Oskar Meding
Zwei Kaiserkronen
Oskar Meding

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Neuntes Kapitel

In dem Hause Nr. 107 des Boulevard Malesherbes wohnte im zweiten Stock Alexander Dumas, außerordentlich alt geworden, mit seiner Tochter Marie, welche nach der Trennung von ihrem Gatten, Herrn Petel, den berühmten Namen ihres Vaters wieder angenommen und als Marie Alexander Dumas sich einen nicht unbedeutenden Namen in der literarischen Welt gemacht hatte.

Es mochte etwa zwei Stunden vor der Zeit des Pariser Diners sein.

Madame Marie Dumas saß in ihrem kleinen Salon, der zugleich in einer mit grauen Vorhängen verhüllten Nische ihr Bett enthielt und so als Schlafzimmer diente, während er durch eine Tapetentür mit einem kleinen Toilettenkabinette in Verbindung stand. Dieser kleine Raum war ein Wunder in seiner Art und legte durch seine ganze Ausstattung und Einrichtung Zeugnis ab von dem Leben und den Beschäftigungen seiner Bewohnerin.

Die eine Wand mit dem Kamin war vollständig bedeckt durch eine große symbolische Zeichnung, alle Heiligen der Kirchengeschichte in sinnreichen Gruppierungen darstellend, ein Werk, welches Madame Dumas einst ausgestellt hatte, und welchem wegen seiner genialen Komposition und korrekten Ausführung allgemeine Anerkennung zuteil geworden war.

Der kleine Marmorkamin war fast überladen mit Kunstgegenständen aller Art. Silberne Schalen waren angefüllt mit antiken Schmucksachen, Ziselierungen von Benvenuto Cellini, wunderbaren Schnitzwerken aus Elfenbein und allen jenen tausend seltenen und kostbaren Dingen, welche der feine Geschmack Alexander Dumas' gesammelt, oder welche die Huldigung seiner Verehrer aus allen Weltteilen dem großen Romancier dargebracht hatte. Über dem großen venetianischen Spiegel sah man einen schön gearbeiteten Blason mit dem Wappen der Marquis de la Pailleterie, deren Namen und Titel der Großvater Alexander Dumas während der Revolution unter dem einfachen Namen verborgen hatte, dem er als General der Republik einen ehrenvollen Klang verschaffte, und dessen Ruhm sein Enkel über den ganzen Erdball verbreitet hatte.

An der Seite des einen Fensters, das sich nach den prachtvollen Baumgruppen des Parks von Monceau öffnete, stand ein kleiner Schreibtisch, fast ganz mit Büchern, Zeitungen und Papieren bedeckt – in der Mitte desselben lag ein Heft kleiner Blätter, auf welche Madame Marie Dumas ihren neuesten Roman schrieb, der unter dem einfachen Titel »Madame Benoit« interessante und fesselnde Episoden aus der Geschichte Österreichs und Ungarns und aus dem Leben des Orients enthielt. Daneben sah man einen großen Rahmen mit einer wunderbar kunstvollen Stickerei aus farbiger Seide, Perlen und Gold in chinesischer Manier, welche bewies, daß die Bewohnerin dieses Raums die Nadel der weiblichen Arbeit mit gleich geschickter Hand zu führen verstand, wie den Griffel und die Feder. Die Wände waren bedeckt mit wertvollen Ölgemälden, Kupferstichen und Familienbildern. In einer Ecke, als Gegenstand besonderer Pietät, stand das Bild des unglücklichen Kaisers Maximilian mit Immortellen und Immergrün bekränzt; große Blattpflanzen, geschmackvoll arrangiert, füllten jeden noch freien Raum dieses Zimmers aus und umgaben alle diese Zeugen eines so vielfach gebildeten und reichen Geisteslebens mit der duftigen Frische der Natur.

Die Tochter Alexander Dumas' trug ein weites faltenreiches Gewand von himmelblauem feinen Wollenstoff mit Silberstickerei eingefaßt und durch einen Gürtel aus Silberfäden leicht über den Hüften zusammengehalten. Die fast bis zur Erde herabhängenden weiten Ärmel waren vorn mit einer silbernen Spange aufgenommen und gewährten dem schön geformten Arm freie Bewegung. Das ebenholzschwarze Haar war in einen Kranz von einfachen Flechten geordnet und ließ die schön gewölbte Stirn frei hervortreten, die etwas scharfen und fast strengen Züge ihres Gesichts wurden gemildert durch das lebendig wechselnde Mienenspiel und das anmutige Lächeln ihres Mundes. Das Wunderbarste und Anziehendste aber in diesem Gesicht, das man nicht leicht wieder vergaß, wenn man es einmal gesehen, waren die Augen – diese seltsam großen Augen, aus deren weißem Perlmutterschimmer die Augensterne hervorleuchteten, in deren tiefschwarzem Glanz phosphoreszierende Blitze zuckten, so daß man zuweilen das ganze Farbenspiel des Regenbogens zu erblicken glaubte. Madame Marie Dumas saß leicht zurückgelehnt in ihrem kleinen Kanapee zur Seite des Kamins, ihre Füße in weit ausgeschnittenen hellblauen Schuhen mit Silberschleifen ruhten auf einem türkischen Kissen, und ihre Finger spielten mit einem Rosenkranz von jenen großen duftenden orientalischen Rosenperlen.

Ihr zur Seite auf einem kleinen niedrigen Taburett saß der Vertreter des Königs von Hannover, der Regierungsrat Meding, aufmerksam den Mitteilungen zuhörend, welche die Dame in halbleisem Tone ihm machte.

