Friedrich v. Oppeln-Bronikowski
Schlüssel und Schwert
Friedrich v. Oppeln-Bronikowski

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25. Die venezianische Gesandtschaft

An einem trüben Novembertage des Jahres 1589 betraten die venezianischen Sondergesandten mit Alberto Badoer die Sala regia und harrten voll banger Spannung der Audienz. Um sich die Zeit zu vertreiben, betrachteten sie die frostigen Fresken Vasaris und der Zuccari, welche die Großtaten der Kirche verherrlichten, von der Bezwingung der Salier und Staufer bis zu dem letzten Türkensieg und den Bildern der Bartholomäusnacht, die ihr Mißfallen erregten. Sie waren zwar alle gute Ghibellinen und freuten sich der Demütigungen jener alten germanischen Ungeheuer, die jetzt nur noch eine fromme Sage waren, aber für das Pariser Blutbad hatten sie nur ein Gefühl des Abscheus. Treue Söhne der Kirche, soweit diese nicht in ihre Hoheitsrechte eingriff, verurteilten sie doch jeden blutigen Fanatismus.

Achselzuckend wandten sie sich von den Bildern ab.

»Unser großer Paolo Veronese, der im letzten Jahre verblichen ist, hätte es besser gemacht«, sagte Donado voll Heimatstolz. Dann begannen sie langsam durch den schimmernden Saal zu schreiten, dessen kostbares Marmorgetäfel sich in den bunten Fliesen des Fußbodens spiegelte. Leiser Weihrauchduft, der Hausgeruch des Vatikans, drang aus der anstoßenden Peter- und Paulskapelle herein und wallte bis zu den hohen Tonnengewölben mit ihren anmutigen Stukkaturen empor.

Während Donado in seinem schwarzseidenen Staatskleide mit der steifen weißen Halskrause und der goldenen Ordenskette auf der Brust, die Linke auf den Degenkorb gestützt, feierlich einherstolzierte, stritt Badoer sich lebhaft mit Priuli und machte seiner Galle Luft, indem er die Zickzackkurse der päpstlichen Politik bekrittelte. Immer wieder war die Republik den Wünschen des Papstes weit entgegengekommen, aber immer wieder hatte es Mißhelligkeiten zwischen Sankt Peter und Sankt Markus gegeben. Bald waren es kirchliche Streitigkeiten, bald der Türkenkrieg, zu dem Sixtus die Republik drängte.

»Assur, der gewaltige Türke, die Rute Gottes, droht den Gläubigen«, sagte Badoer, den Papst nachäffend. »In Wahrheit verdrießt es ihn, daß der Sieg bei Lepanto nicht in sein Pontifikat gefallen ist. Er möchte noch einen größeren Sieg erfechten, und Venedig soll ihm die Kastanien aus dem Feuer holen.'

»Venedig und alle Welt«, nickte Donado bedeutungsvoll.

»Gewiß«, fuhr Badoer hitzig fort; »hat er doch auch mit dem Polenkönig verhandelt, ja selbst die arabischen Heiden, die Perser und Drusen, gegen den Halbmond aufgestachelt! Toskana und Spanien sollten ihm Schiffe stellen. Einen richtigen Kreuzzug wollte er unternehmen. Das eroberte Land aber wollte er zum Kirchenstaate schlagen.«

»Ein verwünscht gescheiter Plan«, lächelte Donado. »Denn so gewänne er nicht nur neue Länder und Steuern, sondern auch neue Seelen, indem er die griechischen Christen zu Sankt Peter zurückführt. So wäscht bei ihm eine Hand die andere. Er will alles für sich haben.« »Das ist es«, nickte Badoer. »Aber es ist dafür gesorgt, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen. Wir schlagen uns nun schon seit Jahrhunderten mit dem Halbmonde herum, und doch ist er immer bedrohlicher geworden. Wie will da der Greis ihn in der kurzen Spanne seines Lebens bezwingen? Das alles sind müßige Träume des Ehrgeizes, Chimären der Mönchsphantasie, die er wahrscheinlich schon als Kardinal ausgeheckt hat, um sich in seiner erzwungenen Muße zu zerstreuen.«

