Friedrich v. Oppeln-Bronikowski
Schlüssel und Schwert
Friedrich v. Oppeln-Bronikowski

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27. Die verkappten Lutheraner

Durch die Porta del Popolo ritten zwei vornehme Fremde in Rom ein, gefolgt von vier bewaffneten Dienern, deren Pferde große Packtaschen trugen. Kaum hatten sie das Torgebäude erreicht, so fielen Mautbeamte über sie her und wollten ihr Gepäck untersuchen. Der eine Reiter, ein baumlanger Mann mit rotblondem Haar und feuerroten Wangen, sträubte sich dagegen und griff nach der Börse, um den Plagegeistern ein Lösegeld zu geben, aber sie schüttelten beharrlich den Kopf. »Das gibt es nicht mehr«, sagte der älteste Zöllner. »Papst Sixtus hält auf gute Polizei. Ihr müßt es schon dulden.«

Der Hüne erhob die Reitgerte, als wolle er auf den Beamten einschlagen, aber sein Begleiter, ein mittelgroßer, braunhaariger Mann, fiel ihm in den Arm.

»Um Gottes willen,« sprach er auf Deutsch, »fangt doch hier nicht gleich so an. Wollt Ihr den Papst sprechen oder mit seinen Kerkern Bekanntschaft machen?«

»Damned country«, knurrte der andere.

Schließlich ließ er sich bereden, und alle sechs saßen ab. Die beiden Herren warfen ihre Zügel den Dienern zu, und während diese die Packtaschen öffneten, ließen sie selbst ihre Blicke umherschweifen, als ginge die Zolluntersuchung sie nichts an. Links an das Tor schloß sich eine Kirche in edlen, schlichten Formen, an die ein weitläufiges Kloster stieß. Mitten auf dem weiten Platze ragte der Obelisk, der kürzlich dort aufgerichtet war, und nicht weit davon sah man ein mächtiges steinernes Waschbecken, an dem Scharen von Weibern wuschen oder auf Brettern kniend, ihr Leinen mit flachen Holzstücken walkten. Rudel von Maultieren, von barfüßigen Treibern mit Stecken angespornt und mit schweren Traglasten bepackt, Reiter und Fußgänger zogen, Staub aufwölkend, vorüber und strebten den drei schnurgeraden Straßen zu, die von dem Platze ausstrahlten. Links erhob sich in steilem Absatz ein wüstes Hügelland, dessen Zypressen und immergrüne Eichen des Winters spotteten, und rechts hinter dem Häusermeer wölbte sich fernab die riesige Kuppel des Petersdomes in den heiteren, lichtblauen Himmel empor, noch von Gerüsten umspannt wie von Spinneweben, aber schon endgültig in der reinen Harmonie ihrer Linien. Meilenweit hatten die Fremdlinge dies Wahrzeichen Roms erblickt, und je höher es emporwuchs, desto größer war die Bewunderung des Deutschen geworden.

Ein paar zerlumpte Bettler drängten sich an die Ankömmlinge heran und baten weinerlich um ein Almosen. Hinterdrein kam noch einer auf Krücken gehinkt und führte die Finger zum Munde, als bäte er um Brot. Der Engländer blickte an ihnen vorbei, als wären sie Luft, aber der Deutsche griff in seine Tasche und warf ihnen ein paar Kupfermünzen hin. Während sie sich noch darum balgten, erschien aus dem Torhaus ein Sbirre und jagte sie barsch fort: »Wißt ihr nicht, daß Betteln verboten ist!« herrschte er sie an. »Marsch, ins Hospiz!« Da nahmen sie schleunig Reißaus. Selbst der Lahme schien plötzlich laufen zu können.

Ein paar Müßiggänger waren herbeigeschlichen und glotzten die fremden Vögel an. Besonders der Lange mit seinen jähen Gebärden und seinen seltsamen Lauten erregte ihre Neugier und ihren Spott. Zum Glück verstanden sie nicht, was er sagte, sonst hätte es wieder Auftritte gegeben. Einer von ihnen trat an den Deutschen heran, zog seinen schmierigen Hut und erbot sich, die Herren in einen Gasthof zu führen. »Ein prächtiger Gasthof mit gutem Wein und frischen Mädchen«, sagte er.

»Danke«, entgegnete der Deutsche ruhig. »Wir wohnen im Orso. Bemüht Euch nicht.«

Da zog der Mann betrübt ab.