»Glauben Sie mir, mein Freund,« – sagte Marie Dumas, indem sie zur Bekräftigung ihrer Worte die Spitzen ihrer schlanken Finger aneinanderschlug, – »glauben Sie mir, wir nahen uns einem äußerst kritischen Moment, und Sie haben es nötig, Ihre ganze Aufmerksamkeit auf das zu konzentrieren, was hier unter dem Schein der äußersten Ruhe vorgeht. – Ich bin ein wenig«, – fuhr sie lächelnd fort, – »der Freund von aller Welt, ich höre und sehe viel – die einen haben Vertrauen zu mir, wie zu einem ernsthaften Mann – die andern scheuen sich nicht, in meiner Gegenwart ihre Gedanken auszusprechen, weil sie mich für eine Dame halten, das heißt für ein Wesen sans consequence in ernsten Dingen – so höre ich denn von allen Seiten – und ich habe ein wenig Geschicklichkeit, zu kombinieren, was ich hier und dort höre, – nun – ich sage Ihnen, es bereitet sich etwas vor, und in nicht langer Zeit vielleicht wird diese schwüle Friedensruhe, welche auf Europa liegt, durch einen urplötzlich aufleuchtenden grellen Gewitterschein unterbrochen werden. – Der Kaiser fühlt, wie ihm die Fäden des Einflusses in Europa mehr und mehr entschlüpfen, – er spielt heute auf dem Welttheater nur noch die Rolle gewisser Fürsten im Drama, welche mit Krone und Hermelin auf der Bühne erscheinen, vor denen sich alles verneigt, welche aber auf den Gang des Stücks keinen Einfluß haben, und unter deren fürstlichem Purpurmantel ein gewöhnlicher Statist steckt, welcher hinter den Kulissen in sein Nichts zurücksinkt.«

Herr Meding lächelte.

»Sie lieben den Kaiser nicht – Sie lieben die Bonapartes nicht –«

»Bonaparte?!« rief Madame Dumas achselzuckend mit eigentümlichem Tone.

»– Und deshalb«, fuhr Herr Meding fort, – »beurteilen Sie die Stellung des Kaisers vielleicht ungünstiger als sie wirklich ist – sein Prestige und sein Einfluß ist gewiß sehr vermindert, aber zum Statisten kann doch niemals derjenige herabsinken, welcher über die Macht Frankreichs gebietet.«

»Über die Macht Frankreichs,« – rief Marie Dumas, – »er? – Ja, wenn er diese Macht wirklich beherrschte, dann wäre alles anders, – aber diese Macht entschlüpft ihm – das alles ist nur noch der Schein, dem das innere Wesen und die Kraft schon längst fehlt – er selbst weiß das besser wie irgend jemand, und gerade dieser Umstand ist es, der ihn zum Handeln nach außen treiben wird, und ich sage Ihnen, leise, leise bereitet er in diesem Augenblick alles vor – wie der Tiger zieht er sich zusammen, um mit plötzlichem Sprunge seine Beute zu erfassen – denn er ist der Tiger,« – rief sie, indem ihr Auge wunderbar blitzend aufleuchtete – »wie sein großer Oheim der Löwe war – er ist der Geier, der mit mattem Fluge den Bahnen des Adlers zu folgen versucht.«

»Ich möchte lieber sagen,« – bemerkte Herr Meding, – »er ist der kluge Ingenieur, der mit vorsichtiger Berechnung Stein auf Stein zu seinem Gebäude fügt, während sein Oheim mit Titanenkraft, aber auch mit der Verwegenheit der Titanen den Ossa auf den Oeta türmte und den zerschmetternden Blitzstrahl des Himmels herausforderte.

Marie Dumas schloß ein wenig die Augen und blickte mit schalkhaftem Lächeln auf.

»Ihre Bewunderung für den Kaiser ist unzerstörbar,« sagte sie, – »ich verstehe das – Sie haben ihn nötig und müssen demgemäß als geschickter Diplomat Ihre Rolle spielen.«

»– Und wenn es so wäre,« – erwiderte Herr Meding, – »muß man nicht bei seinen Freunden seine Rolle lernen, um sie den Gegnern gegenüber gut spielen zu können?«

»Ich gebe es auf, auf den Grund Ihrer Gedanken zu dringen«, – rief sie halb unmutig.

»Und doch müßten Sie in diesem Augenblick den Kern meiner Gedanken sehr deutlich sehen können – er besteht halb aus Dankbarkeit für Ihre Teilnahme an meiner Sache, halb aus Neugier auf das, was Sie mir mitteilen wollen.«

»An die Neugier glaube ich – was die Dankbarkeit betrifft – Vederemo! –

»Doch nun ernsthaft gesprochen, denn die Sache ist ernst, und Sie müssen Ihre ganze Tätigkeit entwickeln, um den kommenden Ereignissen gegenüber Stellung zu nehmen, und um nicht von Ihrem so bewunderten Kaiser als überflüssig beiseite geworfen zu werden, nachdem er Sie lange genug als Karte in seinem Spiel benützt hat. –

»Hören Sie mich an,« fuhr sie fort, indem sie die Stimme dämpfte und sich zu Herrn Meding hinüberneigte, »ich weiß bestimmt, daß man mit Spanien ernsthaft unterhandelt, um während eines Feldzuges nach dem Rhein hin Rom durch die Truppen der Königin Isabella besetzen zu lassen, zu gleicher Zeit wird die ganze Armee in aller Stille auf den Kriegsfuß gebracht, und dies alles soll fertig sein bis zum Herbst, denn der Kaiser drängt jetzt selbst zur Entscheidung, da er genau fühlt, daß die Opposition der Geister gegen das persönliche Regiment immer höher steigt, und wenn er nicht durch einen großen Erfolg den Nimbus der napoleonischen Legende wieder herstellt, so wird eines Tages das Gebäude, an dessen Krönung er arbeitet, in seinen Fundamenten unter ihm zusammenbrechen.«

»Was Sie mir sagen, stimmt mit einer Andeutung überein, die mir vor kurzem zugegangen ist,« sagte Herr Meding ernst und nachdenklich, – »und in der Tat, es scheint mir vollständig in die Situation zu passen, – denn das Vertrauen auf Österreich scheint mir nicht sehr groß zu sein.«

»Ich werde das Vertrauen auf Österreich nicht verlieren,« rief Madame Dumas, – »denn ich liebe Österreich – und wo man liebt, da glaubt und hofft man, – aber, mein lieber Freund, – was ich Ihnen sage, ist keine Vermutung, – es ist die vollständigste Gewißheit.«

»Ich zweifle keinen Augenblick an Ihren Informationen,« sagte Herr Meding, »von deren Sicherheit und Genauigkeit ich mich schon so oft zu überzeugen Gelegenheit gehabt habe, – nur werde ich stets ein wenig irre, da mir Graf Platen aus Wien schreibt, daß man dort überzeugt sei, der Kaiser sei in diesem Augenblick ferner von einer Aktion als je.«

Madame Marie Dumas richtete sich ein wenig empor, faltete ihre Hände über den Knien und blickte Herrn Meding aus ihren großen glänzenden Augen halb verwundert, halb mitleidig an.

