Friedrich v. Oppeln-Bronikowski
Schlüssel und Schwert
Friedrich v. Oppeln-Bronikowski

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14. Der Jesuitengeneral

Im Herbst 1586, da das Weinlaub sich rötete und das Volksfest der Traubenlese begann, erschien in Rom der Jesuitengeneral Acquaviva, um dem neuen Papste Kunde von den Eroberungen seines Ordens in Deutschland zu bringen. Diese geistliche Weinlese war nicht minder verheißungsvoll als die in den latinischen Rebenhängen.

»Was eben noch für abergläubisch, ja schimpflich gegolten,« sagte der General, »das hält man jetzt wieder für heilig. Worin man noch eben ein Evangelium gesehen, das erklärt man nun für Betrug.«

Und er ging die einzelnen Länder durch wie ein getreuer Sachwalter, der seinem Herrn Rechnung über Soll und Haben legt. Der Hauptgewinn war am Rhein erzielt, wo die Gefahr des Verlustes am größten gewesen war. In den letzten Zeiten Gregors, wo alles drüber und drunter ging, war der geistliche Kurfürst Gerhard Truchseß von Köln zu Kalvins Irrlehre übergetreten, hatte ein Weib genommen und wollte das Erzstift säkularisieren. Der Adel war für ihn, und Kasimir von der Pfalz war ihm zu Hilfe geeilt, um die Stadt und das Kapitel zu bezwingen. Doch Gregor hatte ihn sofort abgesetzt, und der Bischof von Freising, Herzog Ernst von Bayern, war den bedrängten Glaubensbrüdern mit einem bayerischen Heere zu Hilfe geeilt, zu dem noch spanische Kriegsvölker aus Flandern stießen. Der Sieg blieb den Katholischen, und Kasimir von der Pfalz floh, vom Kaiser geächtet, zu Oranien.

Zum Lohne war der Bayer Kurfürst von Köln geworden. Inzwischen hatte er noch die Bistümer Lüttich, Münster und Hildesheim erlangt und so vier Krummstäbe in seiner Hand vereinigt.

»In Köln«, berichtete der Jesuit, »straft er jetzt das Anhören ketzerischer Predigten mit Geldbußen und Turm. Und schon sind die Söhne des heiligen Ignatius unterwegs, um in Münster Schulen einzurichten und die Jugend zu erziehen.«

»Und wie sind jetzt die Sitten des Kurfürsten?« fragte Sixtus.

In Rom und in Italien kannte man sie noch recht gut. Vor zehn Jahren war er als zwanzigjähriger Bischof mit zwei ehrbaren Hofmeistern über die Alpen geschickt worden, weil er es daheim allzu toll getrieben hatte. Aber in Italien trieb er es noch schlimmer. Seine beiden Tugendwächter ertappten ihn bei nächtlichen Ausflügen auf der Strickleiter, und eines Tages war er mit seinem Freunde, dem Tunichtgut Camillo Baldi, durchgebrannt. Von Gregor verfolgt, war er abwechselnd bei Bischöfen und in Klöstern eingefallen und hatte sich überall durchgepumpt, bis er bei dem duldsamen Kardinal Granvella, dem alten Staatsminister des Königs Philipp, in Gaëta gelandet war, allwo man sich die Zeit mit Weib und Wein, Gesang und Würfelspiel vertrieb. Schließlich aber ereilten ihn dort zwei Abgesandte seines Herrn Vaters, die ihn wieder heimführten. Unterwegs erleichterte er noch die Herzöge von Ferrara und Mantua um 10+000 Goldgulden, und als dann die beiden Gläubiger nebst vielen anderen mahnten, bestätigte Seine Hoheit ihnen dankend den Empfang ihrer Zeilen, bedauerte jedoch, augenblicks keine Zeit zu haben ...

»Seine Aufführung?« lächelte der Jesuit. »Tolerari potest. Sie läßt sich ertragen.«

Sixtus war nicht seiner Meinung, denn auch ihn hatte er anborgen wollen, und seine Sittenlosigkeit stieß ihn ab.

