Friedrich v. Oppeln-Bronikowski
Schlüssel und Schwert
Friedrich v. Oppeln-Bronikowski

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3. Die Schicksalsnacht

Montalto hatte sich wieder in den Heiligen Ambrosius vertieft und merkte nicht, wie die Stunden entschwanden. Es war bereits Nacht geworden, und noch immer saß er beim Lampenschein über seiner frommen Arbeit, während im Hause alles still ward. Plötzlich hörte er den Klopfer gegen die Haustür dröhnen, die schräg unter seinem Gemache lag. Schritte hallten im Flur, und lebhafte Stimmen sprachen durcheinander. Wer konnte zu so später Stunde noch kommen? War es Fabio, der von seinem Anwesen zurückkehrte? Oder gar der Schlingel, der Marcello, der mal wieder nächtlicherweile Obdach in seinem Hause begehrte? Er sah das keineswegs gern; nur aus Liebe zu Vittoria drückte er auch hier ein Auge zu. Marcello aber hatte es trefflich verstanden, seinen gutmütigen Schwager Francesco durch sein keckes, selbstsicheres Wesen für sich einzunehmen, so daß dieser ihn wie einen Freund behandelte und stets alles tat, was Vittoria für ihren Bruder wünschte. Aber diesmal mußte es doch etwas Besonderes sein, denn der Stimmenlärm wollte nicht verstummen.

Schließlich stand Montalto auf und ging hinaus. Der Lärm kam aus Francescos Gemach, dessen Tür halboffen stand. Als er eintrat, sah er, wie sein Neffe sich den Degen umgürtete, während Camilla ihn mit erhobenen Händen anflehte, das Haus nicht zu verlassen. Doch er sagte: »Ich muß hingehen. Die Ehre gebietet es.«

Montalto fragte nach dem Grund seines Fortgehens. Er war recht seltsam. Vittorias Kammerfrau Caterina hatte soeben von ihrem Bruder Domenico einen Brief erhalten, den sie ihrer Herrin gebracht hatte. Er war von Marcello geschrieben, der seinen Schwager dringend um Hilfe bat und ihn beschwor, unverzüglich nach dem Quirinalshügel auf den Platz vor dem päpstlichen Sommerpalaste zu kommen.

»Zu dieser Nachtstunde!« rief Donna Camilla angstvoll.

»Ist der Bote noch da?« fragte Montalto.

»Nein, er ist sofort wieder weggegangen.«

»Wer war es?«

»Der Mancino.« (So nannte man Domenico, weil er linkshändig war.)

»Eure Eminenz kennt ihn als zuverlässigen Mann«, bemerkte Vittorias Zofe ungefragt.

»Jawohl!« nickte Donna Camilla heftig. »Ein Verbannter, der sich bei Tage in Rom nicht zu zeigen wagt! Geh nicht hin, mein Sohn, es könnte dein Tod sein. Jede Nacht geschehen unerhörte Dinge. Warum schreibt Marcello nicht, um was es sich handelt?«

»Der Mancino gehört gleichsam zum Hause«, entgegnete Francesco. »Und ich kann meinen Schwager in der Not nicht im Stiche lassen.«

»Wäre wenigstens Fabio da«, sagte die Matrone. »Er könnte dich mit den Dienern begleiten. Aber nun ist er mit dem einen fortgeritten, und uns bleibt nur noch Lorenzo.«

»Ich will doch nicht in den Krieg ziehen, Mutter«, lächelte Francesco. »Lorenzo soll mich mit der Fackel begleiten, das genügt. Wir beide werden schon unsern Mann stehen.«

»Nimm wenigstens noch den Hausmeister mit, wenn du durchaus gehen willst«, flehte die Mutter.

»Ach, das Mönchlein!« lächelte Francesco. »Der fiele uns höchstens zur Last.«

Er wollte hinauseilen, aber da warf Donna Camilla sich auf der Schwelle nieder, und ihre Augen füllten sich mit Tränen.

»Geh nicht hin, Francesco!« sprach sie. »Ich flehe dich an. Tu's mir zuliebe.« Und sie blickte wie hilfesuchend zu ihrem Bruder empor.

