Friedrich v. Oppeln-Bronikowski
Schlüssel und Schwert
Friedrich v. Oppeln-Bronikowski

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1. Der Kardinal Montalto

Ein strahlender Apriltag des Jahres 1582 tauchte Rom in Licht und Farben. Eine bunte, lärmende Volksmenge wirbelte durch die engen, winkligen Gassen und staute sich schreiend an den Häuserwänden und den Buden der Kaufleute, wenn die Karosse eines vornehmen Fremden, in ihren Ledergehängen wippend, über das holperige Pflaster rumpelte, ein Reiterzug mit funkensprühenden Hufen das Gewimmel der Fußgänger durchschnitt oder ein hochräderiger, grell bemalter Campagnakarren, von buntscheckig ausstaffierten Pferden oder Maultieren gezogen, mit Bausteinen oder Weinfässern beladen, vorüberrasselte. Ganz arg ward es vollends, wenn zwei Wagen sich begegneten und die Lenker sich brüllend und peitschenknallend auszuweichen suchten.

In seinem bescheidenen Wagen fuhr auch der Kardinal Montalto, Felice Peretti, von seinem Hausmeister Sangalletto begleitet, durch dies bunte Gewimmel nach dem Esquilin, um den Stand der Arbeiten an seiner neuen Villa zu besichtigen, die er bald zu beziehen hoffte. Das Volk erkannte ihn und machte dem Gefährt ehrerbietig Platz, denn er war in Rom wohlbekannt, und wenn man ihn auch nicht liebte, fand man es doch löblich, daß er im Purpur der Kirche das fromme Leben eines Franziskaners fortsetzte. Mönchische Strenge sprach aus seinem Antlitz mit den breiten Backenknochen, den vorgewölbten Augenbögen, unter denen ein Paar scharfe Augen blitzten, der kräftig gebildeten Nase über dem langen Vollbart.

Die Römer kannten ihre Kardinäle, ihre Vergangenheit und Lebensart und wußten alle nach Gebühr zu schätzen. Den einen zischten sie boshafte Bemerkungen nach, die ihrem früheren Wandel galten. Andere verehrten sie wie Heilige. Wieder andere, aus den großen Herrscherhäusern Italiens, die Medici, Este, Farnese, waren beliebt wegen ihrer Pracht und Freigebigkeit, ihrer fürstlichen Lebenshaltung.

Aber in den Augen des Volkes nahm der Kardinal Montalto doch einen besonderen Rang ein. Als armer Franziskanermönch hatte er sich einst durch seine Kanzelreden hervorgetan; dann hatte man ihn als Reformator der Zucht seines Ordens und als Inquisitor fürchten gelernt, und schließlich war er zum Berater des heiligen Papstes Pius V. emporgestiegen und einer der einflußreichsten Kardinäle geworden. Aber plötzlich hatte seine glänzende Laufbahn ein jähes Ende gefunden, und er hatte die Unbeständigkeit des Glückes bis zur Neige gekostet. Der jetzige Papst Gregor XIII. hatte den Günstling seines Vorgängers von allen Geschäften ausgeschlossen; seitdem sah man Montalto nur noch bei den Konsistorien und Kirchenfesten. Aber nicht genug damit, Gregor zeigte ihm seine alte Feindschaft unverhohlen und kränkte ihn durch spöttische Reden und sichtbare Demütigungen. Eines Tages, nach einer Funktion in Santa Maria Maggiore, als er Montaltos neue Villa in den Trümmern der Diokletiansthermen erstehen sah, war er in die Worte ausgebrochen: »Arme Kardinäle bauen sich keine Paläste!« Und er hatte ihm seine Pension, die »Schüssel des armen Kardinals«, entzogen.

