Oskar Meding
Zwei Kaiserkronen
Oskar Meding

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Neunundzwanzigstes Kapitel

Ein einfacher Fiaker fuhr an dem großen Eingang der Staatskanzlei am Ballhausplatz in Wien vor.

Aus demselben stieg ein großer schlanker Mann von etwa fünfzig Jahren in elegantem Zivilanzug und mit einem länglichen, etwas bleichen Gesicht voll energischer Willenskraft, auf dessen regelmäßigen Zügen ein unruhiges und vielbewegtes Leben sichtbar seine Linien eingegraben hatte. Sein kurz geschnittenes, kaum leicht ergrauendes Haar, der lange, sorgfältig gepflegte, nach beiden Seiten hin in seinen Spitzen auslaufende Schnurrbart, die lebhaften Augen voll dunklen, glühenden Feuers, und besonders seine geschmeidigen und elastischen Bewegungen ließen diesen Mann, aber namentlich in einer gewissen Entfernung, erheblich jünger erscheinen.

Er schritt an dem alten Portier der Staatskanzlei in dem langen blauen Rock mit dem vergoldeten Bandelier und dem großen Stab mit leichtem Gruß vorbei und stieg mit jugendlicher Leichtigkeit die große Treppe zu dem Empfangszimmer der Reichskanzlei empor; er trat in den großen weiten Vorsaal mit den Möbeln von blauem Seidendamast, in welchem das lebensgroße jugendliche Bild des Kaisers Franz Joseph aus mächtigem goldenem Rahmen von der Wand herabsah.

Der diensttuende Bureaudiener trat ihm mit fragendem Blick entgegen.

»Melden Sie Seiner Exzellenz den General Türr, Generaladjutanten des Königs von Italien.«

Mit tiefer Verneigung eilte der Bureaudiener in das Kabinett des Grafen Beust und kehrte nach wenigen Augenblicken wieder zurück, um den General zu bitten, einige Minuten zu warten, da der Reichskanzler nur einen eben stattfindenden Vortrag zu Ende hören wolle.

Der General Türr, der seine Karriere als österreichischer Soldat begonnen, der dann als ungarischer Revolutionär gegen Osterreich gekämpft, zum Tode verurteilt worden war, der darauf in italienischen Diensten bis zum General und Adjutanten des Königs emporgestiegen und durch seine Gemahlin, die Tochter der Madame Bonaparte-Wyse, ein entfernter Verwandter der Familie des Kaisers Napoleon und Schwager des italienischen Ministerpräsidenten Rattazzi geworden war, ging mit großen Schritten einige Male in dem Salon auf und nieder. Dann blieb er vor dem Bild des Kaisers Franz Joseph stehen und blickte dasselbe mit seinen geistvollen, sinnigen Augen lange an.

»Die Tage folgen sich und gleichen sich nicht!« sagte er. – »Als dieser Kaiser in der jugendlichen Gestalt, in welcher er hier unverändert auf alle die sich einander ablösenden diplomatischen Generationen herabblickt, auf den Thron Österreichs stieg, da stand ich tief unten auf der Stufenleiter des Lebens und über meinem Haupte schwebte das unerbittliche Urteil des Hochverrates. Jahre sind dahin gegangen, sie haben ihre Linien in die kindlichen Züge dieses damals kaum dem Knabenalter entwachsenen Monarchen gezogen. Die Last der Krone hat sein Haupt gebeugt, die Sorgen haben seine Stirn gefurcht und mancher Edelstein, den er aus dem Kampf jener Tage rettete, ist heute aus seinem Diadem gebrochen – und ich, der damals Vervehmte und Geächtete, stehe heute als ein mit Auszeichnung empfangener Gast in dem alten Heiligtum der Kaunitz und Metternich.«

Voll stolzen Selbstgefühls leuchteten seine Blicke auf. Dann aber legte sich der Ausdruck einer tiefen Wehmut auf seine Züge, und immer das Auge auf das Bild des Kaisers gerichtet, sprach er weiter:

»Ich stehe heute auf der Höhe eines durch eigene Willenskraft und Ausdauer geschaffenen Lebens; wofür ich damals gekämpft und geachtet wurde, das ist heute erreicht und ich fühle, wie mächtig das Band der Liebe mich an das alte Vaterland fesselt, welches ja jetzt erkannt hat, daß mein Streben einst nur sein Wohl bezweckte, an dies Vaterland, das heute Österreich-Ungarn heißt, und auch an diesen edlen und ritterlichen Fürsten, den die Hand des Unglücks so schwer getroffen, der die eiserne Krone und das Diadem Venetiens verloren, aber auf dessen Haupt heute heller als je die Krone des heiligen Stephan glänzt. Ich bin nicht mehr Österreicher, ich bin nicht mehr sein Untertan,« sagte er mit leiser bebender Stimme, »aber mein Blut macht mich zum Ungarn und dem Fürsten der Ungarn werde ich dienen und beistehen, soviel ich kann, und ich will ihm auch jetzt den festen Halt bringen, um der Zukunft stolz und sicher entgegengehen zu können.«

Der Bureaudiener erschien und lud den General ein, in das Kabinett des Reichskanzlers zu treten.

Der General Türr warf noch einen langen Blick auf das schöne Bild des Kaisers, durchschritt dann das zweite kleinere Vorzimmer und trat in das Kabinett des Grafen Beust, der sich von seinem Schreibtisch erhoben hatte und ihm fast bis zur Türe entgegenging.

»Ich freue mich, Sie hier zu sehen, Herr General,« sagte der Reichskanzler mit seinem freundlich gewinnenden Lächeln, indem er dem General die Hand reichte, welche dieser mit freiem Anstande ergriff.

»Sie sind lange nicht in Wien gewesen. Ich habe Ihnen noch zu danken für die wesentlichen Dienste, welche Sie uns durch Ihre Beziehungen und Ihren Einfluß in Ungarn bei der Regelung und Entwickelung der dortigen Verhältnisse geleistet haben.«

Er setzte sich an seinen Schreibtisch. Der General nahm auf einem neben demselben bereitstehenden Lehnstuhl Platz.

