Friedrich v. Oppeln-Bronikowski
Schlüssel und Schwert
Friedrich v. Oppeln-Bronikowski

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18. Ein Abend im Vatikan

Noch war die Armada nicht in See gestochen, als Sixtus die Millionen in der Engelsburg einem anderen Zweck zuwandte: der Vollendung der Peterskuppel, die sein Lebenswerk krönen sollte. Mit der gleichen zornigen Raschheit, mit der er alles anfaßte, betrieb er auch diesen Bau. Tag und Nacht ward an der Kuppel gearbeitet, selbst an den Feiertagen, nur des Sonntags nicht. Sixtus hatte den alten Baumeister der Peterskuppel, Giacomo della Porta, Michelangelos letzten Schüler, aus Pietät nicht verdrängen mögen, aber er hatte ihm den tatkräftigen Fontana beigesellt, auf den er sich verlassen konnte. Übrigens vertrugen beide sich leidlich, denn sie waren an Michelangelos Plan gebunden.

Für Fontana war dieser Auftrag eine übermenschliche Aufgabe, denn die technische Lösung erschien fast als unmöglich, und die Römer hatten sich schon an den Gedanken gewöhnt, daß der Riesenbau nie vollendet werde. Aber Fontana hatte an der Nadel gezeigt, daß ihm nichts unmöglich sei, und so sah denn ganz Rom mit staunenden Augen, wie das Unwahrscheinliche Wirklichkeit ward.

Mit Befriedigung verfolgte Sixtus jeden Zollbreit, den der Bau wuchs. Würde er das Ende noch erleben? Das Nachlassen seiner Kräfte rechtfertigte diese Frage, und zugleich erklärte er den Fiebereifer, mit dem er zur Vollendung drängte. Auf zehn Jahre hatte man sie veranschlagt; er hatte höchstens zwei Jahre Frist gegeben.

Allabendlich, wenn die Glocken das Ave Maria in den glühenden Himmel hinauf läuteten, erschien Donna Camilla, um den Bruder von seiner Arbeit abzuziehen. Dann nickte er ihr freundlich zu, erhob sich von seinem mit Schriften bedeckten Arbeitstisch und sagte: »Komm, wir wollen sehen, wie weit heute die Kuppel gediehen ist.« Und er schritt mit ihr durch die dunkelnden Gänge des Vatikans nach den Loggien des göttlichen Raffael, um Ausschau zu halten.

Die bunten Fresken flammten noch einmal in verdoppelter Farbenpracht auf, bevor sie ins Dunkel der Nacht versanken. Sixtus würdigte diesen anmutigen Heidenspuk keines Blickes. Er trat in eine der weiten Öffnungen, die damals noch nicht verschlossen waren, und bekreuzte sich, während seine Lippen das Abendgebet sprachen. Dann lehnte er sich an die Brüstung und blickte hinaus. Seine gedrungene, leicht gebückte Gestalt in dem halblangen Scharlachmantel glühte wie feurige Bronze. Das Spätrot spielte in seinen unbeweglichen Zügen, übergoß die Runzeln seiner Stirn und rötete die vorspringenden Backenknochen. Selbst sein fast weißes Haar leuchtete rosig unter dem roten, hermelinbesetzten Käppchen. Er öffnete seinen Mantel und sog aufatmend den leichten Abendwind ein, der kühl und erquickend von den fernen sabinischen Bergen herüberwehte.

»Das Fieber quält dich«, sagte Donna Camilla besorgt und trat neben ihn.

»Nein«, entgegnete er abweisend. »Es wird mir nur etwas schwül in dem Mantel und der Pelzkappe.«

In goldigem Glanze winkte der neue Quirinalspalast herüber, von Gerüsten umstellt. »Du solltest bald dorthin auf die gesunden Höhen ziehen«, riet seine Schwester. »Die Luft in der Niederung wird ungesund.«

»Wäre Fontana nur erst mit dem Bauen fertig«, seufzte er. »Aber er hat zu viel zu tun«, versetzte er mit einem Blick auf den neuen Palastflügel des Vatikans, der gleichfalls noch unfertig dastand.