»Graf Platen?« rief sie, – »glauben Sie, daß der Kaiser oder Herr von Beust den Grafen Platen wählen würden, um bei ihm ihre geheimen Pläne niederzulegen?«

Herr Meding lächelte.

»Doch scheint der Graf sich für sehr tief eingeweiht in die Geheimnisse der Gegenwart und Zukunft zu halten,« sagte er, »denn er behandelt meine Mitteilungen über die hiesigen Vorbereitungen als Phantasien –«

»Bah,« rief Marie Dumas, – »lassen Sie ihn dabei, – sehen Sie, er hat in den kleinen Kreisen der früheren hannoverischen Politik gelebt, – Sie stehen jetzt hier inmitten der großen Weltbewegung – er ist Ihnen gegenüber in ähnlicher Lage wie ein Huhn, das Enten ausgebrütet hat und sich vom Ufer nicht entfernen kann, während die junge Brut weit auf dem Wasser dahinschwimmt. Jedenfalls seien Sie vorsichtig mit der Mitteilung, die ich Ihnen eben gemacht habe. – Übrigens können Sie die Sache bald sehr genau konstatieren. Sie haben ja hier einen Geistlichen, – den ich einmal bei Ihnen sah –«

»Herrn Schlaberg, – den früheren Pfarrer von Hannover, einen sehr klugen und gewandten Mann,« – sagte Herr Meding.

»Nun wohl,« rief Madame Dumas, »das ist vortrefflich, – die ganze spanische Verhandlung geht neben der Diplomatie durch die Geistlichkeit, – die Umgebung der Kaiserin und den Beichtvater der Königin Isabella, – bringen Sie Ihren Pfarrer auf die Spur, – es sollte mich sehr wundern, wenn er nicht bald den Faden fände –«

»Sie sind ein wunderbares Wesen,« sagte Herr Meding, »ich weiß nicht, ob man in Ihnen mehr die Schärfe und Feinheit des Diplomaten bewundern soll oder den feinen Geschmack und die schöpferische Kraft der Künstlerin–«

»Keine Komplimente, ich bitte,« – rief Madame Dumas, – »ich bin ehrlich und aufrichtig, – und was ich erfasse, das erfasse ich stets mit ganzem Willen und ganzer Kraft, – daher gelingt mir manches – vor allem aber bin ich der Freund meiner Freunde, und für sich und Ihre Sache können Sie auf mich zählen. –

»Sehen Sie da,« fuhr sie fort, indem sie sich ein wenig erhob und aus einer Vase auf dem Kamin einen trockenen Zweig von eigentümlicher Form nahm, – »da ist eine jener Rosen von Jericho, welche auf den Trümmern der Mauern wachsen, die einst vor den Posaunen Josuas zusammenstürzten. Diese Rose hat die Eigentümlichkeit, daß sie, längst getrocknet und in ferne Länder versendet, immer wieder erblüht, sobald man sie in frisches Wasser stellt. – Sie ist das Sinnbild der Freundschaft – die Liebe blüht einmal, und nichts erweckt sie wieder, sobald sie dahin gewelkt ist – die Freundschaft aber soll trotz Zeit und Raum immer wieder neue Blüten treiben, bespült von dem frischen Quell, der aus einem guten und treuen Herzen strömt. – Nehmen Sie«, fügte sie mit anmutigem Lächeln hinzu, »diese bedeutungsvolle Blume als ein Zeichen der Erinnerung und möge sie Ihnen und Ihrer Sache stets frische Blüten des Glücks und Erfolgs bringen!«

Herr Meding nahm den trockenen Blütenzweig, den sie ihm reichte, und drückte ihr herzlich die Hand.

Ein großer, schön gewachsener, ebenholzschwarzer Neger trat in das Zimmer und meldete:

»Herr Leon Gambetta fragt, ob Madame ihn empfangen wolle?«

Herr Meding stand auf.

»Bleiben Sie, mein lieber Freund,« sagte Madame Marie Dumas, leicht mit der Hand seinen Arm berührend, »Sie werden vielleicht einige interessante Bemerkungen über die Situation hören.«

Zugleich winkte sie dem Neger, welcher hinausging und nach einigen Augenblicken Heim Gambetta eintreten ließ.

Dieser junge Advokat, welcher durch seine eifrige Tätigkeit in dem Kreise der sogenannten Unversöhnlichen die Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte, war eine eigentümliche und außergewöhnliche Erscheinung.

Seine Gestalt war klein und schmächtig, – seine Haltung gebückt. Sein Gesicht, von langem, zurückgestrichenem Haar umgeben und mit einem unregelmäßig wachsenden, wenig gepflegten Bart bedeckt, zeigte gewöhnlich den Ausdruck müder Gleichgültigkeit. Um die festgeschlossenen Lippen lag ein Zug feindlicher Abgeschlossenheit, der seinem ganzen Ausdruck etwas entschieden Unsympathisches gab, ein Eindruck, der noch dadurch erhöht wurde, daß das eine Auge erblindet war, wodurch der Blick des andern sehenden Auges um so schärfer und stechender erschien. Die Toilette des jungen Mannes war entschieden vernachlässigt, doch konnte man nach seiner ganzen Erscheinung im Zweifel darüber sein, ob der Grund dafür Gleichgültigkeit oder etwa demonstrative Eitelkeit sein möchte.

Herr Gambetta näherte sich mit ein wenig schleppendem Schritte der Dame und ergriff deren dargereichte Hand.

