Friedrich v. Oppeln-Bronikowski
Schlüssel und Schwert
Friedrich v. Oppeln-Bronikowski

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10. Die Wiederherstellung der Ordnung

Nach der Huldigung des römischen Adels hatte Sixtus den Senator und die Konservatoren von Rom empfangen und drohend Gehorsam verlangt. Und an demselben Tage, wo er den Orsini eingeschüchtert hatte, erschrak ganz Rom über das erste Zeichen seiner Strenge.

Um den ewigen Morden und Straßenkämpfen Einhalt zu tun, verordnete er etwas sehr Einfaches: er verbot das Waffentragen bei Todesstrafe. Vier junge Windbeutel, die während des Interregnums von den Sforza angeworben waren, hatten dies Verbot nicht befolgt und waren mit ihren Büchsen nach Hause gegangen. Sie wurden verhaftet und sofort zum Tode verurteilt. Am Abend erschienen mehrere Kardinäle bei Sixtus und stellten ihm vor, daß vor der Krönungsfeierlichkeit noch nie ein Mensch hingerichtet worden sei. Doch er blieb unerbittlich. »Wir können Unsere eigenen Verordnungen nicht Lügen strafen«, sagte er fest. Und am nächsten Morgen wurden die vier Jünglinge vor der Engelsburg gehenkt.

Dies Strafgericht verbreitete lähmenden Schrecken. Nicht nur alle Missetäter, auch solche, die dem Kardinal Montalto geschadet hatten, fühlten sich ihres Lebens nicht mehr sicher. Paolo Giordano Orsini befolgte sofort den Rat seines Schwagers und verließ Rom mit den Seinen. Die Banditen in Bracciano, die Marcello Accoramboni gesammelt hatte, stoben auseinander, und der Herzog selbst begab sich auf venezianisches Gebiet. So hatte sich Sixtus binnen drei Tagen Achtung verschafft. Ein Blick, ein Wort, eine Tat hatten genügt. Aber der schwerere Teil seiner Aufgabe lag außerhalb Roms: die Ausrottung der Banditen. Sie konnte nicht von heute auf morgen gelingen.

Inzwischen fand am 1. Mai seine Krönung im Petersdom statt. Ungeheuer war der Zulauf des Volkes. Alle fremden Gesandten wohnten der pomphaften Feier bei. Der französische Botschafter trug die Schleppe des Papstes, die japanischen Prinzen reichten ihm das Wasser und der Kardinal von Medici setzte ihm die dreifache Krone aufs Haupt. Nach der Krönung erteilte er den Segen von der Loggia der Peterskirche. Den Rest des Tages verbrachte er in seiner Villa auf dem Esquilin mit den Kardinälen Alessandrino und Rusticucci. Das war gleichsam ein Abschiednehmen von seiner Kardinalszeit, aber zugleich ein Gedenken an Pius V., dem er den Kardinalshut verdankte.

Wie jene beiden ihm erzählten, umspann ihn selbst schon die Sage. Toren und Schwätzer suchten sich seine wunderbare Erhebung auf ihre Weise zu erklären. Die einen sagten, Fra Felice habe einen Pakt mit dem Bösen geschlossen. Nach andern war er hustend und auf Krücken ins Konklave eingezogen, um seinen Amtsbrüdern die Hoffnung auf seinen baldigen Tod zu geben, falls ihre Wahl auf ihn fiele. Kaum aber habe man ihn erkoren, so sei er um Haupteslänge emporgewachsen und habe seine Krücken an die Wand geworfen.

Sixtus lachte bitter über diese Narren, und doch übertrieben sie nur etwas Wahres, denn tatsächlich hatte er eine Maske abgeworfen, die Maske der Demut und Entsagung. Alle Welt erstaunte über die Tatkraft, die der Einsiedler der Villa Peretti an der Schwelle des Greisenalters plötzlich entfaltete. Die Banditen sollten sie zuerst verspüren.

Sie auszurotten erschien fast unmöglich. Seit Menschengedenken hatte es Banditen gegeben, und zählte man alle zusammen, so überstiegen sie gegenwärtig die Zahl aller italienischen Truppen. Wer diese Eiterbeule aufschneiden wollte, konnte einen allgemeinen Umsturz herbeiführen, die weltliche Macht des Kirchenstaates völlig zerstören. Es war noch ein Glück, daß das Konklave so schnell zu Ende gegangen war, doch inzwischen hatten sie Zeit gehabt, sich zu sammeln, und so lagerten sie schon vor den Toren Roms, wie die Horden Alarichs oder Attilas. Am klügsten schien es, sie nicht zu reizen, aber Sixtus nahm den Kampf auf Leben und Tod an.

