Friedrich v. Oppeln-Bronikowski
Schlüssel und Schwert
Friedrich v. Oppeln-Bronikowski

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2. Vittoria Accoramboni

Endlich hatte Montalto sein Stadthaus erreicht. Er fühlte sich hier wohl im Kreise seiner Sippe, die ihm Ersatz für die eigene Ehelosigkeit bot. Als Jüngling hatte er nur seinem frommen Ehrgeiz gelebt und die Fleischeslust in sich niedergerungen. Vielleicht hatte das ihn so hart gemacht. Auch als Mann war er ein Muster von Sittenstrenge gewesen. Aber stets hatte er die Seinen unterstützt, und jetzt, wo er den Stachel des Fleisches nicht mehr fühlte, war das väterliche Gefühl in ihm rege geworden, und er fühlte das Bedürfnis, für die Seinen zu sorgen, so gut er vermochte. Seine Schwester, die er zärtlich liebte, half ihm diese Jahre neuer, unerwarteter Einschränkung mit Würde ertragen.

Die Matrone, wie stets im Hause beschäftigt, begegnete ihm auf dem Flur und sagte mit bedeutungsvollem Lächeln:

»Ein Bote erwartet dich, Felice. Er wollte das Paket nur dir selbst übergeben.«

Montalto ging in sein Studierzimmer, das mit Büchern umstellt war. Von den braunen oder weißen Lederrücken hob sich hier und da eine Antike ab, die er in seiner Villa ergraben oder billig erhandelt hatte. Auf dem Tische lagen Schriftstücke neben einem aufgeklappten Folianten. Es war eine Ausgabe des heiligen Ambrosius, die er jetzt neu herausgeben wollte.

Der Bote trat ein. Es war ein Kurier des Großherzogs Franz in Florenz, der ein Päckchen überbrachte. Montalto stellte ihm Quittung aus und entließ ihn mit einer Gabe. Dann erbrach er hastig Schnur und Siegel und freute sich im voraus des Inhalts, der einen Zuschuß zu den Baukosten bringen würde, eine Abschlagszahlung an Fontana. Befriedigt zählte er die frisch geprägten Zechinen, die auf seinen Schreibtisch rollten. Ein freundliches Handschreiben des Großherzogs lag bei. Der hatte zwar seinen eigenen Bruder im Kardinalskollegium sitzen, einen Mann, der durch seine hohe Geburt wie durch seine Klugheit großen Einfluß besaß und für einen Papstmacher galt, aber trotzdem zahlte er Montalto jetzt die Pension, die Gregor ihm genommen hatte, um sich seiner Freundschaft zu versichern. Das war damals gang und gäbe, und niemand fand etwas Unehrenhaftes dabei. Jeder Potentat hatte derart eine Partei im Heiligen Kollegium und einen offiziellen Vertreter, den sogenannten Protektor. In den laufenden Geschäften der Kurie konnte Montalto seinem Gönner jetzt freilich kaum etwas helfen, aber für die nächste Papstwahl war seine Stimme gewichtig, und wer wußte, wie lange Gregor es noch trieb?

Montalto verschloß die Geldstücke in seine Schatulle; dann ging er frohen Herzens in den Speisesaal, wo die Seinen sich schon versammelt hatten. Sein Neffe Francesco Peretti und dessen junge Gattin Vittoria kamen ihm entgegen und begrüßten ihn, dann seine Nichte Maria Damasceni, die Gattin eines römischen Ritters. »Wo ist Fabio?« fragte der Oheim sie. »Er ist heute auf sein Landgütchen geritten«, entgegnete Maria. Schließlich hüpften auch ihre Kinder herbei und küßten Montaltos Hand: der kleine Michele Peretti und seine beiden halbwüchsigen Schwestern Flavia und Ursula. Nur der Älteste fehlte, der elfjährige Alessandro, der bereits in der Priesterschule war und die Eltern nur Sonntags besuchen durfte.

