Friedrich v. Oppeln-Bronikowski
Schlüssel und Schwert
Friedrich v. Oppeln-Bronikowski

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33. Das letzte Ringen

Ungeheuer war der Zulauf zu der Himmelfahrtsmesse im Petersdome, aber er galt weniger der Person des Papstes als der Einweihung seines letzten und größten Werkes. Jedermann fühlte es, mit der Vollendung der Peterskuppel war auch sein Leben beschlossen. Und so herrschte denn nicht mehr die hoffnungsvolle Begeisterung wie bei seiner ersten Papstmesse, sondern eine Art unwilliger Bewunderung und zugleich ein Gefühl der Befriedigung, daß die Tage des strengen Papstes gezählt seien. Was man von ihm sah und hörte, bestätigte diese Vermutung noch.

Durch das immerwährende Fieber und die Quälereien der Spanier erschöpft, mit gelbem Antlitz und tiefgefurchten Zügen, saß Sixtus gebückt in seinem schimmernden Ornat auf dem vergoldeten Tragsessel zwischen den beiden riesigen Rädern aus weißen Straußenfedern. Mühsam hielt er sich aufrecht; müde teilte seine zitternde Rechte mit dem Fischerring über dem goldgestickten Handschuh den Segen nach allen Seiten aus, während er inmitten der brausenden Menge durch das Spalier der Schweizer und der Palastgarde getragen ward. Langsam und stockend folgte der buntfarbige Zug der Kardinäle in ihren herrischen Purpurgewändern, der Erzbischöfe und Bischöfe in ihrem Ornat, der Chorherren und Benefiziaten von St. Peter in ihren weißen und grauen Pelzmänteln, der Diplomaten und römischen Großen in ihrer spanischen Hoftracht mit der weißen Halskrause.

Endlich ward der Papstthron unter dem roten Brokatbaldachin vor dem Hochaltar niedergesetzt, und alles gruppierte sich um ihn streng nach der Rangordnung und dem Zeremoniell. Aber zu schwach, um das Hochamt selbst abzuhalten, ließ Sixtus nur seine Mitra auf dem Hochaltar aufstellen und ein Kardinal zelebrierte die Messe an seiner Statt. Man hielt das für eine schlimme Vorbedeutung.

Wie aus einem Grabe drang bisweilen die Stimme des Offizianten durch das dumpfe Gemurmel der Menge; nur wenn der Chorgesang wie eine Sturmflut von Klängen emporquoll, schien er den Kuppelraum bis zu seiner schwindelnden Höhe zu erfüllen. Waffenklirrend sanken die Schweizer und Garden ins Knie, als die Monstranz erhoben ward. Eine breite Sonnenbahn fiel wie ein Segenszeichen von oben durch die riesigen Fenster der Kuppel herab und verklärte die blauen Weihrauchwolken, die zu ihr emporstiegen. Aber immer wieder wandten die Blicke der Menge sich von diesem mystischen Schauspiel ab und richteten sich auf den Greis, der in seinem schimmernden Mantel dasaß wie eine marmorne Grabfigur. Wie lange noch würde diese lebende Leiche über Leben und Tod triumphieren?

Sixtus hatte sich auf die Feier gefreut, aber ein neuer Fieberanfall quälte ihn, und während seine Blicke über diese Welt voller Glanz und Schönheit hinschweiften, über all diese Kapellen und Papstgräber mit ihren großen Erinnerungen, dachte er wehmütig an all die Pläne, die er nicht mehr würde ausführen können, die Ausschmückung und Verschalung der Kuppel, die Vollendung der Seitenschiffe, die Marmortäfelung des Fußbodens und vor allem den Abschluß nach dem Petersplatze, den Fontana auf seinem Stiche bereits vorgegaukelt hatte. Das alles hinterließ er seinen Nachfolgern zu ihrem Ruhme. Auch sein Werk war nur ein Glied in einer langen Kette: es wies über sein Leben hinaus. Als man ihn nach dem Segen wieder hinaustrug, merkten die emporspähenden Blicke, daß er von Fieberschauern geschüttelt ward. Und nach dem Hochamte mußte er alle Audienzen absagen.

Auf Andringen seiner Familie und seiner Ärzte entschloß er sich endlich, in den neuen Sommerpalast auf dem Quirinal überzusiedeln, den Fontana zu dem einfachen Bau seines Vorgängers hinzugefügt hatte. Wehmütig nahm er Abschied von dem neuen Flügel des Vatikans, der im Rohbau bis an das Dach fertig war. Sixtus hatte ihn zur künftigen Papstwohnung bestimmt, aber er fühlte, er würde diese hohen, luftigen Gemächer nicht mehr bewohnen. Auch hier baute er nur für andere, für die Zukunft.