»Der Erzbischof hat Uns um Geld angegangen«, sagte er. »Wozu? Er besitzt drei Bistümer außer seinem Erzstift, und dabei hat er noch nicht mal die höheren Weihen erhalten. Wie sollen die Dinge da gut gehen? Nichts werden Wir ihm schicken. Er entsage seinen Bistümern, begnüge sich mit Köln und lebe, wie es einem Prälaten geziemt. Dann werden Gott und die Menschen ihm helfen. Fährt er aber so fort, so kann es geschehen, daß er in die Fußtapfen seines Vorgängers tritt. Köln, Lüttich und Münster das gäbe ein schönes weltliches Kurfürstentum, stark genug, sich auch der spanischen Kriegsvölker zu erwehren.«

»Nein,« entgegnete der Jesuit, »unsere Herrschaft am Rhein ist gesichert, solange die Spanier in Flandern stehen. Mit der Zeit wird sie sich vollkommen ausbilden.«

»Und wie steht es mit dem Herzog von Cleve?« fragte der Papst weiter.

»Wilhelm von Cleve ist ein lauer Katholik. Er nimmt flüchtige Ketzer auf und hält seinen Sohn, der unserer Sache eifrig zugetan ist, von allen Regierungsgeschäften fern. Der Sohn ist sehr aufgebracht darüber.«

»Wir haben bereits«, entgegnete Sixtus, »Unseren Nuntius angewiesen, ihn zur Geduld zu ermahnen. Auch haben Wir den Kaiser gebeten, ihm einstweilen eine angemessene Stellung zu geben. Wir dürfen den Herzog nicht verprellen, sonst springt er uns ganz ab.«

»Ich sprach den Nuntius in Düsseldorf«, sagte der Jesuit. »Er behauptet, sein Einfluß bei Hofe sei groß. Die Kalvinisten hätten auf dem Landtage Begünstigungen gefordert, aber er hätte das zum Scheitern gebracht.«

»Optime!« rief Sixtus, in die Hände schlagend. »Und wie steht es in Paderborn und in Osnabrück?«

»Auch da hat Gott uns Gnade erwiesen. Wie Eure Heiligkeit weiß, ist der frühere Erzbischof von Bremen, der auch Osnabrück und Paderborn hatte, zur Zeit Ihrer Thronbesteigung vom Pferde gestürzt und gestorben. Sonst hätte er wohl in die Fußtapfen des verruchten Truchseß von Köln treten können. So aber sind uns beide Bistümer gerettet. Paderborn ist freilich ein dürrer Acker, der keine Frucht trägt, denn die Bürger sind größtenteils Kalvinisten, und die Menschen sind dort schwerfällig und eigenwillig.«

Dann ging er zu Oberdeutschland über.

In Würzburg herrschte der junge, unternehmende Echter von Mespelbronn. Auch der war anfangs gefährlich gewesen. Als der Kurfürst von Köln seinen Staatsstreich wagte, sollte er mit ihm im Bunde gestanden und auch Sachsen um Hilfe angegangen haben. Jetzt aber war er ins Gegenteil umgeschlagen und rottete die Irrlehren mit Nachdruck aus.

»Seit dem letzten Frühjahr«, sagte der Jesuit, »hat er in Würzburg Ernst gemacht, denn die Hälfte der Bürger besteht noch aus Ketzern. Aber er hat die Lauen bekehrt und die alten frommen Bräuche wieder eingeführt. Die Muttergottesandachten, die Prozessionen und Wallfahrten, die Bruderschaften -- alles ist wieder in Aufnahme gekommen. Die Klöster sind neu besetzt. Kirchen werden gebaut ...«

»Ja,« unterbrach Sixtus, »man hat Uns aus Würzburg um Reliquien gebeten. »Wir haben sie bereits abgesandt.«

»Und das Volk«, schloß der Jesuit, »ist guter Dinge. Sie bauen dort einen guten Wein, der unserem Orvieto verwandt ist. Fröhliche Menschen aber lieben Glockenklang und Musik und Kirchenpomp. Um Würzburg ist mir nicht bange, sowenig wie um Köln.«

»Und Bamberg?« fragte Sixtus.

