Friedrich v. Oppeln-Bronikowski
Schlüssel und Schwert
Friedrich v. Oppeln-Bronikowski

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20. Die Greuel in Frankreich

Zu Beginn des neuen Jahres 1589 traf in Rom eine schier unglaubliche Kunde ein: während der letzten Weihnachtstage hatte König Heinrich den Herzog von Guise und dessen Bruder, den Kardinal, den Oheim der Maria Stuart, im Schlosse von Blois ermorden lassen. Zugleich war der Kardinal von Bourbon, der letzte Sproß der Valois, und der Erzbischof von Lyon eingekerkert worden, und man wußte noch nichts über ihr weiteres Schicksal.

Der Marquis de Pisany überbrachte dem Papste die amtliche Nachricht von diesem Gewaltstreiche nebst einem Handschreiben des Königs und suchte diesen nach Kräften zu entschuldigen.

»Der Herzog von Guise«, begann er, »hätte meinem Herrn in Kürze die Krone geraubt, die er nur noch zum Scheine trug, und mit der Krone das Leben. Jetzt ist er endlich König! Aber es ging nicht nur um ihn und um seine Herrschaft, sondern auch um die Ruhe und Wohlfahrt seines Landes. So hat er nicht nur eine erlaubte, sondern eine fromme Tat vollbracht, denn das öffentliche Wohl geht dem Leben einiger Rebellen vor.« Und er erinnerte Sixtus an seine eigenen Worte über die Flucht des Königs am Tage der Barrikaden: »Hatte er denn nicht zwanzig Mann zur Hand, um den Rebellen zu verhaften und nach Gutdünken mit ihm zu verfahren?«

Der Papst schien weniger aufgebracht, als der Botschafter befürchtet hatte, doch er sprach sich nicht aus. Erst dem nächsten Besucher, seinem Freunde Gritti, schloß er sein Herz auf.

»Was sagt Ihr dazu?« fragte er ihn gleich beim Eintritt. »Wir können den Herzog von Guise nicht loben, denn er hat die Waffen wider seinen Herrscher erhoben und sich mit anderen Großen gegen ihn verbündet. Auch die Sache des Glaubens war kein stichhaltiger Grund. Es gebührt einem Vasallen nicht, dem Herrscher Gewalt anzutun. Er darf ihn warnen, ermahnen, überzeugen, aber sich gegen ihn auflehnen ist Sünde. Hätte der König ihn dafür gestraft, so war es sein gutes Recht. Als der Herzog damals mit acht Reitern nach Paris kam, hatte er gute Gelegenheit dazu. Brach ein Aufruhr aus, so konnte er ihm das Haupt abschlagen und es auf die Straße werfen lassen. Kein Mensch hätte sich gerührt, und ein jeder hätte ihn gelobt. Er aber entfloh nach Chartres. Nun hat sich der dritte Akt dieses Trauerspiels vollzogen. Der König ist Herr und schuldet nur Gott Rechenschaft. Aber sich mit seinem Gegner aussöhnen, ihm den Oberbefehl seiner Truppen geben und ihn dann in sein Zimmer locken, um ihn umbringen zu lassen, das ist kein Akt der Justiz, sondern Meuchelmord. Hatte er Verdacht auf den Herzog, so mußte er ihn verhaften und ihn vor Gericht stellen lassen. Dann konnte er ihn in aller Form Rechtens enthaupten lassen. Rührte sich wieder ein Aufstand, so durfte er verfahren, wie er damals in Paris hätte verfahren sollen. So aber bleibt seine Tat ein Mord, und das können Wir ihm nicht verzeihen.«

Der Papst schwieg betrübt und verlegen. Dann fuhr er fort: »Was aber den Kardinal betrifft, so gehörte er Uns und nicht ihm. Er mußte sich an Uns wenden; dann hätten Wir ihn nach Rom vorgeladen. Wäre er nicht gekommen, so hätten Wir ihn seiner Würde entkleidet; dann konnte der König nach Belieben mit ihm verfahren.«

Wieder schwieg er ein Weilchen; dann stöhnte er: »Unser Amt wird Uns sehr zur Last. Wir wollten, Wir wären wieder Kardinal. Dann brauchten Wir Uns nicht den Geist zu zermartern, was Wir jetzt tun sollen.«

Noch nie hatte Gritti den Papst so müde gesehen. Er schrieb es dem Fieber und dem zunehmenden Alter zu. Aber es war vor allem die Sorge und Ungewißheit, die ihn bedrückte. Dieser König von Frankreich war ein Pfahl in seinem Fleische. Er mußte etwas gegen ihn tun, konnte den Mord eines Kirchenfürsten nicht ungesühnt lassen, und doch sagte er sich, daß er diesen anmaßlichen Schwächling in die Arme der Hugenotten triebe, wenn er ihn zu hart anfaßte. Das war der springende Punkt, und daran konnte auch alle Kasuistik über Recht und Unrecht nichts ändern. Die Schwere dieses Entschlusses war es, was ihm die Bürde seines Amtes so drückend machte.

