Friedrich v. Oppeln-Bronikowski
Schlüssel und Schwert
Friedrich v. Oppeln-Bronikowski

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6. Das Faustrecht

Wie der Steinmetz prophezeit hatte, tobten die Straßenkämpfe noch tagelang fort. Die Orsini brachten alle ihre Leute auf die Beine und zogen andere vom Lande herbei, um den Tod des Herrn Raimondo zu rächen. Überall machten sie Jagd auf die Sbirren und verfolgten sie bis in die geheiligte Umfriedung des Vatikans. Der Pöbel von Trastevere, der die Hüter der Ordnung haßte, beteiligte sich mit Freuden daran und zeigte seine ganze zuchtlose Wildheit.

Nur der Bargello, der Anführer der Sbirren, auf den man besonders fahndete, war als Lastträger verkleidet entronnen. Doch er ward auf der Landstraße ergriffen und auf Andringen der Orsini vor der Engelsburg gehenkt, zum Lohne dafür, daß er dem Gesetz hatte Achtung verschaffen wollen. Erst nach dieser Sühne zogen die Orsini ihre Leute zurück, und Rom atmete wieder auf.

Aber damit war noch nicht alles abgetan. Ludovico Orsini, der Bruder des Gefallenen, nahm noch persönliche Rache, die höher zielte. Gregor hatte einen natürlichen Sohn aus der Zeit seines weltlichen Standes, den Signor Giacomo, den er zum Herzog von Sora und zum Gonfalonier der Kirche erhoben hatte. Als solcher hatte er die höchste weltliche Macht im Kirchenstaat inne. Auf Andringen der Kardinäle hatte Gregor ihn zeitweise aus seiner Nähe verbannt, aber immer wieder siegte das Vaterherz über seine Gewissensbedenken, und jetzt hatte er ihn abermals in seine Würde eingesetzt. Eines Tages nun hatte sein Leutnant oder Stellvertreter Vincenzo Vitelli im Vatikan ein Spielchen mit ihm gemacht, denn der Herzog liebte die Kurzweil. Dann war er in seinem Wagen nach Hause gefahren. Unterwegs aber ward er auf offener Straße von Ludovico Orsini und einem Hauptmann niedergeschossen, und der Mörder erklärte dreist, sein Streich sei für einen anderen bestimmt gewesen, nämlich für den Signor Giacomo selbst. Da raffte sich dieser auf, ihn zu verfolgen; aber Ludovico ergriff die Flucht und wurde Bandit. Soweit war es in Rom mit der päpstlichen Herrschaft gekommen. Doch es kam noch schlimmer.

Gregors einziger Freund war der Kardinal Savelli, ein Mann aus einem der erlauchtesten Häuser Roms. Eines Tages fuhr dessen Bruder, der Monsignore Mario Savelli, zwischen der Porta del Popolo und der milvischen Brücke spazieren. Das war damals der Korso der vornehmen Welt, auf dem jeden Nachmittag die Wagen und Reiter von den Fußgängern begafft wurden. Plötzlich ward er von vier unbekannten Reitern umzingelt und durch einen Büchsenschuß niedergestreckt. Inmitten der allgemeinen Bestürzung entkamen die Mörder unbehelligt.

Aber die Frechheit der Banditen kannte keine Grenzen mehr. Unter ihren Hauptleuten war ein entlaufener Priester Guercino, der sich König der Campagna nannte und besonders gefürchtet ward. Eines Tages überfiel er mit seinen Leuten die Stadt Monte Abbandone, ließ alle seine Feinde ergreifen und sie vor den Augen ihrer Mütter und Frauen hinrichten, während seine Bravi auf dem Marktplatze tanzten. Er selbst hielt zwar noch auf eine gewisse Ehre, denn er nahm den Kurieren der fremden Mächte nur ihre Briefschaften ab, ließ ihnen jedoch ihr Geld; um so raubgieriger und grausamer aber waren seine Leute. Von allen Seiten liefen in Rom Klagen und Hilfeschreie ein. Da raffte Gregor sich auf und sandte den Signor Giacomo mit Truppen ins Feld. Es gelang ihm auch, die Räuberbanden zu zerstreuen, aber kaum war er heimgekehrt, so brach das alte Unwesen erst recht wieder aus. Auch der Ritter Damasceni, Montaltos Anverwandter, fiel ihm zum Opfer.

