Friedrich v. Oppeln-Bronikowski
Schlüssel und Schwert
Friedrich v. Oppeln-Bronikowski

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21. Die Doppelheirat

Im Schatten dieser großen Ereignisse hatten sich allerlei trübe und frohe Dinge in Italien zugetragen. Im März betrauerte ganz Rom den Tod des Kardinals Farnese, denn jedermann liebte ihn wegen seiner fürstlichen Lebenshaltung und seiner Wohltätigkeit. Über vierzig Kardinäle, ein nie gesehenes Schauspiel, folgte seinem Sarge nach der Kirche Gesù, seinem prunkvollsten Bauwerk. Dort ward er unter dem Hochaltar neben dem heiligen Ignatius von Loyola beigesetzt.

Dieser Tod seines alten Nebenbuhlers gab dem Papste zu denken, denn gleich ihm ging er jetzt ins siebzigste Jahr. Wenn er auch mit größerer Befriedigung auf sein Leben zurückblicken konnte als Farnese, so legte ihm dessen Tod doch eins ans Herz: beizeiten für seine Sippe zu sorgen. Schon seit Jahren trug er sich mit großartigen Plänen darüber, die er nun zur Reife brachte und mit seiner Schwester besprach.

Erstaunlich gut hatte Donna Camilla sich in ihre neue große Rolle hineingefunden. Sixtus hatte das Stadthaus verschönern lassen, in dem sie jetzt mit ihren Enkeltöchtern wohnte, und ihr seine prächtige Villa auf dem Esquilin geschenkt, nachdem er sie von den beliebtesten Modemalern mit Fresken hatte ausschmücken lassen. Sie besaß auch einen kleinen Hofstaat, einen Haushofmeister, zwei Kavaliere, eine Ehrendame, einen Kaplan, Pagen, Kammerdiener und Lakaien, Läufer und Wagen, dazu eine jährliche Pension von 12+000 Scudi. Das war für römischen Zuschnitt vielleicht bescheiden, aber Sixtus hatte die Schwester ermahnt, nie ihre schlichte Herkunft zu vergessen und das Laster der Emporkömmlinge, den übermäßigen Aufwand, zu meiden. Sie hatte sich das gesagt sein lassen, aber sie hatte große Reichtümer gehäuft, denn die ersten Fürsten der Christenheit, König Philipp, der Großherzog von Toskana, die Republik Venedig und andere wetteiferten darin, ihr Geschenke zu machen, und bei der Anlage dieser Gelder ließ sie sich von Lopez beraten. Sie kaufte Grundstücke in den neuen Stadtvierteln, erwarb Herrschaften und Gerechtsame, kurz sie entfaltete auf ihre alten Tage das Talent eines Kaufmanns. Die langen Jahre der Armut und Sparsamkeit waren ihr eine treffliche Schule gewesen.

Woher aber hatte sie das Talent zu einer vornehmen Dame? Denn es war nicht anders, als sei sie in der großen Welt geboren und aufgewachsen. Jedermann bewunderte ihren Takt. Die Gesandten der Großmächte wie die kleinen Diplomaten machten ihr mehr oder minder beharrlich den Hof, und alle empfing sie wie eine Herzogin. Dies Gebaren war sehr vorteilhaft für die großen Pläne, die Sixtus mit den Seinen verfolgte; denn welcher Vornehme hätte wohl ein Mädchen ehelichen wollen, über dessen Sippe er sich schämen mußte?

Nach dem Scheitern eines anderen Heiratsplanes hatte Sixtus sein Auge auf römische Große gerichtet, und das lag ja auch in der Linie seiner ganzen Politik. Nachdem er den Trotz der großen Vasallen gebrochen hatte, wollte er sie an sich heranziehen und sie fest an den Heiligen Stuhl ketten. Gute Beziehungen bestanden ja schon von alters her zu dem Hause Colonna, wo er selbst einst als Hauslehrer begonnen. Bei seiner Thronbesteigung hatte er sie noch enger geknüpft, und jetzt sollten sie gar durch Familienbande verstärkt werden. Schon mit zehn Jahren war die kleine Ursula Peretti dem Marcantonio Colonna versprochen worden, dem Enkel des kürzlich verstorbenen Türkenbezwingers von Lepanto, der trotz seiner zwölf Jahre bereits die Würde eines Großkonnetabels von Neapel bekleidete. Doch Verlöbnisse unter Kindern waren damals in vornehmen Häusern nicht selten, und die südliche Jugend erblühte rasch.

