Oskar Meding
Zwei Kaiserkronen
Oskar Meding

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Dreiunddreißigstes Kapitel

Am nächsten Morgen saß der Graf Alfred Wedel, ein schöner, kräftiger Mann von sechsunddreißig Jahren mit vollem blonden, rückwärts gekämmtem Haar und kleinem blondem Schnurrbart, starken, edlen Gesichtszügen und blauen, offenen und treuherzigen Augen, in dem Arbeitszimmer seiner Wohnung in der Beletage der großen, von einem weiten Garten umgebenen Villa, deren Parterreräume der Minister Graf Platen bewohnte.

Graf Wedel hatte die Durchsicht der Tagesrechnungen beendet, welche der Küchenmeister des königlichen Hofhalts ihm vorgelegt, er hatte mit scharfer Genauigkeit die Ausgaben kontrolliert, über einzelne Punkte seine Bemerkungen gemacht, Befehle für das Diner des Tages gegeben, zu welchem der König eine Anzahl Einladungen aus der Wiener Gesellschaft befohlen, und sich dann, nachdem er den Küchenmeister entlassen, auf sein Sofa zurückgelehnt, indem er langsam die blauen Wolken einer Zigarette von türkischem Tabak in die Luft blies und sinnend den vielverschlungenen Linien nachblickte, welche dieselben durch das Zimmer hinziehend bildeten.

»Welch' ein Wechsel des Schicksals!« sprach er in ruhigem Ton, »wie anders ist die Zeit geworden, seit ich das Hofmarschallamt in Herrenhausen antrat! – Damals der Leiter eines der ältesten, glänzendsten und legitimsten Höfe, jetzt ein verbannter Flüchtling, heimatlos, zu langjähriger Zuchthausstrafe verurteilt, fern von meinem Hause, das ich mir eben erst gegründet, gezwungen, auch meine arme Frau zu einem heimatlosen Umherirren zu verurteilen, das ist in der Tat ein Wechsel des Schicksals, wie man ihn früher in unserer so prosaischen Zeit kaum für möglich gehalten hätte. Oft möchte ich den Mut verlieren, – aber,« fuhr er fort, indem ein warmes Licht aus seinen Augen schimmerte, »mein Weg ist mir durch die heilige Pflicht vorgezeichnet, die Pflicht der liebevollen Dankbarkeit gegen den König, der mir stets Gnade und Vertrauen bewiesen hat, und mit dem ich jetzt auch die Tage des Unglücks und der Demütigung teilen muß. Hätte ich, wie so viele andere, das ruhige Leben in der Heimat vorgezogen, so würde die Stimme der Ehre in meinem Herzen mich verurteilen; – besser so, da ich mir sagen kann, meine Pflicht erfüllt zu haben, – und ich erfülle sie gern und mit Freuden für meinen so edlen, so gnädigen und so großdenkenden König.«

Ein kurzes Klopfen ertönte an der Tür und unmittelbar darauf trat schnell in etwas aufgeregter, rascher Bewegung der Minister Graf Platen in das Zimmer.

Er war im Morgenanzug, das glänzend schwarze Haar sorgfältig frisiert, seine sonst matten und abgespannten Züge erschienen durch nervöse Erregung belebt.

»Ich komme vom König, lieber Wedel,« sagte Graf Platen, »und habe Ihnen einen Wunsch desselben mitzuteilen.«

Graf Wedel war aufgestanden und schob einen Sessel für den Grafen Platen heran, in welchem dieser sich erschöpft niederließ, und sagte lächelnd:

»Der König wird mich doch nicht in diplomatischer Mission versenden wollen, dazu würde ich sehr wenig passen – da meine Natur sehr offen ist und ich leider viel zu oft und viel zu deutlich sage, was ich denke.«

»Es handelt sich hier nicht um Diplomatie, sondern um Finanzsachen«, sagte der Graf.

»Finanzsachen,« fragte Graf Wedel erstaunt, »was kann ich damit zu tun haben? Sollte etwa der König noch weitere Einschränkungen im Hofhalt verlangen? Das wird kaum möglich sein, ich tue in der Tat das äußerste und habe soeben noch einige Posten in der Küchenverwaltung reduziert.«

»Nein,« erwiderte Graf Platen, »es handelt sich um keine Ökonomie, im Gegenteil um eine Operation, welche hoffentlich alle Ökonomie überflüssig machen wird. Sie haben früher von dem Bankprojekt gehört, welches dem König proponiert wurde –«

»Ich erinnere mich,« sagte Graf Wedel, »es war eine ziemlich vage Idee, und der König lehnte das Eingehen auf dieselbe bestimmt ab.«