Der Umzug geschah in großer Form. Voran ritten Trompeter und Offiziere, dann kamen die Schweizer in ihrer roten puffigen Tracht und der Papst selbst in seiner offenen, vergoldeten Sänfte, die innen mit Scharlach ausgeschlagen und mit goldenen und silbernen Fransen verziert war. Ihm folgten die Kardinäle, dann die Bischöfe auf starken Maultieren, und hinter diesem geistlichen Fähnlein ritt eine Schwadron päpstlicher Lanzenreiter. Gar prächtig nahm sich der Quirinalspalast jetzt aus. Die beiden verstümmelten Marmorkolosse aus den Bädern des Konstantin waren von Künstlerhand ausgebessert und mitten auf dem weiten Platze aufgerichtet, und zwischen ihren Marmorbasen sprudelte ein Brunnen der Acqua Felice sein klares Bergwasser. Sixtus warf einen letzten Blick auf das Häusermeer zu seinen Füßen, das bis zum Gianicolo und zum Monte Mario wogte, überragt von der Peterskuppel, die ihren mächtigen Akzent darauf setzte.

Dann blickte er zu dem Portal empor, über dem jetzt sein Wappen statt dem seines Vorgängers prangte. »Gregor hat den Bau begonnen,« dachte er, »aber ich habe ihn bezahlt. Und ein anderer wird bald darin wohnen.«

Derweil schwankte seine Sänfte in den großen Hallenhof mit seinen gedrungenen Pfeilern, den noch immer Baugerüste erfüllten.

Zwei Wochen darauf traf endlich der Herzog von Sessa in Rom ein und erschien mit Olivarez zu seiner ersten Audienz. Der junge Grande, der in die geheimsten Absichten seines Herrschers eingeweiht war, führte sich mit schmeichelnder Liebenswürdigkeit ein. Sixtus war auf heftige Vorwürfe und auf neue Drohungen gefaßt. Er fürchtete, zum Abschluß des Bündnisses in grober Form gedrängt zu werden, und seine Hände zitterten fieberig auf der Stuhllehne. Aber nichts dergleichen geschah, und er beruhigte sich rasch. Der Herzog erinnerte nur an die eigenen Vorschläge des Papstes vom letzten Winter, bedauerte das lange Sichhinschleppen der Verhandlungen und betonte, daß Gefahr im Verzuge sei. Dann forderte er die Exkommunizierung der Anhänger Navarras. Von einer Beihilfe des Papstes mit Geld oder mit Soldaten sprach er kein Wort.

»Es ist allerdings wenig geschehen«, entgegnete Sixtus. »Uns hat man zwar immerzu geplagt, aber den Herzog von Mayenne hat man nicht unterstützt, und wie die Dinge jetzt stehen, hätte es auch kaum noch einen Zweck. Die Ligue hat ausgespielt. Lieber werfen Wir Unser Geld in den Tiber, als daß Wir es für eine verlorene Sache hergeben. Die Feindschaft zwischen den Häusern Bourbon und Guise ist eine weltliche Sache, die mit der Religion nichts zu schaffen hat. Deshalb haben sich auch so viele Kardinäle, Prinzen und Herren Navarra angeschlossen. Wir wollen Uns nicht zum Parteigänger der Ligue machen, sondern strikte Neutralität wahren.«

»Wohlan, entgegnete der Herzog, »wenn Eure Heiligkeit uns die zugesagte Hilfe verweigert, wird Spanien allein vorgehen. Unsere Truppen in Savoyen und in Flandern sind zum Einmarsch bereit.

Er beobachtete die Wirkung dieser Worte auf den Geist des Papstes, aber sie schien gering.

»Das hieße sein Geld zum Fenster hinauswerfen«, sagte er. »Soviel Wir vom Kriegswesen verstehen, muß man seine Truppen zusammenhalten, aber sie nicht verzetteln. Doch der König von Spanien tue, was ihm beliebe. Seine Gallionen bringen ihm fortwährend das Gold aus der Neuen Welt. Wir werden ihn nicht hindern, Frankreich zu erobern. Aber wenn dies geschehen ist, was dann?«

»Der Kardinal von Bourbon«, erwiderte Sessa, »ist kürzlich verstorben. Er war der Letzte des Hauses Valois. Durch seinen Tod ist der französische Thron frei geworden. Mein König denkt nicht daran, Frankreich zu behalten, aber er will einen katholischen König.«

»Das ist auch Unser sehnlichster Wunsch«, nickte Sixtus. »Aber es gibt mindestens drei Prätendenten, den Herzog von Mayenne, der bei Ivry geschlagen ward, den Herzog von Savoyen, Eures Königs Eidam, und den Lothringer. Ist Frankreich erobert, so fängt die Schwierigkeit also erst an.«

Er sagte dies mit einem Anfluge von Spott. Wie hatte man ihn selbst doch einst in Madrid phantastischer Pläne geziehen, und nun wollte man sich in das Fell des Löwen teilen, während Navarra nur noch Paris zu erobern brauchte, um sich zum König krönen zu lassen!

So ging die Unterredung mit unendlichem Wortschwall weiter, und als die Gesandten sich schließlich beurlaubten, waren sie nicht klüger, als wie sie gekommen waren.

Doch inzwischen traf ein Handschreiben Philipps an Sixtus ein, der letzte Trumpf, den er ausspielte.