Ganz Rom wußte das und sah mit Verwunderung, wie gefaßt Montalto diese Kränkung ertrug. Nur eins fiel auf: daß er trotzig weiterbaute. Im übrigen lebte er höchst sparsam in größter Zurückgezogenheit mit seiner ganzen Sippe, seiner frommen Schwester Camilla und deren Kindern und Kindeskindern. Ihm waren nur 8000 Scudi Einkünfte geblieben, und was er davon erübrigen konnte, das legte er in Bauten und Büchern an. In Santa Maria Maggiore hatte er dem seligen Papste Nikolaus IV., seinem Ordensbruder, ein Grabmal errichtet und den Bau einer Kapelle begonnen, in der er selbst einst zu ruhen wünschte. Inzwischen pflanzte er in seiner Vigne Bäume und Rebstöcke wie ein einfacher Landmann und erbaute jene Villa, die seine Bücher und seine kleine Antikensammlung aufnehmen sollte.

Aber wenn er in Demut ertrug, was Gott ihm verhängt hatte, und über seine eigene Zurücksetzung kluges Schweigen bewahrte, so vermochte er doch seine scharfe Zunge nicht zu zähmen, wenn er auf die öffentlichen Mißstände kam, die unter dem schwachen Gregor eingerissen waren und schon längst jedes Maß überschritten. Denn in Rom und in anderen Städten des Kirchenstaates herrschten Mord und Raub, und die vornehmen Mörder und Diebe gingen ungestraft aus. Vollends auf dem Lande waren die wilden Zeiten der Borgias wiedergekehrt; keine Landstraße, kein Dorf, keine Kleinstadt war vor den Banditen sicher. Die römischen Großen nahmen sie nicht nur in Schutz, sondern benutzten sie selbst, um ihre Fehden miteinander auszufechten. So bildeten die Räuber richtige Heere unter erprobten Hauptleuten und zogen mit Fahnen und Trommeln durchs Land. Und wenn die elenden päpstlichen Söldner sich ihnen zu stellen wagten, schlugen sie sie schimpflich in die Flucht. Von allerwärts fanden sie Zuzug, nicht nur von den Bauern, die ihnen völlig preisgegeben waren, sondern auch aus den Städten und von den Burgen des Adels. Alle, die was auf dem Kerbholze hatten und von der Justiz verfolgt wurden, die ihr Geld vergeudet hatten oder Abenteuer suchten, gingen in den Busch, wie der Ausdruck lautete, und wurden Briganten. Und das Volk wob ihnen einen blutigen Heiligenschein.

Was half es da, daß Gregor eine schöne Straße, die seinen Namen verewigen sollte, nach der Wallfahrtsstätte Loretto und bis zum Hafen Ancona erbaut hatte, wenn doch kein Mensch sie ungefährdet beschreiten konnte? Und was fruchtete es, wenn er die Maremmen von Ravenna trocken legte, solange das Landvolk von jenen Blutsaugern gepeinigt ward? Lauter schöne hochfliegende Pläne, in denen seine Eitelkeit sich sonnte, aber bar jedes praktischen Nutzens, weil die nötige Tatkraft fehlte. Selbst an Logik gebrach es diesem hochberühmten Juristen. Der Hafen von Ancona war leer, weil die unmäßigen Zölle den Handel erdrückten, und die Landstraße diente nur den Briganten.

Die beiden Klepper fuhren Montaltos Wagen eben an dem düsteren Palazzo Venezia vorbei, wo der Botschafter der Republik von San Marco wohnte. Der konnte ein Lied davon singen, wie oft die venezianischen Kuriere auf jener Landstraße ausgeraubt wurden! Dann fiel das Gefährt in Schritt und klomm an der ragenden Burg der Colonna vorbei den Hang des Quirinalhügels empor. Rechts stieg die Torre delle Milizie auf, ein trotziger Turm aus der Baronialzeit, vom Volke der Turm des Nero genannt, und links zweigte der steile Weg nach dem Quirinalhügel ab. Dann schoben sich Gärten und Vignen zwischen die Häuser, und die Straße ging in einen ausgefahrenen, steinigen Weg über, der bergauf und bergab zwischen Mauern hinlief, an denen schillernde Eidechsen entlanghuschten und bestaubte Steinbrechgewächse ihre schmächtigen Blüten entfalteten.