»Seht Ihr, Mylord«, fuhr der Deutsche fort, »so muß man hier mit den Leuten verfahren. Ihr müßt Euch endlich den Landessitten bequemen, sonst werdet Ihr schlechte Geschäfte machen. Denn ich kann hier nicht immer bei Euch sein wie auf der Reise.«

In der Tat waren beide seit Ancona zusammen geritten und in den gleichen Gasthöfen eingekehrt. Beide waren verkappte Lutheraner und von ihren Höfen als geheime Agenten nach Rom gesandt. Der Deutsche kam aus Wittenberg vom Kurfürsten von Sachsen, und auch der Brite kannte diese Hochburg der Ketzerei, denn er hatte auf der hohen Schule zu Wittenberg studiert, und so verstand er noch halbwegs die neue Sprache, die Luther durch seine Bibelverdeutschung geschaffen und zum Gemeingut gemacht hatte. So hatten denn beide sich bald angefreundet und sich schließlich Anvertrauungen gemacht. Der englische Hüne war dem Sachsen sehr lieb auf den Landstraßen gewesen, denn er hätte mit jedem Räuber kurzen Prozeß gemacht, und er selbst hatte ihm in den Städten oft ausgeholfen, denn er sprach leidlich Italienisch, das jener nur radebrechte. Allerdings hatten die Wutanfälle des Briten in den Quartieren ihm manchen Ärger bereitet; er hatte sich oft ins Mittel legen müssen, um Raufereien zu verhüten oder gar Dolchstiche abzuwenden. Und jetzt mußte er schon wieder dazwischentreten.

Die Zöllner hatten nämlich ein Buch in fremder Sprache entdeckt und wollten es beschlagnahmen. Fluchend ging der Lord auf sie zu und schrie mit erhobener Gerte: »Das ist ein Fremdenführer! Gebt es sofort wieder heraus oder ...«

Doch die Römer verstanden sein Kauderwelsch nicht.

»Eure Exzellenz beruhige sich«, sagte der Älteste. »Ich habe Befehl, alle Bücher zu beschlagnahmen und sie dem Heiligen Offizium einzureichen. Es wird Ihnen die erlaubten Bücher zurückgeben. Belieben Sie nur, Ihre Namen und Ihr Gasthaus hier einzuschreiben.«

Der Sachse kam hinterdrein, um neue Tätlichkeiten zu verhüten. Er zog ein Schriftstück aus seiner Brusttasche und sagte:

»Wir haben Empfehlungen an die Kardinäle Santi Quattro und Santa Severina. Vielleicht genügt das.«

Der Beamte warf einen Blick hinein, verbeugte sich und sprach: »Schade, daß Eure Exzellenz das nicht gleich gesagt hat. Ihr Gepäck ist frei.« Und er winkte den Zöllnern, die Untersuchung einzustellen.

Als die Reisenden wieder aufsaßen, fragte er sie noch, wo sie absteigen wollten.

»Im Orso«, wiederholte der Deutsche.

»Wohl, das ist der erste Gasthof in Rom. Reiten Sie nur hier rechts die Ripetta hinauf bis zum Tiber und dann immer am Flusse entlang bis zur Engelsbrücke. Da wird Ihnen jedes Kind Bescheid geben.«

Sofort erbot sich ein Eckensteher mitzulaufen. Er ließ sich auch nicht abschrecken, als die Reiter im Trab über den Platz ritten, sondern lief keuchend hinterdrein, aber wohlweislich auf der Seite des Deutschen und nicht neben der Gerte des bösen Engländers.

Gartenmauern und ärmliche Häuser ohne Fensterscheiben säumten die Straße, in die sie einbogen. Dann folgten hohe Paläste, bis ans Dach mit bunten Fresken bemalt, und plötzlich umfing sie das bunte, geräuschvolle Treiben des Ripettahafens. Der Brite blickte verächtlich darüber hinweg.

»Dies müßte Euch doch an London gemahnen, Mylord«, versetzte der Deutsche.

»Goddam,« entgegnete der andere, »wenn es nur auf den Lärm ankäme, ja. Denn sie machen einen Spektakel, als wäre hier wunder viel los. Und doch sind es nur armselige Schleppkähne und Ruderboote, keine hochbordigen Kauffahrer und kühnen Segler, die das Weltmeer durchfurchen.« Und er ritt achtlos durch das Volksgewimmel, das vor den Hufen seines Pferdes kreischend auseinanderstob.

Der Deutsche war froh, als sie in stillere Gassen kamen, die am Tiber entlangführten. Hin und wieder hob sich aus dem Häusergewirr ein Palast mit strengen Säulengeschossen oder ein mittelalterlicher Adelsturm, der sich der neuen Zeit widersetzte. Der Cicerone, der nebenherlief, deutete über den Fluß weg auf einen riesenhaften Rundbau, der mit kleineren Bauten bekrönt war: die Engelsburg. Und dahinter ragte immer gewaltiger die Kuppel des Petersdomes mit dem Wald ihrer Gerüste.