»Dieselbe hat eine festere Gestalt angenommen.« sagte Graf Platen, einen leichten Husten unterdrückend, »wir haben dieselbe eingehend geprüft, und der König hat mit großem Scharfsinn, wie ich bezeugen muß, erkannt, daß das ganze Unternehmen, welches die österreichische Regierung, die den dringenden Wunsch hat, sich von dem Einfluß der Wiener Börsenmatadore freizumachen, auf das entschiedenste unterstützen wird, – daß dieses Unternehmen sehr viele günstige Chancen bietet und daß es durch dasselbe möglich werden wird, das königliche Vermögen vielleicht so zu vermehren, daß man den unter Sequester befindlichen Teil desselben demnächst ersetzen kann, jedenfalls aber aus den Mitteln, welche dem König verfügbar geblieben sind, einen sehr viel höheren Ertrag erzielen muß.«

Graf Wedel schüttelte den Kopf.

»Ich verstehe davon wenig,« sagte, er, »aber es scheint mir denn doch für den König nicht unbedenklich zu sein, sich in derartige Unternehmungen einzulassen.«

»Der König hat wirklich,« fiel Graf Platen ein, »mit großer Weisheit die ganze Sache überdacht, und da er zugleich der österreichischen Regierung einen Dienst leistet, so glaube ich, daß das Unternehmen nach allen Seiten günstige Folgen haben wird.«

Graf Wedel schwieg.

»Der König«, fuhr Graf Platen fort, »hat sich das Recht vorbehalten, zur Vertretung der bedeutenden Zahl von Aktien, welche er für die Gründung der Bank zeichnet, drei Personen in den Verwaltungsrat zu ernennen, um bei den Beschlüssen der Bank einen sicheren Einfluß zu haben. Der König hat Elster, Wippern und Sie dazu bestimmt, Sie besonders auf meinen Vorschlag,« fügte er hinzu, – »und ich bitte Sie nun, den Wunsch des Königs zu erfüllen und in den Verwaltungsrat einzutreten.«

Graf Wedel fuhr erschrocken zusammen.

»Ich in den Verwaltungsrat einer Bank?« rief er, – »wenn mir auch jede Tätigkeit lieb ist,« fuhr er dann ernst fort, »so bin ich doch in der Tat zu wenig in Bankgeschäften bewandert, um eine solche Stellung, deren Verantwortlichkeit und Tragweite ich nicht zu übersehen vermag, anzunehmen.« »Seien Sie ganz ruhig,« erwiderte Graf Platen, »für die eigentliche Finanzierung ist eben Elster bestimmt, Wippern ist als Ökonom von der Bank gewünscht worden, und da der König noch eine dritte Person haben muß, um dreier Stimmen beim Verwaltungsrat sicher zu sein, so hat er Sie dazu bestimmt, und gerade Sie, weil von österreichischer Seite der Oberküchenmeister Graf Wratislaw dem Verwaltungsrat beitreten wird und es dem König deshalb erwünscht ist, auch einen seiner Kavaliere dazu zu bestimmen.«

»Graf Wratislaw?« fragte Graf Wedel. »Das ist ja ein merkwürdiges Bankinstitut,« fügte er lächelnd hinzu, – »ich weiß nicht,« sagte er dann ernst, »ob Graf Wratislaw etwas von Geschäften versteht.«

»Nun,« erwiderte Graf Platen, »mit den Geschäften werden Sie sich schon vertraut machen, Sie haben ja den Finanzassessor Elster als Finanzier zur Seite.«

Graf Wedel stand auf und ging einige Male nachdenkend auf und nieder. Dann blieb er vor dem Grafen stehen, der mit beobachtenden Blicken seinen Bewegungen gefolgt war, und sagte:

»Ich bin gewohnt, dem Könige zu gehorchen, und werde auch in diesem Fall keinen Anstand nehmen, den Allerhöchsten Befehlen nachzukommen. Seine Majestät kennen mich hinlänglich und Sie müssen daher am besten wissen, ob ich eine geeignete Persönlichkeit für die Stellung sei, die Sie mir geben wollen. Jedenfalls aber werde ich tun, was in meinen Kräften steht, muß aber dabei allerdings die bestimmte Voraussetzung aussprechen, daß der Finanzassessor Elster die Leitung der eigentlichen Finanzgeschäfte führe.«

»Gewiß, gewiß,« sagte Graf Platen, »Sie haben wesentlich zu repräsentieren, sich bei der Kontrolle zu beteiligen und den Aufträgen Seiner Majestät gemäß in dem Verwaltungsrat zu stimmen.«