Eines Tages ward er auf seinem Landgütchen von Räubern umzingelt, die ihm einen Ochsen aus dem Stalle zogen. Er bot ihnen Lösegeld, aber sie wollten das Fleisch, und als sich ein Wortwechsel entspann, stach der Führer der Rotte ihn kurzerhand nieder. Dann raubte man sein ganzes Anwesen aus, und die zitternden Knechte und Mägde entflohen nach Rom.

Wie ein Blitz schlug dieser neue Frevel in Montaltos Haus. Selbst seine Fassung brach jetzt zusammen. »Gott im Himmel,« rief er mit Tränen im Blick, »wie lange läßt du uns noch unter dieser Zuchtrute leiden!«

Er konnte sich jetzt mit dem Kardinal Savelli und mit Gregor selbst die Hand reichen; dank der Schwäche des Papstes war kein Mensch seines Lebens mehr sicher. Eine Rettung aber schien unmöglich, denn das Übel war von alters her eingewurzelt, und die Nachbarn des Kirchenstaates sahen es gern, daß der Papst in Not und Bedrängnis war. Je schwächer er dastand, desto mehr wuchs ihre eigene Macht.

Maria Damasceni erholte sich von diesem Schlage nicht mehr. Ihr Leben erlosch wie eine Lampe ohne Öl, und eines Tages ließ sie ihre Kinder als Waisen zurück.

»Nun mußt du noch einmal zur Mutter werden«, sprach Montalto zu seiner Schwester. »Ich aber werde Vaterstelle an den armen Waisen vertreten.«

Des zum Zeichen gab er den Kindern den Namen Peretti und adoptierte sie in aller Form. Und zur Erziehung der beiden Knaben erkor er den gelehrten Monsignore Papio.

So furchtbar dies neue Unglück auch war, es war doch fast wie ein Naturereignis, ein Walten blindwütender Kräfte, kein persönlicher Mord. Gleichwohl trug auch an ihm letzten Endes Papst Gregor die Schuld. Was aber tat dieser große Jurist? Er verhandelte mit dem Räuberhauptmann, weil er seine Ohnmacht einsah, und erlaubte ihm nach Rom zu kommen, um ihm eine Bittschrift zu überreichen. Darin forderte Guercino nichts Geringeres als seine Absolution für vierzig Morde; denn so sehr er auch des Papstes als Herrscher spottete, er glaubte doch an seine bindende und lösende Gewalt und wollte eines seligen Todes sterben.

Ein Grauen überlief Gregor, als er die lange Reihe von Mordtaten las, für die er dem Räuber Vergebung gewähren sollte. Aber man sagte ihm, es bliebe ihm nur die Wahl zwischen drei Dingen. Entweder müsse er gewärtigen, daß sein Sohn von Guercinos Hand falle, oder er müsse diesen selbst umbringen lassen; wo nicht, müsse er ihm die Absolution geben. Endlich rang sich der Greis zu dem letzten Entschluß durch und unterschrieb blutenden Herzens das Dekret seiner eigenen Schande. Guercino aber kehrte zu seinen Bravi zurück, um neue Frevel zu begehen; hatte er doch seine Hand an der Gurgel des Papstes.

So endete Gregors Herrschaft mit einer blutigen Posse, und er selbst ward das Opfer seiner elenden Schwäche. Als Oberhirt der Seelen mußte er Vergebung für Frevel gewähren, die er als weltlicher Herrscher aufs strengste hätte ahnden müssen. Seine weltliche und geistliche Macht klafften völlig auseinander. Noch ein Schritt weiter, dann brachen beide zusammen, und der Papst selbst vollendete das Werk Luthers und Calvins. Dann blieb ihm nur noch die Rückkehr ins Exil nach Avignon, und vertrieben ihn auch von dort die Wirren, die der Glaubenskrieg in Frankreich erregt hatte, so konnte er sich nur noch unter die Fittiche Spaniens retten.

Wo war ein Mann, der die Kirche von ihrem Untergange zurückriß, der ihre geistliche und weltliche Macht wieder zusammenfaßte und die eine durch die andere stützte? Dieser Mann lebte, verstoßen, rechtlos, und verzehrte sich in stummer Qual.


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