Es war zuviel auf einmal, was er unternahm; er fühlte es selbst. Aber er wollte in die ungewisse Lebensfrist, die ihm noch blieb, die Verwirklichung all der Träume hineindrängen, die er in langen Jahren der Tatlosigkeit gehegt hatte. Rom lag dunstfrei und klar vor ihm, als wäre es eine Stadt ohne Essen und Schlote. Bunte Häuserfronten leuchteten goldgelb oder bernsteinfarben auf. Die hellen Travertinwände einiger neuer Paläste schimmerten rosig wie Tempelmauern. Dunkel und feierlich ragten die Zypressen und Pinien des Pincio auf. Hier und da blinkte die feurige Fußschlange des Tibers, von Brückenbögen gefesselt, aber flußabwärts war die Aussicht versperrt.

Sixtus trat von der Brüstung zurück und lenkte den Schritt nach dem anstoßenden Kreuzarm, von dem aus sich die Peterskirche den Blicken darbot. Der dunkelnde Schattenriß der werdenden Kuppel setzte sich scharf von dem Abendhimmel ab, der aus dem Roten allmählich ins Zwiebelgrüne und Blaue hinüberspielte. Es waren vorerst nur die sechzehn riesigen Gewölberippen, die Fontana emporsteigen ließ, von einem Wald von Gerüsten umgeben, jedes einzelne deutlich erkennbar, aber in der Entfernung wie Spinneweben. Die letzten Arbeiter der Tagesschicht, kletterten von ihnen herab wie schwarze Ameisen. Fackeln flammten auf, und an den riesigen Kränen schwebten neue Steinblöcke empor, um das harmonische Halbrund aufzustufen. Lange blickte Sixtus hinauf.

Wenn die Pilgerscharen von den fernen etruskischen Höhen herab das Ziel ihrer Wallfahrt, das Apostelgrab, erblickten und mit Tränen der Begeisterung in den Staub sanken, um dem Himmel zu danken, daß sie alle Fährnis und Beschwerde der Reise überstanden hatten, würde er dann nicht sein Verdienst daran haben? Doch sein eigner Ehrgeiz floß unlöslich mit den großen Zwecken der Kirche zusammen. Würden die Völker in ihrem schwachen, bedrohten Glauben nicht durch die Größe dieses Bauwerkes bestärkt werden? Und mußten nicht selbst die Verehrer des Heidentums diesem neuen Glauben zujubeln, der das Pantheon auf die Basilika des Konstantin türmte? Mußte dieser Glaube, der Größeres vermochte als die Alten, ihnen nicht als der größere erscheinen?

Auch Donna Camilla empfand die Größe des Werkes und seines Bauherrn. Begeistert murmelte sie: »Was hast du in diesen paar Jahren nicht alles vollbracht zum Ruhm und zur Ehre der Kirche, zum Wohl deiner Untertanen und zu deinem eigenen Ruhm! Wahrlich, dein Name wird fortleben im Gedächtnis der Menschen bis in die fernsten Zeiten!«

Die letzten Glockenklänge verhallten sanft, und die durchsichtige Dämmerung sank auf Rom herab, ein helles Zwielicht, mehr ein Nachleuchten, als hätten die Dinge sich so voll Licht gesogen, daß sie es jetzt wieder ausstrahlten und der Nacht ihre Herrschaft streitig machten. Am westlichen Himmel schwamm die silberne Mondsichel, und ein erster Stern flammte auf. Eine selige Stunde, wie sie nur der Süden kennt, die den Geist in holden Träumen wiegt.

Auch die Seele des frommen Papstes schwelgte ein Weilchen in mystischen Wonnen. Er hatte an diesem Morgen eine Heiligsprechung im Petersdom mit großem Pomp vollzogen, und seine Gedanken kehrten unwillkürlich zu jener Feier zurück.