Schließlich ragten die braunen Riesentrümmer der Diokletiansthermen auf, und rechts öffnete sich das Tor einer Vigne, durch das ein keuchendes Maultiergespann einen Karren voller Steine hineinzog. Das war Montaltos Besitztum. Maurer im Leinenkittel, braune Gestalten mit bloßer, zottiger Brust und sehnigen Armen, kamen und gingen über den Bauschutt. Montalto ließ den Wagen am Eingang halten und schritt durch den Garten. Grauer Staub wölkte auf, und aus dem Neubau der Villa quoll ein feuchtkalter Hauch wie aus Grüften in die warme Frühlingsluft. Mit Genugtuung sah Montalto, wie die letzten Gerüste abgerissen wurden.

Als der Baumeister Fontana den Kardinal erblickte, kam er aus der Villa, klopfte sich den Kalkstaub vom Rock und begrüßte ihn ehrerbietig. Montalto nickte ihm freundlich zu. Er liebte den unternehmenden Mann mit der kühnen Adlernase und den kraftvollen Zügen. Als armer Maurer war er einst aus Como nach Rom gekommen und hatte sich durch Fleiß und geringe Ansprüche zum Meister emporgeschwungen. Er war rasch und tatkräftig, reich an Hilfsmitteln und sparsam in seiner Arbeit. Jetzt schoß er sogar die Löhne und Baukosten vor, weil die schmale Börse des Kardinals versiegt war. Er setzte große Erwartungen auf diesen Kunden im Purpurkleid und glaubte, daß Montalto noch eine große Zukunft bevorstände. Mochte er jetzt auch zusetzen, er hoffte künftig desto besser auf seine Rechnung zu kommen. Für ihn wie für alle Wagemutigen war Rom der große Tummelplatz der Talente; mit Kelle und Meßzirkel konnte man hier ebensogut sein Glück machen wie im Priesterkleide. Jeder Papst, jeder Kirchenfürst, jeder Vornehme baute, um seinen Namen oder den seines Hauses zu verewigen. Die großen Baumeister des goldenen Zeitalters, die Rom den Stempel ihrer Werke aufgedrückt hatten, waren freilich ins Grab gesunken; um so größer aber war für den jungen Nachwuchs der Ansporn, ihnen ebenbürtig zu werden.

Auch Montalto hatte den Traum seiner Zukunft noch nicht völlig begraben. Er verhehlte ihn zwar mit Bedacht und besaß auch nicht mehr den blinden Glauben der Jugend. Aber immer wieder verglich er das, was jetzt war, mit dem, was hätte sein sollen und was vielleicht noch einmal sein würde. Hatte doch jeder Kardinal ein Recht, auf die höchste Würde der Christenheit zu hoffen, und die letzten Päpste waren sämtlich aus bescheidenem Stande hervorgegangen. Seinem eigenen Vater aber hatte ein Traum prophezeit, sein Sohn werde dereinst die dreifache Krone tragen.

Durch Schutt und Staub stieg er die Treppe hinan und betrat einen Saal voller Gerüste, auf denen bereits die Freskomaler die Decke ausschmückten. Zwischen den Brettern hindurch schaute er eine Weile ihrer Arbeit zu, dann trat er auf die Loggia hinaus und hielt Umschau. Die Gärten ringsum standen in voller Frühlingspracht, von braunen Ruinen durchsetzt. Blühende Mandelbäume hoben sich wie rosige Flecken von dem jungen Grün ab; hier und da ragten schwarze Zypressen säulenschlank und feierlich auf. Aber Montalto hatte keine Maleraugen; sein Blick fiel auf andere Dinge. Was hätte sich hier oben nicht alles vollbringen lassen, wenn der Wille da war! Statt des Gassengewirrs in der ungesunden Niederung, die der Tiber alljährlich überschwemmte, breite geradlinige Straßen und luftige Häuser, eine neue Hügelstadt in hoher, gesunder Lage. Aber das Wasser fehlte hier oben, und die stolzen Bogenreihen der alten Aquädukte, die durch die ferne Campagna zogen, sanken in Trümmer ... Montalto wies mit der Rechten auf sie hin. »Was meinst du, Domenico,« sagte er vertraulich zu dem Baumeister, der neben ihm stand, »wenn wir hier Wasser hätten, um die Brunnen und Gärten zu speisen? Man müßte die alten Leitungen wiederherstellen oder neue erbauen.

