Friedrich v. Oppeln-Bronikowski
Schlüssel und Schwert
Friedrich v. Oppeln-Bronikowski

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19. Das Gottesgericht

Noch immer war die Armada nicht ausgelaufen, als aus Frankreich die Kunde eintraf, daß König Heinrich durch das kaudinische Joch der Ligue gekrochen sei. Er hatte ein sogenanntes Unionsedikt erlassen, kraft dessen er den Herzog von Guise zum General der französischen Heere ernannte. Sixtus hatte es vorhergesagt, und doch empörte die Nachricht sein Herrschergemüt. Zugleich meldete Morosini, daß die Hugenotten in Südfrankreich Fortschritte machten. Da kam er wieder auf seinen alten Plan zurück, mit starker Heeresmacht in Frankreich einzurücken, Navarra zu schlagen und die Ordnung wiederherzustellen. »Denn es hätte keinen Zweck, sagte er zu Gritti, »dem König schwache Hilfe zu schicken, wie es Unser Vorgänger getan hat. Er würde die Dinge dann nach seinem Willen ordnen und nicht nach dem Unsern.«

Diesen Plan erweiterte der Nuntius Morosini, indem er ein Bündnis zwischen Spanien und Frankreich vorschlug. War das nicht viel richtiger, als daß König Philipp die Rebellen der Liga unterstützte? Wenn der katholische König und der allerchristlichste König mit dem Papste Hand in Hand gingen, dann waren die Ketzer in Frankreich und in Flandern bald ausgerottet. Später konnte man dann den Glauben in Deutschland und England wiederherstellen.

Sixtus griff diesen Plan mit gewohntem Feuereifer auf und eröffnete sich dem spanischen Botschafter. Er wies ihn darauf hin, welche Vorteile dies Bündnis für den Krieg in Flandern und gegen England habe, daß damit der spanischen Sache ebenso gedient sei wie der des Glaubens. Er erbot sich selbst, zwischen beiden Herrschern zu vermitteln, doch Olivarez zeigte sich erstaunt und witterte sogleich die Hinterabsicht des Papstes, sich zum Schiedsrichter beider Mächte zu machen. Spanien aber wollte Frankreich in seine Gewalt bringen und es nicht durch ein Bündnis stärken. Olivarez sandte den Vorschlag des Papstes zwar sofort durch einen besonderen Kurier nach Madrid, aber monatelang traf keine Antwort ein. War das böser Wille oder lag es nur an der schlechten Verbindung mit Spanien? Allerdings war der Landweg durch die Wirren in Südfrankreich ungangbar geworden. Man wählte daher den Seeweg von Genua nach Barcelona, aber oft fingen die Korsaren die Kuriere, selbst beglaubigte Gesandte ab und gaben sie nur gegen hohes Lösegeld wieder frei. Nur auf den spanischen Kriegsschiffen waren sie einigermaßen sicher, die aber schickten sich jetzt zur Kriegsfahrt gegen England an, und in Madrid dachte man an nichts weiter.

Endlich, am 8. August, stach die Armada in See -- eine Flotte von 132 Schiffen mit einem Heere von 32+000 Mann und 3100 Geschützen. Dergleichen hatte die Welt noch nicht gesehen. Wie ein leidenschaftlicher Spieler hatte König Philipp die Kraft und die Zukunft seines Landes auf eine Karte gesetzt.

Eine Weile hielt Europa den Atem an. Dann liefen widerspruchsvolle Gerüchte um. Erst hieß es, die Armada habe einen großen Sieg erfochten; dann aber häuften sich die Unglücksbotschaften: die unüberwindliche Flotte war vernichtet! Was von ihr dem Feuer der englischen Geschütze entronnen war, suchte Zuflucht in den schottischen Häfen oder irrte, von Drake verfolgt und dem Hunger preisgegeben, in den unbekannten nordischen Meeren umher. Ungeheuer wie die Rüstung war auch das Schicksal der Armada. Elisabeth ließ eine Denkmünze schlagen: »Gott blies, und sie ward zerstreut.« Und König Philipp sagte: »Ich habe sie gegen Menschen, nicht gegen Flut und Stürme gesandt.« Nur Sixtus schrieb das Ereignis den Menschen zu: der Herzhaftigkeit einer Frau, die er ebenso haßte wie bewunderte, und dem spanischen Sosiego, jenem Gemisch von empfindlichem Hochmut und schläfriger Lässigkeit, das an der Wirklichkeit zuschanden geworden war.

Seitdem sank König Philipp tief in seiner Achtung. Mit Bitterkeit gedachte er der Zeiten, wo man in Madrid seine eigenen weltbewegenden Pläne als Hirngespinste eines Mönches belächelt hatte. Nun zeigte es sich, daß alle diese wohlweisen Staatsmänner die Wirklichkeit ebensowenig zu meistern vermochten. Das war eine traurige Genugtuung für ihn und eine furchtbare Lehre.

Er war jetzt fest entschlossen, seine Schätze nicht mehr den Spaniern anzuvertrauen, damit sie mit ihren Galeeren im Ärmelkanal versenkt würden, und überhaupt nichts mehr zu beginnen, wobei er nicht die Oberleitung behielt. Umsonst ging Olivarez ihn aufs Neue um Subsidien an und stellte ihm vor, er dürfe seinen Herrn in der Not nicht im Stich lassen. Auch die Kinder Israel seien zweimal zum gottgewollten Krieg gegen Benjamin ausgezogen, bevor sie obgesiegt hätten. Hieß das soviel wie daß Philipp mit diesem einen Kreuzzuge gegen England noch nicht genug hatte? Mochte er denn zusehen, woher er das Geld zu einem zweiten bekam.

