Friedrich v. Oppeln-Bronikowski
Schlüssel und Schwert
Friedrich v. Oppeln-Bronikowski

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7. Das Konklave

Obwohl schon vierundachtzig Jahre alt und im dreizehnten Jahre seines Pontifikats, war Gregor noch immer rüstig und anscheinend von bester Gesundheit. Wie stets zeigte er sich in der Öffentlichkeit, las dreimal in der Woche die Messe, hielt seine Konsistorien ab und empfing die fremden Gesandten. Seine Höflinge schmeichelten ihm, er werde gleich seinem Vater ein biblisches Alter erleben und seine Kraft noch lange der Christenheit widmen.

Da geschah es Ende November des Jahres 1584, daß der Blitz in die päpstliche Standarte auf der Engelsburg einschlug. Die abergläubischen Römer erblickten darin ein göttliches Vorzeichen seines baldigen Todes. Zwar schien seine Gesundheit nach wie vor unverwüstlich, doch das Vorzeichen hatte nicht getrogen. Anfang April 1585 bekam er ein Fieber, hielt aber trotzdem noch ein Konsistorium ab und empfing den spanischen Botschafter. Erst am nächsten Tage verbreitete sich das Gerücht, daß er bettlägerig sei und starke Erkältung habe.

Da geriet ganz Rom in Gärung und sprach von nichts als von seiner Krankheit. Jedermann hatte plötzlich einen Freund oder Verwandten im Vatikan, von dem er sichere Kunde zu haben behauptete, und war es auch nur ein Stallknecht oder ein Küchenjunge. Und jeder stellte Prognosen an wie ein Arzt. Wurde doch Hoch und Niedrig gleichermaßen von dem Thronwechsel betroffen. Die einen fürchteten, alles zu verlieren, und die anderen hofften, alles zu gewinnen. Vor allem aber begann man über seinen Nachfolger zu orakeln, der aus dem Konklave hervorgehen werde.

Menschenmassen erfüllten dauernd den Petersplatz und belagerten den Eingang zum Vatikan. Wie ein Donnerschlag fuhr am 10. April unter sie die Kunde, daß der Heilige Vater ohne Beichte und Kommunion plötzlich verschieden sei; sein Neffe, der Kardinal von San Sisto, hatte ihm die letzte Ölung gegeben.

Zum Glück kam sein Tod so überraschend, daß die Banditen nicht darauf gerüstet waren; sonst hätten sie gewiß einen Handstreich auf Rom gewagt. Das erste, was darum geschah, waren Maßregeln gegen einen Überfall. Gregors zweiter Neffe, der Kardinal Guastavillani, der als Apostolischer Kämmerer die Staatsgeschäfte während des Interregnums zu führen hatte, bildete mit den Kardinälen Medici und Colonna ein Triumvirat, um die öffentliche Ordnung zu sichern. Kein Bandit ward in Rom geduldet; die großen Barone erhielten Mahnschreiben, ihre Leute in Schach zu halten; ebenso wurden der Großherzog von Toskana und der spanische Gouverneur in Neapel aufgefordert, vorbeugende Maßregeln auf ihrem Gebiete zu treffen. Um aber noch mehr zu tun, hoben die Sforza Mannschaften zur Verstärkung der Sbirren aus, und nach altem Brauche übernahmen die Savelli den Schutz des bevorstehenden Konklaves. So herrschte in Rom zwar Erregung, doch kein Aufruhr, und die Leichenfeiern für den Verstorbenen fanden streng nach dem vorgeschriebenen Ritus statt.

Plötzlich aber erfuhr man, daß der Fürst Prospero Colonna mit seinen Bravi gegen die Stadt rücke. Zum Glück ließ er sich von seinem Bruder, dem Kardinal, Halt gebieten, doch kaum war Gregor bestattet, so erschien er selbst trotz dem ausdrücklichen Verbot der drei regierenden Kardinäle in Rom, zunächst nur mit einem Gefolge von dreißig Mann, aber an jeder Straßenecke nahm die Zahl seiner Anhänger zu, und auf dem Wege von seinem Palast bis zu dem des Kardinals Medici schwoll sie auf zweitausend an. Wozu diese drohende Geste?