»Ein großes Werk, Eminenz,« entgegnete Fontana, »eines römischen Kaisers oder eines großen Papstes würdig. Aber erst müßte man die Briganten ausrotten, die das Land unsicher machen.«

Montalto blickte ihn überrascht an. Dieser Maurer hatte Geist von seinem Geist und erriet seine Gedanken. Er würde gewiß noch Großes leisten. Aber er selbst war ohnmächtig und zur Tatlosigkeit verurteilt. Er rieb sich wund an diesem Gegensatze zwischen Wollen und Nichtvermögen, und sein Leben neigte schon dem Ende zu. Würde es ihm wohl beschieden sein, noch so lange zu warten, bis das Blatt sich wandte?

Ein harter, finsterer Zug trat auf sein Antlitz. Eine tiefe Falte grub sich in seine Stirn, und die schwarzen lebhaften Augen sprühten Blitze unter den buschigen grauen Brauen.

Fontana erschrak, als er diesen plötzlichen Wechsel seines Mienenspieles sah; er glaubte, den Unwillen seines Bauherrn erregt zu haben.

»Eminenz,« begann er mit schüchternem Tonfall, »der Bau wird nicht mehr lange dauern. Das schöne Wetter begünstigt die Arbeit, und die Villa wird bald trocken sein. Die Maler sind ja schon emsig am Werke, und dann bleibt nur noch das Aufräumen.«

Ebenso schnell wie Montaltos Züge sich verfinstert hatten, hellten sie sich wieder auf. »Ich glaube es dir,« sagte er freundlich, »denn du bist ein Mann, der Wort hält. Treibe nur deine Leute tüchtig an, daß sie ebenso emsig sind wie du ... Und dann weiter an das andere; vergiß meine Grabkapelle nicht.«

»Damit hätte es wohl noch gute Weile«, entgegnete Fontana schmeichlerisch. »Eure Eminenz wird noch viele große Dinge vollbringen, ehe dieser Schlußpunkt gesetzt wird.«

»Meinst du, Domenico?« lächelte der Kardinal. »Wenn du dich nur nicht betrügst. Die Tage eines Greises sind gezählt.«

»Gott beruft keinen ab, bevor er sein Erdenwerk vollbracht hat,« entgegnete Fontana überzeugungsvoll, »am wenigsten einen, der Großes vermag.«

»Du bist ein Schmeichler, Domenico«, brummte Montalto. »Es ist menschlicher Fürwitz, in die Pläne der Vorsehung eindringen zu wollen.«

Der Baumeister stand mit glühenden Blicken vor ihm. Sein Glaube tat ihm wohl und erquickte ihn wie ein frischer Quell den durstenden Wanderer.

»Nun, ich will dir deine Zuversicht nicht rauben«, lenkte er ein. »Auch ich weiß, was der Glaube vermag. Freilich hat meine Arbeit sich nicht so sichtbar ausgewirkt wie die deine, die in Stein dasteht. Doch als Arbeiter im Weinberg des Herrn war ich nicht minder emsig als du.« Und er sprach von seiner Jugend und den raschen Fortschritten auf den hohen Schulen von Ferrara und Bologna, wo er sich den Doktorhut der Gottesgelahrtheit und anderer Fakultäten mit großem Lobe erworben hatte.

Als Montalto die Treppe wieder hinabgestiegen war, ging er mit seinem Hausmeister in den Garten, um die jungen, selbstgepflanzten Obstbäume zu besichtigen. War er doch als Gärtnerbursche und Hirtenknabe aufgewachsen, mit dem Sinn für das Wachstum der Pflanzen und das Gedeihen der Kreatur. In dem väterlichen Pachtgarten zu Grottamare in der Mark Ancona hatte er das Obst bewacht und des Nachts bei Sternenschein das Vieh gehütet wie der Knabe David. Er schämte sich dessen nicht: hatte Gott David nicht auch auserkoren vor allem Volke? »Gott ist groß in den Kleinen«, pflegte er zu sagen.