»Ich komme von Ihrem Vater«, sagte er, »und habe mich herzlich über seine Rüstigkeit und Frische gefreut – doch hat er mich nach einigen Minuten wieder vor die Türe geschickt – da kann ich nicht umhin, mich nach Ihrem Befinden zu erkundigen und mich in Ihr freundliches Gedächtnis zurückzurufen.«

»Nur weil mein Vater Sie vor die Türe gesetzt hat?« fragte Marie Dumas mit einem mutwilligen Lächeln – doch schnell abbrechend fügte sie hinzu: »Setzen Sie sich daher und erzählen Sie nur ein wenig, wie es in unserer guten Stadt Paris aussieht und welche neuen Waffen die Herren Unversöhnlichen gegen unsern vortrefflichsten und großmächtigsten Kaiser Napoleon III. schmieden?«

Herr Gambetta warf mit halbumgewendetem Kopfe aus seinem sehenden Auge einen schnellen Blick auf Herrn Meding.

»Ein Freund,«, rief Madame Dumas, »für den ich einstehe – ich höre viel«, fuhr sie fort, »von großen kriegerischen Vorbereitungen, von Übungslagern, von Verproviantierung der Festungen, das alles sieht aus, als ob man ins Feld rücken wolle – ich bin nicht wie die andern Damen, die den Krieg fürchten, – o, ich hasse sie, diese Sieger von Sadowa, welche meinem lieben Österreich so wehe getan haben, und welche sich anmaßen, die Weltordnung umzustürzen, als ob Frankreich gar nicht mehr da wäre – und wenn der Kaiser gegen sie zu Felde zieht, so werde ich ihm viel vergeben, und meine besten Wünsche werden ihn begleiten!«

»Sie haben recht,« sagte Herr Gambetta, – »es werden allerdings überall die kriegerischen Vorbereitungen mit der größten Energie betrieben, trotz der Abrüstungskomödie, welche zwischen Paris und Berlin gespielt wird – aber,« fuhr er fort, indem der Ausdruck grimmigen Hasses um seine Lippen zuckte, – »er soll nicht zu diesem Kriege kommen, der blutige Tyrann, wir werden ihm Schwierigkeiten auf Schwierigkeiten in den Weg werfen, er soll eingeschlossen werden in den Kreis seiner eigenen Fehler und Verbrechen, bis er in unsern Händen ist – es soll ihm nicht gelingen, herauszubrechen aus den Netzen, mit denen wir ihn fester und fester umspinnen, es soll ihm nicht gelingen, von neuem mit dem blutigen Glanze falschen Ruhmes die Gemüter des Volkes irre zu führen und seine Herrschaft von neuem zu befestigen.«

»Wissen Sie, daß ich Ihnen sehr böse sein werde, wenn Sie und Ihre Kollegen von der Opposition diesen Krieg verhindern?« sagte Marie Dumas – »und wissen Sie, daß das nicht sehr patriotisch ist, Schwierigkeiten gegen einen Krieg zu erheben, durch welchen sich Frankreich von allen seinen moralischen Niederlagen wieder aufrichten würde?«

»Dieser Krieg würde den Kaiser retten!« rief Gambetta eifrig, indem sein gelblich blasses Gesicht sich rötete, »und darum darf er nicht stattfinden. – Patriotismus!« rief er achselzuckend, – »was heißt Patriotismus? Bin ich nicht erst Mensch und dann Franzose, soll ich für einen nichtigen Siegesruhm des Landes, auf dessen Erde ich zufällig geboren bin, weil meine Mutter zufällig dort lebte, die großen Grundsätze vergessen, welche für das Wohl der ganzen Menschheit maßgebend sind? – Dieser Krieg würde die Macht des Kaisers neu befestigen und damit der Monarchie, dieser unnatürlichsten und ungerechtesten aller Gesellschaftsformen, auf lange Zeit Dauer und Bestand verleihen. – »Ja,« fuhr er mit finsterem Ausdrucke fort, – »wenn man wüßte, daß der Kaiser geschlagen würde –«

»Was,« rief Marie Dumas, indem sie sich schnell emporrichtete, während ihre Augen Flammen sprühten – »Sie würden den Krieg wünschen, wenn der Kaiser geschlagen würde? – Ist es möglich, daß solche Gedanken in dem Herzen eines Franzosen auch nur einen Augenblick auftauchen können, daß persönlicher Haß und der Fanatismus politischer Doktrinen Ihnen mehr gelten können, als der Ruhm und die Ehre des Vaterlandes?«

Die Gesichtsmuskeln Gambettas zuckten wie Wetterleuchten, eine düstere Glut brannte in seinem sehenden Auge, und mit zitternder, rauh anklingender Stimme sprach er:

»Mein Vaterland ist die Menschheit – das Heil der Menschheit ist die demokratische Republik – der Arbeit zur Erreichung dieses Ziels gehören alle Gedanken meines Geistes, alle Wallungen meines Herzens. – Ich lebe«, fuhr er fort, »verhältnismäßig arm inmitten von diesem wogenden Meere des Lebensgenusses, das Paris mit seinen berauschenden Fluten erfüllt – ich habe darauf verzichtet, meinen Teil aus diesen Fluten zu schöpfen, – die Natur«, fuhr er fort, indem er die Lippen zusammenpreßte, »hat mich stiefmütterlich behandelt, – ich habe verzichtet auf die Liebe mit allen süßen Reizen, welche sie dem Leben geben kann, – so stehe ich da, frei von allen Fesseln, welche das Individuum in geschlossene Lebenskreise bannt, – wenn ich mich aber entkleidet habe von allem Reiz, von aller Freude an dem Leben des Einzelnen, so habe ich auch das Recht, nur die ganze Menschheit und die Prinzipien, auf denen ihr künftiges Glück beruht, zum Gegenstand meines Strebens zu machen. Die Lebensbedingung für eine gesunde und glückliche Zukunft der Menschheit aber ist die Vernichtung der Monarchie, die dauernde Aufrichtung der Republik.«

Er hielt inne.

Madame Dumas blickte ihn halb mit Verwunderung, halb mit Schrecken an.

