Friedrich v. Oppeln-Bronikowski
Schlüssel und Schwert
Friedrich v. Oppeln-Bronikowski

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

16. Tassos Schatten

Zwei Familiaren des Papstes, Graziani und Capelletto, schritten gemeinsam am Tiber entlang, dessen gelbe Fluten von den Regengüssen des Spätherbstes geschwellt waren. Sie gingen nach dem Palaste des Patriarchen Gonzaga, wo sie einen seltenen Gast besuchen wollten. Ein paar Franziskaner begegneten ihnen, den geknoteten Geißelstrick um die braune Kutte gegürtet und ein rundes Käppchen auf dem Haupte. Ihre Sandalen klapperten auf dem Pflaster. »Das Ordenskleid, das der Heilige Vater von klein auf getragen hat«, sagte Capelletto und bog ihnen ehrerbietig aus. »Seine Ordensbrüder haben ihm das Leben einst recht sauer gemacht«, entgegnete Graziani achselzuckend.

Die beiden waren von Grund aus verschieden und stritten sich weidlich herum. Nur heute begegneten sie sich in dem Wunsche, dem größten Dichter Italiens zu huldigen. War doch Torquato Tasso, der Jesuitenschüler, fromm wie Capelletto und von heidnischer Schönheitstrunkenheit wie Graziani, und die beiden Gegensätze, die in ihnen lebten, bekämpften sich in seiner kranken Brust. Überall Spannung und Widerstreit.

Erst vor wenigen Jahren war sein unsterbliches Werk, Das befreite Jerusalem, im Druck erschienen und zum Gemeingut ganz Italiens geworden. Alle Welt war berauscht von seiner Schönheit, aber während man den Namen des Dichters zu den Sternen trug, war er selbst leer ausgegangen. Raubdrucker hatten ihn um den Preis seiner Mühen betrogen, und selbst eine neue Ausgabe, die ein Freund veranstaltete, hatte ihm keinen Erlös gebracht. So mußte er denn weiter fremdes Brot essen und um die Gunst der Mächtigen buhlen.

Inständig hatten die beiden Familiaren den Papst gebeten, etwas für ihn zu tun. Schien doch sein großes Epos, obwohl es den ersten Kreuzzug verherrlichte, ein Sinnbild der Gegenwart und eine flammende Mahnung an sie, sich wie damals zu einigen, um die Ungläubigen, wo nicht aus dem Heiligen Lande, so doch aus Europa zu vertreiben. Wer also war berufener als der Papst, dem Dichter seine Gunst zuzuwenden, zumal er selbst sich mit großen Kreuzzugsplänen trug und einen Urväterhaß auf die Türken hegte! Torquato Tasso in Rom, vom Papste unterstützt, war das nicht ebenso rühmlich wie die Aufrichtung der Nadel und andere Römerbauten?

Sixtus hatte sich diesen Gründen nicht völlig verschlossen, zumal er selbst jenes herrliche Heldengedicht schätzte. Aber Monsignor Papio, der Erzieher seiner Großneffen, den Tasso um seine Fürsprache gebeten, hatte ihn vor dem krankhaften Sonderling gewarnt, der seinen Schirmherrn, den Herzog von Mantua, vor einer Weile heimlich verlassen hatte. Und so hatte Tasso sich denn vor ein paar Tagen im Vatikan umsonst um eine Audienz bemüht.

»Wenn der Papst ihn doch wenigstens mit dem Dichterlorbeer krönen wollte«, versetzte Graziani. »Das wäre Balsam für seine Herzenswunden. Ist nicht auch Petrarca in Rom zum Dichter gekrönt worden? Man brauchte ja nur die alten kapitolinischen Bräuche zu erneuern.«

»Soviel ich weiß,« widersprach Capelletto, »stammt dieser heidnische Brauch von dem ruchlosen Kaiser Domitian, der die Christen verfolgt hat. Ein frommer Papst wie Sixtus kann nicht in seine Fußstapfen treten.«