Weit erstaunlicher war der andere Heiratsplan. Die blonde Flavia Peretti sollte den Fürsten Virginio Orsini ehelichen, damit also zur Nichte des Großherzogs von Toskana werden. Gewiß war das eine gute Partie, aber Virginio war der Sohn des Mannes, der den Oheim der Braut hatte ermorden lassen; zudem lastete auf ihm die Mitwisserschaft an der Ermordung der Vittoria Accoramboni, und schließlich hatte er den Papst durch die Katzenköpfe vor der Engelsburg dem Gespött ausliefern wollen. Allein für die Untat seines Vaters konnte er nichts, und das übrige waren Jugendsünden aus wilden, gesetzlosen Zeiten, die vergeben und vergessen waren.

Was die Römer weit mehr erstaunte, war die Versippung des Hauses Peretti mit den Sprossen zweier Geschlechter, die seit Jahrhunderten in blutiger Fehde miteinander gelebt hatten. Seit die römischen Großen sich nicht mehr auf die Briganten stützen konnten und den Nacken gebeugt hatten, gab es freilich keine Partei der Orsini und der Colonna mehr, sondern nur noch eine französische und eine spanische Partei, aber diese Heirat überwölbte und begrub doch das Mittelalter in Rom, und auf dieser Kuppel, fast so kühn wie die des Petersdomes, erhob sich hinfort wie ein siegreicher Aufsatz der Papstthron. Ein sinnfälliges Zeichen dafür war es, daß Sixtus den beiden jungen Fürsten die höchste weltliche Würde verlieh, die er zu vergeben hatte: er erhob sie zu beistehenden Fürsten des päpstlichen Stuhles. Diese Würde ist ihnen bis auf den heutigen Tag verblieben.

Die Römer schalten über den Nepotismus des Papstes, obgleich sie seit ewigen Zeiten daran gewöhnt waren; andere bewunderten diese neue Probe seiner schier übermenschlichen Selbstüberwindung. Hätten sie aber in ihrer Geschichte zurückgeblättert, sie hätten gemerkt, daß Sixtus auch hier in die Fußstapfen eines Ebenbürtigen trat. Papst Julius II., der die Peterskirche begonnen hatte, die Sixtus jetzt vollendete, hatte die gleiche Seelenkraft des Vergebens bewiesen wie dieser, indem er Laura Farnese, das Kind seines Vorgängers und Todfeindes, in seine Sippe aufnahm. Und ebenso hatte er als erster den Zwist der Orsini und Colonna beigelegt, indem er sich mit beiden versippte. Nur in einem waren die Ehen, die Sixtus stiftete, anders: ihnen fehlte der düstere Hintergrund der sittlichen Verwilderung der Borgiazeit, wo die Päpste Geliebte und leibliche Kinder besaßen.

Aber wenn Sixtus auch hier vergab und vergaß, so fand er bei Donna Camilla keine Neigung dazu. Niemals, so erklärte sie, werde sie ihre Enkeltochter dem Sohne des Mannes zur Frau geben, der ihren Francesco ermordet hatte. Umsonst wies ihr Bruder sie auf die Vorteile dieser Verbindung hin; sie entgegnete, es gäbe auch andere große Partien, und verschwor sich, sie werde der Hochzeit fern bleiben. Es war das erstemal, daß sie ihrem Bruder offen zu trotzen wagte. Aber diesmal blieb Sixtus fest, und so mußte sie sich fügen. Um ihr jedoch nicht zu viel zuzumuten, benutzte er einen Brauch, der damals in Fürstenhäusern nicht selten war: er ließ die Ehe durch Prokuration vollziehen, während Virginio bei seinem Oheim in Florenz weilte. So sah Donna Camilla ihren Eidam erst eine Weile nach der Hochzeit, und vor der vollendeten Tatsache beugte sie sich. Endlich sah sie ein, was ihr Bruder ihr so oft vergeblich gepredigt hatte, daß es christlicher sei, altes Unrecht zu vergessen und es durch Wohltaten zu sühnen, als Rache zu nehmen.

Beide Bräute erhielten eine Mitgift von 100+000 Scudi, überdies ein Nadelgeld von 20+000 Scudi in zinstragenden Liegenschaften, damit sie, wie Sixtus sagte, sich ein Paar Schuhe kaufen könnten, ohne ihren Gatten um Erlaubnis zu fragen. Von allen Seiten kamen kostbare Geschenke; am meisten bewundert ward ein Diamant und ein Perlenhalsband, das der Großherzog von Toskana seiner neuen Nichte gesandt hatte. Seltsamer Wandel des Schicksals, daß dies Mädchen die Nichte der unglücklichen Vittoria war, die er selbst einst als Verwandte abgelehnt hatte!