Er begann mit einem Geniestreich. Er verzichtete auf das strittige Lehen, das Gregor dem Fürsten Colonna entrissen hatte, und söhnte ihn so mit dem Heiligen Stuhle aus. Dann benutzte er eine Erkrankung des Fürsten, um dessen Bravi in seinen Dienst zu nehmen und die Räuber durch ihresgleichen auszutilgen. Er unterstellte diese kriegerprobten Leute dem Bruder des Fürsten, dem Kardinal Colonna, und schickte den Signor Giacomo zum Teufel.

An ihrer Spitze zog der Kirchenfürst ins Feld, griff die einzelnen Räuberbanden an, wo er sie fand, und machte viele nieder; den Rest drängte er auf das Gebiet von Neapel. Den Hauptschlag führte er gegen die Bande des Priesters Guercino, dem Gregor einst die Absolution für vierzig Morde erteilt hatte. Der Räuberhauptmann selbst fiel in die Hände der Sieger. Sixtus ließ ihm den Kopf abschlagen und ihn zum blutigen Hohn, mit einer goldenen Krone geschmückt, vor der Engelsburg ausstellen. So endete der »König der Campagna«, dessen Horden einst Donna Camillas unglücklichen Eidam ermordet hatten. Sie selbst fuhr zur Engelsburg hin und nickte befriedigt beim Anblick des scheußlichen Hauptes.

Seitdem ergriff lähmender Schrecken die Räuber, und wie durch Zauberschlag war die Campagna von dieser Plage befreit.

Aber Sixtus tat nichts halb wie sein Vorgänger. Er setzte einen Preis auf den Kopf jedes Banditen aus und zwang die Gemeinden, ihn zu bezahlen. Er ermunterte die Behörden, sogar die Verwandten der Räuber, sie auszuliefern, ja er lehrte die Banditen selbst, einander auszurotten. Die ihre Gefährten erschlugen, blieben straffrei und erhielten den Kopfpreis. Da zerfleischten die Wölfe sich gegenseitig, indes die Schafe in Frieden weideten. Noch war kein Jahr des neuen Pontifikates verstrichen, da steckten die letzten Banditenköpfe auf Pfählen. Grausam war dieses Werk, aber die äußerste Not schrie nach Abhilfe, und jedes Mittel war recht.

In Rom begann die Strenge des Papstes sich minder liebsam fühlbar zu machen. Sixtus hatte den anfangs ernannten Gouverneur entlassen, weil er ihm zu nachgiebig war, und an seine Stelle seinen alten Freund, den Monsignor Pierbenedetti, gesetzt, der mit unerbittlicher Strenge einschritt. Alle, die Banditen Obdach gewährten und sie nicht lebend oder tot auslieferten, wurden mit drakonischen Strafen bedroht, aber auch alle Falschspieler, Wahrsager und Astrologen, die in Rom ihr dunkles Gewerbe trieben. Die Lästerzungen, besonders die geschwätzigen Zeitungsschreiber, die den Leuten die Ehre abschnitten und geheime Dinge verbreiteten, erhielten zum Lohn eine hanfene Halskrause, und die Geistlichen bequemten sich wieder, das Gewand ihres Standes und die Tonsur zu tragen. Wie mit einem Zauberschlage war die alte Sittenverwilderung verschwunden. Nichts schützte vor Strafe, weder hohe Geburt noch gute Beziehungen, nicht einmal der geistliche Stand.

Ein Priester, der mit einem Madonnenbild Gaukeleien getrieben, ward über den ganzen Korso geführt und ausgepeitscht. Andere Geistliche und Mönche, die Schwereres verschuldet, wurden auf den Galeeren angeschmiedet oder hingerichtet. Die Römer wohnten diesen Vollstreckungen in stummem Schauder bei; nur Marforio und Pasquino wagten sich darüber aufzuhalten, aber sie waren von Stein.

Virginio Orsini, des Herzogs von Bracciano Sohn aus seiner ersten, unglücklichen Ehe, und ein paar andere junge Edelleute waren allein dreist genug, der Strenge des Papstes zu spotten. Eines Morgens sah man vor der Engelsburg Katzenköpfe auf Stangen gespießt, als wären es Häupter von Missetätern. Aber die Täter wurden bald dingfest gemacht, und man zweifelte nicht, daß sie ihren Vorwitz mit dem Tode büßen würden. Es war fast ein Wunder, daß sie mit dem Schrecken davonkamen. Doch Virginio hielt es für angezeigt, gleich seinem Vater das Weite zu suchen. Erst in Florenz, bei seinem Oheim Franz, fühlte er sich sicher.

Ein anderer Orsini, jener Ludovico, der nach seinem unerhörten Mord an Vincenzo Vitelli geflüchtet war, hatte sich nach Venedig gewandt, seit die Herrlichkeit der Briganten zusammengebrochen war. Sein Mitschuldiger aber, der Hauptmann, ward ergriffen und hingerichtet. Und gleich ihm wurden andere wegen alter Verbrechen bestraft, die man längst vergessen glaubte. Des Papstes Justiz schien die Mordlust zu streifen, und doch wollte er nichts, als das Gesetz wieder zu Ehren bringen. Eine der ersten Silbermünzen, die er schlagen ließ, trug die Figur der Justitia mit der Umschrift: Publicae Quietis Parens, Mutter der öffentlichen Ordnung.