»Ein tolles Land«, brummte der Engländer. »Ganze Stadtviertel liegen verödet, und in anderen baut man auf Teufelholen. So ist alles hier; in der Gosse da steht noch Eis, und in der Sonne schwitzt man.«

Mit unnennbaren Empfindungen sog der Deutsche diese ersten Eindrücke ein. Mehr zu sich selbst als zu seinem mürrischen Gefährten sagte er: »Nun wird der Traum meiner Sehnsucht endlich Wirklichkeit. Als Knabe las ich auf der Burg meiner Väter die alten Autoren. Mein Präzeptor war ein trefflicher Humanist. Ich kannte den Tiber und das Kapitol, noch ehe meine Augen sie sahen. Ich habe das Leben des Cäsar, Augustus und Scipio besser im Kopfe als das meines Vaters. Sie sind gestorben und er auch. Aber er hat sich von mir und dem Leben in achtzehn Jahren weiter entfernt als sie, die schon fast zwei Jahrtausende tot sind. Und nun soll ich alle die Orte sehen, die mit ihrem Leben verknüpft sind, und wohin ich den Fuß setze, werde ich Spuren einer großen Vergangenheit finden.«

»Ihr seid ein guter Kenner der alten Schriften und in Schattenbilder verliebt«, sagte der Brite geringschätzig.

»Keineswegs«, wandte sein Gefährte ein. »Rom ist auch heute der Nabel der Welt. Weshalb kommen wir beide denn her? Um dort, neben jener unvergleichlichen Kirche, die Sache unseres Landes zu verfechten. Alle Völker streben dorthin, wie Gestirne, welche die Sonne umkreisen.«

»Gott sei's geklagt, ja«, murrte der andere. »Aber dadurch wird Rom mir nicht lieber. Ich sehe hier nichts, als was ich bisher in Italien sah. Prunk und Elend stoßen aufeinander, und das pomphafteste Heidentum dient zur Stütze der Frömmelei.«

»Ja, Italien ist reich an Gegensätzen«, nickte der Deutsche. »Und just darum ist es schön. Ein jeder kommt hier auf seine Rechnung. Man kann sich in das Altertum versenken oder die neuen Herrlichkeiten bestaunen, sich der Andacht hingeben oder das Treiben des Volkes anschauen. Welche Fülle überall und welche Mannigfaltigkeit!«

»Goddam!« fluchte der Lord, »ich kenne nur ein Land, das schön ist, mein England. Aber selbst Euer Deutschland ist mir lieber als dies verfluchte Italien. Als ich im verwichenen Herbste durch Schwaben reiste, kam ich durch freundliche, saubere Städte und Dörfer mit buntbemalten Giebelhäusern und blinkenden Fensterreihen, hinter denen weiße Gardinen hingen. Vor den Türschwellen spielten blonde, saubere Kinder mit apfelroten Wangen und blauen Augen. Dann wieder kam ich durch rauschende Wälder und an sanftströmenden Flüssen entlang. In der Schweiz mußte ich eine Weile stilliegen, denn die Straßen waren voller Neuschnee und dräuender Lawinen. Endlich wagte ich mich über die schaurigen Alpenpässe mit ihren unwirtlichen Eiswüsten und ihrem weißen Tod. Aber kaum war ich hinüber, so empfing mich eine andere Welt. Schwarzhaarige, gelbhäutige Menschen mit Räubergesichtern und schmutzige, zerlumpte Kinder, grauer Staub und greller Sonnenschein, kahle Berge und fieberschwangere Sumpfniederungen. In den Städten Kirche an Kirche mit ewigem Bimbam, prunkhafte, verwahrloste Paläste und finstere Steinhäuser, schmutzige Herbergen mit harten Betten ohne Wäsche, aber voll Ungeziefer, und nichts zu essen. Keine Tür schloß, und die Fensterscheiben waren zerbrochen. Auf den Straßen faulenzende Mönche, Krüppel und aufdringliches Bettlerpack, freche Buhldirnen, die mir bis ins Gasthaus nachliefen und mich belästigten. Was soll an diesem Lande schön sein?«

»Es ist das Land der Kunst und der Sonne!« sagte der Deutsche weihevoll. »Als ich Deutschland verließ, waren die Straßen ein schneebedeckter Schlamm unter bleifarbenem Himmel. Hier aber umfing mich ewiges Grün und lachende Sonne. Auf den Wiesen blühten die Blumen wie im Mai. Nur die fernen, verschneiten Berggipfel gemahnten noch an den nordischen Winter. Ich liebe diese linde, heitere, klare Luft, diesen Wohllaut der Sprache, die Musik überall, die zum täglichen Leben gehört wie der Wein. Das alles gießt mir neues Leben durch die Adern, setzt mich in einen leisen immerwährenden Rausch. Glückliches Italien!«

Auf der stolzen Römerbrücke, die den Fluß überspannte, drängten sich Wagen, Reiter, Sänften und Fußgänger in zwiefacher Richtung. Alles, was zum Vatikan und zum Petersdom wollte oder von dort zurückkehrte, zog an den Fremden vorüber. Dicht an dieser Schlagader lag ihr Gasthof, ein altertümlicher Ziegelbau. Bald sollten auch sie sich in den großen Strom mischen.


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