Graziani zuckte die Achseln. »Hat er nicht auch die Siegessäulen der heidnischen Kaiser Trajan und Marcus wieder ausbessern lassen?« »Freilich,« nickte Capelletto, »um die Standbilder der Apostelfürsten Petrus und Paulus darauf zu setzen.«

»Nun also«, entgegnete der andere. »Mag er auch diesen heidnischen Brauch auf christliche Weise erneuern.«

Allein Capelletto blieb unbelehrbar. »Trajan und Marcus«, entgegnete er, »waren gute Kaiser. Domitian aber war ein zweiter Nero. Selbst der heidnische Senat hat das Andenken dieser beiden verflucht.« Und er bekreuzte sich dreimal.

Graziani zuckte nochmals die Achseln. Er war ein Humanist von reinstem Wasser. Sallusts Lorbeeren ließen ihn nicht schlafen, und er hatte sich ein hohes Ziel gesteckt, eine lateinische Lebensbeschreibung des Papstes zu verfassen. Freilich sah er in ihm nur den großen Herrscher, der das Rom des Augustus wieder zum Leben erweckte. Seine mönchische Seite blieb ihm ganz fremd. Mit Wehmut gedachte er der Zeiten Leos X., wo die Helden der Vorwelt im Vatikan wieder auferstanden und der einzige Glaube der an das Altertum war. Wie fern lag doch jetzt schon dies goldene Zeitalter! Sein letzter glänzender Vertreter, der Kardinal Farnese, lebte noch, aber Alter und Enttäuschung hatten ihn mit Weltekel erfüllt, und auch er war zum Frömmler geworden. Nur durch Almosen und fromme Werke machte er noch von sich reden.

Aus dem Vatikan aber war das ganze heidnische Göttergesindel verbannt. Nur der Apollo und der Laokoon wurden noch im Belvedere geduldet, als hätte der Papst für den rächenden Gott und den gequälten Dulder ein tieferes Verständnis gehabt. Aber mitten in den herrlichen Damasushof, den Julius II. für Tierhetzen und Turniere angelegt hatte, schob sich jetzt die neue Bibliothek, ein Asyl für die Bücher der Kirchenlehrer und Theologen. Selbst aus dem Kapitol waren die heidnischen Götter verschwunden, bis auf die Minerva, der man ein großes Kreuz in den Arm gelegt hatte. Und was war nicht alles an antiken Bauten untergegangen, nachdem es selbst die Stürme der Feudalzeit überdauert hatte! Mit stiller Wehmut gedachte Graziani des Septizoniums des Kaisers Severus am Rande des Palatins, das Sixtus zerstört hatte, um die Säulen nach Sankt Peter zu schleppen. Das Kolosseum war zur Reitbahn erniedrigt, und der Papst wollte ein Armenhaus und eine Wollfabrik darin einrichten.

Über Raffaels heilige Scheu vor den Resten des Altertums hätte Sixtus gelacht. Unbarmherzig hatte er seine neuen Straßen durch die alten Ruinen gelegt und selbst in seiner Vigne auf dem Esquilin kostbare Römerbauten zerstört. Dafür grollte Graziani ihm oft im stillen, und doch mußte er ihn als Herrscher bewundern. Nicht zufällig hatte man ihn am Tage der Gründung Roms zum Papste erkoren ... Und er tröstete sich in dem Gedanken, daß auch die Cäsaren gewalttätig gewesen waren und ihre marmornen Foren auf den Trümmern der Vorwelt erbaut hatten.

Capelletto dagegen war ein schlichter Frommer, der Bußübungen trieb, die Kirchen besuchte und den Himmel mehr liebte als die Erde. Nur für die neuen Naturwissenschaften hatte er Sinn und Verständnis. Vor allem aber liebte er die Musik, nicht die leichtfertigen Lieder und Tanzweisen, die noch vor kurzem Mode gewesen waren, sondern die heiligen, himmelstürmenden Klänge Palestrinas, die den Gebeten Fittiche liehen und sie zu den hohen Kirchenwölbungen emportrugen. Da stand er dann mit Schwärmerblicken wie geistesabwesend, und seine Seele schien sich in Klängen zu baden. Weltlicher Ehrgeiz lag ihm ganz fern; sein Glück war, dem gewaltigen Schirmherrn des Glaubens so nahe zu sein. War es nicht eine große Gnade des Himmels, daß er ihm, der Gewalt zu lösen und zu binden hatte, am Busen liegen durfte wie Johannes dem Heiland?