»Ich bin glücklich, wenn es mir hat gelingen können, Eure Exzellenz in Ihrem schweren Werk zu unterstützen. Sie haben mit klarem Blick die Wahrheit der Idee erkannt, für welche ich und meine Freunde einst gefochten haben. Sie haben die Kraft erkannt, welche in Ungarn liegt, und haben durch die freie Anspannung dieser Kraft Österreich die Bürgschaft einer großen Zukunft gegeben. Seien Sie überzeugt, daß ich stets bereit sein werde, Sie nach allen Kräften zu unterstützen. Ich habe zunächst noch«, fuhr er schnell fort, »Ihnen meine Glückwünsche für die erneuerte Anerkennung Seiner Majestät auszusprechen. Ich habe soeben bei meiner Ankunft in Wien gehört, daß der Kaiser Sie in den Grafenstand erhoben hat.«

Graf Beust neigte leicht den Kopf und erwiderte lächelnd: »Dieser Titel an sich hat für mich wenig Wert, meine Familie ist alt genug, um ihn entbehren zu können, und führt ihn auch bereits in einigen ihrer Zweige, aber die Verleihung desselben macht mich in diesem Augenblick glücklich, denn sie zeigt mir, daß der Kaiser meine Bemühungen und Arbeiten und die, wenn auch vielleicht geringen, Erfolge derselben gnädig anerkennt und zwar in einem Augenblick, in welchem erneute und eifrige Versuche gemacht worden sind, meine Stellung zu untergraben. Versuche, welche gerade von denjenigen ausgehen, denen Österreichs Größe und glückliche Zukunft doch wahrlich mindestens eben so sehr am Herzen liegen sollten als mir, der ich als ein Fremder in die Geschichte dieses Landes eintrete. Ein Teil jener alten österreichischen Aristokratie,« fuhr er mit einem Anklang von Bitterkeit fort, »welche nichts lernen und nichts vergessen will, und welche am Gängelbande Roms zu gehen gewohnt ist, hat alles mögliche getan, um meine Stellung zu untergraben und mich bei dem Kaiser zu verdächtigen als einen Protestanten und Neuerer, der den Glauben und die Religion in Österreich zerstören möchte. Der Kaiser hat diesen dunklen Agitationen und Konspirationen durch meine Ernennung zum Grafen eine klare und deutliche Antwort gegeben, welche die Welt und das österreichische Volk verstehen wird. Und das ist es, was mich glücklich macht und mir freudige Zuversicht für die Zukunft gibt.«

»Die Zukunft Österreichs«, rief der General Türr mit blitzenden Augen, »liegt auch mir am Herzen, und ich komme, um Eurer Excellenz eine Idee, vielleicht mehr als eine Idee mitzuteilen, welche nach meiner Überzeugung geeignet ist, Österreichs künftige Stellung zu sichern und zu kräftigen.«

Graf Beust, welcher die Unterhaltung bisher im ruhigen, leichten Konversationston geführt hatte, wurde ernst. Sein helles, klares Auge richtete sich fragend auf den General. Er fuhr in unwillkürlicher Bewegung einige Male mit einem Bleistift, der ihm zur Hand lag, über einen Bogen Papier und sagte dann:

»Jede Idee, welche mir zum Heil Österreichs entgegengebracht wird, ist mir von hoher Wichtigkeit. Von um so höherer Wichtigkeit,« fügte er verbindlich den Kopf neigend hinzu, »wenn sie von einem Manne ausgeht wie Sie, Herr General.«

»Euer Excellenz werden, wie ich, erkennen,« sagte der General Türr, »daß nach dem letzten Kriege eine tiefe Kluft zwischen Österreich und Preußen entstanden ist, eine Kluft, welche sich bei jedem Ereignis immer weiter öffnen kann und welche es für Österreich, das bisher den Schwerpunkt seiner Stellung in Deutschland und auf deutschem Boden zu finden gewohnt war, notwendig macht, einen neuen festen Boden in dem Konzert der Mächte zu gewinnen, um nicht isoliert in Europa dazustehen.«

Graf Beust neigte wie zustimmend den Kopf. Dann aber sagte er:

»Ich vermag in den augenblicklichen Konstellationen der Politik keine Gefahr für Österreich zu erblicken, unsere Isolierung ist nach keiner Richtung hin eine feindliche. Es ist die Zurückgezogenheit der Rekonvalescenz, um mich so auszudrücken, der inneren Sammlung, welche wir bedürfen, um jemals wieder aktiv und maßgebend in die Politik eingreifen zu können.«

»Dennoch,« erwiderte der General Türr, »ist diese Isolierung gefährlich, um so gefährlicher in einer Zeit, in welcher jeder Augenblick Katastrophen herbeiführen kann, deren Entwicklung Österreich unmöglich ruhig und untätig zuzusehen imstande ist. Preußen«, fuhr er fort, »ist im Jahre 1866 bis an den Main gegangen, es hat die österreichische Suprematie in Deutschland zerstört, aber der Natur der Sache nach kann und wird die Politik des Berliner Hofes dabei nicht stehen bleiben, sie wird jede Gelegenheit benutzen, um das, was im Jahre 1866 noch unvollendet geblieben ist, durchzuführen und in irgend welcher Form das Wesen des preußischen Kaisertums in Deutschland zu schaffen.«

»Die Verträge stehen dem entgegen,« sagte Graf Beust ruhig, »die Selbständigkeit und Unabhängigkeit der süddeutschen Staaten ist gesichert.«

»Gesichert,« rief der General Türr lebhaft – »gesichert durch ein Blatt Papier, das in jedem Augenblick zerrissen werden kann, ja, das durch die Militärverträge mit den süddeutschen Staaten fast schon zerrissen ist. Eine solche Sicherheit, Exzellenz, bedeutet nichts in unseren Tagen. Wie viele Verträge – noch feierlichere Verträge als den Prager Frieden – haben die letzten Dezennien nicht schon zerreißen sehen! Ich bin Ungar«, fuhr er fort, »und im Interesse des Volks, aus dem ich hervorgegangen, kann ich Eurer Exzellenz nur aufrichtig sagen, daß ich eine Wiederherstellung der früheren Stellung Österreichs in Deutschland, eine Aufhebung des Werkes von 1866 nicht wünsche, weil eine solche in der Politik des Kaiserstaats vorzugsweise wieder die deutschen Interessen maßgebend machen würde und alles in Frage stellen müßte, was für Ungarn zu seinem Heil und zum Heil des Hauses Habsburg gewonnen ist. Aber ebensowenig«, fuhr er fort, »wünsche ich und kann ich wünschen, daß das Werk von 1866 im Sinne des Berliner Hofes zu Ende geführt werde, daß sich an den Grenzen Österreichs und Ungarns ein übergewaltiges deutsches Reich aufrichte. Es liegt im Interesse Österreichs und Ungarns,« fügte er mit Nachdruck hinzu, »daß der Prager Frieden die dauernde Grundlage der Zustände in Deutschland bleibt, damit Österreich nicht von übermächtigen Militärstaaten umgeben werde, welche von zwei Seiten und aus zwei verschiedenen Interessen die Zersetzung und Zerstörung des Kaiserstaates wünschen müßten. Richten Sie das ganze militärische geeinte Deutschland an Ihren Grenzen empor, so wird Österreich von Rußland und Deutschland eingefaßt werden, jeder selbständigen politischen Aktion unfähig, und wird sich, wenn es nicht untergehen will, gezwungen sehen, mit seinen beiden gewaltigen Nachbarn eine feste Allianz zu schließen, in welcher das Wiener Kabinett wahrlich nicht die maßgebende Stimme führen würde.«

