Friedrich v. Oppeln-Bronikowski
Schlüssel und Schwert
Friedrich v. Oppeln-Bronikowski

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9. Der Fürst Orsini

Am nächsten Tage fand die Huldigung des römischen Adels statt. Als erster beugte Paolo Giordano Orsini das Knie vor dem neuen Herrscher und gelobte ihm Treue. Sixtus blickte ihn durchdringend an und gab keine Antwort auf seine Schmeichelreden. Dieser Anfang verhieß ihm nichts Gutes. Er fuhr sofort zu seinem Schwager, dem Kardinal von Medici, der ihn zu beruhigen suchte.

»Fra Felice«, sagte er, »hat mir in die Hand gelobt, er werde die Angehörigen des Hauses Medici als seine Verwandten betrachten. Er ist ein Mann, der sein Wort hält; somit ist kein Grund zu Besorgnis.«

Aber der Orsini gab sich damit nicht zufrieden. Sein schlechtes Gewissen ließ ihm keine Ruhe. Er bestand auf einer Privataudienz, um die wahren Absichten des Papstes zu ergründen.

Medici versprach, sie herbeizuführen. Er fühlte sich als Papstmacher und war stolz auf den Sieg, den seine unbedenkliche Florentiner Staatskunst herbeigeführt hatte. Er glaubte das Ruder der Kirche in Händen zu halten.

Am Nachmittag suchte er den Papst auf. Er fand ihn in der fiebernden Unrast der ersten Regierungsgeschäfte. Sixtus fühlte sich ihm zwar zu großem Danke verpflichtet, aber er wußte auch, daß Medici ihm nur auf den Stuhl Petri verholfen hatte, um die Wahl seines Todfeindes Farnese zu vereiteln. Im Grunde dankte er seine Erhebung nur Gott und dem eignen Verdienst. Die Menschen waren nur blinde Werkzeuge der Vorsehung gewesen. Und er gedachte selbst zu regieren.

»Womit kann ich Euch dienen?« fragte er den Kardinal freundlich und lud ihn zum Sitzen ein.

»Eure Heiligkeit,« begann der Florentiner -- er sagte jetzt nicht mehr Fra Felice -- »der Anteil, den ich an Eurer Erhebung hatte, macht es vielleicht verzeihlich, wenn ich zwei Dinge vorbringe, die mir auf dem Herzen liegen.«

»Sprecht offen wie mit einem Freunde«, entgegnete Sixtus.

»Das erste ist dies«, begann Medici würdevoll. »Es geht ein Gerücht, dem ich mein Ohr kaum zu leihen wage: der junge Alessandro, Eurer Heiligkeit Großneffe, soll Kardinal werden.«

»Ja, im nächsten Konsistorium.«

Medici schien tief erstaunt.

»Bei aller schuldigen Ehrfurcht«, sagte er, »wage ich zu bemerken: dieser Akt des Nepotismus wird Ärgernis erregen.«

»Wieso?«

»Wir leben nicht mehr im Zeitalter der Borgias. Die lutherische Ketzerei hat die Gewissen geschärft. Eure Heiligkeit kennt ja selbst zur Genüge die Irrungen und Wirrungen, die aus dem Verhältnis Ihres in Gott ruhenden Vorgängers zu seinem natürlichen Sohne entsprungen sind. An sich war diese Sache ja verzeihlich, denn der Signor Giacomo stammte noch aus der Zeit seines weltlichen Standes. Dennoch hat er diesen Sohn auf Andringen der Kardinäle aus seiner Nähe verwiesen und ihn erst in seinem höchsten Alter aus väterlicher Schwäche wieder zu sich gezogen.«

»Was hat das mit meinem Großneffen zu tun?«

»Auch er ist ein Blutsverwandter Eurer Heiligkeit. Was wird das Kardinalskollegium sagen, das Eure Heiligkeit erwählt hat, was Rom und die Welt, wenn Papst Sixtus seine Regierung damit beginnt, daß er einen noch nicht fünfzehnjährigen Priesterschüler zum Kirchenfürsten erhebt? Ich tue nur meine Pflicht gegen das Heilige Kollegium wie gegen Eure Heiligkeit selbst, wenn ich darauf hinweise.«

Sixtus war sehr ernst geworden, und die Falten in seiner Stirn gruben sich tiefer.