»Nun, das werde ich wohl können,« sagte Graf Wedel, »vorausgesetzt, daß man mir deutlich sagt, was ich zu tun habe. Ich muß ohnehin zu Seiner Majestät gehen, um die Befehle wegen des Diners einzuholen, und werde dem König sogleich mitteilen, daß ich zum Eintritt in die mir zugedachte Stellung bereit bin.« »Sie werden der Sache des Königs einen großen Dienst leisten«, sagte Graf Platen aufstehend. »Wissen Sie, ob heute Diner in der Villa ist?«

»Der König hat noch nichts Bestimmtes gesagt,« erwiderte Graf Wedel, »doch glaube ich, daß er einige Einladungen nach Wien machen wollte, da werden Eure Excellenz dann wohl jedenfalls auch dort essen müssen, ich will Sie aber gleich avertieren, wenn es nicht der Fall sein sollte.«

»Es wäre mir sehr lieb, wenn ich heute frei wäre,« sagte Graf Platen, »ich möchte gern nach Wien –«

»Um im Roten Igel zu essen, nicht wahr?« sagte Graf Wedel lachend.

»Der Rote Igel ist ein vortreffliches Lokal,« erwiderte Graf Platen, »und durchaus nicht so abstoßend, als sein Name vermuten läßt.«

»Nun, ich will Sie nächstens einmal dorthin begleiten, um auch ein wenig die Geheimnisse von Wien kennen zu lernen«, sagte Graf Wedel, indem er die dargebotene Hand des Grafen Platen ergriff und ihn bis auf den Vorplatz hinaus begleitete.

Dann kehrte er zurück, vertauschte das weite und bequeme Jacket, das er trug, mit einem schwarzen Morgenüberrock und ging nach der Villa Braunschweig, wo er von dem im chinesischen Vorzimmer wartenden Kammerdiener sogleich dem Könige gemeldet wurde, der in dem weiten österreichischen Uniformüberrock in seinem Kabinett saß und aus einer langen hölzernen Spitze seine Zigarre rauchte.

»Guten Morgen, mein lieber Alfred«, rief der König mit heiterem Ton, als der Graf mit tiefer Verneigung in das Kabinett trat. »Ist Graf Platen bei Ihnen gewesen?«

»Zu Befehl, Majestät,« erwiderte Graf Wedel, »er verläßt mich soeben und hat mich, wie ich Eurer Majestät gestehen muß, in eine gewisse Bestürzung versetzt, indem er mir mitteilte, daß Eure Majestät mich zum Verwaltungsrat einer neugegründeten Bank ernannt habe. Ich war ein Offizier, wie viele andere, Majestät,« fuhr er mit einer gewissen treuherzigen Derbheit fort, »ich hoffe, daß ich ein ziemlich leidlicher Hofmarschall bin –«

»Ein vortrefflicher Hofmarschall,« rief der König lachend, »ganz vortrefflich, natürlich immer nach Herrn von Malortie, diesem Hofmarschall par excellence

»Aber,« sagte Graf Wedel, »ich sage es Eurer Majestät vorher, ich werde ein sehr schlechter Verwaltungsrat sein, und ich glaube, daß Eure Majestät besser tun würden, einen andern für diese Stelle zu ernennen. Wenn es aber sein muß,« sagte er seufzend, »so werde ich natürlich Eurer Majestät Befehl in diesem Punkt eben so unweigerlich folgen, wie in allen übrigen.«

»Nun, wenn ich eine Bank gründe,« sagte der König immer in demselben heitern Ton, »was ich auch kaum geglaubt hätte, wenn man mir es vor einiger Zeit vorhergesagt haben würde, so können Sie wohl mein Verwaltungsrat sein. Übrigens,« fuhr er fort, indem er mit tiefernstem Ausdruck das Gesicht nach der Seite des Grafen hinwandte, »ist die ganze Sache keine Finanzangelegenheit allein, es handelt sich um ein politisches Zusammenwirken mit Österreich und dessen leitenden Persönlichkeiten – ich werde Ihnen das alles einmal erzählen, wenn ich Zeit dazu habe, denn Sie können das wissen, ich habe das Vertrauen zu Ihnen, daß Sie schweigen können.«

»Ich glaube nicht, daß jemals eine Eure Majestät betreffende Angelegenheit durch mich bekannt geworden ist,« sagte Graf Wedel mit offenem Ton. »Aber wenn ich aufrichtig sein soll, so ist es mir lieber, wenn Eure Majestät mir keine politischen Geheimnisse mitteilen, ich mag eine solche schwere Verantwortung nicht tragen, – weiß Graf Platen um die geheime Bedeutung des Unternehmens?« fragte er dann mit dem Ausdruck einer gewissen Besorgnis.