»Eine solche Eventualität liegt noch nicht vor,« sagte Graf Beust.

»Wenn sie in diesem Augenblick nicht vorliegt,« erwiderte der General, »so hat sie doch wenigstens noch vor ganz kurzer Zeit sehr nahe gelegen. Sprechen wir offen, Exzellenz,« sagte er, »Sie werden wissen, wie ich weiß, daß der Ausbruch eines Krieges zwischen Frankreich und Preußen in unmittelbar naher Vergangenheit nur an einem Haar hing und daß nur diese so plötzlich dazwischen getretene spanische Revolution die vollkommen vorbereitete Katastrophe verhindert, – verschoben hat.«

Graf Beust neigte schweigend das Haupt, ohne daß man in seinen Mienen merken konnte, ob dies ein Zeichen der Aufmerksamkeit sei, mit welcher er dem General zuhörte, oder eine Zustimmung zu den von ihm ausgesprochenen Worten.

»Jener Krieg zwischen Preußen und Frankreich«, fuhr der General lebhaft fort – »und ein solcher Krieg ist nur eine Frage der Zeit, er wird und muß kommen mit sicherer Notwendigkeit – ein jeder Krieg zwischen Frankreich und Preußen würde die Frage, von der ich vorhin gesprochen, unmittelbar herantreten lassen, denn würde Preußen in einem solchen Krieg siegen, so würde Deutschland ihm ohne Widerstand gehören; würde es aber vollkommen besiegt werden, so würde dadurch auf der anderen Seite wieder ein solches Übergewicht Frankreichs in Europa begründet, wie es wahrlich nicht im Interesse der übrigen Mächte, am wenigsten in demjenigen Österreichs liegen könnte. Österreich muß eine solche Entscheidung zunächst zu verhindern suchen, und wenn dies nicht mehr möglich ist, so muß es mit fester Hand in dieselbe eingreifen können, um auf der einen Seite ein weiteres Vordringen Preußens, das bereits mit einem Fuß an dem Brenner und mit dem andern am St. Gotthard steht und dadurch auch Italien bedroht, zu verhindern, auf der andern aber auch zugleich den dominierenden Einfluß Frankreichs in Mitteleuropa auszuschließen und zurückzuweisen.«

Ein leichtes Zucken zeigte sich in den Augenwinkeln des Grafen Beust.

»Sie glauben, Herr General,« sagte er im Ton eines gewissen Erstaunens, »daß das Vordringen Preußens nach dem Süden Italien bedrohen könne – ich glaubte, daß Ihre Beziehungen zu Preußen die besten seien, und daß Sie die Stärkung dieser Macht im Interesse der Ziele, welche Sie verfolgen, nur wünschen können.«

»Weil Italien,« erwiderte der General, »die notwendigen Ziele seiner nationalen Politik nicht anders erreichen konnte, hat es damals diese Allianz mit Preußen geschlossen. Diese Allianz aber lastet schwer auf uns, es wäre wahrlich besser, unsere Politik auf andere Grundlagen zu basieren. Und gerade darüber wollte ich mit Eurer Exzellenz sprechen, gerade darüber wollte ich Eurer Exzellenz eine Idee mitteilen, deren Ausführung, wie ich glaube, sowohl für Österreich und Italien, als auch für Europa jede künftige Gefahr eines zu großen Übergewichts der einen oder der anderen Macht ausschließen könnte.«

Graf Beust sah den General einen Augenblick mit seinen klaren Augen forschend an.

»Herr General,« sagte er dann, »Sie haben eine hervorragende Rolle in der Geschichte Italiens gespielt, Sie stehen der Person Ihres Königs nahe, Sie wollen mir die Ehre erzeigen, mir eine politische Idee mitzuteilen: darf ich mir die Frage erlauben, ob unsere Unterhaltung ein privater Meinungsaustausch sein soll oder ob die Gedanken, deren Mitteilung ich mit Spannung entgegensehe, Ihrer Regierung und Ihrem Könige nahestehen?«

Der General blickte den Reichskanzler frei und offen an.

»Sie wissen, Exzellenz,« sagte er, »wie sehr der König Viktor Emanuel wünscht, daß die Vergangenheit aus den Erinnerungen Österreichs und Italiens verschwinde, und ich glaube Sie versichern zu können, daß der König die Gedanken, welche ich zur Erreichung dieses Zieles Ihnen mitteilen möchte, vollkommen billigt und zu ihrer Ausführung – wenn sie je praktische Formen annehmen sollten, mit Freuden die Hand bieten wird.« »Ich kenne diese Gesinnungen des Königs,« erwiderte Graf Beust, »und kann Ihnen meinerseits die Versicherung geben, daß dieselben vom Kaiser, meinem allergnädigsten Herrn, und von mir geteilt werden.«

»Nun,« fuhr der General fort, »ich gehe einen Schritt weiter. Die bloße Sympathie, die Freundschaft ist kein Faktor im politischen Leben, wenn sie sich nicht in bestimmte Formen kleidet und ihren Ausdruck in Bündnissen und festen Stipulationen findet.« »Zu jedem Bündnis«, erwiderte Graf Beust, »gehört ein bestimmtes, gleichartiges Ziel – zu jedem Bündnis gehören Leistungen und Gegenleistungen.«

»Das gleiche Ziel, Exzellenz,« sagte der General, »besteht zwischen Österreich und Italien, und ich glaube dasselbe bereits angedeutet zu haben. Es liegt darin, daß beide Staaten das gemeinsame ernste Interesse haben, den gegenwärtigen Zustand in Deutschland zu befestigen und für die Zukunft zu erhalten, und ein weiteres Vordringen Preußens nach dem Süden, welches Ihnen wie uns gefährlich werden müßte, zu verhindern.«

»Wenn ein solcher Fall eintreten sollte – –,« sagte Graf Beust.

