem Begleiter in das Treiben hinein, ohne Diener und Fackel, nur der Kraft der Ellbogen vertrauend.

»Fürwahr,« sagte er, »sie feiern das Fest des Saturn in der Hauptstadt der Christenheit.«

»Und übermorgen«, lachte Monsieur de la Chapelle, »werden sie fasten und beten und in Sack und Asche gehen. Aber möchten Euer Gnaden nicht zum Corso einlenken? Da können wir noch mehr erleben.«

Die schmale Palaststraße hinauf und hinab wirbelte eine ausgelassene Menge in den tollsten Vermummungen, aber die Fenster waren bereits geschlossen, denn das Aveläuten hatte dem Werfen mit Blumen und Naschwerk ein Ziel gesetzt, und die letzten, mit Masken beladenen Wagen rollten davon. Nur ein paar Narren schütteten ihr Mehl noch auf die Kleider der Fußgänger oder teilten müden Armes noch ein paar Peitschenschläge aus.

Die beiden Franzosen ließen sich weidlich bestäuben und lachten zu dem tollen Spiel.

»Seht doch nur«, sagte der Herzog, und wies auf einen bunten Schwarm, der zwei Männer umkreiste, die sich nur mit großer Not ihrer Peiniger erwehrten. »Die Schalksnarren!« lachte er. »Wie ein Hornissenschwarm um ein Gespann.«

»Sie hänseln wohl wieder ein paar Juden im Schutze der Maskenfreiheit«, sagte de la Chapelle geringschätzig.

»Nein,« entgegnete Luxembourg, »der eine ist ein blondhaariger Riese. Er schlägt immerzu um sich wie ein Scheunendrescher und schilt in unverständlichen Lauten.«

»Wollen wir ihn erlösen?« schlug Monsieur de la Chapelle vor.

Er fühlte sich heute in seinem Element, denn er sprach Italienisch und kannte die Landessitten.

»Meinethalben«, nickte der Herzog. »Ihr versteht Euch ja auf solche Streiche. Aber gebt acht, daß Ihr diese Plagegeister nicht auf uns zieht.«

»Keine Sorge, Euer Gnaden!« sagte der junge Edelmann keck.

Dann klatschte er laut in die Hände und krähte wie ein Hahn. Alles drehte sich um und ließ von den beiden Gefoppten ab. Nur ein paar Verbissene suchten dem Hünen noch ein Bein zu stellen, um ihn zu Falle zu bringen.

Da lachte de la Chapelle laut auf, oder besser, er wieherte.

»Haha!« rief er aus. »Welch ein Schauspiel! Ihr wollt einen Bären das Tanzen lehren, aber Ihr fangt es falsch an.«

Das närrische Gelächter des Fremdlings und sein komischer Akzent erregten Aufsehen, und alles blickte ihn an. Da kam er tänzelnd näher und sang näselnd ein Liedchen, das er neulich von ein paar Ciocciaren aufgeschnappt hatte:

»Viel schöner als der Papst ist mein Geliebter
Und ist viel röter als ein Kardinal
Und ist viel weißer noch als eine Rübe
Und ist viel größer als ein Leuchtenpfahl«.

Ein tolles Gelächter belohnte seinen Singsang, und die letzten Quälgeister ließen von dem Engländer ab, der wie ein Mohnkopf glühte und unverständliche Schmähungen ausstieß. Sein Begleiter aber war in der Menge verschwunden.

»Seht, wie zahm der Bär ist, wenn man ihn richtig behandelt«, lachte der Franzose und nahm den Geplagten beim Arm.

»Es lebe der Bärenführer!« schrie die Menge und umringte die Herren mit einem johlenden Reigentanz.

