Friedrich v. Oppeln-Bronikowski
Schlüssel und Schwert
Friedrich v. Oppeln-Bronikowski

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

13. Die Nadel

Von vielen Bauplänen hatte man in Rom zu Gregors Zeiten geredet, aber ihre Ausführung war stets unterblieben, weil der Wille und das Geld fehlten. Es waren besonders zwei, welche die öffentliche Meinung lebhaft beschäftigten: die Vollendung der Peterskuppel und die Aufrichtung des großen Obelisken aus dem Zirkus des Nero auf dem Petersplatze. Sixtus begann mit dem Kleineren, um mit dem Größeren zu enden. Noch immer ragte die granitene ägyptische Spitzsäule, mit rätselhafter Bilderschrift bedeckt, halb verschüttet unweit der Peterskirche, nahe bei der alten Sakristei. Schon der Papst Paul Farnese hatte sie verpflanzen wollen, aber Michelangelo selbst und sein Schüler San Gallo, die ersten Baumeister der Zeit, hatten es für unmöglich erklärt, diese Steinlast von einer Million römischen Pfunden zu heben und zu versetzen. Und dabei war es geblieben. Allein Sixtus wollte Rom und der Welt zeigen, daß ihm nichts unmöglich sei.

Schon vier Monate nach seiner Thronbesteigung hatte er eine Kommission von Kardinälen, Prälaten und Sachverständigen eingesetzt, und diese hatte einen Wettbewerb ausgeschrieben. Aus ganz Italien liefen die Entwürfe ein, aber die Kommission gab Fontanas Plan den Vorzug. Gleichwohl erschien der Tessiner ihr noch zu jung und zu unerfahren, um das Werk auszuführen, und so übertrug sie es dem Giacomo della Porta, Michelangelos Schüler, der die Arbeiten an der Peterskirche leitete, und dem berühmten Florentiner Baumeister Ammanati.

In den Pinienwäldern von Nettuno klangen unaufhörlich die Äxte, um die stärksten Bäume zu fällen und sie zu riesigen Balken zu behauen, und lange Züge starker, schwarzbrauner Campagnabüffel schleppten die Holzlasten nach dem Borgo. Zugleich dröhnten die Schmieden in Rom, Subiaco und Sora vom Klange der Hämmer, um die mächtigen Klammern und Schrauben zu schmieden, und aus Foligno kam der Hanf für die Taue, die in Rom gedreht wurden. Aber Ammanati bedang sich ein Jahr Bedenkzeit für die Ausführung aus, und der Papst wurde ungeduldig.

Eines Tages erschien Fontana bei ihm und sprach:

»Heiliger Vater, wenn jemand einen Plan gemacht hat, ist er nicht der Berufenste, um ihn auszuführen? Wie kann ein anderer in sein Denken eindringen?«

»Du hast recht, Domenico,« nickte Sixtus, »aber was meinst du damit?«

»Die Nadel.«

So nannte man den Obelisken kurzerhand.

Der Papst sah ihn durchdringend an, dann entgegnete er:

»Wir glaubten dich ohnedies reichlich beschäftigt, und Wir selbst hatten so viele dringende Sachen im Kopfe, daß Wir diese einer Kommission anvertraut haben. Aber wenn viele sich zusammentun, wird stets ein großer Eselskopf daraus. Die Kommission hat dir Unrecht getan, Domenico. Du sollst die Leitung erhalten. Aber es wird eine große Probe für dich sein. Fürchtest du dich nicht?«

Der Tessiner blickte ihn fest an. »Nein, sagte er, »wenn Gott und der Heilige Vater mir beistehen.

In Rom schrie man auf, als man vernahm, daß dieser zugewanderte Maurer den Schüler Michelangelos und den berühmten Ammanati verdrängt hatte. Der kehrte tief verletzt nach Florenz zurück und ward vor Herzeleid krank. Und die Römer orakelten, daß die Sache mißlingen werde.

Seitdem aber kam die Arbeit in Schwung. Der Obelisk ward bis zum Fuße ausgegraben. Ein riesiges Hebegerüst türmte sich empor, und ein ungeheurer Schlitten, auf Rundhölzern ruhend, ward gezimmert. Fünfunddreißig Winden wurden gebaut und der Obelisk selbst mit Brettern verschalt, die durch mächtige eiserne Bänder zusammengehalten wurden. Alles staunte ob dieser gewaltigen Zurüstungen.