Gregor hatte ihm ein strittiges Lehen fortgenommen, aber er hatte es bereits wieder besetzt. Was wollte er also? Verhüten, daß eine Kreatur dieses Papstes gewählt wurde, oder dem Konklave seinen eigenen Kandidaten aufdrängen? Niemand erfuhr es, aber man machte sich schon auf neue Straßenkämpfe gefaßt. Zum Glück verließ er Rom wieder, wie er gekommen war, offenbar aus Furcht vor seiner Verhaftung, aber die Warnung war doch beachtlich. Man mußte rasch einen neuen Papst wählen und klare Verhältnisse schaffen.

Dem Brauche gemäß begann das Konklave erst zehn Tage nach dem Tode des Papstes. Es war an einem Ostersonntag -- genau vier Jahre nach der Ermordung Francesco Perettis. In der überfüllten Peterskirche wohnten die Kardinäle dem Hochamt und der Predigt bei, dann zogen sie feierlich in den Vatikan ein und begaben sich in ihre Zellen, die in der Sala ducale und den anstoßenden Gemächern und Gängen hergerichtet waren. Zum Zeichen der Trauer waren sie mit violettem Tuch ausgeschlagen. Am nächsten Tage traf noch der Kardinal Andreas von Österreich ein, der Sohn des Erzherzogs Ferdinand und der schönen Philippine Welser. Der war trotz seiner Beleibtheit in sechs Tagen von Innsbruck nach Rom geritten und kam gestiefelt und gespornt vor dem Vatikan an, wo er halbtot aus dem Sattel sank. Das Konklave war bereits geschlossen, aber nach einigen Schwierigkeiten ließ man ihn noch ein.

Schon vor Gregors Tode hatten sich Parteien im Heiligen Kollegium gebildet, und jetzt erörterte man im Konklave wie in der Stadt eifrig die Aussichten der papstfähigen Kandidaten. Unter ihnen nannte man auch den Kardinal Montalto. Für ihn war besonders die öffentliche Meinung in Rom, wogegen die Prälaten und Höflinge und die kleinen Diplomaten es für ausgeschlossen erklärten, daß der Kardinal Medici diese Wahl seines Schwagers wegen zulassen werde. Übrigens schien Medici selbst diese Meinung zu rechtfertigen, denn er erklärte Montaltos Kandidatur für aussichtslos. So blieb diesem denn nichts als sein einstiges Verdienst und das Wohlwollen der von seinem Gönner, dem heiligen Papst Pius V., erhobenen Kardinäle.

Ihm gegenüber aber standen mächtige Gruppen, vor allem die beiden Nepoten des letzten Papstes und die zahlreichen Kardinäle, die ihm den Purpur verdankten, schließlich auch der einflußreiche Kardinal von Como, der unter den zwei letzten Päpsten die auswärtigen Geschäfte geleitet hatte. Und neben diesen Emporkömmlingen standen die großen Kardinäle, Angehörige der Herrscherhäuser wie Andreas von Österreich, die Kardinäle Farnese, Este und Medici, und ihnen fast ebenbürtig die Sforza, Colonna, Savelli und andere Große.

Sie alle waren durch Geburt, Verdienst oder Glück ausgezeichnet, die Auslese der Kirche, Männer aus niederstem Stande neben solchen aus fürstlichem Geblüt, manche von leidendem Ehrgeiz erfüllt und alle in Parteien gespalten. Zwei sich widerstrebende Strömungen trieben sie wie Wind und Welle gegeneinander. Die eine entsprang aus der gegenseitigen Eifersucht der italienischen Staaten, die andere aus den Gegensätzen der europäischen Großmächte. Jeder große Kardinal vertrat die Interessen seines Hauses, und jeder große katholische Herrscher hatte das Recht zum Ausschluß eines mißliebigen Kandidaten durch seinen Kardinal-Protektor, der sein »Geheimnis« besaß. Dazu kamen noch die persönlichen Nebenbuhlerschaften der Kardinäle. Fürwahr, ein verworrenes Gewebe geistlicher und irdischer Belange, ein Labyrinth, in dem nur ein kluger Kopf sich zurechtfinden konnte! Und ein hohes Spiel, denn der Einsatz war die dreifache Krone.