Da quarrte eine Stimme: »Achtung! Die Sbirren!« Und: »Sixtus kommt!« fiel eine andre ein. Das war der Ruf, mit dem die Mütter ihre unartigen Kinder zu schrecken pflegten. Im Nu stob der Haufe auseinander. Schwere Schritte dröhnten über das Pflaster, und der Führer des Polizeitrupps rief barsch: »Genug der Possen! Die Nachtstunde hat geschlagen!«

Aber kaum waren die Sbirren weitermarschiert, so rottete das Volk sich wieder zusammen und umkreiste von neuem den Engländer, der sich wütend das Mehl von seinem Rock klopfte und noch immer auf den schamlosen Pöbel schalt.

»Ruhig!« gebot der Franzose, obwohl er um Haupteslänge kleiner war. »Die Vorstellung ist beendet. Der Bär muß wieder in seinen Stall.« Und er zog den scheltenden Mann rasch in eine Seitengasse.

»Ihr seid da an schlimme Kumpane geraten«, sagte er lachend. »Aber versteht Ihr auch, was ich sage?«

Es fand sich, daß der Engländer etwas Französisch verstand. Freilich sprach er es selbst so, als ob er einen Kloß im Halse hätte, und der Franzose mußte von neuem lachen.

»Kamt Ihr deshalb nach Rom, um die Leute mit Fußtritten zu traktieren?« fragte er kurzweilig. »Oder welches Geschäft treibt Euch her? Wollt Ihr Euer Geld im Spiel oder in der Liebe vertun, oder hegt Ihr wohl gar fromme Absichten?«

»Nicht dies noch jenes«, entgegnete der Engländer ernst. »Ich komme in Staatsgeschäften.«

»Bei Gott, wenn Ihr die so betreibt ...«, platzte de la Chapelle heraus. Aber im nächsten Augenblick schoß ihm ein Gedanke durch den Kopf, und er drehte sich blitzschnell um. »Ein Staatsmann«, warf er dem Herzog zu, der hinter ihm herkam. Dann sagte er sehr höflich zu seinem Begleiter: »So können wir uns die Hand reichen, denn auch wir reisen in Staatsgeschäften.«

Der Herzog hatte bei dem Stichworte aufgehorcht. Jetzt lüftete er sein Inkognito halb und suchte den Engländer auszuforschen. Er sprach von Navarra, rühmte seine Tapferkeit und Großmut und vergaß auch seine Galanterien nicht. Schließlich ließ er durchblicken, daß der Papst ihm gewogener sei, als man glaube.

»Oh, er hat ihn doch exkommuniziert« , wandte der Brite ein.

»Das gereut ihn jetzt selbst«, flüsterte Luxembourg vertraulich. »Aber das in tiefstem Geheimnis! Euer Wort darauf.«

Der Engländer reichte ihm seine Pranke. Luxembourg schrie fast auf, als er den Druck dieses Schraubstockes fühlte.

»Auch meine Königin ist groß«, sagte der Lord. »Selbst der Papst bewundert sie ob ihrer Tatkraft und Entschlossenheit. Wäre sie nicht Protestantin und er nicht Papst, er würde sie heiraten.«

Luxembourg schüttelte sich vor Lachen. »Hat ... er Euch ... das etwa selber gesagt?« ... stieß er hervor. Aber der Brite gab keine Antwort.

»Eure Königin will sich wohl bekehren?« forschte er weiter.

»Das nicht, aber ... das sind Staatsgeheimnisse.«

Der Herzog unterdrückte einen neuen Lachanfall; wußte er doch schon genug. Offenbar hatte Elisabeth einen Fühler nach Rom ausgestreckt, sogut wie Heinrich IV.!

»Doch es ist nicht geheuer in dieser Gasse«, sagte er. »Hier schleicht lichtscheues Gesindel umher, das uns mit verdächtigen Blicken mustert. Wir wollen eine belebtere Straße aufsuchen, wenn auch nicht gerade den Corso«, setzte er mit leichtem Spotte hinzu.