»Es ist freilich bedenklich«, versetzte Montalto und strich mit der Hand über seinen Franziskanerbart. »Aber als Mann muß er wissen, was er tut.«

Francesco küßte seine Mutter auf die Stirn und strich ihr über das graue Haar. »Mach mich nicht zum Feigling, Mutter«, sagte er. »In einer Stunde bin ich wieder zurück.«

Da sprach die Matrone zu Vittoria: »Bitte du für mich, denn für mich hat er kein Herz mehr.«

Vittoria sank gleichfalls ins Knie und wiederholte, wenn auch ohne Tränen: »Geh nicht hin, Francesco.«

»Auch du, Vittoria!« rief er. »Wo dein Bruder in Gefahr schwebt!«

Einen Augenblick schien er zu schwanken. Dann aber drückte er sich das Barett in die Stirn und sprach: »Ihr seid Frauen. Tröstet euch, Gott wird mich schützen. Ich muß eilen, ehe es zu spät ist.«

Donna Camilla wollte ihn am Zipfel seines kurzen Mantels zurückhalten, aber er war schon die Treppe hinuntergeeilt. Die Fackel des Dieners leuchtete blutrot in der Finsternis.

»Francesco! Francesco!« schluchzte die Mutter hinter ihm her. Aber schon fiel die Tür schwer ins Schloß. Da warf sie sich auf den Betstuhl, der im Gemache stand, und erhob flehend die Hände zur Jungfrau.

Vittoria hatte ihre Ruhe bald wiedergefunden. »Beruhige dich doch, Mutter«, sprach sie. »Es ist ja nicht das erstemal, daß er zur Nachtzeit aus- und eingeht.«

Die Matrone warf ihr einen feindlichen Blick zu. »Ja,« entgegnete sie, »und meist wegen deines Taugenichtses von Bruder!«

Auch Montalto suchte sie zu beschwichtigen. Dann kehrte er in sein Studierzimmer zurück.

Eine lange bange Stunde verstrich mit Warten und Beten.

Montalto zwang sich vergebens zur Arbeit. Die lateinischen Worte des Kirchenvaters tanzten vor ihm auf dem Papier. Er stand auf, öffnete das Fenster und lauschte, ob er nicht den Schritt seines Neffen nahen hörte. Bisweilen streifte ein Trupp heimziehender Gäste, von Fackelträgern begleitet, lachend und singend durch die dunkle Straße, oder eine vermummte Gestalt huschte wie ein schwarzer Nachtfalter durch einen der spärlichen Lichtwürfel, die noch aus erleuchteten Fenstern fielen. Dann hörte er nichts mehr als das Bellen der herrenlosen Hunde, die nach Nahrung suchend umherstreiften. Sein Neffe kehrte nicht heim.

Er setzte sich wieder an seinen Schreibtisch und blickte auf die kleine Nürnberger Uhr, die vor ihm stand und wie ein Totenwurm tickte. Plötzlich hörte er leise gegen seine Tür pochen. Es war Donna Camilla, die in ihrer Angst zu ihm kam.

»Hätten wir nur noch einen Diener im Hause«, sagte sie bang. »Der könnte zu den Sbirren laufen und ein paar von ihnen mitnehmen, um Francesco entgegenzugehen. Denn es ist unnatürlich, daß er noch nicht zurück ist. Kannst du nicht den Hausmeister hinschicken?

»Sie werden ihn in der Finsternis kaum finden,« wandte Montalto ein, »denn wir wissen ja nicht, welchen Weg er eingeschlagen hat. Aber wenn du durchaus willst, wecke ihn und laß ihn gehen.«

»Die Sache scheint mir sehr schlau abgekartet«, sagte die Matrone, ihren Rosenkranz in den zitternden Fingern drehend. »Marcellos Freund hat gewiß die Gelegenheit ausgespäht und ihm flugs mitgeteilt, daß Fabio mit dem anderen Diener fort ist.«

»Wer wird gleich so schwarzen Verdacht hegen«, entgegnete Montalto, wiewohl ihm selbst bang zumute war.

»Hättest du Francesco nur einfach verboten, fortzugehen,« sagte sie vorwurfsvoll, »dann war alles in Ordnung. Aber in deiner unseligen Schwäche für Vittoria und ihre Sippe ...«

Plötzlich dröhnten heftige Schläge gegen die Haustür. Camilla stürzte hinaus, und Montalto ergriff mit zitternder Hand seine Lampe, um ihr nachzueilen. Draußen ertönte wirres Gerede; dann hörte er den gellenden Aufschrei seiner Schwester. Etwas Entsetzliches mußte geschehen sein. Nach Fassung ringend, schritt er die Stufen herab, durch sein langes Priesterkleid behindert. Er sah Camilla ohnmächtig auf dem Treppenabsatz liegen; Vittoria und ihre Zofe waren bemüht, sie wieder aufzurichten. Vor ihnen stand zitternd und mit verstörter Miene Lorenzo. »Francesco ist ermordet!« schrie Maria Damasceni ihrem Oheim entgegen.