»Nicht wenn der Fall der Gefahr da ist«, rief der General Türr lebhaft, »schließt man die Bündnisse, man muß sich vorher rüsten, der Gefahr entgegenzutreten, und für den Fall derselben auch vorher den zweiten Punkt feststellen, welchen Eure Exzellenz vorhin so scharf und richtig zu bezeichnen die Güte hatten – die Leistungen und Gegenleistungen.«

»Und wenn wir diesen Fall nun ins Auge faßten?« fragte Herr von Beust mit feiner Betonung.

»So würden sich«, sagte der General Türr, »die Leistungen und Gegenleistungen, wie mir scheint, sehr klar und einfach ergeben. Österreich hat bei jeder europäischen Katastrophe,« fuhr er fort – »und eine solche Katastrophe könnte gegenwärtig doch nur aus den deutschen Angelegenheiten entstehen – das dringende Interesse, mit seiner vollen Kraft in die Aktion eingreifen zu können. Das Hindernis eines solchen Eingreifens würde nun, wie ich überzeugt bin, wesentlich von Osten kommen, von derjenigen Macht, deren Herübergreifen in das westliche Europa entgegenzutreten Österreich-Ungarn und Italien gleich sehr bestrebt sein müßten. Diese Macht ist Rußland, Exzellenz, und Rußland ist durch die innigsten Beziehungen gegenseitiger Unterstützung mit Preußen verbunden. Ich habe keinen Zweifel, daß Rußland im Augenblick einer preußischen Aktion sich jeder Teilnahme Österreichs energisch widersetzen würde.«

»Und wenn das geschähe?« fragte Graf Beust. »So würde es vor allem darauf ankommen,« fiel der General Türr ein, »der Macht Österreichs einen solchen Zuwachs zu geben, daß sie imstande wäre, auch eine russische Einmischung kraftvoll zurückzuweisen und zugleich den Süddeutschen einen Halt zu geben, damit diese nicht gezwungen sind, sich auf Gnade und Ungnade an Preußen anzuschließen. Ich glaube,« fuhr er fort, »daß ein festes Bündnis mit Italien, dessen Armee sich fortwährend verbessert und konsolidiert, dessen finanzielle Kräfte sich stärken, diesen erforderlichen Machtzuwachs Österreichs zu gewähren imstande wäre.«

»Das wären die Leistungen,« sagte Graf Beust mit seinem Lächeln – »wir sprachen vorhin auch von der Gegenleistung.«

»Italien, Exzellenz,« sprach der General weiter, »hat für seine Politik zunächst nur das eine bestimmte Ziel: seine vollständige nationale Konstituierung. Dieselbe ist zum Teil vollendet, vollendet im feindlichen Gegensatz gegen Österreich – im Krieg mit Österreich, – daß dies geschah, daß Österreich sich zwischen zwei Feinde stellte, statt sich einen mächtigen Freund und Alliierten zu schaffen, war nach meiner Überzeugung einer der größten Fehler der früheren österreichischen Regierung, ein Fehler, den, wie ich glaube, Eure Exzellenz ebensosehr erkennen und würdigen als ich.«

Graf Beust neigte diesmal mit unverkennbarer vollkommener Zustimmung das Haupt.

»In diesem Augenblick«, fuhr der General fort, »fehlen zur vollständigen nationalen Konstituierung Italiens noch zwei Punkte. Diese Punkte sind Rom und das italienische Tirol.«

Graf Beust atmete auf, ein Zug des Verständnisses erschien auf seinem Gesichte. Die Unterhaltung hatte ihren eigentlichen Kernpunkt berührt.

»Rom«, fuhr der General Türr fort, »hat Frankreich uns zu geben, welches seine Hand auf diese natürliche Hauptstadt Italiens gelegt hat. Das italienische Tirol kann Österreich uns gewähren. Was nun Rom betrifft, so glaube ich, daß es trotz des Drängens von einem gewissen Teil der Aktionspartei im Interesse Italiens liegt, die definitive Entscheidung dieser Frage noch der Zukunft zu überlassen. Es ist unmöglich,« fuhr er fort, »daß nicht über kurz oder lang unter einem neuen Papste eine Verständigung zwischen dem Papsttum und dem Königreich Italien stattfinde. Das Papsttum ist so sehr eine italienisch nationale Institution, Italien auf der andern Seite ist so sehr katholisch, daß diese beiden, jetzt einander so feindlich gegenüberstehenden Elemente sich mit der Zeit finden müssen. Italien muß verstehen, welche Kraft und welchen Einfluß ihm das Papsttum gibt. Der Papst wird endlich begreifen müssen, um wieviel höher und mächtiger seine Stellung ist, getragen von der nationalen Kraft und dem nationalen Gefühl, als wenn er in feindlicher Abgeschlossenheit sich von den Lebensbedingungen seiner Macht trennt. In dem Augenblick aber, in welchem das Papsttum und Italien sich miteinander verständigen, wird der französische Einfluß und die französische Okkupation von selbst verschwinden, während jetzt ein vorzeitiges Angreifen dieser Frage gefährliche und bedenkliche Verwickelungen herbeiführt. Viel einfacher dagegen liegt die Sache mit dem italienischen Teil Tirols; nachdem Österreich die Lombardei und Venezien nicht mehr besitzt, ist das kleine Gebiet von keiner Bedeutung mehr. Es ist eigentlich nur noch eine Prinzipien- und keine Machtfrage. Österreich – das von Eurer Exzellenz geleitete Österreich,« fuhr er, sich verbeugend, fort, »wird zu der Erkenntnis gekommen sein, daß es durch die Beherrschung von Teilen fremder Nationalität niemals an Macht gewonnen, sondern sich nur Verwickelungen und schließlich Niederlagen zugezogen hat, und Österreich wird, wenn es seine wahren Interessen erkennt, wahrlich nicht zögern, durch eine Konzession von verschwindend kleiner praktischer Bedeutung sich die freie und ungehinderte Vertretung seiner Interessen in allen möglichen Katastrophen der Zukunft durch eine feste Allianz mit Italien zu sichern.«