Aber so verschieden die beiden auch waren, heute waren sie eines Sinnes, was Tasso betraf. Ganz Italien kannte nicht nur den Ruhm des Dichters, sondern auch sein Unglück. Jahrelang hatte sein einstiger Gönner, der Herzog Alfons von Este, ihn im St. Annenspital in Ferrara verwahren lassen, weil seine Schwermut sich zu gefährlichem Wahnsinn gesteigert hatte. Erst vor Jahresfrist hatte er ihn freigegeben, und der Herzog von Mantua, der mit den Estes verwandt war, hatte ihn zu sich genommen. Eine Weile war alles gut gegangen, aber eines Tages hatte sein Leiden ihn wieder gepackt, und er war von dannen gelaufen. Krank und bettelhaft war er nach einer abenteuerlichen Pilgerfahrt schließlich in Rom angelangt, und nun wohnte er bei dem Patriarchen Gonzaga, einem Verwandten des Herzogs, der von diesem bestürmt ward, den Flüchtling zurückzusenden.

Die beiden Familiaren hatten den Palast erreicht, der auf einem kleinen Platz an der Via della Scrofa, der Saustraße, lag. Der Pförtner blickte sie mißtrauisch an und führte sie zu dem Hausmeister. Auch der forschte sie seltsam aus. Erst als sie sich auswiesen, nahm er eine andere Miene an und gebot einem Diener, sie hinaufzuführen. Sie stiegen bis unter das Dach, und der Diener pochte an eine Tür.

Ihr Herz klopfte, als sie das Gemach betraten. Sie störten einen lebhaften Wortwechsel zwischen zwei Männern. Der eine stand vor dem andern, der in einem geschweiften Holzstuhle saß und heftig gestikulierte. Sein schmales Antlitz, von spärlichem Haupthaar gekrönt, lief in ein spitzes Bärtchen aus, und in seinen blassen verhärmten Zügen flackerten ein paar unstete Augen. Es war der Schatten des großen Tasso.

»Wir gehören zum Hausstande des Papstes«, versetzte Graziani schüchtern.

»Des Papstes!« rief Tasso aufspringend. »Bringt ihr mir eine Kunde von ihm?«

»Leider nein , entgegnete Graziani. »Wir wollten nur dem großen Dichter unsere Huldigung darbringen.«

Tasso sank matt in seinen Stuhl zurück. »Nehmt Platz«, sagte er mit müder Handbewegung. »Dies ist mein Freund Costantini, der Dichter«, setzte er hinzu.

Der andere verneigte sich und blickte sie prüfend an. Dann sagte er: »Ich will Euch nicht stören«, und verließ das Gemach. Einen Augenblick herrschte befangenes Schweigen. Dann faßte Graziani sich ein Herz und sprach:

»Verzeiht unsere Freiheit. Wir wollten nach Eurem Befinden fragen und Euch unsere schwachen Kräfte zu Diensten stellen. Geht es Euch gut?« »Gut?« wiederholte Tasso mit schmerzlichem Lächeln. »Gewiß ist dies kein Tollhaus wie das Spital in Ferrara, wo ich mit schmutzigen Armen und eklen Kranken zusammenhausen mußte. Der Patriarch weiß mich nach Gebühr zu schätzen. Aber seine Leute sind dumme, boshafte Teufel, besonders der Hausmeister, der die Künstler haßt. Alles umspäht mich und verfolgt meine Schritte. Auch hier bin ich ein halber Gefangener. Und doch wäre man mich am liebsten wieder los. Der Patriarch, selbst Costantini, quälen mich, nach Mantua zurückzukehren. Sie versuchen alles, List, Schmeichelei, Lügen und Drohungen ...«

Graziani war von dieser Sprache betroffen. »Und hattet Ihr in Mantua nicht ein warmes Nest?« fragte er.