Die Spieler verrieten sich nur durch die Karten, die sie ausspielten. Anfangs war es bloß ein gegenseitiges Sichanfühlen, ein Verschleiern der eigenen Absichten, ein Erraten der Gegenspieler. Lauter tiefe Menschen, die zu schweigen verstanden und ihre Mienen in der Gewalt hatten, gewiegte Seelenkenner, die sich gegenseitig zu durchschauen suchten, allesamt vorsichtig und mißtrauisch, höflich und verstellt.

Tagelang herrschte im Vatikan das Gewirr und Gesumme eines Bienenstockes, ohne daß das Chaos sich klärte. Schon am ersten Tage war ein Wahlgang in der Sixtinischen Kapelle erfolgt, aber die Stimmzettel waren ohne Ergebnis verbrannt worden. Das Volk, das draußen auf dem Petersplatz harrte, ersah es aus der Fumata, dem Aufsteigen einer Rauchwolke aus einer bestimmten Esse. Trotzdem harrte es weiter aus, um bei jeder neuen Fumata in ein neues Geschrei der Enttäuschung auszubrechen.

In der Stadt liefen die widersprechendsten Gerüchte um. Man wettete auf die entgegengesetztesten Kandidaten, die einen auf Farnese, die andern auf Montalto, auf Savello, den einzigen Freund des Verstorbenen, oder auf Sirletto, der für einen Heiligen galt.

Plötzlich hieß es, Farnese sei Papst geworden. Das Volk, das den prachtliebenden Kirchenfürsten schätzte, tobte durch die Gassen und schrie: »Es lebe der Heilige Vater!« Andere wollten in seinen Palast eindringen, um dort zu plündern. Nun war es zwar von alters her Fug und Recht, daß das Gesinde des Vatikans die Zelle des neuen Papstes ausraubte, aber der Pöbel wollte dies Recht auch auf den schätzereichen Palast ausdehnen. Sehr betroffen kehrte er um, als er erfuhr, daß Farnese noch nicht gewählt sei.

Im Vatikan herrschte kein geringerer Wirrwarr; man fürchtete bereits eine lange Dauer des Konklaves. Und doch war Eile geboten, denn schon verbreiteten sich bedrohliche Gerüchte von einem Handstreich der Banditen, und eine halbe Nacht lang wagten die Kardinäle kein Auge zu schließen. Endlich erfuhr man, daß auch dies blinder Lärm gewesen war, und alles begab sich zur Ruhe.

Nur ganz allmählich klärte sich die Lage ein wenig, indem die Kardinal-Protektoren von ihrem Ausschlußrechte Gebrauch machten. Da sah man manchen geknickten Ehrgeiz unter der Maske des Gleichmuts.

Schließlich gab der Gegensatz zwischen den Häusern Farnese und Medici den Ausschlag. Dem klugen Florentiner lag nur an der Größe seines Hauses, dessen Oberhaupt er selbst eines Tages werden konnte, wenn sein kinderloser Bruder starb. Er wollte um jeden Preis verhindern, daß sein Feind oder ein Kardinal seiner Partei gewählt werde. Durch geschickte Ränke hatte er den Kardinal von Este, den Vetter des Königs von Frankreich und Bruder des Herzogs von Ferrara, auf seine Seite gebracht, während Farnese sich auf die Spanier stützte. Este war fast ebenso reich wie Farnese und gab ihm an fürstlicher Lebenshaltung nichts nach. Er war ein Gönner der Künste und freigebig gegen die Armen. Aber er war kränklich und hegte keinen persönlichen Ehrgeiz; Farnese dagegen, der schon mehrere Päpste gemacht und selbst mehrfach dicht vor der Papstwahl gestanden hatte, wollte nun endlich das Ziel seiner Wünsche erreichen. Es war die letzte Gelegenheit für ihn, denn er war fast doppelt so alt wie sein Gegner. Nur mit einem hätte er sich abgefunden: das war Gregors Freund Savelli, der in Madrid beliebt war, doch in Rom durch sein barsches und rechthaberisches Wesen abstieß.

Der Endkampf nahte also heran, und die Erregung steigerte sich bis zur Siedehitze. Aber je heißer die innere Glut, desto größer ward die äußere Kälte, feurige Lava im Kampfe mit Eis. Jede falsche Regung der Leidenschaft konnte verderblich werden, jede kalte Berechnung zum Siege führen.