Graf Beust schwieg einige Augenblicke. Dann blickte er mit schnellem Aufschlag seines Auges den General scharf und forschend an und fragte in leicht hingeworfenem, fast gleichgültigem Ton: »Haben Sie mit dem Kaiser Napoleon über diese Idee gesprochen?« »Ja, Exzellenz«, erwiderte der General Türr. »Und der Kaiser würde über die Ausführung meines Gedankens in hohem Grade erfreut sein, da derselbe eine Basis bieten würde für die gerade von ihm so dringend gewünschte und mehrfach schon erstrebte Koalition zwischen Frankreich, Österreich und Italien.«

»Das herzliche und innige Einverständnis zwischen diesen drei Mächten,« erwiderte Graf Beust, »erfüllt mich mit großer Befriedigung. Ich werde stets alles mögliche tun, um dieses Einverständnis zu erhalten und immer inniger zu gestalten. Eine Allianz,« fuhr er fort, »eine Koalition ohne ein in dem Augenblick hervortretendes Objekt derselben würde, wie ich aufrichtig sagen muß, große Schwierigkeiten haben.«

»Ich glaube,« sagte der General Türr, »daß die Schwierigkeiten am wenigsten bei Österreich liegen sollten, da die österreichische Leistung doch eigentlich nur das vollständige Aufgeben einer bereits verlorenen Position und die letzte Anerkennung der nationalen Konstituierung Italiens ist. An wirklicher Macht verliert Österreich nichts, gewinnt dagegen eine sehr bedeutende Stärke im festen Rückhalt an Italien und Frankreich, welche es davor bewahren wird, Preußen und Rußland in die Hände zu fallen, was sonst jedenfalls sein Los sein müßte.«

»Sie dürfen eins nicht vergessen, Herr General,« erwiderte Graf Beust, »daß namentlich in unsern Tagen die Politik nicht mehr nach Utilitätsprinzipien im geheimnisvollen Dunkel der Kabinette gemacht wird, sondern daß die öffentliche Meinung und ihr Urteil heute maßgebend auf die Entschließungen der Staatsmänner einwirken muß. Ich bin nicht sicher, wie die Führer der öffentlichen Meinung Österreichs und auch Deutschlands, auf das wir doch ebenfalls sehr viel Rücksicht nehmen müssen, eine solche Gebietsabtretung aufnehmen würden, und ob dieselbe nicht als ein Zeichen unwürdiger Schwäche erscheinen möchte, um so mehr, als es unmöglich wäre, die Vorteile, welche Österreich dagegen eintauscht, der öffentlichen Meinung klarzulegen, da dieselben doch für eine Eventualität der Defensive oder, Offensive«, fügte er mit Betonung hinzu, »berechnet sind, welche es mit Rücksicht auf die internationalen Beziehungen unmöglich macht, sich öffentlich auszusprechen.«

»Die öffentliche Meinung«, erwiderte der General Türr, »bekennt sich zum Nationalitätsprinzip. – Deutschland strebt auf Grund dieses Prinzips nach fester Einigung. Österreich hat unter Zustimmung seiner ganzen Bevölkerung die nationalen Rechte Ungarns anerkannt, die öffentliche Meinung wurde es also nur billigen, wenn Österreich Italien das Opfer eines kleinen Gebietsteils darbringt. Außerdem«, fuhr er fort, »läßt sich auf die öffentliche Meinung sehr erheblich durch alle diejenigen einwirken, welche ein Interesse an der Verstärkung Österreichs und an der Zurückweisung eines weiteren Vordringens in Deutschland haben. Ich habe mit einem hervorragenden Mitglied der deutschen Demokratie über den Gegenstand gesprochen, mit Herrn August Röckel, den Eure Exzellenz ja kennen.«

Graf Beust nickte mit dem Kopf.

»Jemehr ich ihn kennen lerne,« sagte er, »um so mehr bedaure ich, daß er einst in Sachsen das Opfer seiner irregeleiteten, aber in ihrem Grunde sehr edlen und idealen Gesinnung geworden.«

»Röckel und alle ihm Gleichgesinnten«, fuhr General Türr fort, würden ein Arrangement zwischen Österreich und Italien in dem angedeuteten Sinne durchaus billigen und auch das ganze Gewicht ihres Einflusses geltend machen, dasselbe von der öffentlichen Meinung in Österreich und Deutschland billigen zu lassen, auch ohne daß man die konkreten Zielpunkte einer solchen Abmachung vor die Öffentlichkeit brächte.«

»Außer der öffentlichen Meinung«, fuhr Herr von Beust fort, ohne in seinen Mienen erkennen zu lassen, ob er den Bemerkungen des Generals Türr zustimme oder nicht, »ist noch ein Faktor bei Erwägung des von Ihnen angeregten Gegenstandes in Betracht zu ziehen, welcher für die praktische Ausführung desselben ebenso schwer wiegt. Dieser Faktor«, fuhr er fort, »ist das persönliche Gefühl Seiner Majestät des Kaisers. Ich habe bereits bemerkt und wiederhole, daß der Kaiser ebensosehr wie ich die Beziehungen innigster Freundschaft zu Italien wünscht. Indes hat Seine Majestät eine tiefe Gewissenhaftigkeit gegen die von seinen erlauchten Vorfahren überkommenen Rechte. – Abtretungen von Ländern und Untertanen, welche die Geschichte mit der österreichischen Monarchie vereinigt hat, widerstreben dem Gefühl des Kaisers, wie ich weiß, in hohem Grade, gerade weil der Kaiser in seiner edlen Pflichttreue alle seine Untertanen und deren Wohl und Wehe als von der Vorsehung ihm anvertraut betrachtet.«

»Ich kenne und würdige vollkommen«, erwiderte der General Türr, »dies pietätvolle Pflichtgefühl des Kaisers; indes möchte ich mir doch zu bemerken erlauben, daß die Rücksicht auf die Größe, Macht und künftige Sicherheit des ganzen Staats Seiner Majestät eine höhere und allgemeinere Pflicht auferlegt, als diejenige auf eine fast verschwindende Anzahl einzelner Untertanen.«