»Lieber gehe ich betteln, als nach Mantua zurückzukehren«, fuhr Tasso auf. »Ich habe genug von dem Gnadenbrot bei Hofe, genug von den Ränkeschmieden und Pedanten, die mich anfeinden und mir das Leben vergiften, genug von der Gunst der Fürsten, die nur ein goldenes Joch ist. Ich will frei sein und meiner Muse leben, will das Werk meines Lebens vollenden ...«

»Aber hattet Ihr nicht die Absicht,« fragte Graziani erstaunt, »Euch hier in Rom eine Stellung zu verschaffen? Sollte nicht Monsignor Papio beim Papste für Euch wirken?«

»Ja, dieser Monsignor Papio!« spottete der Dichter, und sein Zorn prasselte hoch wie dürres Reisig im Feuer. »Ich habe ihn mit einem Sonett beschenkt, und zum Danke dafür legt er es darauf an, mir alle Türen zu versperren. Helft mir, den Papst zu sprechen! Ich bin wie ein gehetztes Wild. Man will mich um jeden Preis nach Mantua zurückschaffen, wenn nicht mit Güte, so mit Gewalt. Ich habe dem Papst eine Bittschrift gesandt und um seinen Schutz gebeten, aber ich habe keine Antwort erhalten; wahrscheinlich hat man sie unterschlagen.«

»Man wird es schwerlich wagen, Euch mit Gewalt zu entführen,« entgegnete Graziani, »denn hier in Rom herrscht Ordnung und Gesetz.«

»Meint Ihr?« versetzte Tasso, und sein scheuer Blick belebte sich mit Hoffnung.

»Jedenfalls wollen wir versuchen, ein Wort für Euch einzulegen und Euch die Wege zu bahnen. Was erhofft Ihr Euch vom Papste?«

»Er könnte mich zum Prälaten machen«, entgegnete Tasso, »oder mir eine Pfründe geben. Auch ein Kardinal oder ein Vornehmer könnte mir eine Pension aussetzen, damit ich ohne Sorge leben, studieren und dichten kann. Ich brauche einen Diener, der mich pflegt .... Aber wo ist ein Fürst oder ein Großer, der mir aus Mitleid mit soviel Unglück nur das Nötigste gäbe, um meinen Tisch zu bestreiten? Ich habe schöne Werke geschrieben; glaubt Ihr, ich hätte dafür nur einen silbernen Becher erlangt? Nein, ich gehe ins Kloster, ich werde Mönch. Ich habe genug von dieser schlechten Welt ....«

Der schlichte Capelletto war tief gerührt, aber Graziani merkte wohl, wie zerfahren und ungereimt die Reden des Dichters waren.

»Die Gunst unseres großen Papstes wäre eine größere Ehre«, wandte er ein. »Er soll zornmütig und gewalttätig sein«, sagte Tasso. »Wer weiß, ob ich mit einer so reizbaren Seele mein Auskommen fände.«

»Er ist leutselig und schlicht mit den Seinen«, entgegnete Capelletto. »Davon können wir beiden ein Lied singen. Und wer ihn einmal für sich gewonnen hat, dem hält er die Treue.«

Plötzlich sagte Tasso: »Erzählt mir doch etwas von eurem Papste. Man hört so wenig von großen Menschen. Die meisten Großen sind in ihr Zeremoniell eingewickelt, und hinter dem Schein der Größe verbirgt sich oft nur Erbärmlichkeit.«

Da überboten sich die beiden Familiaren in Lobpreisungen ihres Gebieters. Graziani erzählte, wie er fieberdunstende Sümpfe getrocknet, den Buschwald in fruchtbares Ackerland verwandelt, den Gewerbfleiß gefördert und einen schweren Schatz in der Engelsburg gehäuft hatte. Für sich selbst lebte er anspruchslos, aber für gemeinnützige Zwecke, für die Herrlichkeit Roms und der Kirche, gab er Millionen aus. Und er pries des Papstes Gerechtigkeit, die Ausrottung der Briganten und die gute Ordnung, die jetzt allerorten herrschte. Aber Tasso blieb stumm.