Am 7. Mai 1586 sollte das gefährliche Wagnis beginnen. Galt es doch, das Steinungeheuer an armdicken Tauen emporzuheben und es auf den Schlitten niederzulegen. Die Menge der Zuschauer war zahllos. In weitem Umkreise standen hinter einem Holzzaun die Kardinäle, Prälaten und Adligen, dahinter die Volksmassen, von Sbirren im Schach gehalten. Durch öffentlichen Anschlag hatte der Gouverneur von Rom Todesstille geboten und jeden, der einen Laut von sich gab, mit Kerker bedroht. Das war nötig, damit die neunhundert Arbeiter Fontanas Kommando vernahmen.

Mit dem Leibe des Herrn gespeist und durch Gebet gestärkt, begannen sie ihr Tagewerk. Ein Trompetenstoß gab das Zeichen zur Hebung der riesigen Spitzsäule. Es war ein banger Moment, als sie auf ihrem Sockel zu wanken begann und dann langsam emporschwebte. An jeder Winde, die nach Art eines Göpelwerkes gebaut war, zogen im Kreise drei Pferde im Verein mit nervigen Armen. Man hörte nichts als das Knallen der Peitschen, das Kreischen der Winden und Flaschenzüge, das Knacken des Gebälks und das dumpfe Knirschen der Taubündel. Ab und zu schrie Fontana ein Kommando, das die Gruppenführer weitergaben.

Plötzlich zerriß ein donnernder Krach die Stille wie ein Kanonenschuß. Einer der riesigen eisernen Reifen war geplatzt und polterte klirrend in dem Gehäuse herab. Der erste Schreck war gewaltig, aber zum Glück war kein Unheil geschehen, und die anderen Bänder trotzten dem ungeheuren Zuge. Taue wurden an Stelle des Reifens um die Verschalung gewürgt, und die Nadel schwebte eine Weile frei in dem turmhohen Gehäuse, während unter ihr bereits neue Holzmassen geschichtet wurden, um den Druck aufzufangen. Die letzten schlug man mit eisernen Keulen in die Lücke hinein. Der erste Akt des Schauspiels war zu Ende, und die Menge verlief sich befriedigt.

Erst acht Tage danach war es so weit, daß der zweite beginnen konnte. Es war der schwerere Teil der Arbeit: die Niederlegung der Nadel auf den Schlitten. Diesmal war der Zulauf noch größer. Der Platz faßte die Menge nicht; auch die Dächer der umliegenden Häuser waren mit Menschen bedeckt. Alle Gesandten mit ihren Damen, Scharen von Fremden, die vornehmen Römerinnen waren zugegen, an ihrer Spitze Donna Camilla mit ihren Enkelkindern. Die Schweizer Garde und leichte Reiterei hatten vor dem Zaune Aufstellung genommen, um jede Unordnung im Keim zu ersticken.

Wieder gab ein Trompetenstoß das Zeichen zum Anfang. Allmählich sah man die Spitze des Riesen zum Vorschein kommen und aus dem Turmbau heraus sich zur Erde neigen. Die Spannung der stummen Menge ward fieberhaft; aber sie durfte sich nicht nach außen entladen, denn die Römer hatten gehorchen gelernt.

Plötzlich sank die Granitsäule rascher, und die Pferde und Menschen an den Winden wurden wie Spielzeug zurückgerissen. Eine leichte Rauchwolke quoll aus dem Tauwerk auf, und an einem der Stränge züngelten Flämmchen empor wie Sankt-Elmsfeuer. Die furchtbare Reibung hatte das Tauwerk entzündet. Lähmendes Entsetzen packte die Zuschauer; einen Augenblick schwebte malmender Tod über tausend Köpfen. Da schrie mitten aus der Menge eine Frauenstimme:

»Acqua alle funi!« Wasser an die Taue!

»Wasser!« brüllte jetzt auch Fontana.

Eimer flogen von Hand zu Hand und spritzten das löschende Naß empor. Dann senkte die Nadel sich wieder langsam dem Schlitten zu. Endlich langte sie an; das Gebälk krachte; aber sie rührte sich nicht mehr. Das Werk war gelungen.

»Abschirren!« schrie Fontana.

Da brach die lange zurückgedämmte Erregung in tosendem Jubel aus. Nur mit Mühe hinderten die Schweizer und Reiter das Volk, den Zaun zu überklettern, um das Wunder aus der Nähe zu bestaunen.

Mit einem Male sah man über den Köpfen der Menge ein Weib emportauchen. Die Umstehenden hatten die Ruferin auf ihre Schultern gehoben und wehrten den Sbirren, die sie verhaften wollten. Sie hatte das Schweigegebot verletzt, aber den Obelisken gerettet.