An sich hatte Farnese noch immer die besten Aussichten. Er war der Neffe des Papstes Paul III., der Bruder des Herzogs von Parma und Oheim des Kriegshelden Alexander Farnese, der die Türkenflotte in den Grund gebohrt hatte und jetzt in Flandern Sieg um Sieg erfocht. Zudem war er der Senior des Heiligen Kollegiums und Vizekanzler der Kirche.

Um seine Wahl zu vereiteln, stellte Medici dem Kardinal von Este die Wahl zwischen Albani und Montalto, der damit zum erstenmal auf die Liste der Kandidaten kam. Albani war der Kardinal-Protektor Frankreichs und Montalto der Mann seines eigenen Hauses. Aber Farnese und die Spanier leisteten heftigen Widerstand, und Frankreichs Einfluß war gering, denn es befand sich in der vollen Gärung des Glaubenskrieges, die selbst mehrere französische Kardinäle vom Konklave abgeschnitten hatte. Da ließ Medici seine Kandidaten fallen und wiegte die Gegner in trügerische Sicherheit.

Doch die Zeit drängte und er mußte sich nach neuen Verbündeten umsehen. Er gewann zunächst den Kardinal Altemps, den Vertrauensmann des deutschen Kaisers. Der hieß eigentlich Hohenembs, aber die Italiener, die seinen Namen nicht aussprechen konnten, hatten ihn derart verwelscht. Altemps war ein Nepot Pius IV., mit dem Hause Österreich sowie mit den Farnese und Orsini verwandt; er hatte einen natürlichen Sohn, der als Graf Hohenembs legitimiert worden war.

Medici schüchterte ihn zunächst durch die Drohung ein, er werde seinen Feind Ceneda zum Papste machen; dann brachte er ihn selbst dahin, den Namen Montalto auszusprechen.

»Ich sehe wohl,« sagte Altemps, »Ihr wollt den Mönch. Aber ist er nicht ein Feind Eures Schwagers Orsini?«

Wie erstaunte er, als Medici ihm versicherte, Montaltos Rache sei künftig ebensowenig zu fürchten wie bisher.

»Nun, was geht es mich auch an«, versetzte der Deutsche. »Ich nehme Montalto an. Er ist mir lieber als Savello oder ein anderer spanisch Gesinnter.«

»Trotzdem brauchen wir den Beistand der Spanier,« entgegnete Medici, »denn sie sind zahlreich.«

Altemps versprach mit dem Kardinal Madruccio zu reden.

Dieser Madruccio, Erzbischof von Trient, der Sproß eines südtiroler Herrengeschlechts, war nämlich Spaniens Vertrauensmann im Konklave. Mit ein paar spanischen Kardinälen war er eben erst unter starker Verspätung angelangt und hatte sich, obwohl von der Reise erschöpft, sofort in den Vatikan tragen lassen. Da man auch Andreas von Österreich noch nachträglich eingelassen hatte, durfte man ihm den Eintritt ins Konklave nicht versagen. Sein Erscheinen erregte Aufsehen, und tatsächlich führte es die Entscheidung herbei.

Altemps war im Grunde sein politischer Gegner, aber beide Kirchenfürsten waren erhaben über die kleinlichen Ränke, die feigen Befürchtungen und die selbstsüchtigen Hinterabsichten, die sich rings um sie regten. Sie begegneten sich in dem Gedanken, daß die Kirche in diesen Sturmzeiten ein starkes Oberhaupt brauche, das über den Parteien stand. Montalto aber war politisch neutral, und seine Verdienste um die Kirche waren bekannt. So einigten sie sich auf Montalto und verabredeten sich die Einzelheiten.

Sie wollten einen Gewaltstreich wagen und die Wahl nicht durch Stimmzettel, sondern durch die sog. Adoration. d.h. durch den Zuruf der Mehrheit erzwingen. Zu diesem Zweck sollten sich alle Kardinäle am nächsten Morgen in der Sixtinischen Kapelle versammeln.