Da begann Capelletto die frommen Werke des Papstes zu preisen. Er hatte die Kirchenzucht wiederhergestellt, die Kongregationen geschaffen, die Heiligsprechungen erneuert und im Vatikan eine große Bibliothek für die Werke der Gottesgelehrtheit erbaut. Er ließ eine neue lateinische Bibel drucken, die er selbst durchsah. Aber Tasso blieb stumm. Erst nach einer Weile versetzte er: »Euer Papst ist gewiß ein großer Zuchtmeister. Und vielleicht ist er nötig, denn der lateinischen Kraft fehlt kaum etwas als die Zucht. Aber wo fasse ich den großen Menschen? Eine blendende Tat, die den Dichter begeistert, sie zu verherrlichen?«

»Habt Ihr nicht selbst die Aufrichtung der Nadel in einem Sonett verewigt?« fragte Graziani erstaunt.

»Ja«, lächelte Tasso, und seine flackernden Blicke bekamen mit einemmal Seele und Glanz.

»Nun seht Ihr, da kommt Ihr ihm schon näher«, sagte Graziani. »Er ist ein Baumeister wie Augustus. Er hat die Siegessäulen des Trajan und Marcus wieder ausbessern lassen ....«

»Und die Heiligen Petrus und Paulus darauf gestellt,« schaltete Capelletto ein, »um den Sieg des Glaubens über das Heidentum darzutun.«

»Unterbrecht mich doch nicht«, brummte Graziani. »Er hat die Riesenstatuen der beiden Dioskuren von Künstlerhand ausbessern und vor dem Quirinal aufrichten lassen, und er hat Rom mit sprudelndem Quellwasser erfüllt, das er von fernher durch die Campagna herleiten ließ. Überall murmeln jetzt frische Brunnen. Ginget Ihr zur Sommerszeit durch die glutheißen Straßen, Ihr würdet es ihm danken, wenn Ihr Euch an den Rand einer kühlen Fontäne setzt ...« Und er erzählte von dem Hauptbrunnen der Acqua Felice mit seinem Marmorgetäfel und den vier Löwen, die ihn bewachten. Nur von dem Moses sagte er nichts.

Capelletto wollte wieder einfallen, aber der Dichter entgegnete: »Ich sah den Brunnen.«

»Und wer weiß, was er noch alles vollbringt, fuhr Graziani eifrig fort, »denn bei ihm ist kein Ding unmöglich. Was ganzer Geschlechter bedurft hätte, er allein hat es vollbracht. Er denkt schon an die Vollendung der Peterskuppel ....«

Tasso war an seinen Schreibtisch getreten, auf dem Schriften Und Bücher in wirrem Gemisch lagen. Er griff zur Feder und machte mit dem Kiel ein Zeichen, als wolle er sagen: »Stört mich nicht.« Dann begann er zu schreiben.

Die beiden Familiaren zogen sich ehrerbietig in eine der beiden Fensternischen zurück. Ihre Blicke schweiften über die Dächer hin bis zum Tiber. Schiffe glitten an ihnen vorüber. Flußaufwärts ragte das gewaltige Rund der Engelsburg, von mittelalterlichen Bauten bekrönt, und flußabwärts dehnte sich der Ripettahafen mit seinem bunten Getriebe. Lange schauten sie hinaus, denn Tasso schrieb noch immer oder blickte sinnend vor sich hin. den Federkiel in der Hand. Plötzlich begann er laut zu lesen, was er geschrieben hatte:

»O Flut, die aus der Erde Tiefen drang,
In raschem Fluß eilst du auf dunklen Wegen
Und springst empor aus deinen Steingehegen
Zu jener Stadt, die einst die Welt bezwang.
Die Sonne spiegelt sich in deinem Lauf;
Du aber staunst, wie ragende Zypressen
Umsonst sich mit den Riesensteinen messen,
Und was Augustus sah, ruft dich herauf.