»Oh, ich fürchte mich nicht«, entgegnete der Engländer. »Übrigens erblicke ich dort das Pantheon, und nun kenne ich den Heimweg.«

Die Herren verabschiedeten sich mit feierlichem Anstande, und der Brite drückte Monsieur de la Chapelle die Hand, daß er quietschte, zum Danke dafür, daß er ihn aus den Klauen des Pöbels befreit hatte.

»Ich wohne im Orso«, setzte er hinzu. »Man nennt mich dort nur den Inglese; das genügt. Es würde mich freuen, Euch wiederzusehen und Euch einen Gegendienst zu leisten.«

»Wir wollen uns das gesagt sein lassen«, nickte der Herzog, als sie sich verabschiedet hatten. »Ja, was man in Rom alles erleben kann!« setzte er lachend hinzu. »Sonst erfährt man Geheimnisse wohl von einer Mätresse im Alkoven, oder man kauft sie einem Geheimschreiber, einem Kammerdiener ab. Hier jedoch findet man sie gratis auf der Straße! Aber ist es nicht seltsam«, fuhr er wie im Selbstgespräche fort: »Während der Legat Gaetani in Paris die Geschäfte Spaniens besorgt und die Einwohner zum Widerstande gegen ihren rechtmäßigen König anfeuert, empfängt hier der Papst den Abgesandten Elisabeths, der Bundesgenossin des Königs, vermutlich einen Protestanten. Die Welt steht auf dem Kopfe.«

»Vielleicht kommt sie gerade dadurch wieder auf die Beine«, versetzte Monsieur de la Chapelle mit komischer Handbewegung.

»Ihr mögt recht haben«, nickte der Herzog. »Übrigens war Euer zweiter Streich noch besser als der erste, wenn auch nicht so scherzhaft. Ihr habt Eure Sache glänzend gemacht.«

»Und mit was darf man Euer Gnaden nun unterhalten?« fragte de la Chapelle aufgeräumt. »Allabendlich ist jetzt eine Theatervorstellung in vornehmen Häusern. Die Truppe der Desiosi spielt; sie ist die erste in Italien. Vorgestern hat sie im Palazzo Ridolfi agiert, gestern bei Federigo Cesi, und heute kommt sie zu meinem Verwandten Orsini. Da sind wir stets willkommen.«

»Gut, gehen wir dorthin«, entschied der Herzog. »Da könnt Ihr die Reize der Schauspielerinnen mustern, bevor Ihr Euch für eine entscheidet.«

Der Jüngling lachte laut auf. »Leider nicht«, sagte er. »Sonst hätte ich schon gewählt. Aber in diesem frommen Babel werden die Weiberrollen von Männern gespielt, und wenn man nicht der griechischen Liebe fröhnt ...«

Der Herzog schnitt seine Zote ab. »Um so schlimmer für Euch«, sagte er. »Also gehen wir in den Palazzo Orsini, wofern es Euch nicht nach dem Viertel der Kurtisanen zieht.«

»Alles zu seiner Zeit«, sagte de la Chapelle. »Dort müßte ich erst meinen Degen ablegen, bevor man mich einläßt. Denn im Kurtisanenviertel ist das Waffentragen noch strenger verboten als im Vatikan.«

»Schandmaul!« drohte der Herzog. »Nichts als Torheiten habt Ihr im Kopfe.«

»Je nun,« lachte de la Chapelle, »es ist nur einmal im Jahre Karneval.«

 

Während die Franzosen den Weg zum Palazzo Orsini einschlugen, war der Engländer an der nächsten Straßenecke wieder auf seinen deutschen Reisegefährten gestoßen, den er auf dem Corso verloren hatte.

»O dies Rom«, riefen beide, als sie sich erkannten, aber es klang verschieden.