Während sein Sinn in die Vergangenheit zurückschweifte, erklang plötzlich ein gellender Schrei aus dem Neubau, und Fontana stürzte erschrocken herbei. Nach kurzer Frist kam er bleich und erregt zu Montalto: beim Abreißen der Gerüste war ein Balken herabgestürzt und hatte einen Zimmermann am Kopfe verletzt. Der lag nun ohnmächtig auf einem Schutthaufen, von seinen Genossen umringt, und blutete aus einer klaffenden Stirnwunde. Niemand hatte ein reines Tuch bei sich. Montalto ging auf ihn zu, zog das seine aus der Tasche und gebot, ihn zu verbinden. Man riß seinen Leinenkittel in Fetzen und band sie über das Tuch, doch sie sogen sich bald voll Blut. »Meinen Wagen!« gebot der Kardinal. Aber schon schlugen ein paar Zimmerleute aus Stangen und Brettern eine Bahre zusammen, legten den Verletzten darauf und bedeckten ihn mit einem alten, zerlöcherten Mantel. Dann hoben sie ihn auf ihre kräftigen Schultern, um ihn nach dem nahen Kloster in den Diokletiansthermen zu tragen. Montalto zog seine Börse und gab Fontana ein paar Scudi.

»Sorge in meinem Namen für ihn«, sagte er, »und laß mich bald wissen, wie es mit ihm steht. Gott helfe ihm!«

Dann ging er hinter der Bahre zum Tore der Villa; es sah aus wie ein Leichenzug. Fontana bekreuzte sich dreimal. »Wenn es nur keine schlimme Vorbedeutung ist«, murmelte er Sangalletto zu.

Als der Wagen beim Heimwege wieder an der Colonnaburg vorbeikam, dachte Montalto lebhaft an seine Vergangenheit zurück. Hinter der Burg, am Fuße des Quirinals, lag die Kirche und das Kloster Sant' Apostoli: dort hatte seine glänzende Laufbahn begonnen, und dorthin war er nach ruhmvollen Wanderjahren zurückgekehrt. Auch mit den Colonna hatte er damals wertvolle Beziehungen geknüpft, die noch jetzt andauerten.

»Wie doch die Jahre vergehen«, sagte er zu seinem Hausmeister, der ihm gegenüber im Vordersitze saß. »Dreißig Jahre sind es nun her, daß ich dort einzog. Ich war damals ein junger Fastenprediger und erregte doch schon Aufsehen in der Hauptstadt der Christenheit. Das war viel, denn hier hatte ich nicht schlichte Fromme zu Hörern, sondern Krittler und Neider, sogar Kardinäle und fremde Botschafter. Aber ich war damals noch dreist und verschonte selbst die größten Herrscher Europas nicht. Der hochselige Kardinal Carpi war mein Gönner. Er hatte sich schon seit ein paar Jahren meiner angenommen, als ich bei einem Disput über einen zungenfertigen Kalabresen obsiegte. Es war damals die Zeit, wo die Kirche aus ihrem neuheidnischen Traume erwachte und sich zum Gegenschlage wider die Ketzer aufraffte. Der feurige Ignaz von Loyola und der sanfte Filippo Neri, diese heiligen Männer, die Kardinäle Caraffa und Ghislieri, die nachmals den Thron Petri bestiegen, würdigten mich ihrer Freundschaft und besuchten mich armen Mönch oft stundenlang in meiner Klosterzelle ... Ich werde Ghislieris ersten Besuch nie vergessen. Bei einer meiner Predigten hatte mir ein Feind einen versiegelten Brief auf die Kanzel gelegt. Als ich meine Predigt geendet, erbrach ich ihn. Es war eine Aufzählung aller meiner Hauptsätze, und bei jedem stand mit großen Buchstaben geschrieben: »Du lügst.« Ich erschrak und sandte den Brief an die heilige Inquisition. Gar bald erschien der Großinquisitor Ghislieri in meiner Zelle. Seine tiefliegenden Augen unter den strengen Brauen, seine scharfgeschnittenen Züge jagten mir Schrecken ein, und eine unerbittliche Prüfung begann. Aber je mehr er mich fragte, desto sanfter ward sein Ausdruck, und er lächelte fast. Schließlich umarmte er mich unter Tränen. Seitdem ist er mein zweiter Beschützer geblieben.«