Im Frieden schöner als in Streit und Ringen,
Schmückt Rom sich jetzt mit anderen Trophäen,
Und andre Laute, andre Lieder klingen;
In dichtrem Grün Efeu und Myrthe stehen.
Ein Bogen nur mit bunten Täfelungen
Und Bildern mannigfach empfängt dich hier;
Abbilder sind's von reißendem Getier,
Aus Höhlen und aus Waldesnacht entsprungen.

Vier Löwen brüllen an den Marmorwänden,
Die deinen frischen Überfluß umhegen,
Und drüben von der Bergeshalde senden
Gar süßen Klang die Hirten dir entgegen,
Die Lied auf Lied im Wechselsange tauschen.
Die Musen lud die Blumenflur zur Rast;
Sie geben Antwort auf dein fernes Rauschen
Mit soviel Versen, als du Tropfen hast ...«

»Herrlich! Herrlich!« jubelte Graziani, als der Dichter innehielt, um ein Wort zu verbessern. »Das bringen wir dem Heiligen Vater. Es wird ein Freibrief für Euch sein.«

»Meint Ihr?« fragte Tasso geringschätzig. »Ach, daß die Kunst stets nach Brot gehen soll! Ich dachte nicht daran, als ich dies schrieb. Der Gedanke an Lohn hätte es verdorben ...«

»Und das alles habt Ihr so improvisiert!« rief Capelletto voller Staunen. »Ihr seid fürwahr selbst ein sprudelnder Quell.«

»Es ist noch lange nicht alles«, lächelte Tasso. Und er fuhr fort:

»Du gleichst den Grazien, belebte Flut,
Die Sixtus ließ zu hehrer Stätte steigen.
Er, der Gesetze gab dem Sternenreigen,
Rief deine Kühlung her zur Sommerglut
Und hob dich aus der Tiefe, die dich barg,
Sein Volk zu laben, das er liebt, die Seuchen,
Ja selbst den grausen Tod hinwegzuscheuchen;
An Gnaden reich, war er auch hier nicht karg.

So läßt er seines Volks geliebte Herde
Von keinem andren Hirten irreleiten;
Nicht fremde Satzung darf ihr Glück bestreiten;
Kein Wolf ist, der der Lämmer eins gefährde.
Kein Räuber darf ihm nahen; strenge Strafe
Trifft alle Bösen, und zur rechten Stelle
Führt er, ein guter Hirt, verirrte Schafe;
Nun ruhen alle friedlich an der Quelle.«

In diesem Augenblick pochte es an die Tür, und Costantini trat wieder ein. Aber Tasso schien ihn nicht zu bemerken und fuhr begeistert fort:

»Das goldne Alter, das schon längst geendet
Und ausgelöscht war, ist herabgestiegen,
Nicht weil der Erde Mühsal abgewendet
Und Wolf und Lamm geeint im Schatten liegen,
Noch weil die Schlangen diese Welt verließen,
Nein, weil Gerechtigkeit dem Bösen wehrt
Und Rosen aus den rauhen Dornen sprießen,
Weil er den wilden Blumen Sitte lehrt.

Sieh, wie die Künste seine Größe loben,
Wie manches Werk aus Meisterhand entsproß.
Gefesselt ist die Wut, gestillt das Toben,
Wie einst, da man den Janustempel schloß.
So kehrt die Zeit Saturns zurück auf Erden,
Weil Sixtus thront in seinen heil'gen Hallen;
Doch hör' ich seines Namens Ruhm erschallen,
Muß zur Posaune die Schalmei mir werden.«

Die beiden Familiaren hatten mit wachsendem Entzücken gelauscht. »Gebt mir dies Blatt«, bat Graziani, als das Lied ausgeklungen war. »Ich möchte es dem Papste bringen. Ihr sollt soviel Abschriften haben, wie Ihr wollt.« »Nein«, lächelte der Dichter. »Es ist noch nicht fertig. An einer Canzone muß man meißeln und feilen wie an einem Standbilde.«