»Kommt, Mylord«, sagte der Deutsche. »Ich führe Euch in eine gute Wirtschaft, wo es ehrbarer zugeht als auf dem Corso. Da könnt Ihr das Karnevalstreiben ungestört beobachten und Euch über Euer Mißgeschick trösten. Nur eins bedinge ich mir aus: laßt endlich Eure Gewaltsamkeiten. Sie sind hier nicht am Platze, und die Sbirren sind nicht immer zur Stelle, aber die Dolche sitzen locker in der Scheide.«

»Goddam!« stöhnte der Engländer, »diese Hauptstadt der Christenheit ist ein Mörder- und Wanzennest. Ich verstehe nicht, daß Ihr Geschmack daran findet, überall umherzukriechen. Ihr verweilt in den Kirchen und lauscht der Musik mit verliebten Augen, wenn Ihr nicht gar wie ein Gespenst in alten Ruinen hockt und Fieberdünste einsaugt. Und nun wollt Ihr mich noch in eine Garküche locken, wo die Speisen mit Öl gesotten und mit Knoblauch gewürzt sind! Brr! Der Knoblauchdunst ist mir ebenso zuwider wie der Weihrauchduft!«

»Aber der Wein ist gut. Ihr sollt schon zufrieden sein.«

»Goddam! Ich bin kein Weinverächter. Aber ich schätze auch einen starken Trunk Bier, und der ist in diesem verfluchten Lande nirgends zu kriegen. Nichts als Wein und Sonne, Sonne und Wein. Sie langweilen mich. Ich sehne mich nach einem guten Humpen Porter und dem Londoner Nebel!«

»Das gibt es hier freilich nicht«, lachte der Deutsche. »Aber wenn Ihr durchaus nicht mitkommen wollt, so laßt uns in eine Theatervorstellung gehen.«

»Nur das nicht«, wehrte der Lord ab. »Ich kenne die zotigen Possen und die steifleinenen Tragödien der italienischen Schauspieler. Ich sah sie in Florenz und verstand zum Glück nur die Hälfte davon. Ich gebe sie alle für ein Werk unseres göttlichen William hin.«

»Wer ist das?«

»Der neuste Stern an unserm Dichterhimmel. Kommt nur nach England und überzeugt Euch selbst.«

»Ich sah freilich englische Schauspieler, die durch mein Land zogen«, entgegnete der Deutsche. »Aber ihre bluttriefenden Tragödien haben mich wenig erfreut.«

Sie waren vor dem Wirtshause angelangt. Eine Laterne baumelte über der Tür, und darunter hing als Wahrzeichen ein Pinienzweig. Der Lord ließ sich widerwillig hineinziehen. Auch hier herrschte ausgelassenes Karnevalstreiben. Manche Gäste hatten die Maske noch vor dem Gesicht. Spitze Vogelschnäbel kreuzten sich mit Eselsköpfen. Feiste Fratzen mit grinsenden Lippen saßen neben abgezehrten Heuchlergesichtern. In der Mitte der Weinstube tanzte ein Paar, das Mädchen mit einem Efeukranze im Haar, den Kopf weit zurückgeworfen, mit schwimmendem Blick, das Tamburin hoch in der Luft schwenkend, einer heidnischen Mänade vergleichbar, während der Mann sie mit Kastagnetten klappernd umkreiste, Bocksprünge vollführte oder vor ihr niederkniete. Ein alter Dudelsackpfeifer, der auf einem Weinfasse hockte, entlockte seinem geblähten Sack eine quärrende Musik, und ein angetrunkener Ciocciare, die Beine mit Leinen und Binden umwickelt und ein Fell um die Schultern, wie der alte Hirtengott Pan, taumelte zwischendurch und stieß heisere Laute aus.

»Eine schöne Matrosenkneipe, in die Ihr mich geschleppt habt!« brummte der Engländer. Aber sein Gefährte hörte nicht auf ihn. Er stand wie gebannt von diesem wildschönen Schauspiel.

»Holla, my dear!« sagte der Engländer und schüttelte ihn derb am Arme. »Ihr schmelzt ja vor Andacht hin wie in einer Kirche. Ihr seid schon ganz wie dies Volk, das heute in heidnischem Sinnestaumel schwelgt und sich morgen mit Asche ein Kreuz auf die Stirn malen läßt.