»Gottes Gnade ist groß in den Kleinen«, sprach er feierlich, mehr zu sich selbst als zu seiner Schwester. »Wie der arme Fischer vom See Genezareth, dessen Riesengrab sich jetzt wölbt, bin auch ich, sein Nachfolger, in Armut geboren und zum Höchsten emporgestiegen. Kaiser und Könige sind mir Untertan wie der Leib der Seele. Aber was ist alle weltliche Macht des Papstes im Vergleich mit der Befugnis, einen armen Knecht Gottes zum Heiligen zu erheben?«

Er fuhr aus seinen Träumen auf, denn der kleine Sangalletto verneigte sich vor ihm und fragte, ob der Kardinal Montalto seinen Bericht abstatten dürfe. Sixtus nickte ihm bejahend zu, und der Jüngling erschien. Ernst und würdig begrüßte er den Papst, dann seine Großmutter, wie ein vollendeter Weltmann. Er ging jetzt ins achtzehnte Jahr und hatte feine, einnehmende, etwas weibliche Züge. Er war nicht nur fromm und sittenrein geblieben, sondern auch klug und geschickt geworden. Sixtus war stolz, daß er sich in ihm nicht getäuscht hatte. Er war treu und verschwiegen wie das Grab; ihm konnte er alles anvertrauen. Aber auch die fremden Herrscher begannen ihn zu schätzen. Sie riefen seine Vermittelung beim Papste an, wenn ihre beglaubigten Gesandten nicht bei ihm durchdrangen. Und selbst wenn auch er nichts ausrichtete, war es doch kein diplomatischer Schritt gewesen, dessen Scheitern sie bloßstellte; kein Ansehen ward verletzt; keine Empfindlichkeit blieb zurück. Er aber zeigte bei alledem einen Takt, als sei er nicht in der Priesterschule erzogen, sondern in der großen Welt aufgewachsen.

»Wir kommen gleich nach, Alessandro«, nickte Sixtus ihm zu. »Geh einstweilen voraus in mein Arbeitsgemach.« Als Montalto sich entfernt hatte, sagte Sixtus zu seiner Schwester: »Wahrlich ein würdiger Enkel, Camilla! Weißt du noch, wie du mich anstarrtest, als ich ihm den Kardinalshut aufsetzte? Aber ich habe alle Tadler Lügen gestraft.«

Die Matrone verabschiedete sich beglückt, und Sixtus folgte seinem Großneffen in das Gemach, das jetzt ein paar silberne Armleuchter mit mildem Kerzenschein erfüllten. Er setzte sich wieder an seinen Arbeitstisch, auf dem eine große Nürnberger Uhr unerbittlich die Stunde wies.

Montalto legte die neusten Nachrichten aus Frankreich vor. Sie waren alles andere als erfreulich. Wie der Nuntius Morosini meldete, hatte der Herzog von Guise sich in Paris verstärkt und die Bastille ohne Schwertstreich genommen, und jetzt schickte er sich zum offenen Kampfe gegen seinen König an. Der Nuntius hatte eine Aussprache mit Guise gehabt und ihm nochmals die Versöhnung mit Heinrich ans Herz gelegt. Wie stets hatte der Herzog beteuert, er wolle nichts als die Ausrottung der Ketzerei. »Wenn Ihr nichts anderes wollt,« hatte Morosini geantwortet, »so werdet Ihr Euch leicht mit dem König vertragen. Darf ich ihm sagen, Ihr seiet bereit, ihm als getreuer Untertan zu dienen, wenn er Euch die Mittel gibt, die Hugenotten zu bekriegen, sei es allein, sei es in Gemeinschaft mit ihm?« Der Herzog hatte es angenommen, und der Nuntius war hinter dem umherirrenden Hofe des Königs einhergereist. Was er dort gesehen, erfüllte ihn mit banger Sorge. Anmaßung und Furcht wechselten miteinander ab, aber die Furcht überwog. Morosini war mit der Zusage nach Paris zurückgekehrt, der König bewillige dem Herzog den Oberbefehl im Hugenottenkriege. Als jedoch die Bedingungen dieser neuen Versöhnung vereinbart werden sollten, verlangte der siegreiche Rebell die völlige Unterwerfung des Königs; von Bedingungen wollte er nichts mehr wissen. Da hatte Morosini sich beschämt aller weiteren Vermittelungsversuche enthalten.