»Der Bischof von Bamberg folgt dem Beispiel des Würzburgers. Er hat mir erklärt, er werde sich durch keine Gefahr abhalten lassen, seine Pflicht zu tun.«

Der Papst war entzückt. Die großen geistlichen Stifter in West- und Süddeutschland waren starke Außenposten der Kirche, denn die Landesherren waren fast souverän.

»Und was die österreichischen Erblande betrifft,« setzte Sixtus hinzu, »so sind Wir darüber völlig beruhigt. Sie sind die festesten Stützen des Glaubens, und da braucht man nicht mit Handschuhen anzufassen, sondern kann mit der Faust zugreifen. Jedem Widerspenstigen ist schwere Züchtigung sicher. Er wird in die Verbannung geschickt, und seine Güter werden eingezogen.«

»Wohl, daß man in Österreich so vorgehen kann«, sagte der Jesuit.

»Besonders gute Kunde haben Wir aus Salzburg«, fuhr der Papst fort. »Der junge Erzbischof Dietrich von Raittenau war ja früher hier bei seinem Oheim, dem Kardinal Altemps, und ist im Collegium germanicum erzogen. Wir kennen ihn gut; er ist voller Bewunderung für Unsere Regierungsart und ahmt Unsere Grundsätze in Salzburg nach. Wir hoffen, er reist über kurz oder lang wieder nach Rom; da soll er Uns selbst erzählen, wie weit er gekommen ist. Einstweilen hat er ganze Arbeit gemacht. Von jedem Untertanen hat er das Glaubensbekenntnis verlangt, und wer es nicht ablegte, mußte in Monatsfrist auswandern. Nicht viele freilich haben sich bequemt, mit der Kerze in der Hand Kirchenbuße zu tun und ihre Irrtümer abzuschwören. Die meisten, und just die Wohlhabendsten, haben ihre Güter verkauft und sind ausgewandert. Es ist ein starrköpfiges Bauernvolk. Wir fürchten nur, er treibt es etwas zu hitzig, denn ein Fürst ohne Geld ist nichts; das wissen Wir selbst am besten. Um zu Gelde zu kommen, hat er die Steuern und Gefälle stark erhöht, und mit diesem Gelde baut er Kirchen und Paläste im römischen Stil. Die Häuser der Exulanten aber hat er abreißen lassen. Wenn er sich nur nicht bankrott macht. Dergleichen mag in Spanien angehen, wo das Gold der neuen Welt die Löcher im Beutel stopft, allenfalls auch in Rom, aber nicht in einem armen Berglande.«

»In Sachen des Glaubens«, entgegnete der Jesuit, und ein tigerhaftes Zucken ging um seine Mundwinkel, »ist es keine Gnade, Nachsicht zu üben, wenn man mit Strenge verfahren kann. Es ist besser, daß einige zugrunde gehen, als daß ein ganzes Volk verderbe.«

Sixtus gab keine Antwort darauf, obwohl er es mit den Briganten nicht anders hielt. Er ging auf Augsburg und Regensburg über, wo die Katholiken allmählich die Oberhand gewannen und allzu hartnäckige Protestanten vertrieben.

Es war ein großer katholischer Sieg, der sich von Land zu Land wälzte, bald mit gelinden, weltklugen Mitteln, bald mit unnachsichtiger Härte, je nach den Umständen. Und vor dieser Flutwelle ging der traurige Zug der Vertriebenen einher. Wie einst die italienischen Protestanten sich über die Schweiz und Süddeutschland ergossen hatten, so zogen jetzt die west- und süddeutschen Flüchtlinge nach dem Norden oder nach Holland, um dort eine neue Heimat zu suchen, und die protestantischen Fürsten nahmen sie mit offenen Armen auf.