»Übrigens«, fuhr er nach einem kurzen Schweigen fort, – »bin ich nicht ein so schlechter Franzose als Sie annehmen wollten, – wenn in einem ersten Zusammenstoß die Armeen des Kaiserreichs zersprengt und zurückgeworfen würden, – so bin ich gewiß, daß das Volk von Frankreich sich wie ein Mann erheben wird, – getragen von der hoch anschwellenden Woge der demokratischen Freiheitsbewegung, – dieser Kaiserthron wird verschwinden, aber auf seinen Trümmern wird sich die Republik erheben, – siegreich durch ihre Waffen wie 1793, – siegreich noch mehr durch ihre Prinzipien, deren Wahrheit heute schon tief in die Geister in aller Welt gedrungen ist. Die deutschen Heere, welche gegen die kaiserlichen Truppen zu Felde zogen, werden sich weigern, gegen die Legionen der Republik zu fechten, der Krieg wird zu Ende sein – und er wird uns nur die Erlösung von dem Fluch der Monarchie gebracht haben, – und das Beispiel des befreiten Frankreichs wird dem übrigen Europa voranleuchten.«

Er hatte immer erregter gesprochen, – der brennende Blick seines sehenden Auges lichtete sich wie in prophetischer Vision in die Ferne der Zukunft, in fanatischer Erregung zitterten die Muskeln seines Gesichts.

»Sie sehen also,« sagte er dann mit einem kalten Lächeln, – »daß ich vom Standpunkt meiner Auffassung und meines Strebens aus wohl recht habe, wenn ich den Krieg wünschen möchte, sobald ich sehen würde, daß der Kaiser und seine Prätorianerarmee geschlagen würde, – leider aber bin ich dessen nicht sicher, – ich habe,« fügte er in bitterem Sarkasmus hinzu, »noch zuviel patriotisches Vertrauen auf die Tapferkeit und Unbesiegbarkeit der französischen Waffen.«

»Wissen Sie wohl,« sagte Madame Dumas, »daß Sie ein sehr gefährlicher Mensch sind? – Sie haben den Fanatismus Ihrer Überzeugung und würden die Schäden der menschlichen Gesellschaft mit der Kaltblütigkeit Marats durch Blutbäder heilen!«

»Sind denn nicht«, fragte Herr Gambetta, »alle gesunden Ideen, welche heute in der Menschheit leben und den Fortschritt bedingen, noch immer die Folgen jener Kur?«

»Wenn ich der Kaiser wäre,« sprach Madame Dumas weiter in scherzendem Ton, aber mit dem Ausdruck der Überzeugung in ihrem Gesicht, – »wenn ich der Kaiser wäre, ich würde Sie arretieren lassen und in einem festen Staatsgefängnis verwahren, – einen Gegner wie Sie unschädlich zu machen, würde seinem Thron mehr Sicherheit geben, als eine gewonnene Schlacht.«

»Er würde recht haben, wenn er es täte,« sagte Gambetta kalt und ruhig, – »aber er wagt es nicht.«

Der Neger trat ein und meldete Herrn Mirès.

Gambetta erhob sich.

»Ich muß weiter gehen«, sagte er, sich verabschiedend, – und habe mich sehr gefreut, Sie und Ihren Vater wohl gefunden zu haben.«

»Auf Wiedersehen,« rief Madame Dumas – »und«, fügte sie, lächelnd mit dem Finger drohend, hinzu, – »arbeiten Sie mir nicht zu sehr gegen meinen Krieg!«

Herr Mirès trat ein.

Dieser merkwürdige Finanzmann, welcher durch ebenso kühne und gewagte, als sicher und geschickt durchgeführte Operationen sich in der Geldwelt rasch auf eine schwindelnde Höhe erhoben hatte, um dann ebenso rasch unter der Anklage des Betruges bis zum Gefängnis von Mazas und zur Anklagebank herabzusinken, wo er in seiner Verteidigung ebensoviel wunderbare und zähe Energie entwickelt hatte, als früher in seinen großen Unternehmungen, stand damals in den letzten fünfziger Jahren. Seine kleine, zierliche Figur war von einer großen Beweglichkeit, sein spitzes, bartloses Gesicht mit ergrauendem kurzen Haar erinnerte ein wenig an die Porträts des Abbé Dubois, jenes bösen Genius des Regenten von Orleans, seine scharfblickenden Augen waren fast geschlossen, und seine dünnen Lippen bewegten sich, wenn er rasch und scharf akzentuiert sprach, fast allein in diesem eigentümlichen Gesicht, dessen übrige Züge stets in glatter Ruhe verharrten.

»Es scheint,« rief Marie Dumas, »daß heute alle besonderen Freunde Seiner Majestät Napoleons III. sich bei mir versammeln, – soeben geht Herr Gambetta hinaus, der das Kaiserreich ganz besonders liebt, und ich glaube, daß Sie, was Ihre Gefühle betrifft, ihm nichts nachgeben.«

Herr Mirès setzte sich auf den Stuhl, den Gambetta eben verlassen hatte, und sprach achselzuckend:

»Dieser Gambetta nimmt das alles zu ernst, – er verschwendet seine Kraft, – man hat wahrlich nur nötig, ruhig zuzusehen, wie das Gebäude zusammenbröckelt, das den stolzen Namen Empire führt, – es lohnt kaum der Mühe, noch daran zu rütteln.«

»Sie sehen,« sagte Madame Dumas, sich an Herrn Meding wendend, »wie ich recht habe, – das ist auch einer von den Verehrern des Kaisers, und er hat ein wenig ein Recht dazu, – aber nehmen Sie sich in acht,« fuhr sie zu Herrn Mirès sprechend fort, – »hier ist ein Hannoveraner, der mit seinen Landsleuten die Gastfreundschaft des kaiserlichen Frankreichs genießt und dafür den Kaiser verehrt.«

»Für mich,« sagte Herr Meding, – »ist der Kaiser Frankreich, – und die emigrierten Hannoveraner haben hier eine so freundliche Aufnahme und einen so großmütigen Schutz gefunden, daß ich dafür immer dankbar sein muß.«

Herr Mirès warf einen raschen Blick auf den Sprechenden und sagte mit einer leichten artigen Verbeugung:

»Frankreich wird immer den Unglücklichen ein Asyl öffnen, mein Herr, – und der Kaiser kann nicht gegen diesen Charakterzug der Nation handeln, – aber wenn Sie von ihm etwas für Ihre Sache hoffen, so täuschen Sie sich, – er wird Sie mißbrauchen zu Demonstrationen und Agitationen, aber er wird Sie schließlich im Stiche lassen, wie er alles im Stiche läßt; glauben Sie ja nicht, daß er irgendetwas Großes oder Kluges bis zu Ende durchführen wird, – ich kenne ihn, – und ich bin das Opfer meines Glaubens, den ich – nicht an sein Herz und seinen Charakter, – aber an seinen Verstand hatte, – denn in der Tat, ich hielt ihn einer solchen Torheit, wie er sie gegen mich begangen hat, nicht für fähig.