»Eine schlimme Gesellschaft! rief Sixtus aus. »Ihr böser Wille ist offenbar. Und sie werden ihren Willen durchsetzen, das ist gewiß.«

Doch der Zeremonienmeister Allaleone kam das Nachtmahl zu melden, und der Papst ging mit seinem Großneffen in das Speisezimmer, wo sich schon die beiden Familiaren Capelletto und Graziani eingefunden hatten. Eine Weile sprach er noch mit Montalto von den Staatsgeschäften, dann aber wandte er sich den beiden Kampfhähnen zu, um sie gegeneinander zu treiben. Sixtus belustigte sich oft daran. Wie er selbst in den Konsistorien zu streiten liebte, so freute sich seine Kämpfernatur auch beim Mahle an Widerstreit. Das war seine Erholung von den Mühen und Sorgen der Tagesarbeit, und ein freies Wort nahm er dabei nicht übel.

Graziani hatte vor kurzem seine lateinische Lebensbeschreibung des Papstes begonnen und ihm ein Stück davon vorgelegt, und jetzt lauschte er mit gespanntem Ohr auf jedes seiner Worte und machte sich bisweilen Notizen in sein Taschenbuch. Um so mehr ärgerte es ihn, daß Capelletto dazwischenschwatzte.

Dieser hatte heute wieder sein Lieblingsthema vor, den endgültigen Untergang des Neuheidentums. Sixtus hatte das Stichwort dazu gegeben, als er von der Peterskuppel sprach und sie als Abschluß einer hundertjährigen Baugeschichte bezeichnete. »Jetzt kommt eine neue Kunst herauf«, setzte er hinzu. »Wird sie der alten wohl ebenbürtig sein?«

»Mich dünkt,« sagte Capelletto, »sie wendet sich vom Neuheidentum ab. Die Maler und Baumeister wandeln bereits neue Wege.«

Da konnte Graziani nicht mehr an sich halten.

»Gott sei's geklagt,« sagte er, »sie bauen die reinen Kasernen. Und was die Maler betrifft, so sind sie elende Klexer wie Zuccaro, nicht wert, den großen Meistern des letzten Zeitalters die Schuhriemen zu lösen. Der Niedergang der Künste ist unaufhaltsam. Seht doch nur die Übertreibungen, die wilden Gebärden ohne Ursache. Pygmäen, die auf den Spuren der Giganten wandeln und nur ihre Fehler nachäffen und aufsteigern.«

»Auch Eure heidnische Weisheit«, stichelte Capelletto weiter, »ist dem Untergange geweiht. Die Alten sind nicht mehr unsere Vorbilder; höchstens könnten sie unsere Schüler sein. Selbst ihre Sprache wird unmodern. Früher hielt alle Welt griechische und lateinische Reden, die mit gelehrten Zitaten gespickt waren. Jetzt redet man, wie einem der Schnabel gewachsen ist.«

»Bei Gott, das merkt man«, spottete Graziani. »Kaum einer kann noch elegant griechisch oder lateinisch reden, geschweige denn schreiben.«

»Gut! Gut!« lachte Sixtus. »Immer weiter so.« Und er trank ein großes Glas Wein gegen das Fieber.

»Eure Alten sind tot«, fuhr Capelletto voll Eifer fort. »Seit Columbus Westindien entdeckt hat und ein Portugiese um die Weltkugel herumgefahren ist, lacht man über das Weltbild Eures Aristoteles. Ein neuer Geist durchglüht die Welt, der Geist des Glaubens und der Wissenschaft. Die Spanier und Portugiesen haben den Indianern den wahren Glauben gebracht, und überall gibt es Neuland für die Conquistadoren, auch in der Geisteswelt.«

»Ein schönes Gemisch«, spottet Graziani. »Schwärmerei und Gelehrsamkeit im Bunde. Eine neue Scholastik. Aber die Wissenschaft ist eine Sache für sich, und der Glaube quillt aus dem Herzen.«

»Ihr redet ja wie ein Ketzer«, fuhr Capelletto auf. »Aber was ist Euer Aristoteles denn, wenn nicht der Vater aller Scholastiker? Seht, was die Jesuiten jetzt alles vollbringen durch Glauben und Wissenschaft! Sie lehren die Jugend, legen Sternwarten an und gründen Bibliotheken. Aber sie lassen die Wissenschaft nicht auf Abwege geraten. Jede wahre Wissenschaft kommt von Gott und führt zu Gott zurück.«

»Gewiß«, entgegnete Graziani. »Aber die Wissenschaft muß diesen Weg selbst finden. Man darf sie nicht in ein Prokrustesbett spannen.«