Montalto hatte sich bisher völlig zurückgehalten. Er wußte, daß er nur auf Erfolg rechnen konnte, wenn gebieterische Umstände sein einstiges Verdienst begünstigten und es den Neidern verzeihlich machten. Zudem hatte Medici ihm sein Verhalten genau vorgezeichnet, und es entsprach ja auch seiner bisherigen Aufführung. Bis zuletzt war es sein Schicksal, abwarten zu müssen, aber auch seine Stärke, es zu können. Doch sein Inneres glühte: endlich schien der schon halb begrabene Traum seines Lebens in Erfüllung zu gehen!

Er fühlte sich wie ein gefangener Aar, dessen Gitterstäbe sich plötzlich lockern. Er reckte die Flügel und dürstete nach Freiheit und weitem Raum. Aber während er im Geiste schon nach der dreifachen Krone griff, stand ihm noch eine letzte Prüfung bevor, denn Medici stellte eine Bedingung.

Während Altemps das entscheidende Gespräch mit dem Spanier hatte, erschien der Florentiner insgeheim in Montaltos Zelle. Es war schon Abend, und er nahm die Dunkelheit wahr wie ein Dieb.

»Fra Felice,« sagte er, »ich knüpfe sonst keine Bedingung an Eure Wahl. Nur eins frage ich Euch: Wie werdet Ihr es mit Paolo Giordano Orsini halten?«

Montalto verzog keine Miene, aber er fühlte, wie das Blut ihm zum Herzen schoß. Wie ein Mensch in Todesgefahr sein ganzes Leben noch einmal in Sekunden durchlebt, so jagten all die Schreckensbilder der letzten Jahre jetzt durch sein Hirn. Er sah sich vor Francescos Bahre kniend, sah das falsche, dreiste Gesicht seines Mörders, der ihm sein Beileid aussprach, sah das tränenüberströmte Antlitz Camillas und den ewigen Vorwurf in ihrem Blick ... Dann wieder sah er sich gottergeben in seiner Villa ... und plötzlich war er in ein Getümmel verstrickt, während sein Diener röchelnd zu Boden sank, vom Degen eines Orsini durchbohrt ...

Medici räusperte sich, um ihn aus seiner Geistesabwesenheit aufzurütteln. Da kam er wieder zu sich, nahm sich zusammen und sagte mit fester Stimme:

»Ich werde die Angehörigen des Hauses Medici als meine eigenen Verwandten betrachten.«

»Ein Mann, ein Wort«, versetzte der Florentiner und drückte ihm die Hand. Im nächsten Augenblick war er verschwunden.

Montalto starrte lange vor sich hin, als erblicke er ein Medusenhaupt. Die Lampe warf gelben Schein auf die violette Wandbespannung.

Plötzlich stand er auf, warf sich auf sein Betpult und murmelte:

»Gott, ich danke dir, daß du mich diese Prüfung bestehen ließest!«

Ein paar Tränen rollten in seinen grauen Bart ...

Es ging schon auf Mitternacht, als er leise Tritte vor seiner Tür hörte und ein Mann in schwarzem Priestergewand eintrat, lautlos wie ein Gespenst. Erst bei schärferem Zusehen erkannte er in dieser Vermummung seinen alten Freund Alessandrino, den Neffen des heiligen Papstes Pius V. Den Finger an den Mund legend, flüsterte er:

»Ich habe das Kleid meines Schreibers angelegt, um die Gegner zu täuschen. Heil dir, es geht alles zum besten!«

Und noch leiser setzte er hinzu, denn die Wände hatten Ohren:

»Die Spanier sind uns sicher. Ich sprach mit Madruccio. Morgen wird sich alles entscheiden. Ich bin schon von Zelle zu Zelle geschlichen, um unseren Freunden die Losung zu geben. Hoffentlich hat mich keiner von den Farnesianern gesehen. Bisher sind sie völlig ahnungslos; ihr Oberhaupt schläft den Schlaf des Gerechten und schnarcht.«

Ein Weilchen tuschelten die beiden Kirchenfürsten noch wie zwei Verschwörer, dann schlich Alessandrino auf leisen Sohlen zur Tür. Auf der Schwelle drehte er sich noch einmal um und flüsterte: »Weißt du, daß morgen der Gründungstag Roms ist? Ein gutes Vorzeichen!« Und er huschte hinaus.