Da wachte der Deutsche auf. »Ist es nicht schön, sagte er traumbefangen, »daß in Rom sich beides vereinigen läßt? So kommen der Leib und die Seele zu ihrem Rechte.«

Endlich hielt das tanzende Paar erschöpft inne, und die Zuschauer schlugen jauchzend in die Hände. Der Deutsche zog den Lord in einen Seitenraum und wollte ihn an einen Tisch nötigen, an dem schon ein paar andere Gäste saßen, Mädchen mit safrangelbem oder feuerrotem Kopftuch und junge Burschen mit rabenschwarzem Haar, die Weinbecher und schilfumflochtene Fiaschi vor sich stehen hatten. Aber der Wirt hatte die vornehmen Fremden bemerkt und wollte sie vor der Zudringlichkeit der Dirnen und der Ausgelassenheit der Zecher schützen. Er kam auf sie zu und komplimentierte sie nach einer Estrade, die um etliche Stufen höher lag.

»Belieben Eure Exzellenzen, sich hier zu bequemen«, sagte er. »Hier können Sie das Treiben ungestört übersehen. Denkt doch ein jeder nur an sein Vergnügen und achtet des andern nicht ... Befehlen Sie eine Flasche roten Marino? Es ist das Beste, was der römische Boden zeitigt. Soll ich Ihnen ein paar hübsche Mädchen heraufschicken, damit sie Ihnen Gesellschaft leisten?«

Der Engländer machte eine heftige abweisende Handbewegung.

»Ei nun,« sagte der Wirt betroffen, »Herkules und Messalina, das gäbe doch ein schönes Paar.«

Als keine Antwort erfolgte, hielt er es für geraten, sich zurückzuziehen. Ein Bursche, dem das krause Gelock in die Stirn fiel, setzte einen großen, bauchigen Fiasco mit dünnem Schwanenhals auf. Der Deutsche schenkte ein, und sein Gefährte goß ein volles Glas hinunter.

»Ihr bleibt kalt, Mylord«, sagte er zu ihm. »Und doch müßte dieser Mummenschanz Euer Herz erwärmen. Man treibt ihn ja auch bei uns im Norden, am Rhein und in Flandern.«

»Wollte Gott, ich wäre erst wieder dort«, brummte der Brite. »Italien stinkt mich an wie der Atem einer Dirne.«

»Ihr müßt wenig Schönheitssinn haben«, entgegnete der Deutsche mit leisem Vorwurf. »Als ich Euch vorhin auf dem Corso verlor, trat ich in die Kirche Gesù, die von tausend Kerzen strahlte. Weihrauchduft wallte süß empor, und liebliche Musik trug mich wie auf Engelsflügeln in eine selige Welt. Und dann beim Heraustreten die dunkelnden Straßen mit der kraftvollen Architektur ihrer Paläste und darüber die silberne Mondsichel. So kam ich von einem Märchen ins andere.«

»Man sollte meinen, Ihr seid ein Poet oder ein Maler«, entgegnete der Engländer geringschätzig.

»Hier wird man beides«, nickte der Deutsche traumverloren. »Früher stand ich oftmals in der Werkstatt des Meisters Cranach, -- nicht des Vaters, dessen Ruhm alle Welt kennt, sondern des Sohnes, der vor ein paar Jahren verblichen ist. Er taugte nicht soviel wie jener, aber er war doch ein Künstler, der manch achtbares Werk hinterlassen hat. Er konnte alles malen, den Erlöser am Kreuz mit brechenden Augen oder Neptunus und Amphitrite auf ihrem Muschelwagen, von Delphinen gezogen und von ihrem seltsamen Hofstaate umringt. Er konterfeite die sündige Eva, die nackt vor einem schlangenumwundenen Baume steht und mit vollen Zähnen in einen Apfel beißt, oder die göttliche Venus im Mantel ihres Goldhaares, die sich in einem Spiegel bewundert. Und seht, was daheim nur der eine vermochte, das füllt hier die Paläste und Kirchen. Man trifft es auf den Straßen, und es liegt selbst in dem tanzenden Paare dort. Was daheim nur ein schüchternes Brünnlein war, ist hier ein rauschender Strom von Schönheit.«

Der Lord ließ einen gelangweilten Blick durch die Wirtsstube gleiten.