Dennoch zitterten die Fürsten selbst noch vor Rom und fürchteten einen Bannstrahl, wie Sixtus ihn zu Beginn seiner Regierung gegen Heinrich von Navarra geschleudert hatte. Manche schickten bereits geheime Agenten nach Rom, um ihre Geneigtheit zum Glaubenswechsel kundzutun, damit der Papst ihre Untertanen nicht des Gehorsams und Eides entbände.

»Wollte Gott,« sagte Sixtus, »sie kämen alle zu unseren Füßen.«

Acquaviva dagegen traute ihnen nicht.

»Sie wollen nur Zeit gewinnen,« entgegnete er, »und die Kurie hinhalten. Ein kräftiger Bannstrahl würde sie zwingen, Farbe zu bekennen.«

»Nein«, entgegnete Sixtus. »Die deutschen Fürsten müssen Wir vorerst mit zarten Fingern anfassen. Der Kaiser selbst hat Uns gebeten, keine solche Bulle zu veröffentlichen. Er fürchtet, sein Reich möchte ihm sonst ganz aus den Fugen gehen. Wir können nur auf die einzelnen Fürsten einwirken, und inzwischen setzen Eure Jesuiten ihr frommes Werk fort und bekehren die Seelen durch Schule und Predigt.«

»Es kommt freilich viel auf die Landesfürsten an«, nickte Acquaviva. »Aber die Güter und Stifter der Kirche sind eine große Lockspeise für sie und bewegen viele zum Abfall. August von Sachsen hat sich allein drei Bistümer zugelegt.«

»Wir haben einen starken Bundesgenossen im Adel«, wandte Sixtus ein. »Er hat ein ausschließliches Recht auf die Stifter und verteidigt sie fast überall wie sein Erbgut ...«

Ein trauriges Gespräch für einen wahren Freund Gottes! Auf den Sieg ihres Glaubens erpicht, verquickten diese beiden weitblickenden Männer ihre heilige Sache unlösbar mit irdischer Politik und dem menschlichen Eigennutz. Und wer die Kriegsgreuel jener Zeit kannte, der hätte geklagt, daß sie Gottes Sache mit den Waffen des Teufels verfochten. Aber war es auf der Gegenseite anders?

Beide Parteien waren so von Glaubenseifer verblendet, daß ihnen jedes Mittel recht dünkte, und die Zeit spitzte sich zu furchtbaren Entscheidungen zu. Überall Kampf und Qual, Hammer oder Amboß. Auch die Katholiken hatten jetzt ihre Märtyrer. Stahlharte Menschen saßen auf den Thronen Europas oder kämpften um sie: Papst Sixtus, Philipp von Spanien, Elisabeth von England und Heinrich von Navarra.

Sixtus bewunderte die heldenhafte Königin, die Frankreich und Spanien die Spitze bot. Er hätte sie gern zum rechten Glauben zurückgeführt, aber sie lachte aller Bekehrungsversuche, und wie hätte sie an einen Glaubenswechsel auch nur denken können! Vielmehr sollte sie bald die ganze katholische Welt in Aufruhr versetzen.

Nicht lange nach dem Besuche des Jesuitengenerals traf aus England die Kunde ein, daß Elisabeth die rechtgläubige Königin Maria von Schottland, die seit Jahren im Kerker schmachtete, zum Tode verurteilt hatte. Die Nachricht fiel wie ein Funke in ein Pulverfaß, und der lange angesammelte Zündstoff flammte auf wie ein riesiger Scheiterhaufen ...

In Rom erfüllte Sixtus die Konsistorien mit seinen Anklagen wider die englische Isebel, die sich an dem geweihten Haupt einer Königin vergreife, die niemandem Untertan sei als dem Statthalter Christi. Aber mit Klagen war Maria Stuart nicht zu helfen. Auch hier mußte die weltliche Macht in den Dienst des Glaubens treten.

So ballten sich schwere Wetterwolken über Europa.


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