»Wir danken Euch für Eure offene Sprache und für Eure gute Absicht«, entgegnete er. »Wir haben von Euch nichts anderes erwartet. Aber die Verantwortung für Unsere Handlungen tragen Wir selbst.«

»Alessandro ist noch nicht mal zum Priester geweiht«, wandte Medici ein.

»Das läßt sich nachholen«, versetzte Sixtus. »Der Kardinal Andreas von Österreich hat bis heute noch nicht die Priesterweihe erhalten. Und was Alessandros Jugend betrifft, so wißt Ihr, daß der lange Farnese, Euer Feind, mit vierzehn Jahren den Purpur erhielt und seitdem auf der großen Weltbühne gestanden hat. Und Ihr selbst, Medici, habt auch nur die niederen Weihen erhalten.«

Dieser Streich saß; Sixtus merkte es wohl. Medici zuckte die Achseln, als wolle er sagen: »Nun ja, dafür sind wir auch fürstlichen Geblüts; Alessandro aber ist nur ein ganz kleiner Landjunkersohn.«

Um das Prickeln seines Tatzenhiebes zu mildern, fuhr der Papst fort: »Wir verdienten erst dann Vorwürfe für unsere Wahl, wenn sie sich als falsch erweisen sollte, aber Wir glauben das Gegenteil. Alessandro wird dem Namen Montalto Ehre machen, und Ihr werdet Euch seiner Jugend nicht zu schämen brauchen.«

Medici sah, daß er auf einen eisernen Willen stieß, und so ging er zu seinem zweiten Anliegen über. Im Grunde war es ihm ganz gleichgültig, ob Montalto Kardinal wurde oder nicht, denn er dachte allein an die Größe seines eigenen Hauses. Er hatte ihn nur vorgeschoben, um den Papst in die Abwehr zu drängen und desto mehr für Paolo Giordano herauszuschlagen.

»Das zweite«, fuhr er fort, »betrifft den Herzog von Bracciano. Eure Heiligkeit hat mir zugesagt, die Angehörigen des Hauses Medici als Ihre eigenen Verwandten zu betrachten, aber mein Schwager möchte sich selbst vergewissern, wie Sie ihm gesonnen sind, und er bittet um eine Privataudienz.«

Sixtus war aufgestanden und machte einen Gang durch das Gemach. Dann sagte er, stehenbleibend, mit einem Anflug von Gereiztheit: »Allerdings hat der Herzog am Tage Unserer Wahl einen Schritt getan, den Wir nicht voraussahen und den Wir ihm übelnehmen könnten.«

»Da muß ich ein Wort für ihn einlegen«, versetzte Medici. »Er hat während des Konklaves die ersten Rechtslehrer und Theologen befragt, und die haben ihm einstimmig versichert, das Eheverbot Gregors sei mit seinem Tode erloschen. Da hat er das Interregnum benutzt, um zum Ziel seiner Wünsche zu kommen.«

»Er hätte bis zur Wahl des neuen Papstes warten müssen,« sagte Sixtus scharf, »denn während der Sedisvakanz ruht die bindende und lösende Gewalt.«

»Will Eure Heiligkeit diese Ehe anfechten?«

»Gott behüte Uns davor«, platzte Sixtus heraus. »Wir haben Besseres zu tun, als in alten Wunden zu wühlen. Aber Euch verstehe ich nicht, Medici, daß Ihr Eurem Schwager jetzt das Wort redet, wo er Eurer Schwester eine Nachfolgerin gibt, die Euch selbst nicht genehm war.«

Der Kardinal schwieg wie ein Schachspieler, der über seinen Gegenzug nachsinnt. Schließlich sagte er spitz:

»Das sind Familienangelegenheiten, so gut wie Alessandros Bekleidung mit dem Purpur. Ich könnte auch hier Gründe vorbringen, über deren Wert sich streiten ließe. Paolo Giordano läßt nun mal nicht von seiner Liebe zu Vittoria Accoramboni, und was bisher geschehen ist, hat ebensoviel Ärgernis erregt, als wenn man die Dinge hätte gehen lassen. Ich bereue jetzt selbst, daß ich einst Schritte getan habe, um diese Ehe anzufechten. Orsini ist ein Eisenkopf, und er erreicht schließlich doch, was er will, wenn nicht hier, so andernorts. Zudem verschlimmert sein Leiden sich zusehends, und er wird es wohl nicht lange mehr treiben. Geruhe Eure Heiligkeit also, nochmals ein Auge zu schließen und ihn zu empfangen.«

»Wir stehen zu unserem Wort, Medici,« sagte Sixtus fest, »und werden ihn wegen des Vergangenen unbehelligt lassen. Aber was will er von Uns? Wozu eine Privataudienz? Genügt es ihm nicht, daß er sich mit dem römischen Adel zur Huldigung einfand? Will er uns dem Gespött preisgeben und überall erzählen, er habe seinen Willen ertrotzt, und Fra Felice habe seinen Segen dazu gegeben? Dazu würden Wir Uns nie hergeben.«

»Gewiß nicht , stimmte der Kardinal zu. »Aber nichts liegt ihm ferner, als Eure Heiligkeit zu kränken. Ihn bedrückt nur die Sorge um seine Zukunft und um die seiner Gattin. Er war erschreckt über den Blick, den er bei der Huldigung empfing, und begehrt die Audienz nur, um sich der Huld Eurer Heiligkeit zu versichern. Ich schwöre, daß er nichts anderes will.

»Nun denn, in Gottes Namen,« seufzte Sixtus, »Wir wollen ihn noch einmal empfangen.

Ein Lächeln huschte über die undurchdringlichen Züge des Florentiners. Als kluger Schachspieler glaubte er wieder einmal gewonnen zu haben, und er war mit dieser ersten Machtprobe zufrieden. So verließ er den Vatikan mit der gleichen unerschütterlichen Ruhe und Würde, mit der er gekommen war.

Im Portal traf er den Kardinal Alessandrino, den sein neues Amt in den Vatikan führte.

»Ihr wart schon beim Papste!« rief dieser erstaunt.

»Ja, Privatangelegenheiten«, lächelte Medici.

»Ei, quält doch den guten Alten nicht gleich«, sagte Alessandrino. »Wir werden ja doch unfehlbar das Zepter führen.«

»Meint Ihr?« entgegnete Medici. »Wenn Ihr Euch nur nicht verrechnet. Er wird uns alle in die Tasche stecken.«

Am nächsten Tage erschien Orsini zur Audienz. Als Sangalletto ihn meldete, durchschritt Sixtus hastigen Schrittes ein paarmal das Gemach, um sich die Fassung zu erkämpfen. Dann winkte er dem Kämmerer, ihn vorzulassen. Der entsann sich noch wohl seines Beileidsbesuchs nach Francescos Ermordung.

Die schwerfällige Gestalt des Fürsten erschien zwischen den Türvorhängen, hinkte auf den Papst zu und versuchte ein Knie zu beugen. Das war nicht mehr der anmaßliche Grande von einst, sondern ein Mann mit krankem Herzen und siechem Leibe; nur die harten, herrischen Augen hatten noch etwas von ihrer alten Tücke und Wildheit.

»Eure Durchlaucht ist leidend. Bequeme Sie sich«, sagte Sixtus, auf einen Sessel deutend.

Einen Augenblick begegneten sich beider Blicke wie Dolche. Dann begann der Orsini mit falschem Lächeln eine wohl einstudierte Rede, in der er das Vergangene klüglich überging. Er beglückwünschte Sixtus zu seiner neuen Würde und stellte ihm als getreuer Vasall seine Macht und seinen Besitz zu Diensten.