»Nein, o nein,« rief der König, »es weiß niemand davon, als die unmittelbar beteiligten Personen, und diese müssen natürlich auch darum wissen. Wie gesagt, ich werde Ihnen das alles erzählen. Elster wird Sie zunächst mit dem alten Staatsrat Klindworth bekannt machen. Sie werden einen sehr geistreichen und interessanten Mann kennen lernen.« »Jener alte Diener des Herzogs von Braunschweig – jener Agent Metternichs,« fragte Graf Wedel, »– er ist jetzt in Eurer Majestät Dienst?«

»Nun, nicht in meinem Dienst,« sagte der König, »aber er macht die Vermittlung zwischen mir und Österreich, – machen Sie nur immer seine Bekanntschaft, er wird Ihnen das alles noch besser erklären als ich.«

Ein Schlag ertönte an der Tür.

»Der Finanzassessor Elster bittet Eure Majestät um Audienz«, meldete der Kammerdiener.

»Er soll kommen«, sagte der König.

Und unmittelbar darauf trat die lange, magere Gestalt des Doktor Elster ein. Mit niedergeschlagenen Augen, ein demutvolles Lächeln auf den Lippen, die große, starkknochige Hand auf die Brust gelegt, verneigte er sich tief vor dem Könige.

»Guten Morgen, mein lieber Elster,« rief Georg V., »Sie sehen hier Ihren Kollegen,« auf den Grafen Wedel deutend, »im Verwaltungsrat der Wiener Bank. Nicht wahr, Wiener Bank will man meine Bank nennen?«

»Zu Befehl, Majestät,« sagte Doktor Elster, »dieser einfache Name wurde am geeignetsten gehalten, um alle Erörterungen und Deutungen auszuschließen.«

»Ich mache Sie also verantwortlich dafür,« fiel der König ein, »daß hier der Graf Wedel auf das Schnellste in das Getriebe der Bankgeschäfte eingeweiht wird. Er behauptet, ein schlechter Verwaltungsrat zu sein, ich hoffe das Gegenteil, wenn Sie ihn in Ihre vortreffliche Schule nehmen.«

Doktor Elster lächelte bei den schmeichelhaften Worten des Königs. Dann sagte er ein wenig zögernd mit gepreßter Stimme:

»Ich habe soeben eine Nachricht erhalten, welche ich mich für verpflichtet halte, Eurer Majestät sofort mitzuteilen, da dieselbe auf die Entschließungen Eurer Majestät bestimmend einzuwirken imstande ist. Mir ist soeben bestimmt mitgeteilt worden durch den Herrn Ullmann –«

»Der famose Whipper in meiner Bank?« fiel der König ein. »Derselbe, Majestät,« erwiderte Doktor Elster, – »es ist mir also mitgeteilt, daß der Herzog von Modena den bereits zugesagten Eintritt in die Wiener Bank wieder zurückgezogen habe. Das ist sehr unangenehm, es ist ein ziemlich bedeutendes Projekt, an dem der Herzog sich beteiligen wollte, und wenn das nun ausfällt, so werden sich die Mittel der Bank und demgemäß auch ihre Operationen in dem Verhältnis dieses Ausfalles einschränken müssen.«

»Das ist ja sehr unangenehm,« sagte der König, in ernstem Nachsinnen den Kopf in die Hand stützend, »sehr unangenehm – und sehr eigentümlich, daß gerade Modena zurücktritt. Auch Graf Chambord wollt früher von der Sache, als dieselbe durch Langrand angeregt war, nichts wissen – schade, daß man die drei Millionen des Kurfürsten von Hessen nicht nehmen kann –«

»Der Kurfürst von Hessen hat drei Millionen angeboten,« fiel Graf Wedel erstaunt ein, »und dieselben sollen nicht angenommen werden?«

»Der Staatsrat Klindworth wird Ihnen das auseinandersetzen«, sagte der König mit leichtem Anklang einer gewissen Verlegenheit.

»Es handelt sich nun darum,« sagte Doktor Elster, »was diesem unvorhergesehenen Falle gegenüber zu tun ist, und in welcher Weise man die ausfallenden Mittel anderweitig zu decken imstande sein möchte.«

Rasch trat Graf Wedel einen Schritt näher an den König heran.