»Ich wollte«, fuhr er lebhaft fort, »dem Glanz und der Größe dieses Kaiserreichs, das durch die Kriege in der Krim und Italien sich einen ziemlich unsichern Nimbus geschaffen hatte, eine feste und großartige ökonomische Basis geben; mächtige Kreditinstitute, auf die Ressourcen des Staates begründet und nach richtigen Finanzgrundsätzen aufgebaut und geleitet, sollten die ganze Finanzwelt Europas von Paris abhängig machen, von hier aus sollte sich der Lebensstrom des Geldverkehrs durch die Adern der Welt ergießen. Denken Sie sich gewaltige Institute, durch die Mittel des Staates genährt und dem Staate wieder die reichen Erträge ihrer alles überragenden Kapitalmacht zuführend – auf einer solchen goldenen Basis hätte die Größe Frankreichs sicherer und fester gestanden, als auf allen vorübergehenden, mit so vielen Menschenleben und Existenzen erkauften Waffenerfolgen, – Frankreich hätte das Börsenleben, die Industrie und den Handel von Europa beherrscht, – niemand hätte gegen uns Krieg führen können, weil niemand ohne uns das Geld dazu hätte erhalten können. – Er schien diese Gedanken zu begreifen, – er schien meine Pläne zu erfassen, und im Vertrauen auf ihn arbeitete ich mit schnellem Erfolg daran, alle Fäden in meinen Händen zu vereinigen, alle Finanzmacht zu konzentrieren, um die große Kombination auszuführen, die ich im Sinne hatte, und die die Ökonomie des Staates aus einer primitiven Naturalwirtschaft zu einer in arithmetischer Proportion fortschreitenden und gewinnbringenden Finanzwirtschaft gemacht hatte. – Freilich«, fuhr er bitter lächelnd fort, »hätte neben dieser Kombination keine andere Größe bestehen können, – Rothschild – Pereire – und alle diese Steine der Finanzwelt wären wie Irrlichter versunken, – es hätte nur eine Macht gegeben – eine Macht, die geheißen hätte: Frankreich und Mirès! Und um dies große Ziel zu erreichen, durfte er nichts tun, – gar nichts, als mich gewähren lassen, – aber er fürchtet jede Kraft, – auch diejenige, die sich mit ihm verbinden will, die gar kein Interesse hat, ihm zu schaden, – und so fürchtete er mich, – er kennt ja nur dies eine roheste und kindlichste Mittel der Herrschaft, alle Kräfte sich gegenseitig bekämpfen und aufreiben zu lassen; er fürchtete mich, und darum opferte er mich Pereire und Rothschild, – ohne zu bedenken, daß er damit sich und die Zukunft seiner Dynastie opferte, – ich hätte ihn gehalten und ihn und sein Haus für immer mit der nationalen Ökonomie Frankreichs verbunden, ich hätte Größeres und Dauernderes für ihn geschaffen, als einst Colbert für Ludwig den Vierzehnten – jetzt ist das alles zerbrochen, und die finanzielle Basis des Kaiserreichs ist zerstört; – was ist Pereire? – was ist Rotschild?« rief er mit höhnischem Lachen, »Pereire und seine Unternehmungen sind Triebsand, in welchem dies Empire langsam versinken wird, – und Rothschild, – nun er wird wahrlich für Frankreich nichts tun, aus seinen Kassen wird, wenn er etwas verdienen kann, das Geld fließen, mit welchem man uns den Vernichtungskrieg macht. – Die mexikanischen Obligationen – das sind die Eroberungen der finanziellen Feldzüge des Kaiserreichs!

»Nun,« sagte er achselzuckend, – »mich hat er nicht vernichtet durch seinen Verrat, – aber sich selbst hat er zerstört, – für mich handelt es sich nur um den traurigen Zusammensturz eines großen Werkes, an welches ich meine ganze Kraft und Arbeit gesetzt hatte, für ihn handelt es sich um die Existenz. Er wird nicht an Gambetta, nicht an der Demokratie und der Revolution zugrunde gehen, – nein, er wird langsam und schmachvoll versinken in dem Schlamm der faulen Finanzwirtschaft, die er beschützt, damit seine Freunde aus ihren trüben Quellen Gold schöpfen können.«

Noch ehe jemand nach der heftigen Rede des tief erbitterten gestürzten Börsenfürsten etwas gesprochen, öffnete sich rasch die Türe, und Alexander Dumas trat in das Zimmer seiner Tochter, welche ihm, schnell aufspringend, entgegeneilte und ihn herzlich und liebevoll umarmte.

Die hohe und volle, etwas gedrungene Gestalt des großen Romanciers hatte durch das Alter und das wachsende Embonpoint etwas Schwerfälliges erhalten – die Bewegungen hatten nicht mehr die leichte Eleganz der früheren Jahre, wenn sie auch noch immer edel und anmutig waren. Der große Kopf mit dem krausen, wolligen, bereits stark ergrauten Haar war ein wenig vorgebeugt, die Augen funkelten von Geist und Humor und leuchteten zugleich von einer unbeschreiblichen kindlichen Gutmütigkeit, die vollen, hochaufgeworfenen Lippen öffneten sich leicht über noch immer schönen Zähnen.

Alexander Dumas trug ein weites Beinkleid von gelbem Nanking und ein weites, faltiges, weißes Hemd, – sehr empfindlich für die Hitze, wie er war, fand man ihn in seinem Zimmer morgens nie in einem andern Kostüme – alle seine Freunde waren daran gewöhnt und fanden nichts Außerordentliches darin.