»Und der papistische Glaube?« fragte er streng.

»Kamt Ihr denn nicht selbst her, um mit dem Papste zu sprechen?« fragte der Deutsche erstaunt.

»Nicht um meinen Glauben abzuschwören, der auch der Eure ist,« entgegnete der andere vorwurfsvoll, »sondern nur, um Frieden zu suchen mit dem Vatikan. Wir wollen die Papisten bei uns nicht länger verfolgen, wenn sie selbst Frieden halten und unsere Insel nicht mehr mit Aufruhr und Ränken erfüllen. Wir wollen es sogar bezahlen, wenn es sein muß«, setzte er hinzu, mit der Faust auf den Tisch schlagend.

Eine Weile herrschte Stille zwischen den beiden, und der Deutsche lenkte seine Blicke wieder auf das Karnevalstreiben. Die Mädchen an den Tischen knabberten Kürbiskerne oder Konfekt, das sie beim Werfen mit Süßigkeiten auf der Straße aufgefangen hatten. Nur hin und wieder nippten sie an den Weinbechern ihrer Liebhaber.

»Sie trinken wenig« murmelte er. »Ihre Trunkenheit ist Freude. Glückliches Volk!«

»Seid Ihr überhaupt noch ein Lutheraner?« stieß der Brite plötzlich hervor. »Oder seid Ihr schon zum Römling geworden?«

»Ich bin beides«, entgegnete der andere. »Ich bin im Lande Luthers aufgewachsen, aber Rom ist mir zur zweiten Heimat geworden. Ob ich gleich noch derselbe bin, ich fühle mich doch bis ins Knochenmark verwandelt.«

»Man kann nur ein Vaterland haben«, brummte der Lord. »Ihr werdet das Eure mitsamt Eurem Glauben verlieren.«

»Schwerlich«, entgegnete der Deutsche kopfschüttelnd. »Aber seht, wenn man den Katechismus mit der Muttermilch eingesogen hat, bekommt man auch Augen für das Gegenteil. In meiner Jugend ward es bei uns noch strenger gehalten als jetzt. Nichts als Bekenntnis und Lehre; nichts, was dem Herzen oder den Sinnen genügt hätte. Wie sanft und gefällig aber fließt hier das Leben hin. Selbst die Armut erträgt sich leichter. Diese Kinder der Sonne nehmen mit wenig fürlieb und brauchen nicht schwer zu frohnden. Vorhin, in der Kirche, beobachtete ich das arme Volk, Bettler und alte Weiblein. Die fühlten sich schon auf Erden im Paradies. Sie vergaßen ihr Elend über der himmlischen Schönheit, die ihnen entgegenstrahlte. Wie töricht sind wir doch, die Kirchen am Werktage zu schließen, als wäre darin nichts zu suchen, und all die fromme Zier daraus zu verbannen.«

»Ihr wißt Euch trefflich auf den Standpunkt des Gegners zu stellen«, knurrte der Brite. »Wahrlich, ich sehe Euch schon der Mutter Kirche wieder unter die Flügel kriechen, wie die Küchlein, wenn der Sperber in der Luft hängt.«

»Ihr wißt so gut wie ich,« wehrte der Deutsche ab, »daß ich nicht deshalb hierherkam.«

Er schwieg eine Weile; dann fuhr er leiser fort: »Unter unserm hochseligen Herrn, dem Kurfürsten August, lag die Gefahr eines Glaubenswechsels näher denn jetzt. Er war des Kaisers Freund und bangte davor, der Papst möchte ebenso mit ihm verfahren wie mit Navarra und sein Volk von Gehorsam und Treueid entbinden. Wäre unsere hochselige Kurfürstin Anna, die Dänin, nicht noch strenger in ihrem Glauben gewesen als die Römischen, er wäre vielleicht nicht lutherisch geblieben. Selbst der Papst -- das vertraue ich Euch insgeheim an -- sagte mir, er habe ihm bis an sein Ende die Absolution bereit gehalten.«

»Und Euer jetziger Herr?« fragte der Brite beklommen.