»Eure Majestät haben die Gnade gehabt«, sagte er mit offener Freimütigkeit, »mich zum Verwaltungsrat dieser zu gründenden Wiener Bank zu bestimmen. Von diesem Augenblick an glaube ich auch das Recht zu haben, meine Meinung auszusprechen, was ich sonst nicht gewagt haben würde. Majestät,« fuhr er in dringendem Ton fort, indem er leicht die Hand gegen den König erhob, »ich verstehe von den Finanzoperationen, die da gemacht werden sollen, nichts, aber das eine verstehe ich, das sagt mir mein Gefühl, mein natürlicher Menschenverstand, daß Eure Majestät sich da in ein sehr bedenkliches Unternehmen einlassen, welches große Gefahren für Sie mit sich bringen kann, und bei welchem es mir scheint, daß man mehr Eure Majestät zu irgendwelchem Zweck benutzen will, als Ihnen selbst nützen. Mir kommt es vor, als wenn dieser Rücktritt des Herzogs von Modena, welche doch zu der Seite gehört, mit welcher Eure Majestät Verträge schließen soll, als ob dieser unerwartete Rücktritt ein Fingerzeig des Himmels, vielleicht eine Mahnung sei. Wenn andere zurücktreten, so können es Eure Majestät auch. Erlauben mir Allerhöchstdieselben, Ihnen meinen ersten Rat als Verwaltungsrat der Wiener Bank dahin zu geben, diese Bank gar nicht entstehen zu lassen. Glauben mir Eure Majestät, ich habe ein Vorgefühl, daß da ein Unglück für Eure Majestät droht, und ich bitte Sie dringend, wenn es noch möglich ist, treten Sie zurück.«

»Das wird kaum möglich sein,« rief Doktor Elster rasch, Eure Majestät haben Ihre Zusage gegeben –«

»Wie ich höre,« fiel Graf Wedel ein, »hat der Herzog von Modena sie auch gegeben, und wenn er zurücktreten kann, so wird das für Eure Majestät auch möglich sein.«

»Aber die österreichische Regierung rechnet darauf«, sagte Doktor Elster. »Man hat bereits verschiedene Finanzoperationen beschlossen, bei welchen die Wiener Bank in Betracht gezogen worden, und hat danach seine Einrichtungen und Verfügungen getroffen.«

»So muß man rasch handeln,« rief Graf Wedel lebhaft, »noch ist es vielleicht Zeit. Erlauben mir Eure Majestät, nach Wien zu fahren und dem Reichskanzler zu erklären, daß Sie nach dem Rücktritt des Herzogs von Modena ebenfalls Ihre Zusage der Beteiligung zurückzögen. Ich bin überzeugt, daß das das beste wäre.«

»Es ist nicht der Reichskanzler,« sagte Doktor Elster, indem er seinen Blick forschend von der Seite auf den König richtete, der den Kopf in die Hand gestützt dasaß. »Es ist nicht der Reichskanzler, in dessen Händen die mit der Bank zusammenhängenden Geschäfte liegen, sondern der Reichsfinanzminister von Becke.«

»So lassen Sie mich zu Herrn von Becke gehen, Majestät. Auf die Person kommt es ganz und gar nicht an, mir liegt nur daran, so schnell als möglich Eure Majestät von Ihren Verpflichtungen zu lösen, welche Sie auf unberechenbare Wege hinziehen und Sie in schwere Verwicklungen stürzen können.«

Der König saß noch einige Augenblicke in sinnendem Schweigen, dann richtete er den Kopf auf und sagte, die Augen zu dem Grafen hinwendend:

»Vielleicht haben Sie recht, – die ganze Sache wurde mir so vortrefflich dargestellt – aber – allerdings ich vermag nicht so recht die Konsequenzen zu übersehen, zu denen ein solches Unternehmen führen kann. Ich kann nicht leugnen, daß mir der Rücktritt des Herzogs von Modena ein gewisses Mißtrauen in all die Darstellungen einflößt, die man mir gemacht hat. Wenn ein österreichischer Erzherzog kein Vertrauen zu der Sache hat, so bin ich gewiß auch berechtigt, zu zweifeln. Ja, ja,« sagte er dann, »fahren Sie sogleich nach Wien, gehen Sie zu Herrn von Becke und erklären Sie ihm, daß ich von der Sache zurückzutreten wünschte, da durch den Rücktritt des Herzogs von Modena eine der Bedingungen hinfällig geworden ist, unter denen ich mich überhaupt auf das ganze Unternehmen eingelassen habe.«

Der Graf atmete tief auf.