Ihm folgte ein großer magerer Mann, eckig und ungelenk in seiner Gestalt und Haltung – etwas über dreißig Jahre alt, aber in seinen von Leidenschaften zerrissenen Zügen alter erscheinend. Die Züge waren häßlich, nicht nur durch ihre eigentümlich unregelmäßige Bildung, die eingedrückte Stirn, die stark hervorstehenden Backenknochen, den festgeschlossenen Mund mit den dünnen blutlosen Lippen – sondern besonders auch durch den Ausdruck unstäter Hast, welcher auf ihnen lag, – durch den feindlich stechenden Blick der in fieberhaftem Glanz brennenden Augen.

Alexander Dumas begrüßte den Regierungsrat Meding herzlich, drückte Mirès die Hand und setzte sich dann neben seine Tochter, welche seine Hand in der ihren behielt und ihn mit inniger Zärtlichkeit anblickte.

»Da bringe ich dir Rochefort,« rief er, auf den mit ihm Eingetretenen deutend, – »den Vicomte von Rochefort, – den Nachkommen jenes Rochefort, des großen Kardinals, welchem d'Artagnan so hübsche Degenstiche beibringt, – dieser aber ist kein Diener der Fürsten, – was eigentlich schade ist für einen Mann seines Namens, – er ist ein Mann des Volks, – des Volks, das freilich der größte und mächtigste Fürst ist – aber auch der undankbarste, – er heißt nur noch Henri Rochefort und hat mir eine sehr hübsche Idee mitgeteilt, – er will eine kleine, regelmäßig wieder erscheinende Broschüre herausgeben, – ›die Laterne‹, welche in kleinen scharfen Streiflichtern unsere Zustände ein wenig beleuchten soll. Das scheint mir ein ganz verdienstvolles Werk zu sein – und verspricht auch sehr amüsant zu werden.«

Herr Mirès lächelte. »Sehr amüsant und lehrreich,« sagte er, – »vielleicht, mein Herr, kann ich Ihnen hie und da eine kleine Notiz zur Verwendung geben, – ich habe manches gesehen unter der Oberfläche unserer Zustände.« –

»Herr Mirès«, sagte Alexander Dumas, »hat allerdings auch seine kleine Laterne, welche auf gewisse Punkte recht helles Licht werfen kann.«

»Ich danke, mein Herr,« sagte Rochefort mit einem scharfen, forschenden Blick auf den so bekannten Finanzier, – »ich werde gern alles annehmen, was dazu beiträgt, die Strahlen, welche meine Laterne werfen soll, so vielseitig als möglich zu machen.«

»Ich vermute,« warf Madame Marie ein, »daß diese Laterne nicht eben ein freundliches Licht auf unsern Kaiser und seine Regierung werfen wird«, – sie legte den Kopf auf die Schulter ihres Vaters und blickte lächelnd zu Rochefort hinüber.

»Warum, Madame?« erwiderte dieser, indem ein höhnischer Zug um seine Lippen zuckte, – »ich bin guter Bonapartist.«

Alexander Dumas sah ihn verwundert an.

»Nur«, fuhr Rochefort fort, »suche ich mir unter den Regenten dieser Dynastie denjenigen aus, welchem ich meine besondere Zuneigung und Verehrung zolle, und das ist Naopleon II., – unter seiner Regierung hat man keine Kriege geführt, – unter seiner Regierung sind keine Steuern erhoben, keine Todesurteile vollstreckt worden, – und doch wird mir niemand entgegnen können, daß er niemals regiert habe, – denn unser glorreichster Kaiser, der jetzt die Zierde des Thrones von Frankreich ist, heißt ja Napoleon III.«

»Sehr gut,« sagte Mirès, – »sehr gut, – das würde ein vortreffliches Entrefilet in der Laterne sein!«

Alexander Dumas lächelte – dann aber schüttelte er langsam den mächtigen Kopf.

»Als Bonmot ist das ganz gut,« sagte er, – »aber es gefällt mir doch nicht, – der arme König von Rom! – Das Schicksal dieses Kindes ist so tragisch, daß es mir widerstrebt, seinen Namen zum Gegenstand feindlicher Bonmots zu machen.«

Madame Marie warf aus ihren großen leuchtenden Augen einen Blick voll Liebe und Bewunderung auf ihren Vater. Dann beugte sie sich auf seine Hand und drückte einen Kuß darauf.

Rochefort drehte ein wenig verlegen an seinem kurzen Schnurrbart.

Der Neger trat ein und meldete:

»Die Frau Gräfin Dash.«

Mirès und Rochefort verabschiedeten sich.

Die Gräfin Dash, diese in der Damenwelt einst so beliebte Schriftstellerin, trat ein.

Sie war mit äußerster Eleganz und Einfachheit zugleich gekleidet – ihr volles schneeweißes Haar war sorgfältig frisiert und umrahmte ihr feingeschnittenes Gesicht, dessen Züge zwar ihr hohes Alter anzeigten, das aber noch die frischen Farben und die lebhaften feurigen Augen der Jugend bewahrt hatte.

Alexander Dumas war ihr entgegengeeilt und reichte ihr mit einer Bewegung voll sympathischer Herzlichkeit beide Hände entgegen.

»Sie werden jedesmal jünger, meine teure Freundin,« rief er, »so oft ich Sie sehe, geben Sie mir das Geheimnis Ihrer ewigen Frische – ich werde alt, meine Kraft verläßt mich allgemach, – bald wird die Lampe verlöschen!«

Und er führte sie langsam nach dem Sofa, in welches er sie mit sorgsamer Aufmerksamkeit niedersetzte. Es war ein eigentümlicher und wehmütig reizvoller Anblick, diese beiden alten Leute zu sehen, welche herüberragten in unsere Tage aus einer vergangenen Zeit voll Poesie und frischen Lebens, – welche einer bei dem Anblick des andern mit trauriger Klarheit die Spuren der über alle Blüten des Menschenlebens erbarmungslos dahinschreitenden Zeit erblickten, – welche aber auch in ihren warmen Herzen die ewige Frische der Jugend bewahrten, die unter den alternden Zügen des Freundes das lichte Bild der Vergangenheit herauftauchen läßt.