»Meine Bemerkungen«, sagte Graf Beust, »sollten auch durchaus nicht die Unausführbarkeit des von Ihnen angeregten Arrangements ausdrücken, sondern nur eine der großen Schwierigkeiten bezeichnen, auf welche dasselbe in seiner Ausführung stoßen könnte.«

»Wenn aber, abgesehen von der Sicherheit und Unabhängigkeit Österreichs«, bemerkte der General Türr, »auf die Entschließungen Seiner Majestät noch die Erwägung einwirken würde, daß, wenn die in Frage stehende Allianz geschlossen wäre, und wenn sie in einer europäischen Katastrophe dazu beitrüge, einen entscheidenden Sieg über die Gegner Österreichs zu erringen – daß dann,« fuhr er fort, indem er den Grafen Beust voll und scharf ansah, »daß dann das Haus Habsburg für die Gebietsabtretung an Italien nach einer andern Seite hin Entschädigung finden könnte. Nach einer andern Seite hin, wo ebenfalls die Traditionen der österreichischen Geschichte mächtig ins Gewicht fallen.«

Der Graf Beust blickte einige Zeit nachdenklich auf ein Blatt Papier, das vor ihm auf dem Schreibtisch lag, und auf welchem er mit leicht spielenden Zügen wie unwillkürlich verschiedene Worte hingeworfen hatte. Dann sprach er:

»Sie gehen nach Pest, General?«

»Es war meine Absicht, dort einen Besuch zu machen,« erwiderte der General Türr, »doch würde ich gern zuvor mit Eurer Exzellenz zu einer bestimmten Meinungsausgleichung gelangt sein und würde auch, falls wir uns über die wesentlichsten Gesichtspunkte, die ich hier zur Sprache gebracht, verständigt haben sollten, gern bereit sein, nach Florenz zurückzugehen, um dem Könige Bericht zu erstatten.

»Es würde schwer für mich sein,« sagte Graf Beust, »Seiner Majestät gegenüber eine Angelegenheit zur Sprache zu bringen, welche an mich doch bisher nicht in offizieller Form herangetreten ist. Seine Majestät könnte mich mit Recht auf den Weg verweisen, welcher mir als Reichskanzler und Minister der auswärtigen Angelegenheiten vorgeschrieben ist. Wenn daher die ganze Frage an Seine Majestät gebracht werden soll, – und ich halte es für nützlich, daß dies geschieht, denn Seine Majestät muß alle Verhältnisse, alle Wünsche der mit Österreich befreundeten Mächte kennen, um mit sicherer Hand das Steuer zu führen, – dann scheint es mir richtiger und auch praktisch besser, daß dies in derselben Weise geschehe, wie es mir gegenüber der Fall gewesen ist, nämlich durch eine private Eröffnung, welche der Kaiser gewiß aus Ihrem Munde gern und mit hohem Interesse entgegennehmen wird. Sie werden begreifen, Herr General, daß, wenn Seine Majestät sich bewogen finden sollte, ein Eingehen auf den Gedanken, der bereits, wie Sie mir angedeutet, die Zustimmung des Königs Viktor Emanuel und des Kaisers Napoleon gefunden – abzulehnen, sich leicht die Beziehungen, statt sich zu verbessern, trüben und verstimmen könnten, sofern die Sache durch mich, also auf amtlichem Wege, bei Seiner Majestät angeregt worden wäre. Bei einer lediglich privaten Diskussion mit Ihnen, Herr General, wäre eine solche verstimmende Wirkung nicht zu besorgen. Auch ich möchte daher nach allen Richtungen für besser halten, wenn Sie Ihre Anwesenheit in Pest dazu benützen wollten, dem Kaiser Ihrerseits die Gesichtspunkte zu entwickeln, über welche Sie mir soeben zu sprechen die Ehre erzeigten.«

Ein leichter Zug der Mißstimmung erschien auf dem Gesicht des Generals Türr.

»Da Eure Exzellenz dies für besser halten, so werde ich gern den von Ihnen angedeuteten Weg gehen, und ich hoffe, daß Seine Majestät der Kaiser in der Anregung des besprochenen Gedankens meinerseits nur einen Beweis für meine aufrichtigen Wünsche erblicken wird, ihm und meinem alten Vaterlande nach Kräften nützlich zu sein.«

Er machte eine Bewegung, um sich zu erheben.

»Haben Sie vielleicht«, fragte Graf Beust, »daran gedacht, die Idee, welche Sie mir soeben entwickelt und welche auch wohl bereits den Gegenstand Ihrer Unterhaltung an andern Orten gebildet hat, in eine bestimmte Form zu bringen? Es wäre mir interessant, – da ich mir gern die Gedanken in klare, faßbare Formen zu kleiden wünschte – Ihre Ansicht auch darüber zu hören.«

Der General zog einen Bogen Papier aus der Tasche und sagte:

»Da ich dringend wünsche, die Idee zur Ausführung zu bringen, so habe ich natürlich auch die Form zu finden gesucht, in welcher das möglich wäre. Sie würde einfach und kurz sein. Es käme nur darauf an, zu bestimmen, daß Italien bei jedem Krieg, in welchen Österreich verwickelt werden möchte, eine wohlwollende Neutralität zu beobachten habe, und im Fall von seiten Rußlands der österreichischen Aktionsfreiheit Schwierigkeiten bereitet werden sollten, eine bestimmt zu bezeichnende Truppenmacht zu den österreichischen Armeen stoßen zu lassen verspräche. Dagegen würde sich Österreich verpflichten, nach dem Kriege das italienische Tirol an Italien abzutreten.«

Graf Beust neigte mehrmals gedankenvoll den Kopf.

»In diesem Fall«, fuhr der General fort, »würden die Bedenken, welche Sie vorhin wegen der öffentlichen Meinung äußerten, zum großen Teil fortfallen und der Vertrag bis zu seiner Ausführung vollkommen geheim bleiben können. Auch könnte man sehen, ob dann – und ich glaube, daß der König von Italien gern dazu bereit sein würde – der Sache die Form einer vollständig offensiven und defensiven Allianz zu geben sei, in welcher sich Italien verpflichtet, seine Armeen mit den Truppen Österreichs zu vereinigen und vor allen Dingen durch einen Anmarsch gegen Süddeutschland, Bayern und Württemberg ebenfalls zum Anschluß an Österreich zu zwingen. In diesem Fall«, fuhr er, sich leicht verneigend, fort, »müßte aber allerdings, wie Eure Exzellenz gewiß billig finden werden, die Abtretung des italienischen Tirols sofort erfolgen. Ich habe die beiden Eventualitäten in Vertragsform skizziert.«

Er übergab dem Grafen Beust ein Blatt Papier, das er in der Hand hielt. Dieser las den Inhalt desselben aufmerksam durch.