Die Lampe fiel ihm fast aus der Hand; Maria nahm sie ihm ab. Da bekreuzte er sich mechanisch und empfahl Francescos Seele dem Himmel. Dann gebot er mit zitternder Stimme dem Diener zu reden. Aber auch der war kaum eines Wortes mächtig und rang nach Atem. Schließlich stammelte er:

»Kaum waren wir zum Monte Quirinale emporgestiegen ... da blitzten drei Schüsse im Dunkeln auf ... Herr Francesco stürzte zu Boden ... Eine Büchsenkugel streifte meine rechte Hand ... Seht hier das Blut ... Die Fackel entfällt mir ... Und wie sie am Boden schwelt ... sehe ich drei, vier Männer über den Herrn herfallen ... Dolche blitzen auf ... ich ziehe blank und will auf sie losgehen ... Da rennen sie auf mich zu und brüllen: Weg, du Hund, oder du stirbst auch! ... Sie umkreisen mich und wollen mir in den Rücken fallen ... Da war nichts mehr zu retten ... Ich schreie: ›Mord! Mord!‹ und weiche zurück ... Sie hinter mir her, den ganzen Abhang herunter, dicht auf meinen Fersen ... Endlich, an der Colonnaburg, sehe ich Lichtschein ... Ein Schwarm von Nachtgästen mit Fackelträgern kommt über den Platz ... Da verschwinden die Mörder im Dunkeln ... Allein und ohne Fackel, wage ich mich nicht mehr hinauf nach dem Berge ... Ich laufe, was ich kann, durch die Nacht bis hierher ...«

Erschöpft hielt er inne und strich sich das Haar aus der Stirn.

Donna Camilla kam wieder zu sich und blickte sich verstört um. Als sie Vittorias Zofe erblickte, die ihr ein Riechfläschchen vorhielt, stieß sie sie mit Abscheu von sich.

»Weiche von mir, du Hexe!« ächzte sie. »Du hast deine Herrin bezaubert und das ganze Unheil verschuldet.«

»Ich eine Hexe, Madonna!« rief Caterina aus. »Die Schönheit meiner Herrin ist ein stärkerer Zauber als alle schwarze Kunst.«

»Jedenfalls hat dein Bruder den Brief überbracht,« stieß Camilla hervor, »und du steckst mit ihm unter einer Decke.«

Caterina brach in Tränen aus und schwor bei allen Heiligen, daß sie unschuldig sei.

Vittoria stand bleich und schön da und drückte ihr Spitzentüchlein an die Augen. Ihre Lippen zuckten wie von einem krampfhaften Lächeln.

»Wo ist Lorenzo?« fragte die Matrone plötzlich. »Ich will ihn sprechen.«

Der Diener stand noch immer verstört im Flur. Als er sich rufen hörte, schrak er zusammen und kam näher.

»Sahst du unter den Mördern bekannte Gesichter?« fragte Donna Camilla. »Nun, heraus mit der Sprache! War vielleicht der Ritter Palantieri dabei, der heute zur Tafel war? Oder Domenico?«

»Mein Bruder!« kreischte die Zofe.

»Schweig!« fuhr Camilla sie an. Und zu Lorenzo gewendet: »Oder vielleicht auch Marcello?«

»Mutter! Diese Schmach vor allen Leuten!« schrie Vittoria auf.

»Ich habe keinen erkannt«, stammelte der Diener. »Die schwelende Fackel ... Die Finsternis ... Die Flucht ... Ich hatte meine Sinne nicht mehr beisammen.«

Montalto sah, daß er eingreifen mußte.

»Camilla, sprach er feierlich, »noch wissen wir nicht, wie die Sache sich zugetragen hat. Richte nicht vorschnell. Der erste Schmerz ist oft maßlos. Warten wir die Untersuchung ab. Gott hat uns furchtbar geprüft, aber wir müssen stark bleiben. Beten wir zu ihm, daß er uns Kraft verleihe.«

Von Maria gestützt, wankte die arme Mutter in ihr Schlafgemach, indes Vittoria, von ihrer Zofe gefolgt, zornbebend verschwand.

Montalto ging zu seiner Schwester. Mit übermenschlicher Gefaßtheit setzte er ihren Klagen und Anklagen ein Ziel, ermahnte sie zur Standhaftigkeit und zur Duldung. Dann schickte er Sangalletto mit dem Diener zur Engelsburg, um den Mord anzuzeigen und die Sbirren auf die Beine zu bringen, während das Haus in düsteres Schweigen versank.


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