Vittorias Anblick erfreute den Kardinal stets besonders. Ihre Schönheit erhellte seine ernsten Züge wie ein Sonnenstrahl. So mönchisch und sparsam er war, für sie hatte er stets eine offene Börse, und er fand es ganz in der Ordnung, daß sie ihre Reize durch Schmuck und reiche Kleidung erhöhte. Maria Damasceni mit ihrem feinen blassen Gesicht sah neben ihr fast wie ihre Mutter aus; auch besaß sie weder ihre melodische Stimme noch ihre Eleganz und Schlagfertigkeit. Montaltos Vorliebe für Vittoria ging bis zur Schwäche. Er übersah ihre Gefallsucht und ihren Aufwand, und kam es zwischen ihr und ihrem Gatten zu kleinen Zwistigkeiten, weil ein junger Römer ihr zu lebhaft gehuldigt oder weil ihre Ansprüche und Tränen Francesco gereizt hatten, so redete er Francesco begütigend zu und sagte: »Sie ist ja noch so jung.«

Selbst auf ihre Brüder hatte er seine Gunst ausgedehnt und behandelte sie wie die Kinder seiner eigenen Schwester. Ottavio Accoramboni war auf seine Verwendung hin Bischof von Fossombrone geworden, Julius hatte durch seine Fürsprache eine der ersten Stellungen im Hause des Kardinals Sforza erlangt, und ihr dritter Bruder Marcello, ein Raufbold, der schon viel auf dem Kerbholze hatte, brauchte sich dank dem Schutze Montaltos weniger vor Strafe zu fürchten.

Heute hatte sich sogar ein Freund Marcellos zur Tafel eingefunden, ein junger Ritter Cesare Palantieri, aber er behauptete, nicht mal zu wissen, wo Marcello sich gerade aufhielt, und gewiß kam er auch nicht des frugalen Mahles wegen, mit dem man im Hause Montalto fürliebnehmen mußte. Bei Tische machte er Vittoria beharrlich den Hof und erzählte höchst unheilige Dinge, während der Kardinal seiner Schwester von dem Fortschritt der Bauarbeiten berichtete und auch von dem Unglücksfall sprach, der sich heute ereignet hatte. Abergläubisch wie alle Römerinnen, bekreuzte sich Donna Camilla, als sie davon hörte, und gleich Fontana murmelte sie etwas von schlimmer Vorbedeutung.

Es war erstaunlich, wie gut die schlichte Landfrau, die als Kind um Bajocs gebettelt hatte, sich in ihre jetzige Rolle hineingefunden hatte und mit welcher natürlichen Würde sie die Hausmutter spielte. Ab und zu blickte sie zu Vittoria hinüber, und mit einem Ohre verfolgte sie deren Gespräche, um nötigenfalls mit einem mahnenden Blick einzugreifen. Aber sie hörte nur Stadtklatsch. Ein reicher Prälat hatte bestimmt, sein Nepot sollte ihn nur dann beerben, wenn er eines natürlichen Todes stürbe. Ein Orsini hatte einem mahnenden Gläubiger gedroht, ihn zum Fenster hinauszuwerfen. Der Gläubiger bat, ihn erst beichten zu lassen. »Was!« rief der Orsini, »wer zu mir kommt, muß vorher gebeichtet haben!«

Bei dieser Geschichte schien Montalto aufzuhorchen. Die Zuchtlosigkeit der römischen Adligen war ihm ein Greuel; noch mehr aber erbitterte ihn die Straflosigkeit ihrer Frevel. Besonders die Orsini konnten sich alles erlauben, aber auch die andern brauchten nur Zuflucht bei einem Kardinal, einem römischen Großen oder einem fremden Gesandten zu suchen; dann verschwanden sie für eine Weile und kehrten unangefochten zurück. Freilich trieb es auch Marcello Accoramboni nicht besser, aber bei ihm schien Montalto seine strengen Grundsätze zu vergessen -- alles aus Liebe zu Vittoria. So wahr ist es, daß kein Mensch ohne inneren Widerspruch lebt.

Um das Thema zu wechseln, erzählte der Ritter von der bildschönen Clelia Farnese, der natürlichen Tochter des Kardinals.

»Ich habe ihr heute morgen meine Aufwartung gemacht«, sagte er. »Aber mein Wort darauf, neben Euch, Signora, verbleicht ihre Schönheit wie der silberne Mond vor dem Glanze der Sonne.«

»Das gleiche werdet Ihr morgen der Clelia Farnese versichern, nur umgekehrt«, lachte Vittoria mutwillig. Ihr Lachen hatte etwas Süßes, Geheimnisvolles, das alle Männer bestrickte.

»Laßt mich in Stücke hauen, wenn das wahr ist«, beteuerte Palantieri.