»Der steht sich schlecht mit dem Kaiser und neigt den Kalvinisten zu, die von der Kurfürstin Anna bedrückt wurden. Deshalb nimmt er jetzt auch Partei für Navarra. Er will Frieden unter den Bekenntnissen und daß jedem das Recht werde, auf seine Weise selig zu werden. Das ist zweifellos besser, als sich um des Glaubens willen die Köpfe einzuschlagen. Und auch Ihr, Mylord, Ihr wollt ja nichts anderes. Selbst der Papst ist dazu geneigt, trotz aller spanischen und habsburgischen Ränke. Er empfängt Anhänger Navarras, und es heißt, er wolle einen Prälaten zu ihm entsenden. Auch er blickt über dies bluttriefende Zeitalter hinaus. Er hat sich gewaltig geändert, seit er den Bannfluch gegen Navarra geschleudert hat.«

»Gott weiß, wie das alles enden wird«, seufzte der Brite. »Der Papst mag den Frieden wollen, aber die Spanier werden es hintertreiben.«

»Ja, die Spanier sind zähe Gegner«, seufzte der Sachse. »Und der Kaiser stärkt ihnen noch den Rücken. Sein Botschafter hat den Papst kürzlich gebeten, den sächsischen Einflüsterungen kein Gehör zu geben.«

»Da seht Ihr ...«

»Und doch vertraue ich auf ihn. Er ist ein gewaltiger Fürst und hat Proben genug von seiner Willensstärke gegeben. Er wird sich keinen fremden Willen aufzwingen lassen.«

Der Engländer winkte dem Wirt, daß er zahlen wolle. Dem tat es leid, daß die beiden schon gehen wollten, denn er hatte auf mehr gerechnet. Aus Gewinnsucht wie aus Neugier suchte er sie in ein Gespräch zu verwickeln, um sie noch länger zu halten.

»Ihre Exzellenzen kommen aus fremden Ländern«, begann er schmeichlerisch. »Vermutlich über das Meer oder über die grauslichen Alpenpässe. Haben Sie schon den Papst und Sankt Peter gesehen?«

»Beide«, nickte der Deutsche.

»Ja, Rom ist die erste Stadt der Welt«, fuhr der Wirt selbstgefällig fort. »Es ist die hohe Schule für alle Talente. Und was Klugheit und Frömmigkeit nicht schafft, das schafft das Glück und der Zufall. Ich habe es zwar nur so weit gebracht, wie Eure Exzellenzen sehen, aber der Kardinal Galli war auch nicht viel mehr als ich: er war Mundschenk beim Heiligen Vater. Ja, wer in den geistlichen Stand tritt, der kann es zur höchsten Macht bringen, wie der arme Mönch, der uns jetzt regiert. Der Kardinal Alessandrino begann als Schneidergeselle und ward Dominikaner, um den Schlägen seines Meisters zu entgehen, und der Kardinal von Como, der unter dem letzten und vorletzten Papste allmächtig war, war zuerst Läufer bei einem Monsignor Gariberti. Als er dann zur Macht kam, erschien sein früherer Herr in dem Schwarme der Höflinge, um ihm seine Aufwartung zu machen, und war froh, einen gnädigen Blick zu erhaschen.«

Der Lord gähnte und wollte bezahlen, aber er hatte nicht mit der Geschwätzigkeit des Wirtes gerechnet.