Montalto legte sich angekleidet auf sein Bett. Er vermochte kein Auge zu schließen. Immer wieder traten Bilder von ungeheurer Größe vor seine fiebernde Seele. Er war wie ein Feldherr am Vorabend der Entscheidungsschlacht oder wie ein Künstler im Rausch eines großen Werkes. Dreizehn Jahre schwerster Prüfung schienen wie durch Zauberschlag ausgelöscht. Er begann sein Leben von neuem, wo er es beim Tode des heiligen Pius abgebrochen hatte. Wie ein Phönix stand er aus seiner Asche auf.

Wahrlich, ein anderer als er wäre verzweifelt an der furchtbaren Erbschaft, die ihm jetzt schon greifbar bevorstand! All die grauenhaften Mißstände, die er am eigenen Leibe erfahren, die Hydra der Anarchie in Stadt und Land, die Leere der Staatskassen -- alles prophezeite den Untergang. Nur ein Herkules konnte diesen Augiasstall reinigen; er aber stand an der Schwelle des Greisenalters.

Doch Montalto war in den furchtbarsten Prüfungen nicht zerbrochen. Er glaubte sich von Engeln geführt und des Sieges gewiß. Eine Stimme sprach zu ihm: »Du wirst über Schlangen schreiten; Löwen und Drachen wirst du zertreten.« Er fühlte sich von Gott erkoren, das zu sühnen, was Gregor gesündigt hatte. All die Pläne, die er jahraus, jahrein in seinem Busen gewälzt und immer wieder begraben hatte, zogen an seinem Geiste vorbei. Ungeheueres forderte von ihm die Zukunft, doch er gelobte Gott, nie zu erlahmen.

Schließlich fielen seine brennenden Lider zu, und er schlief eine Weile, bis Medici ihn wecken ließ. Der Entscheidungstag brach an.

Der Florentiner war schon bei Morgengrauen auf den Beinen. Er ließ Montalto in Madruccios Zelle bitten; dort wiederholte er ihm, was er schon wußte, und gab ihm Ratschläge für sein weiteres Verhalten. Auch er glaubte, die Farnesianer überlistet zu haben.

Aber während er mit Montalto sprach, hatte Farnese eine andere Unterredung mit Este, aus der dieser zu seinem Schrecken ersah, daß sein Gegner alles wußte. Sonst von bestrickender Liebenswürdigkeit, war Farnese heute fast grob, und in seinem übernächtigen Antlitz flackerten ein paar kranke Augen. Er wußte, es war das letzte Mal, wo er im Konklave war; entweder das offene Grab oder der Stuhl Petri.

Geradezu fragte er Este, was er vorhabe. Der entgegnete verlegen, er werde sich nach dem Kardinal Altemps richten; im übrigen wolle er sich der Mehrheit nicht widersetzen.

»Und Ihr glaubt, Medici werde den Feind seines Schwagers zum Papste machen?« fragte er. »Wißt Ihr nicht, daß Paolo Giordano schon vor dem Konklave bei allen Kardinälen umhergelaufen ist und sie fußfällig angefleht hat, ihn nicht zu wählen?

Este zuckte die Achseln.

»Und entsinnt Ihr Euch noch, wie der Mönch unter Pius V. durch seine unmäßige Strenge überall verschrien war? Wollt Ihr einen Inquisitor zum Papste machen, der die Künste ächtet und Rom in ein Kloster verwandelt? Das wäre nicht gerade nach Eurem Geschmack.«

»Die Mehrheit wird es entscheiden«, entgegnete Este.

»Nun, da bin ich ohne Sorge. Sie rennt nicht in ihr Verderben.«

Este ließ den Eifernden stehen und ging nach der prunkvollen Sala regia, in der sich schon andere Kardinäle eingefunden hatten. Eben wollte er mit ihnen die anstoßende Peter-und-Pauls-Kapelle betreten, wo die Frühmesse stattfinden sollte, als er Altemps begegnete. Zwischen den Türen flüsterte er ihm zu, daß die Gegenpartei alles wisse.

»Um so schlimmer für Montalto«, entgegnete der Deutsche.

Este setzte sich neben Gregors Nepoten Guastavillani, der schon da war. Er kannte ihn als unentschlossen und bestimmbar.