Wutschnaubend schrieb der Botschafter nach Madrid:

»Der Schmerz des Heiligen Vaters über den Verlust von Millionen ist offenbar stärker als seine Sorge um die Wohlfahrt der Kirche und sein Eifer für die Ausrottung der Ketzerei. Er vergißt, daß unser Unglück auch dem Heiligen Stuhle und der Sache Gottes zum Schaden gereicht, und sein schlechter Charakter zeigt sich in vollem Lichte. Seine Hoffahrt wird unerträglich...«

In der Tat fühlte Sixtus sich nicht wie ein Mitgeschlagener, sondern wie ein Gefangener, dem plötzlich die Freiheit geschenkt wird. Zu dem Venezianer Gritti sagte er:

»Die Großmächte brauchen ein Gegengewicht; denn wird ein Herrscher übermächtig, so schreibt er den anderen Gesetze vor.«

Das war Venedigs eigener Leitgedanke, seit es von seiner stolzen Höhe herabgesunken war; ja, es waren fast die gleichen Worte, die Gritti dem Papste vor nicht langer Zeit gesagt hatte. Er war stolz, ihn zu seiner Meinung bekehrt zu haben. Und doch blieb die Frage offen, wie dies Gegengewicht wieder hergestellt werden sollte. Einstweilen herrschte nur Lähmung und Ohnmacht, von der bloß die Ketzer den Vorteil hatten.

König Philipp erholte sich von diesem Schlage nicht. Stundenlang schloß er sich mit seinem Beichtvater ein und zieh sich selbst der Schuld an dem ungeheuren Unglück. Noch düsterer als sonst brütete Schwermut über dem finsteren Eskurial, und menschenscheuer denn je, mit zerrütteter Gesundheit, saß der Herr zweier Welten gramvoll gebeugt in seinem Arbeitsgemach und unterzeichnete stumm, was man ihm vorlegte. Immerfort erhob er die Blicke gen Himmel, als frage er Gott, warum er seinen treuesten Knecht, seinen weltlichen Statthalter auf Erden, so hart gestraft habe.

Papst Sixtus war anders geartet. Er war nicht der Mann, einen Mißerfolg als Gewinn zu buchen und die Tatlosigkeit als das Rechte anzusehen. Seine Tatlust drängte nach Erfolgen und Fortschritten. Er wandte seinen Blick vom Westen ab, wo die Ruhe des Todes oder trübe Gärung herrschte, und kam auf seinen alten Plan eines Türkenkrieges zurück, für den er Venedig gewinnen wollte.

»Hätte der König von Spanien«, so sprach er zu Gritti, »seine Macht gegen die Türken gewandt, er hätte mehr Glück gehabt. Mit dem Gelde, das jetzt im Ärmelkanal liegt, hätte er diesen Kreuzzug dreimal bestreiten können. Unsere Subsidien wären dann nicht vergeudet worden. Selbst die italienischen Staaten hätten ihm ihre Hilfe nicht versagt, und hätte Eure Signoria nicht den Mut dazu aufgebracht, jede Frau in Venedig, die etwas bei Gelde ist, hätte ein paar Soldaten ausgerüstet. Es fehlte nur eins: ein Mann, ein Fürst, der die Sache wagte, ein Konstantin oder Theodosius. Aber Wir werden es wohl nicht mehr erleben, denn Wir sehen ja nirgends einen Mann. Nur die Weiber scheinen jetzt noch herrschen zu können.«

Allein Gritti ging auf diese Philippika nicht ein, denn Venedig hatte Angst vor einem Türkenkriege. Umsonst suchte Sixtus ihm diesen Gedanken einzuschmeicheln und entwarf weltumspannende Pläne, um den Ehrgeiz der Republik anzuspornen. Im Bunde mit ihr und mit Toskana wollte er die Balkanvölker vom Türkenjoche befreien, die Schismatiker zur römischen Kirche zurückführen und sie dadurch doppelt an sich und an Venedig fesseln. Ja er wollte Ägypten erobern, die alte Fahrtrinne der Pharaonen von türkischen Kriegsgefangenen wieder ausgraben lassen und sie bis zum Roten Meere durchführen, so daß Venedig einen unmittelbaren Handelsweg nach Ostindien erhielt. Verlockend genug war dieser schimmernde Traum, denn seit der Entdeckung des Seeweges nach Ostindien waren Spanier und Portugiesen, Holländer und Engländer zu gefährlichen Nebenbuhlern Venedigs aufgestiegen. Sie brachten die Schätze des Orients um die Südspitze Afrikas herum in ihre eigenen Häfen, und zugleich erblühte ihr Handel mit der Neuen Welt.

Gritti versprach zwar, diese Pläne seiner Signoria zu melden, und er tat es auch, aber er wußte wohl, wie die Antwort lauten werde, und er ließ dem Papste keinen Zweifel darüber. Wohl stand Venedig in Italien noch groß da, aber seit dem Tage von Agnadello war der Nimbus seiner Unüberwindlichkeit dahin, und seitdem hatte es auch seine wertvollsten Außenposten, Morea und einen großen Teil von Dalmatien, an die Türken verloren. Es war nur noch eine sinkende Macht, die das Erbe großer Ahnen nicht mehr zu behaupten vermochte. Der Untergang der Armada hatte ihm zwar etwas Luft geschafft, aber die Türkengefahr blieb die gleiche. Und Toskana -- das würde sich schön hüten, der Republik zu helfen. Es war ihr Nachbar und Nebenbuhler. So war auch hier die Welt zu klein für den Ehrgeiz des Papstes, und seine weltumstürzenden Pläne zerrannen zu nichts. Doch der Mensch denkt und Gott lenkt. Bald sollte Sixtus, der ein Hammer sein wollte, zum Ambos werden.


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