»Wissen die Exzellenzen übrigens schon das Neueste?« fuhr dieser fort. »Die Fastenprediger haben es schon von den Kanzeln verkündet. Der Ketzer Navarra soll die verfluchte Mörderin Elisabeth ehelichen.«

Er hatte noch nicht ausgeredet, als ein Faustschlag auf ihn niedersauste, aber er wich ihm katzenhaft aus und prallte zurück.

»Laßt doch endlich Eure Gewalttaten«, rief der Deutsche erschrocken. Dann suchte er den Wirt zu beschwichtigen. »Ihr habt seine Herrin gekränkt,« sagte er zu ihm, »denn der Herr ist Engländer.«

In jähem Umschlage lachte der Wirt laut auf.

»Verzeiht,« sprach er, »das wußte ich nicht. Aber bei uns ist es nicht Brauch, sich für seinen Herrn beleidigt zu fühlen. Hier denkt jeder nur an sich, und die losen Zungen ernten nicht Schläge, sondern Lob und Beifall. Freilich, Papst Sixtus, still! still!« sagte er, den Finger auf den Mund legend. »Der weiß sich Respekt zu verschaffen, ob er uns auch mit seiner vermaledeiten Weinsteuer und mit seinen hohen Auflagen Anlaß genug gegeben hat, auf ihn zu schelten.«

Der Brite stand auf, wiewohl noch Wein in der Flasche war.

»Schmeckt der Wein nicht?« fragte der Wirt zudringlich. »Und doch hat er nicht seinesgleichen; ich verstehe mich darauf... Wissen Sie, wie ich zu meinem Weinhandel kam?« setzte er mit komischem Mienenspiel hinzu. »Ich war noch jung, da der Papst Paul Farnese regierte. Damals ließ sich noch gut leben. Mein Wandel würde heute großes Ärgernis erregen; damals war er kaum anstößig. Er hat sogar mein Glück gemacht. Ich ward plötzlich fromm, gab Almosen und beichtete fleißig. Die Pfaffen wurden auf mich aufmerksam: ›Siehe da,‹ hieß es, ›ein Sünder, der Buße tut!‹ Dann fing ich einen kleinen Weinhandel an. Die Priester sandten mir vornehme Kundschaft; dafür hatten sie's gratis bei mir... Ich wette, auch Sie hat ein geistlicher Herr hergeschickt... Ja, ja,« schloß er pfiffig, »Rom ist ein Ort, wo auch der Sünder zum Guten gelangt.«

Der Engländer hatte von seinem Wortschwall genug und warf ihm einen Scudo hin. Der Wirt gab heraus und sah die beiden betrübt ziehen. »Beehren Sie mich bald wieder«, bat er katzbuckelnd.

»Welch ein Pack!« schalt der Brite, während er rücksichtslos zum Ausgange drängte. »Selbst ein Faustschlag heilt sie nicht von ihrer Kriecherei. Das ist die heutige Römertugend.«

Draußen umfing sie eine jener milden südlichen Winternächte, wo die Luft fast durchsichtig war, obwohl der Mond nicht mehr strahlte. Wie ein dunkelblauer Samtbaldachin wölbte sich der Himmel über der Stadt, und die Sterne leuchteten voll und breit wie zahllose Lämpchen. Etliche schienen auf die Erde gefallen zu sein und in den Straßen umherzuirren: es waren die Fackeln der heimkehrenden Gäste. In dem Gartengeviert eines Palastes hallte noch eine Serenade.

»Nun,« fragte der Lord, »seid Ihr endlich von Eurem römischen Fieber geheilt?«

»Keineswegs«, war die Antwort. »Ich habe nur herzlich gelacht. Denn auch das war ein Stück Karneval.«

Wie ein neckischer Spuk wirbelte noch eine Papierschlange im Nachtwinde vor ihnen her, als sie schweigsam zu ihrem Gasthofe zurückkehrten.


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