Das Kardinalskollegium hatte bei der Kunde von der Ermordung eines seiner Mitglieder einen einzigen Schrei der Entrüstung ausgestoßen. Besonders die Spanier bliesen ins Feuer. War doch der Herzog von Guise der Verbündete ihres Königs und der Vollstrecker seines Willens gewesen. Konnte Philipp diesen Mord ungesühnt lassen?

Drei Tage nach dem Besuche des französischen Botschafters hielt Sixtus ein Konsistorium ab. Dem Brauche gemäß traten die Kardinäle bei seinem Erscheinen mit ihren Anliegen an ihn heran, bevor er die Sitzung eröffnete. Ihr fast allgemeiner Groll steigerte seinen Schmerz und seine Empörung noch. Endlich begaben sich alle auf ihre Plätze, und Sixtus eröffnete die Sitzung. Da konnte er nicht länger an sich halten.

»Mit unendlichem Schmerze«, schrie er heraus, »haben Wir euch ein unerhörtes Verbrechen kundzugeben: den Mord an einem Kardinal, ohne Prozeß und Urteil, einen Gewaltstreich des weltlichen Armes ohne Unsere Erlaubnis, ohne Befragen des Heiligen Stuhles!«

Und er erhob eine lange Anklage gegen den König, ohne den Herzog von Guise zu erwähnen. Er nannte ihn ungerecht, grausam, unehrerbietig und undankbar. Er flehte die Strafe des Himmels auf ihn herab und erkannte sich selbst das Recht und die Pflicht zu, ihn zu züchtigen.

»Er hat Uns geschrieben,« fuhr er fort, »aber kein Wort von Reue und Absolution. Er ist ein Mörder und Gotteslästerer. Und doch haben sich einige Kardinäle gefunden, die sein Verbrechen zu beschönigen suchten, ohne zu bedenken, daß er die Ehre und Sicherheit des ganzen Heiligen Kollegiums angetastet hat. Wir selbst wollen nicht wieder Kardinal werden, obwohl Wir heute lieber nicht Papst wären. Aber ihr, ihr wollt eure Freiheiten und Gerechtsame verlieren. Ihr wollt euch von einem weltlichen Herrscher mit Füßen treten lassen. Denn dessen seid gewiß: wenn Wir diesen Mord an einem von euch nicht sühnen, könntet ihr alle sein Schicksal teilen!«

Beifälliges Murmeln und halblaute Zurufe begleiteten diesen leidenschaftlichen Ausbruch. Er galt vor allem dem Kardinal von Joyeuse, der seit Estes Tode Protektor Frankreichs war. Dieser junge Fant war dem Papste besonders verhaßt. Er war lebhaft und prahlerisch wie ein Franzose, sprach sehr schlecht Italienisch und reizte ihn durch sein weltliches Gebaren und die schlagfertige Dreistigkeit, mit der er ihm zur Freude seiner Kollegen immerfort widersprach. Seit Medicis Ausscheiden war er zum Führer der Opposition geworden und hatte dem Papste manche bittere Stunde bereitet.

Jetzt erhob er sich, zornrot vor Erregung, um zu antworten. Aber Sixtus donnerte ihn an: »Schweigt und setzt Euch auf Euren Platz!« Trotzdem blieb er stehen.

Da übermannte den Papst die Wut. »Hinaus!« schrie er, »oder Ihr sollt Euren Ungehorsam büßen!

Diesmal wagte keiner für Joyeuse einzutreten, denn fast alle teilten den Groll des Papstes oder zitterten vor dieser lebendigen Wetterwolke. Umsonst sah Joyeuse sich wie hilfesuchend im Saale um. Schließlich gehorchte er zaudernd dem Befehl des furchtbaren Greises. Bevor dieser das Konsistorium schloß, setzte er noch eine besondere Kommission für den Kardinalsmord ein. Sein Zusammenstoß mit Joyeuse aber erregte besonderes Aufsehen, da er sonst in den Konsistorien Widerspruch hinnahm, ja ihn oft selbst herausforderte.

So führten die Ereignisse, stärker als die Menschen, zwangsläufig zu einer neuen Annäherung zwischen Spanien und der Kurie. Olivarez erhielt sogar den strikten Befehl, den Zorn des Papstes noch zu schüren und ihn wieder zum Vorspann der spanischen Politik zu machen. Plötzlich war König Philipp aus seiner Starre erwacht und zum Kriege mit Frankreich entschlossen. Was er durch den Untergang der Armada verloren, wollte er zu Lande wieder wettmachen. Schon hatte er mit den Häuptern der Ligue vereinbart, was er zum Lohne für die Rettung des Glaubens haben wollte: die Freigrafschaft Burgund, die Landbrücke zwischen Spanien und Flandern ...