»Eure Majestät wissen,« sagte er, »daß ich stets mit Eifer Ihre Befehle auszuführen bestrebt bin; aber den Befehl, den mir Allerhöchstdieselben jetzt gegeben haben, möchte ich ohne Verzug zur Ausführung bringen. Und wenn meine Tätigkeit als Verwaltungsrat,« fügte er lächelnd, aber mit dem Ton tiefer Überzeugung hinzu, »sich einfach darauf beschränken sollte, Eure Majestät von den eingegangenen Verbindlichkeiten wieder loszumachen, dann werde ich glauben, Eurer Majestät in dieser Sache einen nützlichen Dienst geleistet zu haben und ein guter Verwaltungsrat gewesen zu sein.« »Doktor Elster soll Sie begleiten,« sagte der König, »und bringen Sie mir bald Nachricht.«

Doktor Elster war bei dem kundgegebenen Entschluß des Königs bleich geworden. Einen Augenblick schien es, als wolle er eine Bemerkung machen, doch verneigte er sich schweigend und folgte mit einer tiefen Verbeugung gegen den König dem Grafen Wedel, der die Hand des Königs, die dieser ihm freundlich zum Abschied reichte, an die Lippen geführt hatte und schnell das Kabinett verließ.

Einer der diensttuenden Hoflakaien rief einen der Fiaker herbei, die auf dem Platz vor Domayers Kasino zu stehen pflegten.

Bald fuhren beide Herren im schnellen Trabe der Stadt zu und hielten vor dem Portal des Reichs-Finanzministeriums.

Der diensttuende Bureaudiener im Vorzimmer meldete den Grafen Wedel unmittelbar dem Minister, und schon nach wenigen Minuten wurde dieser und der Doktor Elster in das Kabinett des Baron Becke eingeführt.

Dieser Staatsmann, welcher es übernommen hatte, die großen politischen Operationen des Grafen Beust zur Regeneration Österreichs und den Ausgleich mit Ungarn auf dem im Habsburgischen Kaiserstaat stets so schwierigen finanziellen Gebiet zu unterstützen, stand damals im Alter von sechzig bis fünfundsechzig Jahren.

Er war ein Mann von mittlerer Größe. In dem stechenden, etwas kalt abstoßenden Blick seiner kleinen, lebhaften grauen Augen lag eine scharf berechnende Intelligenz, sein rundes Gesicht mit dem etwas langen, blond und grau gemischten Haar und dem am Kinn ausrasierten grauen Bart zeigte Charakter und Willenskraft, aber auch starre Härte.

Er stand in seinem großen weiten Arbeitszimmer an einem breiten, mit Papieren bedeckten Stehpult und wendete beim Eintritt der beiden Herren sein Gesicht, von seiner Arbeit aufblickend, mit drohendem und feindlich hartem Ausdruck nach ihnen hin.

Baron Becke begrüßte Graf Wedel mit kalter Höflichkeit, neigte gegen Doktor Elster freundlicher und mit dem Ausdruck einer gewissen Vertraulichkeit den Kopf und fragte, neben seinem Schreibtisch stehen bleibend, kurz und barsch:

»Womit kann ich den Herren dienen?«

»Ich komme«, sagte Graf Wedel, »zu Eurer Exzellenz in der Angelegenheit der Wiener Bank, für welche mein allergnädigster Herr mich zum Verwaltungsrat zu bestimmen beschlossen hat.« Der Baron Becke neigte den Kopf, als sei ihm diese Mitteilung nicht neu, und blickte erwartungsvoll in das offene, freie Gesicht des Grafen.

»Der König hat erfahren,« sagte Graf Wedel, »daß der Herzog von Modena, dessen Eintritt in die zu gründende Bank zugesagt war, sich zurückgezogen habe, und es sind deshalb bei Seiner Majestät Zweifel entstanden, ob unter diesen Umständen es möglich sein möchte, das gewünschte und in Aussicht genommene Resultat zu erreichen.«

Das Gesicht des Baron Becke verfinsterte sich bei diesen Worten noch mehr. Fast drohend sah er den Grafen an und richtete dann den Blick fragend auf den Doktor Elster, welcher die Augen zu Boden geschlagen hatte und anscheinend teilnahmlos dastand.

»Der König glaubt deshalb,« fuhr Graf Wedel fort, »da eine der wesentlichen Voraussetzungen, auf welche hin die Gründung der Bank beschlossen wurde, nunmehr nicht in Erfüllung gegangen ist, daß es besser wäre, das ganze Unternehmen fallen zu lassen. Ich möchte Eure Exzellenz nun bitten, bei den finanziellen Geschäften der Regierung die zu gründende Wiener Bank nicht ferner in Betracht zu ziehen, wenigstens soweit die Beteiligung Seiner Majestät an derselben dabei in Frage kommt.«

Der Graf hatte kurz und bestimmt gesprochen und atmete nach dieser in entschiedenem Ton abgegebenen Erklärung wie erleichtert auf, als ob er eine Last von seiner Brust gewälzt habe.

Die lebhaften Augen des Baron Becke blitzten in heftiger Erregung, er machte rasch einige Schritte durch das Zimmer.