»Du hast recht«, nickte Costantini. »Aber nun muß ich dich zur Erde zurückführen, Torquato. Der Patriarch wünscht dich zu sprechen.«

Ein feindlicher Blick schoß ihm entgegen. »Ewig eure Quälereien«, fuhr der Dichter ihn an. »Ich weiß schon, was er will. Loswerden will er mich: ich soll zurück nach Mantua. Aber lieber will ich hier sterben.«

»Laß ihn nicht warten«, bat der Freund.

Da ging Tasso wütend hinaus und warf die Tür schwer ins Schloß.

»Der Ärmste«, seufzte Costantini hinterdrein. »Wie ein launisches Kind, jedem Eindruck versklavt und zuchtlos ... Ihr dürft es ihm nicht anrechnen«, setzte er hinzu. »Aber man darf auch nicht alles glauben, was er sagt. Seine Seele gleicht einem Hohlspiegel, der die Dinge verzerrt, im Guten wie im Bösen. Er übertreibt alles, und überall wittert er schlimme Machenschaften.«

»Nach allem, was er erlebt hat,« versetzte Graziani, »ist das wohl begreiflich.«

»Gewiß,« nickte Costantini, »aber trägt ein anderer die Schuld an seinen Anfällen?«

»Sie sind Verhängnis.«

»So ist es. Aber auch, was er selbst verschuldet hat, legt er andren zur Last.«

»Kennt Ihr ihn schon lange?«

Costantini nickte. »Es ist mein Stolz und mein Kreuz. Man muß viel Geduld haben. Wahrlich, er braucht Freunde, an denen er einen Halt findet, aber nicht viele halten es mit ihm aus, und er selbst ist wetterwendisch und mißtraut allen. Immer hin und her in qualvoller Unrast ... Sechs Dinge fängt er zugleich an, und hat man ihn endlich zu etwas gebracht, so springt er im letzten Augenblick ab.«

»Und was, meint Ihr, soll nun aus ihm werden?«

»Das beste wäre, er ginge wieder nach Mantua. Da hat er alles, was er braucht, und unser Herzog will es durchaus. Er hat ihn sich von Ferrara ausgebeten und ist gleichsam haftbar für ihn. Sich selbst überlassen, sänke der Unglückliche nur immer tiefer und zerstörte sich selbst. Er kann ja nicht wirtschaften; das Geld zerrinnt in seinen Händen wie Lenzschnee ... Er schreit nach den Ärzten, aber er befolgt ihren Rat nicht und verweigert ihre Gifte, wie er es nennt. Aber er selbst richtet sich durch Quacksalbereien zugrunde.«

»Aber er will doch nun mal nicht nach Mantua zurück«, wandte Capelletto ein.

»Eben das ist es«, seufzte Costantini. »Wir haben hier alles versucht, aber es war umsonst ... Und Gewalt anzuwenden, wäre hier in Rom nicht ratsam.«

»Ganz gewiß nicht«, nickte Graziani.

»Vermögt Ihr etwas auf den Papst,« fuhr er fort, »so redet ihm doch zu, daß er uns gewähren läßt.«

Die beiden Familiaren zuckten die Achseln.

»Wir vermögen nichts«, entgegnete Graziani. »Wir sind nur kleine Leute ... Höchstens vermöchten wir klingenden Lohn für ihn zu erbitten. Aber dazu müßten wir erst das Gedicht haben, dessen Schluß Ihr gehört habt. Es ist ein Preislied auf die Acqua Felice, herrlich wie alles, was er dichtet. Auch der Papst wird es gern hören.«

»Ich will ihn bewegen, daß er es bald fertigstellt«, sagte Costantini. »Vielleicht gelingt ihm auch noch anderes der Art. Ich plane eine ganze Sammlung zum Lobe des Papstes. Torquatos Gedichte würden darin den Ehrenplatz einnehmen. Das könnte ihm Nutzen bringen, wenn er nur will; sein Geist ist ja so unerschöpflich reich. Bilder, Gedanken, Empfindungen, alles strömt ihm zu.«

»Ja,« versetzte Graziani, »das haben wir selbst staunend erlebt. Was wir ihm nüchtern erzählten, das verwandelte er sofort in Poesie. Er ist wie König Midas, der alles zu Golde macht, was er berührt ....«

»Leider nur in der Welt seiner Phantasie«, nickte der andere mit schmerzlichem Lächeln.