Aber auch Papst Sixtus blieb nicht im Rückstande. Nach ihrer Trauung zog die kleine Ursula Colonna aus ihrer Tasche ein Schriftstück und übergab es dem Kardinal, ihrem neuen Oheim. Es war eine Verschreibung des Papstes auf eine reiche Pfründe. »Das Hochzeitsgeschenk für Eure Eminenz«, sagte die Neuvermählte schalkhaft.

Torquato Tasso dagegen, der jetzt um die Gunst des Großherzogs Ferdinand buhlte, verherrlichte Virginios Hochzeit mit Flavia Peretti. Er sandte dem jungen Bräutigam nach Florenz ein langes, sehnsuchtsvolles Hochzeitsgedicht, für das er ein ansehnliches Geschenk erhielt, und für die Braut dichtete er eins seiner anmutigsten Sonette; denn trotz alles Weltschmerzes hatte der alte Sänger der Liebe noch immer liebliche Töne auf seiner Leier. Das vielbewunderte Sonett lautete:

»Sieh, Flavia, hehre Tempel dir geweiht,
Standbilder, Säulen, prangende Altäre
Mit wundersamer Kunst zu deiner Ehre,
Besiegt die Parze und des Schicksals Neid.

Wohl hätte dem (so sprichst du), der mich freit,
Ein glänzenderes Los gewinkt; er wäre
Der Ahnen Vorbild nachgefolgt zum Heere,
Von Mars mit Siegesruhm geschmückt im Streit.

Doch ohne ihn, und wär's in Himmelsauen,
Schlug' ich die Kronen und die Sterne aus;
Mich lockt es nicht, glanzvoll herabzuschauen.

Im Herzen nur vermag ich ihm ein Haus
Mit keuscher Hand auf treuem Grund zu bauen,
Und Amor ist der Leiter dieses Baus.«

Aber Sixtus sorgte nicht nur für seine Großnichten. Auch den jungen Michele Peretti hatte er nicht vergessen: war er doch der Stammhalter seines Hauses! Er hatte ihn an Stelle des Signor Giacomo, des Sohnes seines Vorgängers Gregor, zum Gonfalonier der Kirche, zum Gouverneur des Borgo und zum Hauptmann der päpstlichen Leibgarde ernannt, aber er wollte auch etwas für seine Zukunft tun. Er setzte ihn zum Universalerben seiner Großmutter ein, kaufte ihm Lehen und Herrschaften im Königreich Neapel, und König Philipp erhob ihn als Oberherr Neapels zum Fürsten von Venafro. Mit dreizehn Jahren ehelichte er die einzige Tochter des Mailänder Grafen Somaglia, eine der reichsten Erbinnen Europas. Da König Philipp auch Herzog von Mailand war, stand sie ebenfalls unter spanischer Oberherrschaft. So stark knüpfte Sixtus seine Hauspolitik an die spanische Weltherrschaft, bevor auch seine Kirchenpolitik wieder in das spanische Fahrwasser einlenkte.

Aber er dachte nicht nur an die Lebenden. Er vergaß auch den einen nicht, dessen Tod das große Leid seines Lebens gewesen war: den armen Francesco Peretti. Ihm konnte er freilich nichts Gutes mehr antun, aber er wollte ihn wenigstens fürstlich bestatten lassen, in derselben Kapelle, die er sich zur letzten Ruhe bestimmt hatte. Noch ehe Fontana sein Grabmal in S. Maria Maggiore vollendet hatte, ließ er Francescos Gebeine dorthin überführen. Achtzehn Kardinäle in violetten Trauermänteln, die Freunde und Kreaturen des Papstes, umstanden den Katafalk in S. Maria degli Angeli, wo er beigesetzt worden war, und der Patriarch von Jerusalem zelebrierte die Trauermesse. Dann schritten die Hausgeistlichen des Vatikans, Domherren und Mönche aller Orden, besonders Franziskaner, mit brennenden Fackeln dem Sarge voraus oder folgten ihm nach. Ganz Rom war auf den Beinen, um diesen Leichenzug anzuschauen, der langsam von den Höhen des Esquilins herabkam, die Gärten der Villa Peretti umzog und die steile neue Straße nach S. Maria Maggiore hinanschritt, um in der prächtigen Grabkapelle des Papstes die sterblichen Reste des gutherzigen Jünglings beizusetzen, von dem man nur einmal im Leben gesprochen hatte: als er ermordet ward.

An diesem Tage vergossen Donna Camilla und ihr Bruder noch einmal heiße Tränen.


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