»Nichts hat mich mehr überrascht, als daß Eure Heiligkeit der Ketzerei Zeit läßt, in Frankreich Wurzel zu fassen, und daß Sie nicht mal gegen die Anhänger Navarras vorgehen will. Die Kirche steht im Begriff, eins ihrer kostbarsten Länder zu verlieren. Die verbündeten Ketzer setzen die ganze Welt in Brand; Italien schwebt in größter Gefahr, und doch zaudert man, die Ketzerei auszurotten. Ich eile zu Eurer Heiligkeit wie ein Sohn zu einem geliebten und verehrten Vater. Ich erinnere Sie an die Pflichten des Heiligen Stuhles. Gott und die Welt kennt meine Ergebenheit für ihn, und nichts kann mich davon abbringen. Aber je größer die Ergebenheit ist, desto weniger kann ich es dulden, daß Eure Heiligkeit die Pflichten gegen die Kirche und gegen Gott selbst vernachlässigt. Auch wenn ich Sie damit belästige und kränke, ich muß darauf bestehen, daß Sie Hand ans Werk legt ...«

Nun schien kein Ausweg mehr möglich! Mit großem Widerstreben willigte Sixtus in die Aufsetzung eines Bündnisvertrages. Seine eigenen alten Vorschläge wurden darin aufgenommen, aber er bewilligte nur 16+000 Mann Truppen, die erst ausgehoben werden sollten, indes Philipp 25+000 Mann bereitstellte. Der Herzog von Urbino ward zum Oberbefehlshaber ausersehen. Die Wahl des neuen Königs von Frankreich aber überließ Sixtus dem König von Spanien; er selbst behielt sich nur das Recht vor, die italienischen Fürsten zum Beitritt zu diesem heiligen Kriege einzuladen. Damit gab er sich fast ganz in die Hände Spaniens; nur in einem Punkte blieb er fest: er wollte nichts mit der Ligue zu tun haben. Aber während er diesen Vertrag aufsetzen ließ, hoffte er stündlich auf die Kunde von der Einnahme von Paris.

Endlich war der Pakt so weit fertig, daß nur noch die Unterschrift fehlte. Da versammelte der Papst, obwohl fieberkrank, die französische Kongregation, und zu ihrem unbeschreiblichen Erstaunen, denn sie hielt den Vertrag schon für geschlossen, stellte er ihr die Frage:

»Der französische Thron steht leer. Kommt es dem Papste zu, ihn neu zu besetzen?«

Auf den Herzog von Sessa und auf Olivarez wirkte diese Kunde wie ein Donnerschlag. Sie fühlten sich genarrt und verraten. Der Papst schützte sein Fieber vor, um sie nicht zu empfangen, doch sie überschütteten ihn mit Botschaften, Bitten und Drohungen. Er ließ sie ersuchen, sich zu gedulden und ihn während der Hundstagsglut ein wenig zu schonen. Er sei von den besten Absichten beseelt, doch als Oberhaupt der Kirche habe er die Pflicht, die Rechte des Heiligen Stuhles zu wahren.

In ihrer Wut stellten die beiden Botschafter ein Ultimatum. Sei das Bündnis gegen Navarra bis zum 1. August nicht geschlossen, so würden sie den Vertrag ohne Unterschrift nach Madrid senden.

Aber wenn der Papst die spanischen Gesandten nicht empfangen wollte, so sprach er trotz seines Fiebers doch mit dem Botschafter Venedigs. Badoer war aufs höchste besorgt und hielt nicht mit seinen Befürchtungen zurück. Er erzählte dem Papste alles, was er über den Vertrag in Erfahrung gebracht hatte. Aber Sixtus schüttelte den Kopf.

»Ihr wißt mehr als Wir«, sagte er. »Die Spanier reden viel und tun wenig. Nach Olivarez' Behauptung sollte die Provence schon im letzten Dezember erobert sein, aber bis jetzt ist noch kein Spanier eingerückt. Sie nehmen den Mund voll mit dem Herzog von Urbino, ihren Truppen und wunder was noch. Wir lassen sie reden und warten ab. Wir werden ja sehen, was daraus wird.«

Badoer betonte die Vorteile der Neutralität für den Heiligen Stuhl, aber er vermochte dem Papst sein Geheimnis nicht zu entlocken. Sixtus machte sich nur über die Spanier lustig.

»Alles geht drüber und drunter«, sagte er. »Wie Unser Nuntius aus Köln meldet, erhält das Heer in Flandern seinen Sold nicht; Meutereien sind an der Tagesordnung, und Farnese hat große Mühe, sich gegen die Rebellen zu behaupten. Und da reden sie von Heeren, die sie nach Frankreich entsenden wollen! Sie wollen die Welt erobern und können Cambrai nicht einnehmen. Sie haben versucht, Zufuhr nach Paris zu bringen, aber ihre Truppen, ihr Geschütz, ihre Lebensmittel sind abgefangen worden, und die Pariser sind dem Verhungern nahe. Unser eigener Legat«, setzte er ingrimmig hinzu, »frißt Gras wie ein Schwein; er hat es nicht besser verdient.« Badoer atmete auf, als er den Papst so sprechen hörte. Es war so gut wie gewiß, daß Sixtus den Vertrag nicht unterzeichnen werde.


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