Sturmtage kamen für den Vatikan. Mit äußerster Heftigkeit kämpfte die spanische und die französische Partei um den Papst. Die Spanier und die Ligisten drängten ihn, sich öffentlich für ihre heilige Sache zu erklären. Die französischen Kardinäle dagegen und der Botschafter Pisany beschworen ihn, sich nicht wieder mit Philipp einzulassen, und Gritti warnte ihn vor einer neuen spanischen Knechtschaft. Zwischen diesen streitenden Parteien suchte er zunächst Zeit zu gewinnen, um sein Handeln den Ereignissen anzupassen. Wohlweislich hatte er zu diesem Zweck jene Kongregation ernannt, hinter deren Gutachten er sich verschanzen konnte.

Inzwischen nahmen die Dinge in Frankreich einen immer rasenderen Lauf. Die Sorbonne entband das Volk seines Treueides gegen den König, und der Herzog von Mayenne, der Bruder des ermordeten Guise, rückte mit Heeresmacht auf Paris, während Heinrich um ein Bündnis mit Navarra, dem Führer der Hugenotten, bettelte. Morosini meldete bereits, dies Bündnis sei abgeschlossen. Olivarez, der jetzt täglich beim Papste erschien, stürzte in den Vatikan, als er es erfuhr.

Seine feierliche, steife Gestalt in der schwarzen spanischen Hoftracht, auf der Brust die Ordenskette vom Goldenen Vlies, trat hinkend in den Empfangssaal, denn Olivarez hatte wie sein Landsmann, der heilige Ignaz von Loyola, bei Saint-Quentin eine Wunde erhalten. Kreuz und Schwert -- das war sein Gepräge wie das seiner meisten Landsleute, ein Stück Mittelalter, das in die neue Zeit hineinragte und sie übermannen wollte.

»Der König von Frankreich verhandelt mit Navarra«, sagte er erregt. »Er will den Ständen in Blois die Thronfolge dieses Ketzers vorschlagen. Navarra wird keinen Augenblick zaudern, seinen Irrglauben zum Schein abzuschwören. Mein erhabener König hegt die größte Befürchtung, Eure Heiligkeit werde den rückfälligen Ketzer wieder in Gnaden annehmen. In diesem Falle bliebe ihm nichts übrig, als mit starker Heeresmacht in Frankreich einzurücken.«

Olivarez fand den Papst viel zu lau und zurückhaltend. Sixtus lobte zwar Philipps Eifer für die gute Sache und hielt das Bündnis zwischen Navarra und Heinrich für wahrscheinlich; über die Kernfrage aber, wie er sich zu einer etwaigen Bekehrung Navarras stellen werde, ließ er sich nicht aus. Voller Mißtrauen und Besorgnis verließ der Spanier den Vatikan.

Aber Sixtus hatte noch keinen Entschluß gefaßt. Als Gritti ihn erneut auf die Gefahr hinwies, daß Heinrich mit Navarra gemeinsame Sache machen werde, sagte er: »Das ist sehr wahrscheinlich.« Und zum Staunen des Venezianers setzte er hinzu: »Alles in allem verdient Navarra den Vorzug vor ihm. Und Wir zweifeln nicht, daß Heinrich das gleiche Schicksal erleiden wird, das er den Guisen bereitet hat. Er wird elend umkommen wie Saul.«

»Aber was dann?« fragte Gritti.

Um ihm keine Antwort zu geben, begann Sixtus zu reden. Er schalt auf seinen Vorgänger Gregor, dem er alle Schuld an den Wirren in Frankreich zuschob, auf Grittis Landsmann Morosini, den er sehr zu Unrecht der Mitschuld an jener Mordtat zieh, schließlich auf den König selbst.