Montalto schwieg eine Weile, von dieser Erinnerung hingerissen. Dann begann er von neuem:

»Aber auch weltliche Ehre ward mir zuteil. Als Hauslehrer kam ich in den Palazzo Colonna, und das war nichts Geringes für einen armen Mönch, denn wie du weißt, können mit dem Hause Colonna nur noch die Orsini und zwei bis drei andere Geschlechter an Macht und an Glanz wetteifern. Mancher Spargroschen wanderte seitdem nach meiner Heimat, denn meine Schwester Camilla war seit kurzem verwitwet und darbte mit ihren Kindern.«

Sangaletto war zwar nur der Hausmeister des Kardinals, aber er besaß seine Zuneigung. Ihm gegenüber verhehlte Montalto nicht seinen Stolz, daß er aus niederem Stande durch eigenes Verdienst und durch Gottes Gnade zum Kirchenfürsten emporgestiegen war.

Steil fürwahr und oft rauh war der Aufstieg gewesen. Siege und Niederlagen hatten miteinander gewechselt. Er war in die Welt hinausgesandt worden, um in den Klöstern seines Ordens die Beschlüsse des Tridentiner Konzils durchzuführen und dem heidnischen Unwesen zu steuern, das selbst diese frommen Stätten der Weltentsagung ergriffen hatte. In Siena, in Neapel hatte er mit heiligem Eifer und mit unerbittlicher Strenge durchgegriffen und sich den Dank seiner Oberen verdient, aber auch große Feindschaft bei seinen Ordensbrüdern erregt. In Venedig hatte er den Augiasstall nicht zu säubern vermocht; an dem einmütigen Widerstande war sein harter Wille erlahmt. Mutlos war er nach Rom zurückgekehrt, aber mit größeren Ehren und Vollmachten, als Consultor des Heiligen Officiums, war er wieder zurückgesandt worden und hatte weiter reformiert und geeifert, bis er beim Rate der Zehn als Unruhestifter verklagt ward. Er hatte den Index der verbotenen Bücher veröffentlicht, den Besitzern solcher Bücher die Absolution verweigert und so das blühende Buchgewerbe Venedigs geschädigt. Da hatte die Signoria seine Abberufung gefordert. Aber auch diese Verfolgung hatte ihm mit nichten geschadet, sondern ihn noch größer gemacht. Als apostolischer Vikar seines Ordens war er wieder in Sant' Apostoli eingezogen und hatte den Kampf mit den Widerspenstigen fortgesetzt. Der Kardinal Carpi hatte ihn weiter beschützt, und nach dessen Tode hatte Ghislieri, der den Papstthron bestieg, ihn zu seinem einflußreichsten Ratgeber erkoren.

Seitdem stand er im Ruf unbeugsamer Härte, aber er hatte auch Proben von wahrhaft römischer Seelengröße abgelegt. In Venedig hatte er seinen ärgsten Gegner zum Prior des Frariklosters vorgeschlagen, und als der Haupturheber seiner zweiten Abberufung wegen schwerer Verfehlungen nach Rom zitiert ward, hatte er ihn durch seine Fürbitte beim Papste gerettet. So zeichnete sein Charakter sich immer schärfer ab: in der Sache hart und unnachsichtig, war er als Mensch hochherzig und ohne jede persönliche Rachsucht. Christliches Heldentum nannte man das, aber es war ebensogut römische Tugend, eines Trajan würdig.

Welch ein Tatensturm lag hinter ihm! Und was hatte er nicht alles erlebt und erfahren! Alle Geschäfte des geistlichen Standes waren durch seine Hände gegangen; selbst die Geheimnisse des Vatikans hatten sich ihm entschleiert.

»Ja, ich habe vieles erlebt!« sagte er plötzlich wie im Selbstgespräch. »Fast dünkt es mich jetzt wie ein Traum. Aber nun wird mein Lebensfaden bald abgeschnitten sein, und ich werde meine Tage in der neuen Villa beschließen.«

»Wer weiß, was der Himmel Eurer Eminenz noch vorbehalten haben mag«, entgegnete Sangalletto. Aber der Kardinal winkte ihm mit müder Handbewegung ab.


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