Die Messe begann. Weihrauch wallte empor und umwölkte die beiden großen Wandfresken, Michelangelos Alterswerk. Ein silbernes Glöckchen erklang, und das Meßopfer ward vollzogen. Während Este neben dem Nepoten auf seinem Betstuhl kniete, flüsterte er ihm ins Ohr:

»Montaltos Wahl ist gesichert, mit oder ohne Euch. Es liegt also in Eurem eigenen Vorteil, ihr nicht zu widerstreben.«

Er sah, wie der andere erschrak. Dann hörte er ihn flüstern:

»So weit ist es noch nicht.«

»Doch«, entgegnete er. »Verlaßt Euch darauf. Die Anhänger wollen zur Adoration schreiten. Jeder Widerstand wäre umsonst. Sagt das den Gregorianern, vor allem Eurem Vetter San Sisto. Euer Widerspruch könnte nur zu peinlichen Szenen führen und Euch selbst schaden.«

»Wenn es so ist,« stöhnte der Nepot, »so möge Gott uns beistehen.«

»Amen!« versetzte Este.

Die Tür der Kapelle öffnete sich wieder, und die Kardinäle kehrten in die Sala regia oder in die Sixtinische Kapelle zurück. Wie ein aufgescheuchter Bienenschwarm liefen alle hin und her. Dann entstanden Gruppen, aus denen spöttische Worte oder Vorwürfe schallten. Man sah erregte, bleiche oder strahlende Gesichter. Die Türen zwischen beiden Sälen gingen immerfort auf und zu.

Farnese hatte seine weltmännische Höflichkeit ganz verloren. Er schalt laut auf Este, dann auf Medici. Seine Augen sprühten, und seine hohe, schwere Gestalt reckte sich drohend auf. Er erkannte jetzt, daß er geschlagen war. Medici stand ihm gegenüber, als wolle er sich eines Angriffs erwehren; sein Antlitz war fast so rot wie sein Purpurkleid. Einen Augenblick schien alle Würde vergessen.

Plötzlich drängten alle Kardinäle wieder nach der Peter-und-Pauls-Kapelle und rissen die beiden Kampfhähne mit.

»Zur Abstimmung!« rief Este. »Der Papst ist gewählt. Adorieren wir ihn.«

Lautes Händeklatschen erscholl, und dreißig Stimmen riefen:

»Montalto! Montalto!«

Medici, Altemps und Este hatten ihn in die Mitte genommen und schoben ihn in die Kapelle. Alle anderen drängten hinterher. Er trat vor den Altar und wandte sich ihnen zu. Auf den Stufen stehend, ragte seine gedrungene Gestalt über alle hinweg. Da warfen sie sich ihm zu Füßen; keiner wagte, stehenzubleiben noch gar Widerspruch zu erheben. Selbst Farnese vollzog den Ritus der Adoration. Dann richteten sich all die tonsurierten oder kahlen Häupter wieder auf und bedeckten sich mit ihren viereckigen Mützen.

Da fragte Medici laut: »Welchen Namen wird Eure Heiligkeit führen?«

»Sixtus der Fünfte«, sagte Montalto mit fester Stimme.

Auch der Vierte dieses Namens war Franziskaner gewesen, gleich ihm aus niederem Stande, der Sohn eines armen ligurischen Fischers. Er hatte die Sixtinische Kapelle erbaut, die dann Buonarotti mit seinen unsterblichen Meisterwerken erfüllt hatte.

Nach und nach leerte sich die Kapelle und die fiebernde Spannung verebbte. Farnese wankte gebrochen hinaus. Die Gregorianer schlichen beschämt und verwirrt fort oder zankten sich mit den beiden Papstneffen, während die drei Papstmacher den Erwählten beglückwünschten und ihn ihrer Ergebenheit versicherten. Er lächelte ihnen freundlich zu und dankte ihnen für ihre guten Dienste, indes sie ihn in die Gemächer seines Vorgängers geleiteten; denn in seiner eigenen Zelle herrschte wildes Getümmel.

Wie ein Lauffeuer hatte sich die Kunde von seiner Wahl durch den Vatikan verbreitet, und das Hausgesinde stürzte sich wie ein Schwarm von Raubvögeln in seine Zelle, riß das violette Tuch von den Wänden und balgte sich um das bißchen Hausrat.


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