Graf Wedel und Doktor Elster blieben schweigend stehen.

»Ich muß Ihnen sagen, Herr Graf«, rief der Minister, indem er vor den Herren anhielt und seine Hand leicht auf den Schreibtisch stützte, »ich muß Ihnen sagen, daß mich diese Erklärung sehr überrascht. Die Gründung der Wiener Bank ist von uns als eine feststehende Tatsache angesehen worden, auch Seine Majestät der Kaiser hat sie so angesehen. Man hat mit dieser Tatsache gerechnet, man hat Rücksicht darauf genommen, und nun mit einemmal fällt diese ganze Kombination zusammen – denn, wenn der König sich zurückzieht, wird natürlich aus der ganzen Sache nichts werden.«

»Aber Exzellenz,« sagte Graf Wedel, »der Herzog von Modena –«

»Der Herzog von Modena,« fiel Baron Becke heftig ein, »das ist ganz etwas anderes, der Herzog von Modena kann tun, was er will, er hat keine politischen Zwecke, bei ihm handelt es sich lediglich um eine Vermögensanlage; mit dem König ist das etwas anderes. Der König lebt hier in Österreich – das ist sehr ehrenvoll und sehr erfreulich für uns,« fügte er mit einer leichten Neigung des Kopfes hinzu, »aber das bereitet uns auch mancherlei politische Verlegenheiten, da der König durch die Verfolgung seiner Rechte fortwährend eine politische Persönlichkeit bleibt. Der König«, fuhr er immer erregter fort, »erwartet und verlangt von uns Unterstützung seiner Rechte – sei es auch nur zur Wiedererlangung seines Vermögens, und da können wir doch erwarten, daß er auch unseren Wünschen entgegenkommt. Der König ist vollkommen unterrichtet, was diese Bank bedeutet, er weiß, daß sie von unserer Seite gewünscht wird. Wenn der König seine Zusage zurückzieht, so werden wir nicht mehr in der Lage sein, das geringste für ihn zu tun. Man wird ihn seinem Schicksal überlassen müssen. Ich bin überzeugt, daß auch Seine Majestät der Kaiser auf das Unangenehmste von diesem Rücktritt berührt sein wird.«

»Aber mein Gott, Exzellenz,« sagte Graf Wedel, »es handelt sich doch nur –«

»Es handelt sich«, rief Baron Becke, immer heftiger sprechend, »darum, daß wir für den König alles getan haben, was in unseren Kräften stand, daß wir zu allen Agitationen, die in seinem Namen stattfanden, geschwiegen haben, daß wir seine Interessen stets so gut als möglich vertraten, daß wir fortwährend unangenehme Interpellationen von Berlin auszuhalten haben, und nun, da wir wünschen, daß der König uns, und doch auch nur wieder in seinem eigenen Interesse, seinerseits entgegenkomme, will er sich zurückziehen und uns dadurch, da ja die Sache schon so weit gediehen ist, Verlegenheiten bereiten. Seien Sie überzeugt, Herr Graf, wenn der König das tut, so wird er nichts von uns zu erwarten haben, und wir werden kaum imstande sein, die großen und weitgehenden Rücksichten weiter zu üben, die wir bisher für ihn gehabt haben.«

Graf Wedel blickte ganz bestürzt auf den so zornig erregten Minister.

Doktor Elster, welcher bis jetzt schweigend und mit fortwährend niedergeschlagenen Augen dagestanden hatte, trat einen Schritt vor und sagte, indem er die Hand auf die Brust legte, mit leiser und sanfter Stimme:

»Der Herr Graf Wedel hat wohl mehr eine Erwägung des Königs Eurer Exzellenz mitteilen wollen, als einen bestimmten Entschluß Seiner Majestät kundgeben. Der König war betroffen durch den Rücktritt des Herzogs von Modena und es waren in ihm Zweifel aufgestiegen, ob unter diesen Umständen das Projekt durchführbar sein möchte. Allein ich glaube nicht, daß Seine Majestät entschlossen sein möchten, unter allen Umständen von der von ihm zugesagten Teilnahme zurückzutreten. Wenn Eure Exzellenz glauben, daß trotz des Ausfalls des Anteils von Modena die Existenz und der Erfolg der Bank gesichert sein können –«

»Ganz gewiß ist das der Fall,« rief Herr von Becke, »der König kann ja, wenn er will, die Bank ganz allein machen. Eine zahlreiche Beteiligung wird aber ohnehin erfolgen; wenn die Sache richtig geleitet wird, so werden in kurzer Zeit die Aktien einen so hohen Kurs haben, wie kein anderes Papier an der Wiener Börse, und ich verstehe nicht, wie der König auch nur einen Augenblick schwanken kann.«