»Sie haben keine Bedenken,« sagte er, »mir diese Skizze zu überlassen? Ich möchte meine Gedanken vollständig über den Gegenstand ins Klare bringen, um, wenn derselbe zu praktischen Unterhandlungen führen soll, einen festen Standpunkt zu haben.«

»Ich bitte Eure Exzellenz,« sagte der General, indem er sich erhob, »über mein Manuskript zu verfügen, und ich wünsche, daß das, was wir besprochen, zum Wohl Österreichs und Italiens zur Ausführung kommen möge.«

»Ich hoffe,« sagte Graf Beust, indem er den General artig zur Tür begleitete, »Sie nach Ihrer Rückkehr von Pest zu sehen und werde Ihnen stets zu hohem Dank verpflichtet sein, wenn Sie dazu beitragen wollen, die Beziehungen zwischen Österreich und Italien immer freundlicher und inniger zu gestalten – mögen sie nun in der einen oder der andern Form zur Ausführung gelangen.«

Langsam kehrte er, als der General das Zimmer verlassen, zu seinem Schreibtisch zurück.

»Dieser General Türr ist eine offene und ehrliche Natur,« sagte Graf Beust, »er will Österreich und Italien einen Dienst leisten. Und die Sache wäre auch ernster Erwägung wert, wenn nur die so oft wechselnde italienische Regierung nicht gar so unzuverlässig und die Militärmacht Italiens nicht gar so schwach wäre. Aber hinter der Sache steckt etwas anderes,« fuhr er nach einigen Augenblicken fort, »diese Idee ist nicht in dem Kopf des Generals Türr, auch nicht in dem des Königs Viktor Emanuel entstanden, ihr Ursprung liegt in den Tuilerien. Der Kaiser Napoleon, so sehr er selbst jeden kriegerischen Konflikt vermeiden möchte, sieht die Notwendigkeit eines Entscheidungskampfes mit Preußen voraus, er fühlt, daß die öffentliche Meinung in Frankreich ihn dazu drängen wird, und er will dazu eine Koalition auf seine Seite bringen. Ei will vor allen Dingen Italiens sicher sein; schon solange versucht er, diese Tripelalliance herzustellen, die auch dieser Kombination wieder zugrunde liegt. Immer sind die Ereignisse dazwischengetreten. Jetzt ist seine spanische Kombination gescheitert,« sagte er lächelnd, »nun kommt er wieder auf die alte Idee zurück. Aber er will keinen Preis für die Alliance bezahlen, er will Rom nicht aufgeben, und Österreich soll es diesmal sein, das Italien den Preis für seinen Eintritt in die französische Kombination gewährt. Ohne weiteres ablehnen darf ich die Sache nicht – denn ich bedarf der Fühlung nach allen Seiten hin, und Österreich kann eines Tages gezwungen weiden, in die Koalition einzutreten, wenn die Verwickelungen mit den Nachbarn im Norden und Osten nicht mehr zu beseitigen sind. Nun,« fuhr er fort, wie erleichtert aufatmend, »es ist mir günstig, daß diese Proposition gerade auf diesem nichtoffiziellen Wege an mich herangetreten ist. Das überhebt mich einer direkten und unmittelbaren Antwort und gibt mir die Möglichkeit, Zeit, viel Zeit zu gewinnen, und Zeit ist ja das kostbare Arkanum, durch welches allein ich die Wunden Österreichs heilen und ihm Kraft für die Zukunft geben kann. Vor allem ein Avis an den Kaiser, damit Seiner Majestät die Sache nicht unvorbereitet entgegentritt.

Er beschrieb schnell mit jener fließenden Leichtigkeit, welche ihm eigentümlich war und ihn in seinen Expeditionen fast nie ein Wort korrigieren ließ, mehrere Seiten des großen Quartpapiers, welches auf seinem Schreibtisch bereit lag, dann versiegelte er das Geschriebene und klingelte.

»Dies zum geheimen Chiffrierbureau,« befahl er dem eintretenden Bureaudiener, »die Ausfertigung soll mit dem heutigen Kurier an Seine Majestät den Kaiser nach Pest gehen.«

Der Bureaudiener empfing die Depesche und sagte:

»Der hannöverische Regierungsrat Meding ist im Vorzimmer und fragt, ob Eure Exzellenz ihn empfangen wollten.«

»Er wird mir angenehm sein«, erwiderte Graf Beust.

Unmittelbar darauf trat der Regierungsrat Meding in das Kabinett. Graf Beust reichte ihm die Hand und lud ihn ein, auf dem Sessel Platz zu nehmen, welchen der General Tun soeben verlassen hatte.

»Ich habe bei meiner kurzen Anwesenheit hier nicht unterlassen wollen,« sagte er, »Eurer Exzellenz meine Aufwartung zu machen, und freue mich, die Gelegenheit zu haben, Ihnen zu der Auszeichnung Glück zu wünschen, welche Seine Majestät der Kaiser Ihnen durch die Erhebung in den Grafenstand hat zuteil werden lassen. Ich freue mich über diese Auszeichnung um so mehr, als ich auch bei dem nur kurzen und gelegentlichen Aufenthalt in Wien vollkommen Gelegenheit habe, zu bemerken, wie sehr man hier von gewissen Seiten, und zwar von Seiten, welche am Hof großen Einfluß haben, Eurer Exzellenz Werk erschwert, namentlich seit der Aufhebung des Konkordats. Eine so bestimmte Kundgebung, wie sie in diesem öffentlichen kaiserlichen Gnadenbeweis liegt, wird Eurer Exzellenz dunkle Gegner zurückschrecken.«