»Spottet doch nicht so«, fiel ihm Priuli ins Wort. »Wer hat wohl seit Julius Caesar so viel vollbracht wie dieser Mönch? Er hat Rom mit Wasser versorgt und Bauten aufgeführt, die ganzer Geschlechter bedurft hätten. Er hat die Pontinischen Sümpfe entwässert und den Buschwald, den Schlupfwinkel der Banditen, in fruchtbares Ackerland verwandelt.«

»Sehr wohl«, nickte Badoer. »Doch begann dies Geschäft, wie Ihr wißt, schon sein Vorgänger Gregor im Süden von Rom. Er ist nur darüber gestorben. Und seit der Buschwald im Norden der Stadt gefallen ist, klagen die Ärzte, die Tramontana tobe mit ungehemmter Wut durch die Straßen, und das Fieber herrsche wie nie. So hat alles, was er tut, ein Janusantlitz. Er erdrückt das Volk mit Auflagen, um Millionen in der Engelsburg zu häufen. Borgt ein Kaufmann auf hohen Zins, um totes Metall aufzuspeichern? Aber Fra Felice ist nicht Kaufmann genug. Mit der Glut eines Eiferers macht man keine Geschäfte, am wenigsten Staatsgeschäfte. Die Signoria wenigstens verfährt nach den Regeln der Staatsklugheit, nicht nach denen der Inquisition.«

»Ihr laßt fürwahr kein gutes Haar an ihm , entgegnete Priuli eifrig. »Ihr hättet nur hier sein sollen, als er den Thron bestieg, dann sprächet Ihr anders. Ich habe die letzten Zeiten Gregors noch in Rom erlebt: welch ein Treiben! Es war gang und gäbe, daß Männer ihre Weiber ermordeten, um eine andere Heirat zu machen. Verworfene Menschen kauften die Richterstellen, bezichtigten Unschuldige, erpreßten Geständnisse durch die Folter, sprachen Schuldige vom Kerker frei. Rache und Begier wüteten; Bluttaten, Schändungen, Erpressungen waren an der Tagesordnung. Sixtus befahl am Tage seiner Thronbesteigung, daß die Hügel mit Wasser versorgt würden, und drei Tage darauf ließ er vier Unbotmäßige aufknüpfen. Er ist im kleinen streng, aber im großen ein Segensbringer. Er straft jeden Ungehorsam drakonisch, aber er belohnt Treue und Tüchtigkeit. Bei Gregor war es umgekehrt. Der war im großen streng, aber die einzelne Tat sah er nach. Es lohnte sich nicht, seine Gunst zu gewinnen, und es schadete nichts, ihm zu trotzen. Sixtus aber gibt jedem, was ihm gebührt, und darum ist er ein großer Fürst.«