»Sie scherzen, mein lieber Alexander,« erwiderte die alte Dame auf das Kompliment ihres Freundes, indem sie das weiße Haupt schüttelte, das ihr in Verbindung mit ihrer ganzen vornehmen und distinguierten Haltung das Ansehen einer jener alten Herzoginnen des ancien régime gab, – »Sie scherzen, – ich fühle zu sehr die Macht des Alters, um den Illusionen Glauben zu schenken, welche mir mein Herz zuweilen vorspiegeln möchte, – dies Herz, das so langsam alt wird und so schwer stirbt.«

»Wissen Sie,« sagte Alexander Dumas, »daß unsere gute Dejazet noch einmal aus dem Grabe der Vergessenheit sich erhebt und ihre alten Rollen auf ihrem kleinen Theater spielt, – ihre jugendlichen Glanzrollen, in ihrem Alter von fast achtzig Jahren?«

»Ich habe davon gehört,« sagte die Gräfin Dash, – »sie will ihrem Sohn Vermögen schaffen, – und die Zugkraft ihres Namens soll groß genug sein, um alle Tage das Theater zu füllen.«

»Ich habe nicht hingehen mögen,« rief Alexander Dumas, – »man kann vergangenes Leben nicht galvanisieren, ohne der Schönheit Eintrag zu tun und Häßliches hervorzubringen, – mir würde es einen schaurigen Eindruck machen, die zusammensinkende Ruine der schönen und anmutigen Dejazet auf derselben Szene wie ein Gespenst heraufsteigen zu sehen, auf welcher sie einst das Entzücken von ganz Paris bildete.«

»Ich habe sie gesehen,« bemerkte Herr Meding, – »als Napoleon in Brienne und als Richelieu in den premiers armes de Richelieu – sie war sehr merkwürdig durch die Leichtigkeit und Eleganz ihres Spieles und durch die so korrekte und elegant pointierte Deklamation, die man in unseren Tagen außer im théâtre français fast gar nicht mehr hört, – mehr aber hat mir ein Nachspiel gefallen, in welchem sie im Kostüme einer alten Bäuerin, von jungen Mädchen umgeben, Berangers reizendes Lied der Erinnerung an Jugend und Schönheit singt. Es war in der Tat rührend, und tiefe Bewegung erfaßte das ganze Haus.«

»Die alte Dejazet, – wie sie das Lied ihres toten Freundes singt,« – sagte die Gräfin Dash, indem eine Träne an ihrer Wimper perlte, – »das ist in der Tat schön und kann von der jetzigen Generation nicht so verstanden werden, wie von uns, die wir sie jung und schön wie eine Liebesgöttin gekannt und gesehen haben, wie Beranger seine schönsten Lieder zu ihren Füßen sang. – Um das zu hören, könnte ich mich auch entschließen, hinaus nach dem kleinen Theater zu gehen, wo wir so oft heitere Stunden verlebten, – aber meine Kräfte erlauben es nicht – ich kann nicht so lange die Ruhe meines Lehnstuhles entbehren.«

»Sie sprachen ja von einer Kur in Bagnères de Luchon, welche Ihr Arzt Ihnen vorgeschrieben hat?« fragte Madame Marie.

»Meine liebe Freundin,« sagte die Gräfin, »es ist traurig, wenn mit den Schwächen des Alters sich die Armut verbindet, – meine Mittel erlauben es mir nicht, die Reise zu machen, die mir die Gesundheit bringen sollte.«

»Was?« rief Alexander Dumas auffahrend, – nachsinnend beugte er das Haupt, – dann schlug er sich vor die Stirn.

»Ich habe nichts in diesem Augenblick,« rief er, – »ich habe einem armen Teufel, der zu mir kam, die letzten hundert Franken gegeben, die ich in dem Schubfach meines Tisches fand, – aber«, sagte er in rascher Wendung, Herrn Meding die Hand auf die Schulter legend, »hier ist der Vertreter des Königs von Hannover, eines der edelsten und ritterlichsten Herren der Welt, den ich verehre, ohne ihn zu kennen, weil er so würdevoll und königlich gefallen ist, – Sie hören, mein Freund, dieser alten vortrefflichen Dame fehlt das Geld, ihre Gesundheit zu stärken, – ich bin überzeugt, wäre Ihr König hier zur Stelle, er würde bereits das schönste Recht der Fürsten ausgeübt haben – edle Herzen glücklich zu machen.«

»Wenn die Frau Gräfin mir erlaubt, mich in Ihre Angelegenheiten zu mischen,« sagte Herr Meding, – »so werde ich sogleich dem Könige, meinem allergnädigsten Herrn, schreiben, und ich bin überzeugt, daß es den König glücklich machen wird, Ihnen eine jener elenden Sorgen der materiellen Welt abzunehmen, welche eine Dame wie Sie niemals berühren sollten.«

»Sie sehen,« sagte Alexander Dumas, »daß fürstliche und ritterliche Gesinnung in der Welt nicht ausstirbt, – wir können ruhig entschlafen, – es wird immer noch Helden für die Romanciers der Zukunft geben.«

Die Gräfin Dash neigte freundlich und anmutig dankend das Haupt.

Herr Meding stand auf.

»Wir erwarten Sie also heute zum Diner,« sagte Madame Marie, – »Sie werden eine kleine amüsante Gesellschaft finden, – Lord Haugthon unter andern, den Freund Palmerstons – und Ihren Hannoveraner, den Sie mir neulich vorstellten, bringen Sie mit, nicht wahr, – Herrn – Herrn – ?«

»Von Wendenstein?« sagte Herr Meding.

»Von Wendenstein,« sprach sie mit komischer Bewegung des Mundes nach, – »der junge Mann ist entschieden liebenswürdiger als sein Name.«

»Apropos,« rief Alexander Dumas, »ich habe noch eine Dame eingeladen, die mich besucht hat, – eine sehr liebenswürdige und schöne Dame, eine Italienerin, die Marchesa Pallanzoni, – die seit dem vorigen Jahre hier ist und alle Welt entzückt.«

»Ich werde mich freuen, sie zu sehen, – ich habe schon von ihr sprechen gehört«, sagte Marie Dumas.

»Also auf Wiedersehen in zwei Stunden«, sprach der Regierungsrat Meding, sich verabschiedend, und verließ den Salon.


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