»So werden wir wohl,« sagte Doktor Elster, indem er sich im Ton bescheidener Frage an den Grafen Wedel wandte, »so werden wir wohl Seiner Majestät diese Ansicht Seiner Exzellenz des Herrn Ministers schleunigst mitzuteilen haben. Und ich möchte fast glauben,« fuhr er, sich wieder zu Baron Becke hinwendend, fort, »daß der König einer so bestimmten Erklärung Eurer Exzellenz gegenüber von dem augenblicklich in ihm aufgetauchten Bedenken sehr schnell zurückkommen wird. Namentlich,« fügte er mit einer gewissen akzentuierten Betonung hinzu, »wenn auch Seine Majestät der Kaiser fortfährt, sich lebhaft für die Sache zu interessieren. Die hohen Herrschaften werden sich ja in wenigen Tagen bei dem Familiendiner sehen, und ich bin überzeugt, daß dann auch die letzten Bedenken, wenn solche überhaupt noch bestehen sollten, verschwinden werden.«

Graf Wedel blickte finster und unschlüssig vor sich nieder.

Baron Becke hatte seine Ruhe und seine gleichmäßige freundliche Höflichkeit wiedergewonnen.

»Ich werde mich besonders freuen, wenn es so ist,« sprach er, »ich werde gewiß alles tun, was in meinen Kräften steht, um das Unternehmen in jeder Weise« –fuhr er mit Nachdruck fort – »zum Vorteil des Königs sich gestalten zu lassen. Ich bin überzeugt, daß alle Diener Seiner Majestät,« sagte er, den Blick fest auf den Grafen Wedel richtend, »dem Könige keinen besseren Dienst leisten können, als wenn sie ihn dazu bestimmen, mit aller Entschiedenheit und ohne alles Schwanken und Zaudern dieses so wichtige Unternehmen ins Leben zu rufen und auf dasselbe seine ganze Kraft zu konzentrieren.«

Graf Wedel seufzte.

»Auch ich«, sprach er, »glaube, daß nach dieser Erklärung Eurer Exzellenz die Bedenken des Königs fallen werden und daß nun ohne weitere Zögerung die Sache zustande kommen wird, welche mich,« fügte er mit einer Art mürrischen Humors hinzu, »vom Hofmarschall zum Verwaltungsrat macht.«

»Nun, verehrter Graf,« sagte Baron Becke lachend, »das ist keine so schlechte Karriere, ich kenne viele Personen, die sich dabei sehr gut gestanden haben. Die Finanz ist die bedeutungsvollste Macht unserer Tage, glauben Sie mir, es ist wahrlich kein schlechter Rat für Ihren Herrn, daß er sich diese Macht dienstbar machen möge. Ich hoffe, alsbald mit Ihnen als Vertreter eines festbegründeten Instituts in Verbindung treten zu können, und Sie werden sich dann überzeugen, daß es für den König besser ist, ein solches Institut zu beherrschen, als mit kleinen und momentan gänzlich unwirksamen Agitationen seine Rechte zu verfechten.« Graf Wedel verneigte sich artig gegen den Minister, ohne daß jedoch auf seinem Gesicht der Ausdruck der Zustimmung zu diesen Worten erschien.

»Ich hoffe in wenigen Tagen Eurer Exzellenz das Gründungsstatut übergeben zu können und werde alles tun, um die Sache möglichst zu beschleunigen«, sagte Doktor Elster, indem er den Abschiedsgruß des Ministers ehrerbietig erwiderte und dem Grafen Wedel folgte, welcher bereits das Zimmer verlassen.

»Sie sehen,« sagte er zu dem Grafen, mit dem er die Treppe herabstieg, »daß es für den König nicht möglich ist, zurückzutreten, das würde ja in Österreich zu tief verletzen, und wohin sollten wir uns wenden, wo fänden wir eine Zuflucht, wenn hier unsere Beziehungen zur Regierung, wenn gar die Beziehungen des Königs zu dem Kaiser getrübt würden?«

»Ja, ja,« sagte Graf Wedel, »ich sehe wohl, daß der König nicht zurücktreten kann. So möge denn Gott alles zum Guten wenden – ich bescheide mich gern und will wenigstens, so weit ich dazu imstande bin, das meinige tun, um in dieser Sache dem Könige nach Kräften zu dienen. Wenn es denn einmal sein muß, so bin ich auch für ein entschiedenes und kräftiges Vorgehen.«

Sie waren am Portal des Ministeriums angekommen, stiegen in den sie erwartenden Fiaker und fuhren nach Hietzing zurück.


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