»Wir hören Euch gern zu,« fiel Sixtus ein, »denn Wir wissen ja, Ihr meint es nicht böse, wenn Ihr Euch auch fast in die Haare kriegt. Ihr beide dünkt Uns wie ein Stück Unserer selbst, vielleicht unserer ganzen Zeit, die in großen Spannungen emporwächst. Der heidnische Sinnentaumel und das schöne Ebenmaß sind vorbei: darüber ist kein Zweifel. Überall Kampf und Widerstreit, Schwung und Erregtheit. Zwar werden die neubelebten Formen des Altertums nicht untergehen, aber sie erfüllen sich mit neuem Geiste, und eben dadurch wandeln sie sich. Wir verwerfen das Heidentum nicht, sondern wir überwinden es, indem wir es nutzbar machen und darüber hinausstreben. Wir stehen zwischen zwei Zeitaltern. Wir wissen noch nicht, wie die neue Zeit sein wird, denn täglich schaffen wir noch an ihrem Bilde. Sie wird etwas vom Altertum haben, aber noch mehr von der Inbrunst und Frömmigkeit der großen Zeiten des Glaubens, und aus beiden wird etwas Neues erwachsen, was noch keinen Namen hat. Gott allein weiß, wie es der Nachwelt erscheinen wird, und welchen Namen man ihm geben wird.«

»Recht barock wird es den Späteren erscheinen«, murmelte Graziani.

»Nun wohl, barock oder nicht«, lächelte Sixtus. »Jedenfalls wird es das Bild unserer Zeit sein und nicht das der Menschen vor zweitausend Jahren. Es wird seine eigene Größe haben.«

»Seht Ihr, Graziani, so meinte ich es auch«, nickte Capelletto befriedigt.

»Und nun vertragt Euch wieder und reicht Euch die Hände«, gebot der Papst. »Ihr seid Uns beide gleich lieb und wert. Du aber, Graziani,« lächelte er, »wirst deinem Widersacher noch einst Dank schulden, wenn seine Gebete deine heidnische Seele aus der Hölle erlösen.«

Dann nahm er eine Birne vom Nachtisch und sprach:

»Siehe da, Unser eigenes Gewächs! Unsere neuen Obstbäume machen sich. Unsere Gärten tragen jetzt schmackhafte Birnen statt nutzloser Blumen.«

»Diese Birne,« sagte Graziani elegant, »verkündet den Ruhm des Hausherrn, denn Peretti kommt von Pera. Trägt doch auch der Löwe im Wappen Eurer Heiligkeit einen Zweig mit drei Birnen in der Pranke. Er ist freigebig und furchtbar zugleich.«

»So ist es, Latinist«, lächelte Sixtus. »Es ist gut, daß es jedermann sieht. Aber hast du auch ein Gleichnis für den Namen Montalto?«

»Der Balken im Wappen Eurer Heiligkeit?« entgegnete der Familiare schlagfertig, »weist einen Berg auf: Montalto. Und der Stern darüber zeigt die Gunst Fortunas an: Felice.«

»Der Vorsehung, du Heide«, lächelte der Papst. Dann sprach er das Dankgebet.

Alle bekreuzten sich, und die Tafel ward aufgehoben.

Nach dem Mahle machte Sixtus mit seinem Großneffen und den beiden Getreuen einen Gang durch die Vatikanischen Gärten. Die südliche Sternennacht prangte über ihnen, und Schwärme von Leuchtkäfern schwirrten durch die Gebüsche. Zitronenbäume streuten ihren würzigen Blütenduft aus. Aber Sixtus war für solche Dinge wenig empfänglich. Der Duft der Zitronenblüten brachte ihn nur auf die neuen Goldorangen, Portogalli genannt, weil die Portugiesen sie zuerst angepflanzt hatten. Er wollte diese süß mundenden Früchte auch in seinem Garten ziehen. Unwillkürlich brachte ihn das auf alte Kindheitserinnerungen zurück, und er vergaß für ein Weilchen das feierliche Wir.