Der Papst hörte ihn mit tiefem Ernst an. Als er ausgeredet hatte, entgegnete er, Wort für Wort abwägend:

»Niemand wünscht sehnlicher als Wir, das Leben und Handeln Eurer Durchlaucht künftig des Blutes der Orsini und eines christlichen Ritters würdig zu sehen. Euer eigenes Gewissen wird Euch am besten sagen, welcher Art das Benehmen Eurer Durchlaucht gegen den Heiligen Stuhl und gegen Unsere Person gewesen ist. Was Ihr dem Kardinal Montalto und seiner Familie antatet, haben Wir Euch vergeben. Aber« -- und hier wurde seine Stimme drohend und seine Augen sprühten -- »irgendwelchen Widerstand gegen den Willen des Papstes Sixtus werden Wir nicht dulden. Wir gebieten Euch also hiermit, aus Eurem Palast und aus Euren Besitzungen unverweilt alle Banditen und Missetäter zu verweisen, denen Ihr bisher Freistatt gewährt habt.«

Solche Sprache hatte der Fürst noch von keinem Papste vernommen. Sie erschreckte ihn, aber sein reizbarer Hochmut fühlte sich verletzt, und fast hätte er eine dreiste Antwort gegeben. Zum Glück bezwang er seine Zorneswallung, und da er sah, wie die Dinge standen, erhob er sich mit sichtlicher Beschwerde, beugte nochmals mühsam ein Knie, und der Papst entließ ihn mit dem Segenszeichen. Sangalletto, der ihn hinausgeleitete, wunderte sich über die Kürze dieser Audienz.

Der Fürst fuhr sofort zu seinem früheren Schwager und berichtete ihm alle Einzelheiten. Medici war betroffen.

»Fra Felice wird sein Wort halten,« sagte er, »im guten wie im schlimmen. Entlasse darum unverweilt alle Banditen, vor allem den Marcello Accoramboni, dem er am wenigsten verzeihen wird. Am besten aber: entziehe dich selbst seinem Machtbereiche.«

»Du meinst?«

»Daß dein krankes Bein dich verpflichtet, für seine Heilung zu sorgen. Suche die Bäder von Abano auf; sie liegen im Gebiet von Venedig, und dein Haus ist der Signoria von alters her durch Dienste und Gegendienste verbunden. Dort bist du in völliger Sicherheit.«

»Dank für deinen Rat«, entgegnete er. »Ich will ihn reiflich bedenken. Aber daß ein Fürst Orsini einem Franziskaner das Feld räumen soll, das ist doch wohl noch nie dagewesen.«

»Die Zeiten haben sich geändert«, entgegnete der Kardinal. »Wir haben uns einen Herrscher gegeben, der wie Julius der Zweite sein wird.«

»Ihr wißt selbst nicht, was Ihr getan habt«, brummte der Orsini.

Während diese Worte gewechselt wurden, hatte Vittoria einen ebenso dreisten Streich gewagt wie ihr zweiter Gatte, aber auch ihr bekam er schlecht. Sie erschien bei Donna Camilla in der Via papale, und als sie abgewiesen ward, drängte sie sich fast mit Gewalt in ihr Gemach. Die Szene war äußerst peinlich. Vittoria spielte die Harmlose, schmeichelte, bettelte, setzte ihr bezauberndstes Lächeln auf, warf sich schließlich der Matrone zu Füßen. Aber Donna Camilla schluchzte unaufhörlich und überhäufte sie mit bittersten Vorwürfen. Endlich ging Vittoria beschämt fort.

Noch ganz aufgelöst vor Erregung, fuhr Donna Camilla am Nachmittag in den Vatikan, um ihrem Bruder diesen Vorfall zu berichten. Sie fand ihn mit Geschäften überlastet und konnte ihn nur kurz sprechen. Aber selbst seine unendliche Nachsicht schien jetzt zu Ende; er fand Vittorias Benehmen ebenso dreist wie töricht. Das beschwichtigte sie etwas. Als er jedoch von Orsinis Audienz erzählte, geriet sie wieder in helle Entrüstung.

»Für wie dumm oder schwach müssen die beiden uns halten!« rief sie zornbebend aus. »Er sieht in dir auch jetzt nur den Mönch und in mir die Bauersfrau.«

Mit tiefem Schmerz erkannte Sixtus, daß sein ganzes Bemühen, Camillas Herzenswunde zu schließen, umsonst gewesen war. Vittorias Besuch hatte sie wieder aufgerissen wie am ersten Tage. Er selbst sah die letzten Vorfälle zwar nicht mit den haßgetrübten Blicken seiner Schwester an, doch er erkannte wohl, daß die Dinge so nicht weitergehen könnten. Und er gedachte auf seine Weise zum Ziele zu kommen.


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