»Ich dürste nicht nach Eurem Blute«, entgegnete sie. »Ihr werdet es schon selbst bei einem Eurer Raufhändel verspritzen. Irre ich nicht, so hattet Ihr erst vor kurzem einen schlimmen Streit wegen einer Schönen. Und eine Weile waret Ihr aus Rom verschwunden, wie mein trefflicher Bruder Marcello.«

»Ich bekenne meine Sünde«, nickte Palantieri stolz, denn dergleichen Händel gereichten einem Manne zur Ehre. »Aber meine Absolution ist diese: Ich kannte Euch damals noch nicht.«

Francesco warf ihm einen wütenden Blick zu und schlug mit der Faust auf den Tisch. Alles blickte auf, und Donna Camilla winkte den beiden zu schweigen. Palantieri knurrte eine Verwünschung gegen den Gatten vor sich hin und schaute ihn herausfordernd an, wagte aber nicht weiterzugehen.

Auftritte wie dieser waren im Hause nicht selten. Unter solchen Umständen war Vittoria wenig beliebt. Man neidete ihr die Gunst des Kardinals, ihre fast königliche Stellung. Sie aber fühlte sich allen Hausgenossen durch ihre Schönheit und Klugheit unheilvoll überlegen. Ihr guter Tropf von Gatte langweilte sie, und sie hatte keine Kinder von ihm. Wohl war er noch immer rasend verliebt in sie, aber er quälte sie mit seiner Eifersucht, und wenn er ihr auch die gleichen schönen Dinge sagte wie Marcellos Freund, so klangen sie aus dessen Munde doch viel schöner, denn Francesco war nur der Sohn eines besseren Bauern, jener aber ein Ebenbürtiger, ein römischer Ritter. So gut sie es also auch hatte, sie fühlte sich in diesem frommen Bürgerhause nicht wohl.

Noch als halbes Kind hatte man sie vermählt, weil ihr Vater den bedenklichen Liebeswerbungen des gefürchteten Herzogs von Bracciano ein Ziel setzen wollte. Der Kardinalspurpur adelte zwar, wie man in Rom sagte, aber Montaltos Herrlichkeit war bald verblaßt, und jetzt führte sie, von glühendem Ehrgeiz erfüllt, ein Leben, das ihr unter ihrer Würde dünkte. Sie fühlte den Neid ihrer neuen Verwandten, vergaß die Wohltaten des Kardinals und verfluchte den Tag, der ihr Schicksal besiegelt hatte.

Wenn sie ihre Eltern besuchte, traf sie dort nicht selten ihren alten Verehrer, den Herzog von Bracciano. Ihre Mutter begünstigte diese Zusammenkünfte, und beide Frauen träumten von einem glänzenden Schicksal, dem Francesco im Wege stand. Aber Vittoria hütete sich wohl, ihrem Gatten von diesen Stelldicheins zu erzählen; sie ließ ihn nur ihre Launen fühlen. Um so mehr berauschte sie sich jetzt an den Huldigungen des Ritters wie an einem Weihrauch, der ihrer Schönheit gebührte. Sie spielte zwar nur mit ihm wie mit allen, aber ihr Herz wallte leidenschaftlich, und als Francesco so blöd auf den Tisch schlug, schoß ihr das Blut ins Gesicht.

Das Ende der Mahlzeit verlief einsilbig. Vittoria spielte mit ihrem Halsgeschmeide und warf feindliche Blicke auf ihren Gatten, der wütend auf seinen Teller starrte, und Maria beschäftigte sich mit ihren Kindern. Endlich stand man auf, und Vittoria griff zu einer Laute, die an der Wand hing. Sie schlug ein paar Akkorde an; dann begann sie mit süßer, volltönender Stimme zu singen. Es war ein selbstverfaßtes Gedicht, das ein römischer Musiker komponiert hatte. Montalto, der es schon kannte, zog sich wieder in sein Studierzimmer zurück. Er hörte nur noch die erste Strophe, die wehmütig hinter ihm herklang:

»Verwegne Wünsche haben mich durchdrungen,
Zum leichten Himmel sich emporgeschwungen,
Nicht droben mich der sel'gen Lust zu weih'n,
Ach, mich zu stürzen in die Erdenpein ...«

Das war etwa das Leitmotiv von Vittorias jetzigem Seelenzustand.


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