»Wir haben alles getan«, rief er aus, »was er wollte. Wir haben ihm erlaubt, geistliche Güter zu veräußern, obwohl es zum Schaden der Kirche war. Neuerdings hat er einen Legaten gewünscht, und Wir haben Morosini zum Kardinal erhoben, obwohl es gegen die Kirchenverfassung ist. Und nun seht, wie seine Geschäfte stehen. Er hat Gottes Geduld erschöpft. Kennt Ihr die Geschichte Pharaos? Er hat das Volk Gottes verfolgt und ist mit Roß und Wagen im Meer ertrunken. Siehe, das ist der Finger Gottes.« Und er erging sich in geschichtlichen Beispielen, um den Nachweis zu führen, daß noch nie ein Herrscher eine ähnliche Missetat vollbracht habe. »Selbst König Philipp,« schloß er, »der mit Unserem Vorgänger Paul Caraffa Krieg um Neapel führte, gab dem Papste die eroberten Städte zurück und schickte den Herzog von Alba nach Rom, um die Absolution zu erlangen. Heinrich aber hat keine Absolution erbeten, und er läßt noch immer einen Kardinal im Kerker schmachten.« Allein Gritti ward durch diese geschichtlichen Abschweifungen nicht klüger. Er merkte nur, daß der Papst die ganze Sache auf das geistliche Gebiet beschränken wollte. Und so geschah es auch.

Auf Pisanys Vorstellungen hin bequemte sich Heinrich endlich dazu, seine Absolution zu erbitten. Er entsandte den Erzbischof von Mans nach Rom, und der Botschafter mußte ihm bei diesem peinlichen Schritt sekundieren. Sixtus empfing beide mit Vorwürfen und tiefen Seufzern. Schließlich erklärte er ihnen, die Absolution sei nur dann möglich, wenn der gefangene Kirchenfürst und der Erzbischof nach Rom gesandt würden.

Da wagte Pisany einzuwenden:

»Wie ist eine solche Reise bei den heutigen Wirren in Frankreich möglich?«

Schließlich begnügte sich Sixtus mit der Forderung, daß die beiden seinem Legaten ausgeliefert würden.

»Aber der Legat hat doch keine Leute, um sie bewachen zu lassen, wandte der Erzbischof ein.

Da wich Sixtus noch einen Schritt zurück und verlangte nur, daß der König ihm schriftlich erklärte, die Gefangenen würden von seinen Leuten im Namen des Legaten bewacht.

So weit gab Sixtus nach, nur um Heinrich nicht in die Arme Navarras zu treiben, aber er schiffte nur an der Scylla vorbei, um in die Charybdis zu geraten. Feig vor der Stärke, war Heinrich frech vor der Nachsicht. Er ließ die Gefangenen nach dem Schloß Amboise bringen, und im April erfuhr man, daß er den Vertrag mit Navarra unterzeichnet hatte. Nun war der Bruch vollkommen. Der Legat reiste spornstreichs von Paris ab und gelangte mit Mühe und Gefahr bis nach Lyon, wo heller Aufruhr herrschte.

Auf den Papst wirkte diese Nachricht wie ein Keulenschlag. Er fühlte sich genasführt und bereute zu spät seine Nachgiebigkeit. Olivarez schalt laut auf seine Lauheit, während Gritti ihm in schlotternder Angst die Gefahr eines Türkenkrieges an die Wand malte. »In Konstantinopel«, sagte er, »freut man sich bereits auf den Krieg zwischen Spanien und Frankreich. Er wird das Signal zu einem Weltbrande sein.« Noch nie waren die Dinge in solcher Verwirrung gewesen.

»Was sollen Wir tun«, sagte der Papst ratlos zu Gritti. »Wir sind arme Menschen.« Aller Herrscherstolz schien ihn in dieser Krise zu verlassen.

»Nur Mut, Heiliger Vater«, tröstete der Venezianer. »Eure Weisheit wird schon Mittel zur Abhilfe wissen.«

»So möge Gott Uns helfen«, stöhnte Sixtus. »Wir sind am Ende Unserer Weisheit.«

Dennoch raffte er sich schließlich zu einer Tat auf.

Am 5. Mai hielt er ein Konsistorium ab. Er machte den Kardinälen tiefstes Schweigen zur Pflicht. Dann ließ er die diplomatischen Schriftstücke vorlesen und schlug die Absendung eines Mahnschreibens vor, das die Zustimmung der Kardinäle fand. Darin ward der König von Frankreich aufgefordert, die Gefangenen binnen zehn Tagen freizugeben und binnen zwei Monaten selbst in Rom zu erscheinen oder einen Vertreter zu entsenden. Wo nicht, würde er exkommuniziert. Sein Bündnis mit Navarra aber ward mit keiner Silbe erwähnt, »aus Höflichkeit«, wie Sixtus zu Gritti sagte, in Wirklichkeit aber, weil er diese geistliche Sache nicht mit den Welthändeln verquicken wollte.

Der Kardinal von Joyeuse und der Marquis von Pisany beeilten sich, Rom vor der Veröffentlichung dieses Mahnschreibens zu verlassen. Als es endlich öffentlich angeschlagen ward, empfand jedermann die Schwere dieses Ereignisses. Doch es kam zu spät. Schon ein paar Tage vor dem Konsistorium war Heinrich mit Navarra in Tours zusammengetroffen, um das Bündnis zu besiegeln.


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