»Schon gut«, sagte Donado, sich ins Mittel legend. »Ihr, Priuli, seht ihn noch immer in seiner ersten Glorie, nachdem Ihr die Mißwirtschaft seines Vorgängers erlebt hattet. Da schien alles trefflich und hoffnungsvoll, und der Gegensatz war mit Händen zu greifen. Ihr, Badoer, seht jetzt die Früchte seines Regiments, die enttäuschten Hoffnungen, die fehlgeschlagenen Pläne, denn jede Münze hat ihre Kehrseite. Er ist sicher ein großer Fürst. Das zu bestreiten wäre unsinnig. Aber er beginnt vieles, was über seine Kraft geht, und zu vieles auf einmal. Überhaupt bin ich den Zeloten abhold: da muß ich Badoer recht geben. Bei den blutigen Glaubenskriegen, die jetzt in Europa wüten, bläst er ständig ins Feuer. Schwillt diese Woge des Fanatismus noch höher, so kann es geschehen, daß Europa sich ein Menschenalter lang zerfleischt, indes Handel und Gewerbfleiß zugrunde gehen. Wir aber brauchen Gleichgewicht in Europa, auf daß Handel und Wandel gedeihen. Wahrlich, der unsere blüht erst wieder auf, seit die spanischen Galeeren wohlversenkt im Ärmelkanal liegen ... Wir dürfen daher nicht zulassen, daß Spanien sich wieder erholt und auf Frankreichs Kosten groß wird. Jedenfalls müssen wir den Papst von diesem Bündnis abbringen. Ist Frankreich erst wieder geeinigt, ob unter einem Katholiken oder unter einem Hugenotten, was liegt uns daran? dann mag Seine Heiligkeit meinethalben auf den Türkenkrieg zurückkommen, wenn er dann noch am Leben ist. Alles zu seiner Zeit! Und wer weiß«, setzte er leiser hinzu, »ob wir dann nicht seine verwünscht schlauen Absichten für uns nutzbar machen können. Er wollte ja auch Ägypten erobern, die sandverwehte Fahrrinne der alten Pharaonen wieder ausgraben lassen und sie bis zum Roten Meere durchstechen. Wenn wir das tun, wenn wir das Nilland besetzen und von türkischen Kriegsgefangenen einen Seeweg nach Ostindien durch die Sandwüste graben lassen, dann kann der Handel wieder nach Venedig zurückgelenkt werden. Die Spanier und Portugiesen, die Holländer und Engländer verdienen schon genug an der Neuen Welt: was brauchen sie uns noch den indischen Handel wegzuschnappen? Haben wir ihn erst wieder in Händen, so wird Venedig von neuem die Herren der Adria sein wie in der alten stolzen Zeit.

Seine Augen glühten begehrlich, und er blickte sich um, ob auch kein Lauscher in der Nähe sei.

In diesem Augenblick ward eine Pforte geöffnet; die Hellebarden der Schweizer glänzten auf, und der Majordomus stieß mit dem Zeremonienstabe dreimal auf die Marmorfliesen. Der Papst erschien und schritt auf seinen erhöhten Thronsitz zu, während die Gesandten ins Knie sanken. Als er Platz genommen hatte, winkte er seinem Gefolge, sich zu entfernen, und den Gesandten, sich zu erheben.

»Mit denen zu zerfallen, die man liebt, das tut weh«, begann er, die Hand aufs Herz legend. »Aber Venedig hat Uns gekränkt. Navarra ist ein Ketzer und vom Heiligen Stuhle exkommuniziert. Dennoch hat Venedig ihn anerkannt. Fürchtet die Republik sich vor Navarra? Wir wollen sie mit allen Kräften verteidigen. Wir stehen nicht allein. Es gibt noch einen König von Spanien und einen Kaiser. Die Republik sollte unsere Freundschaft höher schätzen als die Navarras.«

»Heiliger Vater, begann Donado mit demütigem Tonfall, »die Republik schätzt Eure Freundschaft über alles. Sie hat Proben genug davon abgelegt. Auch was sie jetzt tat, geschah nur zum Wohle des Heiligen Stuhles.«

Sixtus blickte den Venezianer erstaunt an. Aber er fuhr unbeirrt fort:

»Jawohl, denn immer bedrohlicher wird die hispanische Übermacht. Eure Heiligkeit selbst vermag nichts mehr zu tun, was den Spaniern nicht genehm ist. Italien ist ja schon halb in ihrer Macht; von Mailand und Neapel aus umklammern sie den Kirchenstaat und die anderen, noch freien Staaten. Beherrschen sie auch noch Frankreich, so hindert sie nichts mehr, Italien nach und nach zu verspeisen wie eine Artischocke. Schon jetzt strecken sie ihre Tintenfischarme nach uns aus. Der Gouverneur von Mailand, unser Nachbar, unterstützt alle Umtriebe gegen die Republik. In den Taschen der Verbannten und Verschwörer findet man spanische Dublonen. Gott gnade uns vor dem Schicksal Flanderns!«