Aus einem Fenster des Palastes hatte Papst Sixtus dem aufregenden Schauspiel zugesehen. Als das Volk ihn erkannte, brüllte es: »Zum Vatikan! Zum Heiligen Vater!« Das Weib ward nach dem Palasttor getragen; Fontana, der ihr auf dem Fuße folgte, führte sie selbst dem Papste zu, dem sie zitternd zu Füßen fiel. Dann erklärte er ihm den Vorfall und lobte ihren Mut.

»Wie heißt du?« fragte Sixtus.

»Maria Bresca.«

Und er erkundigte sich nach ihrer Herkunft und ihren Verhältnissen. Sie war Witwe, stammte von ligurischen Schiffern ab und hatte einen Blumengarten am Tiber.

»Gut!« sagte Sixtus. »Wir verleihen dir und deinen Nachkommen das Recht, die Palmenzweige zur Prozession am Palmsonntag zu liefern. Die Kerkerstrafe ist dir erlassen.«

Sie küßte das Kreuz auf seinem silbernen Schuh, und er entließ sie mit seinem Segen. Dann wandte er sich an Fontana:

»Du hast deine Sache meisterhaft gemacht, Domenico«, sprach er. »Wenn die Wiederaufrichtung der Nadel ebenso gelingt, werden Wir mit Unserem Lohne nicht kargen. Aber beinahe wäre es dir doch mißglückt, du Wagehals. War es nicht Gottes Fügung, daß ein ligurisches Schifferweib zur Retterin in der Not ward und dich, den Baumeister, belehrte? Gottes Segen ruht ersichtlich auf diesem Werke. Er will nicht, daß es mißlingt. Aber das darf dich nicht hindern, allen menschlichen Scharfsinn anzuwenden und aus der Erfahrung zu lernen. Gott hilft nur denen, die ihr Letztes hergeben.«

Fast drei Monate währte es, bis alles so weit war. Der Gerüstturm mußte abgebrochen und in der Mitte des Petersplatzes wieder aufgebaut, der Sockel auf schwerem Unterbau errichtet werden. Und da der jetzige Standort der Nadel höher war als der künftige, mußte man noch eine haushohe Fahrbahn aufschütten, die mit Holzmassen versteift ward. Nur ellenweit rückte der Obelisk täglich auf seinem Schlitten vor, und als er endlich angelangt war, brannte die Sommersonne so erbarmungslos nieder, daß man die Aufrichtung bis zum Herbste verschieben mußte.

Endlich kam der Tag, wo das Werk gekrönt werden sollte. Mit Bedacht hatte Sixtus den 10. September dazu bestimmt, den Tag der Kreuzeserhöhung. An diesem Tage sollte zugleich der Herzog von Luxemburg als französischer Sondergesandter in Rom eintreffen, um dem Papste zu huldigen, und mit ihm kehrte der ständige Botschafter, Marquis de Pisany, aus Frankreich zurück. Wie vordem mit Toskana, hatte Sixtus auch mit Frankreich ein Zerwürfnis gehabt, und auch diesmal war er Sieger geblieben. Nun sollten die beiden Franzosen mit ansehen, wie er auch über den toten Stoff Sieger blieb. Dem Brauche zuwider, zogen sie nicht durch die Porta del Popolo ein, sondern durch die Porta Angelica, die stracks auf den Petersplatz führte.

Sixtus hatte ihnen seinen Großneffen, den jungen Michele Peretti, zum Empfange entgegengesandt, und nun kamen sie mit großem Geleit eingezogen, von Trompetern und Nobelgarden eingeholt und von Geschützdonner begrüßt.

Der Platz war schon vom frühen Morgen an mit einer zahllosen Menge bedeckt. Der bewölkte Himmel erleichterte die Arbeit, und diesmal trat kein Zwischenfall ein. Man hatte die Taue im voraus durchnäßt und bespritzte sie dauernd mit Wasserstrahlen.

Die Nadel war schon gut zur Hälfte aufgerichtet, als die Gesandten eintrafen. Um die Zeit zu kürzen, erklärte Pisany dem Herzog flüsternd die Einzelheiten. Dann ging er auf die Peterskirche über, die damals noch ein seltsames Gemisch von Uraltem und Neustem war.

Eine Freitreppe, an deren Seiten die beiden Apostelfürsten die Wacht hielten, führte zu einem Vorbau aus der Zeit Konstantins. Drei Portale durchbrachen die mit erloschenen Mosaiken geschmückte Fassade, in der sich drei Rundbogenfenster öffneten. Hinter ihr ragte die alte Kirchenfront im blassen Schimmer uralter Goldmosaiken, noch erfüllt von dem Geiste des ersten christlichen Zeitalters. Darüber aber schwebte hoch in den Wolken der neue Wunderbau Michelangelos, noch ohne die Kuppel.