Da wurde die Tür heftig aufgerissen, und herein trat Tasso, bleicher als vorher.

»Ihr seid alle gegen mich verschworen,« warf er Costantini ins Gesicht, »du so gut wie der Herzog und der Patriarch. Bei Gott, wenn das Freundschaft ist, wie muß dann die Feindschaft sein! Verlästere mich nur nicht auch vor diesen, damit sie es dem Papst hinterbringen ... Wo ist meine Canzone? Habt Ihr sie mir nicht fortgenommen?«

»Da liegt sie ja noch«, sagte Costantini.

Die beiden Familiaren baten, sie bald abholen zu dürfen, aber sie erhielten eine unbestimmte Antwort.

Als sie den Palast verlassen hatten, sagte Graziani traurig: »O Menschenschicksal, o Dichterruhm, wie traurig seid ihr verkettet!« Beide wußten nicht mehr, wo ihnen der Kopf stand, noch was sie beginnen sollten. Sie fühlten sich wie in einer Gewitterlandschaft inmitten eines Wirbelsturmes. Hier der gemütskranke Dichter mit seinem widerspruchsvollen Gebaren, seinen sprunghaften, übertreibenden Reden, dort ein Freund, den sie nicht kannten, der ihnen nicht ganz selbstlos, auf jeden Fall aber gebunden erschien, und dieser ganze Wirrwarr treibender Wolken und zuckender Blitze war überglänzt von den Sonnenblicken des Genius.

»Nun verstehe ich,« sagte Graziani, »warum Monsignore Papio es nicht gewagt hat, dem Dichter eine Audienz zu verschaffen. Vielleicht war es gut so, denn wer weiß, ob sein seltsames Wesen ihm nicht selbst geschadet hätte.«

Am Abend, bei der Tafel, wo Sixtus zu plaudern liebte, wagte Graziani von Tasso zu sprechen und das Gedicht auf die Acqua Felice zu rühmen, das er gleichsam aus dem Ärmel geschüttelt habe.

»Ja,« sagte Sixtus, »das ging schneller, als die Leitung zu bauen.«

Und als Capelletto die Schönheit der Dichtung unterstrich, spöttelte er:

»Sie muß ausnehmend schön sein, denn Graziani teilt heute Eure Meinung, was sonst niemals vorkommt ... Aber Scherz beiseite: Tasso hat Uns gewiß trefflich besungen, wie er Unsern Vorgänger Gregor und seine Sippe besungen hat und auch Unsern Nachfolger feiern wird. Er schwankt wie ein Rohr im Winde, und nirgends hält er stand. Heute morgen war der Gouverneur von Rom bei Uns und bat um Unseren Beistand, um ihn wieder nach Mantua zu bringen, von wo er entflohen war. Wir haben es ihm abgeschlagen, denn hier soll ein jeder in Sicherheit leben, wie es ihm gefällt. Mag er denn bei dem Patriarchen bleiben oder sich einen anderen Gönner suchen; Wir hindern ihn nicht daran. Der Freunde hat er genug, wenn er selbst ihnen nur die Treue hält.«

Da wagten die beiden Familiaren nichts weiter zu sagen und blickten sich betrübt an. Sie fühlten, wie zwei Welten auseinanderklafften, aber sie fühlten auch, was den großen Papst gegen den großen Dichter einnahm: seine menschliche Schwäche. Den Patriarchen Gonzaga aber erhob Sixtus kurz darauf zum Kardinal.


 << zurück weiter >>