»Ich sehe wieder den Garten meiner Eltern,« sagte er, »dessen Pacht unsere einzige Habe war, Apfel- und Birnbäume wuchsen darin, Feigen und rosablühende Mandelsträucher. Ein paar alte silbergraue Ölbäume umstanden die Trümmer eines tuskischen Tempels der Cupra. Hinter der stachlichen Hecke dehnten sich Weiden und Saatfelder. Reihen spitzer Zypressen zogen wie eine Prozession schwarzer Mönche zur Stadt, und fern ragten bläuliche Berge mit weißen Schneehäuptern. Wie weit liegt das alles nun hinter mir, und doch ist es, als wäre es gestern gewesen.«

»Dem Herrn sind tausend Jahre wie ein Tag«, versetzte Gapelletto feierlich.

»Ja,« sagte Sixtus; »er ist alt, und ich werde es auch. Ich möchte die Heimat wohl noch einmal wiedersehen, ehe ich sterbe.«

Ein heißer, trockener Südwind sprang plötzlich auf, und am Horizont zeigte sich eine schwarze Wolkenwand. Aber am Zenith funkelten noch die großen Sterne wie kleine Lampen.

»Ich habe eine harte Kindheit gehabt«, sagte Sixtus plötzlich. »Mein Ohm, ein Franziskaner, schoß das Schulgeld für mich vor, und mit zwölf Jahren trat ich in sein Kloster ein. Seitdem habe ich Gehorsam und Demut gelernt, wie die Ordensregel des Heiligen Franz es vorschreibt. Denn die Armut brauchte ich nicht erst zu lernen, und das Fasten war mir geläufig. Auch der Ohm war streng. Oft gab es kein Abendbrot; ich studierte im Kreuzgange des Klosters beim Flackerschein der Laterne, bis sie erlosch ... Aber meine Jugend war von Gesichten und Träumen erfüllt ... Mein Vater war ein armer Mann, so arm, daß er sich vor seinen Gläubigern verstecken mußte, und meine Mutter führte der Donna Diana in Ancona das Haus, um das Leben der Ihren zu fristen. Eines Nachts vernahm mein Vater eine Stimme: »Geh, Peretti, umarme dein Weib. Es wird dir einen Sohn gebären, der das Höchste erreicht. Bei Nacht schlich mein Vater zu ihr, und ich war das vierte Kind, das Marianna gebar ...«

»Sol quarto die natus est, die Sonne ist am vierten Tage geboren«, schaltete Graziani ein.

»Nun ja, das ist deine heidnische Weisheit«, spottete Sixtus gutmütig. »Aber benutze es immerhin, denn du willst ja mein Leben beschreiben, und die Jugend ist vielleicht der wichtigste Abschnitt im Dasein. Alles Spätere ist nur Entfaltung.«

Er schwieg ein Weilchen; dann fuhr er fort:

»Übrigens war mein Vater ein sonderbarer Heiliger. Er vertröstete seine Gläubiger auf mich. Wie Madonna Camilla mir erzählt hat, sagte er oft, daß er einen Papst trage, und er ließ die Leute meine Füße küssen. Darum hieß er mich auch Felice, den Glücklichen. Und fürwahr, ich hatte schon als Kind großes Glück. Als Säugling fiel ich in einen Teich, an dem meine Tante die Wäsche wusch, aber sie zog mich unversehrt heraus. Ein andermal fiel der Leuchter an meinem Bette um und setzte es in Flammen, aber die Mutter fand mich lachend und unversehrt.«

»Wie Servius Tullius,« fiel der Latinist ein, »dem in der Wiege die Flammen das Haupt umgaben.«

»Ja«, sagte Sixtus. »War er nicht der Sohn einer Sklavin? Arm und niedrig bin auch ich geboren, und ich schäme mich dessen nicht. Das Lesen lernt' ich aus den Fibeln, die die Schulkinder liegen ließen ... Wie deutlich tritt doch die Kindheit wieder vor das geistige Auge, wenn die Haare weiß werden und man mit einem Fuß schon im Grabe steht!«

»Eure Heiligkeit wird noch lange leben«, sagte der junge Montalto, der bisher geschwiegen hatte. »Die Kirche, Rom und die ganze Welt brauchen Euch.«

»Meinst du?« seufzte Sixtus und versank in Schweigen.

»Wir wollen heimkehren«, sagte er nach einer Weile. »Wir haben Uns lange genug verschwatzt, und die Arbeit harrt. Wir haben noch viel zu schaffen.«


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