Rechts davon erhoben sich die drei anmutigen Säulengeschosse der Loggia, und an sie stieß das Bautengewirr des Vatikans, finstere Gebäude des Mittelalters in seltsamem Verein mit den neuen Herrlichkeiten des letzten Jahrhunderts. So hatte jedes Zeitalter hier seine Spuren hinterlassen, und keins hatte das andere ganz verdrängt.

Immer wieder aber kehrten die Blicke der fremden Gäste zu der Nadel zurück, die sich langsam, ganz langsam emporhob. Erst am Abend stand sie senkrecht und fest auf ihrem Sockel, und die letzten schrägen Sonnenstrahlen vergoldeten ihre Spitze. Da donnerten die Geschütze der Engelsburg abermals, und die Glocken erklangen. Ein ungeheurer Freudensturm erhob sich, als der Papst, vom Quirinal kommend, vor dem Vatikan eintraf, um die französischen Gesandten zu empfangen.

Er begrüßte sie in der prunkvollen Sala regia und war sehr empfänglich für ihre Glückwünsche zu seinem Wagnis, dem sie mit staunenden Augen beigewohnt hatten.

»Wollen die Exzellenzen den Tausendkünstler selbst sehen?« fragte er sie. »Denn Fontana, nicht Wir, hat dies Werk vollbracht.« Und er gebot, den Baumeister rufen zu lassen.

Fontana trat strahlend ein. In Gegenwart der beiden Gesandten adelte er ihn zum römischen Ritter und hängte ihm eine schwere goldene Gnadenkette um den Hals. Dann sprach er:

»Domenico, nachdem dir dies Werk gelungen ist, wird dir nichts mehr zu groß sein. Wir schenken dir alles Baumaterial, das du gebraucht hast, und damit niemand sagt, daß Wir knauserig seien, bestimmen Wir dir zehn Pfründen mit gutem Ertrag und überdies eine Pension von 2000 Scudi.«

Der Tessiner war vor Glück sprachlos. Jetzt war er unbestritten der erste Baumeister in Rom. Am Abend, während die beiden Botschafter beim Papste speisten, brachten die päpstlichen Trompeter und Trommler ihm ein Ständchen vor seiner Wohnung.

Die Römer staunten, als sie den sparsamen Papst so mit Geld um sich werfen sahen, und viele neideten Fontana sein Glück. Aber Sixtus wußte wohl, was er tat und was dies Werk wert war. Er ließ Medaillen darauf schlagen und die Kunde davon in die ganze Welt aussprengen. Überall in Europa sprach man davon wie von etwas Ungemeinem; hatten doch die größten Baumeister Italiens es für unmöglich erklärt. Alle Fremden, die Rom besuchten, fuhren zuerst nach dem Petersplatz.

»Es war eine große Ehre für die französischen Botschafter,« sagte Sixtus stolz, »daß sie der Aufrichtung der Nadel beiwohnen durften.«

Er krönte sein Werk, indem er sie mit großem Gepränge entsühnen und weihen ließ. Auf der Spitze des Obelisken prangte sein Wappen, der Berg und der Stern, von einem großen vergoldeten Kreuz überragt. Der Patriarch von Konstantinopel und eine zahllose Menge wohnte der Feier bei, indes die Kanonen der Engelsburg noch einmal Salut schossen.

So feierte Sixtus den Sieg seines Willens, und durch die Weihung des altheidnischen Denksteins aus Mosis Zeit, der vom Nil nach Rom verpflanzt, auf die ersten christlichen Märtyrer herabgeschaut hatte, zeigte er der Welt den gewaltigen Sieg des Glaubens über seine Feinde.

Torquato Tasso, der größte Dichter Italiens, feierte dies Ereignis durch ein volltönendes Sonett »Auf den Vatikanischen Obelisken«:

»Nun schweige, Rom, auch du, Ägypten, schweige,
Besiegt durch Werke, die man nie erschaut!
Kein Staunen Memphis oder Nero zeige,
Daß ihrem Ruhm die Dämmerstunde graut.

Du heil'ger Stein, nun rage, und es steige
Mit dir des Großen Ruhm, der dich erbaut,
Und jedes Volk und jede Zeit sich neige,
Und jedem Herzen sei er anvertraut.

Die Grille soll ihn singen, in dem Hain
Erschall' er laut, der Großtat ohnegleichen
Als ebenbürt'ger Widerhall geschenkt.

Doch sieh, Gewölk am Himmel, Blitzesschein!
Zeus lächelt hold -- -- ich kenne dieses Zeichen
Des höchsten Willens, des das Schicksal lenkt.«


 << zurück weiter >>