Keine Unbotmäßigkeit duldete er. Selbst der Kardinal Guastavillani, Gregors Neffe, bekam seinen Unwillen zu spüren: er erhielt Arrest wegen Ungehorsams. Als Medici Fürsprache für ihn einlegte, erhielt er zur Antwort:

»Eure Sprache verwundert Uns. Wir gedenken Uns hier in Rom Gehorsam zu verschaffen, wie Wir von den Fürsten Gehorsam verlangen.«

Medici hielt Fra Felice für größenwahnsinnig: wollte er die Zeiten des siebenten Gregor erneuern, vor dem ein Kaiser barfuß im Büßergewande geharrt hatte, um seine Absolution zu erflehen?

Selbst gegen seine Freunde und Anhänger zeigte Sixtus sich unerbittlich. Graf Robert von Hohenembs, der natürliche Sohn des Kardinals Altemps, der zu seiner Erhebung so viel beigetragen hatte, der Vetter jenes Herzogs von Altemps, den er selbst zum Gouverneur des Borgo ernannt hatte, ließ sich durch sein heißes Blut hinreißen, eine junge Römerin zu entführen. Auf dies Verbrechen stand Todesstrafe. Sixtus ließ ihn verhaften und ihn monatelang in der Engelsburg schmachten, deren Befehlshaber sein eigener Vetter war. Die Sache machte gewaltiges Aufsehen; selbst die Kardinäle fühlten sich in dem Sohne eines der Ihrigen getroffen. Umsonst baten sie Sixtus um Gnade; er hüllte sich in undurchdringliches Schweigen. Erst als der Oheim des Jünglings, Graf Hohenembs, aus Deutschland herbeikam und den Papst fußfällig anflehte, ließ er ihn aus besonderer Rücksicht frei. Doch mußte er Rom verlassen und trat in Avignon in päpstliche Dienste.

Daß aber diese Begnadigung nicht Schwäche gegen einen Vornehmen war, ersah man aus dem furchtbaren Exempel, das Sixtus in Bologna statuierte. Der greise Graf Pepoli, der dort in hohem Ansehen stand, hatte einem Banditen Obdach in einem seiner Schlösser gewährt. Der päpstliche Legat forderte ihn auf, ihn herauszugeben, aber Pepoli weigerte sich, mit dem Vorgeben, daß dies Schloß kaiserliches Lehen sei. Der Legat schickte Sbirren aus, um den Räuber zu verhaften, doch die Leute des Grafen schlugen sie zurück. Das war offene Auflehnung. Der Legat ließ den greisen Pepoli selbst verhaften, ein Wagnis, dessen sich zu Gregors Zeiten niemand erkühnt hätte, aber Sixtus billigte sein Vorgehen und drohte dem Grafen mit Tod und Güterentziehung, falls er den Räuber nicht ausliefere. Umsonst legte sich der Herzog von Ferrara und dessen Bruder, der Kardinal von Este, ins Mittel; Sixtus bestand auf seinem Gebot. Aber auch der Greis blieb starrsinnig und reizte den Papst noch besonders, indem er sich an den Kaiser wandte und in einem Briefe schrieb, er hoffe den Händen dieses tyrannischen Mönches bald zu entrinnen. Dieser Brief ward aufgefangen und besiegelte sein Schicksal. Sixtus ließ ihn hinrichten; mit Rücksicht auf seinen Stand ward er im Kerker erdrosselt, und seine reichen Güter verfielen der Kirche. Solches geschah vier Monate nach der Thronbesteigung des Papstes. In Bologna herrschte tiefe Trauer, aber niemand wagte seine Entrüstung zu zeigen. Auch dort zitterte alles vor seinem Zorn.

So kostete die Wiederherstellung der Ordnung fast so viel Blut und Tränen wie vordem der Rückfall in den Naturzustand. Und seltsam, einem Manne slawischer Abkunft war es beschieden, die römische Kraft, die in Räuberei und Verbrechen entartet war, wieder zu bändigen und sie großen Zwecken dienstbar zu machen. Sixtus blieb sich dieser Abstammung wohl bewußt. Die Römer merkten es, als er an der Ripetta dem heiligen Hieronymus eine Kirche und ein Hospiz für die Slawonen erbaute, die Volksgenossen seines eigenen Vorfahren Zanetto Peretti, der einst vor den Türken nach Italien geflüchtet war. Durch diese Stiftung mit der Abkunft des Papstes vertraut gemacht, spotteten die Römer und sprachen: »Nun wissen wir, woher seine Justiz stammt; sie hat etwas vom Orient und von seiner Barbarei.« Und doch war sie nicht anders als die beste Italiens, die von Venedig, die sich alsbald durch einen großen Schlag kundtun sollte.


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