»Ihr malt den Teufel an die Wand,« entgegnete Sixtus, »aber Wir fürchten ihn nicht. König Philipp ist die festeste Stütze des Glaubens, und seine Siege sind die der Kirche. Ihr aber haltet es mit den Ketzern.«

»Wir sind ebenso gute Katholiken wie die Spanier«, wandte Donado ein. »Vielleicht sogar bessere, denn wir wünschen dem Heiligen Stuhle die Freiheit. Wenn aber die Spanier erst die Alte Welt knechten, wie sie die Neue unterjocht haben, wird der Papst bald nur noch der Kaplan des Königs von Spanien sein.«

»Übertreibt doch nicht immer so!« wehrte Sixtus ab.

»Seht doch nur, Heiliger Vater,« fuhr Donado fort, »wie die Spanier sich hier in der Hauptstadt der Christenheit gebärden, stolz und verächtlich, mit spitzen Bärten und langen Degen, als wären sie bereits die Herren. Wahrlich, wir brauchen ein Gegengewicht gegen die spanische Hoffart.«

Es schien des Redens kein Ende zu werden. Ein jeder beharrte auf seiner Meinung und wollte den andern bekehren. Donado wandte den Gegenstand hin und her wie einen schillernden Stoff, mit dem ein Kaufmann das Auge seines Kunden bestechen will. Sixtus aber geriet in Feuer und Flammen, drohte Venedig mit dem Kirchenbann, schlug dann wieder um und versuchte es von neuem mit Güte.

Als beide Teile sich in Reden erschöpft hatten, baten die Gesandten um Urlaub. Der Papst machte Miene, ihnen seinen Segen zu verweigern. Doch es war, als kämpften zwei Seelen in seiner Brust. Einen Augenblick herrschte Stille wie vor einer großen Entscheidung. Schließlich aber sagte Sixtus:

»Wir wollen mit der zuständigen Kongregation reden. Wir werden ihr sagen, daß Wir mit Euch gezürnt haben, aber Euch nicht ganz verurteilen mögen. Wir können Venedigs Benehmen zwar nicht billigen, doch wollen Wir auch die angedrohten Maßregeln nicht ausführen.«

Damit gab er den Gesandten seinen Segen und umarmte Donado. Aufatmend verließen sie den Vatikan, und Donado sagte stolz: »Wir haben einen großen Sieg errungen.« Badoer dagegen ärgerte sich, daß er ihm diesen Trumpf weggeschnappt hatte.

»Amen,« sagte er, »wenn dies alles nicht nur eine Finte ist, um uns in Sicherheit zu lullen. Der Papst steht auf zu gutem Fuße mit König Philipp, um uns nachzugeben. Ich weiß nicht, wie er sich vor dem spanischen Botschafter rechtfertigen will. Ist es aber keine Falle für uns, so begreife ich ihn erst recht nicht. Er erpreßt Millionen zum Kampfe gegen die Ketzer und vergibt ihren Freunden. Er wird altersschwach.«

»Seid sicher,« entgegnete Donado, »mein Wort von der spanischen Weltherrschaft ist ihm in die Seele gefallen. Indem er noch hartnäckig nein sagte, war er im Innern schon halb umgestimmt. Die beiden Gewalten, die Europa entzweien, bekämpfen sich auch in seiner Brust, und er schwankt wie das Zünglein an der Wage. Warten wir ab, ob er nicht das Gleichgewicht findet, und machen wir ihm immer wieder die Gegenrechnung. Das aber sage ich: diese Stunde war ein Wendepunkt. Nicht im Donner der Schlachten, sondern in der Stille der Kabinette fallen die Würfel Europas.«


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