»Das hoffe ich kaum,« sagte Graf Beust mit leichtem Seufzer, »diese Parteien und Personen sind unverbesserlich und unversöhnlich. Indes ist es sehr nützlich und bedeutungsvoll, wenn das Volk sieht, daß die kaiserliche Autorität rückhaltslos auf meiner Seite steht. Wie geht es dem Könige?« fragte er, »ich habe ihn lange nicht gesehen und wollte mir in diesen Tagen die Ehre nehmen, mich bei ihm zu melden.«

»Seine Majestät wird gewiß glücklich sein, Eure Exzellenz zu sehen«, erwiderte der Regierungsrat Meding. »Der König hat als Freund Österreichs ein so hohes Interesse an der von Eurer Exzellenz begonnenen Regeneration des Kaiserstaats und ist stets hoch erfreut, wenn er erfährt, daß Sie auf Ihrem schwierigen und epinösen Wege weiter vorschreiten. Ich wollte mir zugleich erlauben,« fuhr er dann fort, »in betreff der Angelegenheiten meines allergnädigsten Herrn Eurer Exzellenz noch eine Mitteilung zu machen und eine Frage zu stellen.«

»Die Angelegenheiten des Königs«, sagte Graf Beust mit verbindlicher Neigung des Kopfes, »haben für mich stets das höchste Interesse, wie ich Ihnen schon bei einer früheren Gelegenheit gesagt und bewiesen habe, und ich halte es für eine Ehrenpflicht Österreichs, diesem unglücklichen Herrn, welcher als Alliierter der österreichischen Sache seinen Thron verloren hat, soviel als irgend tunlich mit Rat und Tat beizustehen. Leider«, fuhr er fort, »ist es zuweilen schwierig. Sie wissen, wie delikat die Stellung Österreichs in diesem Augenblick ist, wieviel Rücksichten wir nehmen müssen, und wie jede Beziehung zu dem Hietzinger Hof von gewissen Seiten mit feindlichem Mißtrauen aufgenommen wird. Die zarteste und vorsichtigste Behandlung der Beziehungen Österreichs ist daher unerläßlich, und wenn es dann leider vorkommt – oft vorkommt, daß bedenkliche Unvorsichtigkeiten und Indiskretionen begangen werden –«

»Ich bitte Eure Exzellenz,« sagte der Regierungsrat Meding, »sich dadurch nicht von Ihrer Teilnahme für den König und sein Haus irre machen zu lassen. Der König bedarf wahrlich oft treuen Rats und Beistandes, und wenn Eure Exzellenz irgend in der Lage sind, ihm solchen zu gewähren, so möchte ich Sie dringend bitten, stets unmittelbar selbst zu Seiner Majestät zu gehen: seiner Diskretion und äußersten Rücksicht auf alle Notwendigkeiten der Verhältnisse sind Sie ja vollständig sicher. Gerade heute«, sprach er dann weiter, »bin ich auch in der Lage, Eurer Exzellenz über eine Sache zu sprechen, welche ich unmöglich dem gewöhnlichen Geschäftsgang von Hietzing überantworten darf. – Der Staatsrat Klindworth hat mir ein Projekt auseinandergesetzt, nach welchem unter vorzugsweiser Beteiligung des Königs und unter Hinzuziehung des Kurfürsten von Hessen und der Herzoge von Toskana und Modena ein großes Geldinstitut ins Leben gerufen werden soll, welches auf die vollste Unterstützung der österreichischen Regierung in seinen Geschäften zu rechnen hätte und nicht nur dazu dienen soll, das Vermögen der beteiligten Herren höher zu verzinsen und sukzessive erheblich zu vermehren, sondern welches auch eine Finanzmacht bilden soll, die imstande wäre, unter gewissen Eventualitäten einer ernsten Aktion Österreichs die materiellen Mittel zur Verfügung zu stellen. Ich kenne zu wenig«, fuhr er fort, »die Stellung des Staatsrats Klindworth, um bei einer Sache von so großer Wichtigkeit und Tragweite auf seine Vorstellung hin Seiner Majestät über die ganze Sache ausführlichen Vortrag zu halten, und kann noch weniger auf jene einseitigen Mitteilungen hin irgendwie versuchen, den König zum Eingehen auf die gemachten Propositionen zu bestimmen. Etwas durchaus anderes wäre es,« sagte er, »wenn dasjenige, was der Staatsrat Klindworth mir über die Tendenz des fraglichen Unternehmens und über die Stellung der österreichischen Regierung zu demselben gesagt hat, mir von Eurer Exzellenz bestätigt würde. Die Sache würde damit eine ernste Bedeutung gewinnen, und ich würde die bestimmte Pflicht haben, nicht nur dem Könige davon zu sprechen, sondern ihm auch alle Gründe ausführlich vorzutragen, welche für seine Beteiligung an dem Projekt sprechen würden. Ich erlaube mir daher, an Eure Exzellenz die ganz offene Frage zu richten: Ist es Ihnen und der österreichischen Regierung wirklich erwünscht, daß die fragliche Bank zustande komme, und ist dasjenige, was der Staatsrat Klindworth mir, darüber gesagt hat, in Wirklichkeit die Intention der österreichischen Regierung? Eure Exzellenz dürfen überzeugt sein, daß ich über das, was Sie mir etwa zu sagen haben möchten, mit niemand anders als mit meinem allergnädigsten Herrn sprechen werde.«

Graf Beust hatte mit den seinen Fingern seiner schlanken Hand leicht auf den Tisch geklopft. Er schwieg einen Augenblick nachdenklich, dann richtete er den Blick seines hellen Auges klar und frei auf den Regierungsrat und sagte: »Ich freue mich, daß Sie sich direkt an mich gewandt haben, denn in allen ernsten Fragen werden durch Zwischenvermittelungen leicht Unklarheiten geschaffen, und ich nehme keinen Anstand, Ihnen auf Ihre Frage ebenso offen zu antworten, wie Sie mir dieselbe gestellt. Ich kenne das Projekt«, fuhr er fort, »wenigstens in seinen großen Grundzügen. Was zunächst die finanzielle Seite desselben betrifft, so glaube ich, daß es allerdings sehr im Interesse der betreffenden Herren – und besonders in demjenigen des Königs von Hannover läge, dessen Vermögen ja zum größten Teil ihm sequestriert worden ist – dem ihm gebliebenen Besitz einen möglichst hohen Ertrag zu schaffen und ihn, zugleich so sehr als möglich auch zu vermehren. Daß dies in weit höherem Maße geschehen kann durch ein großes finanzielles Unternehmen, als wenn die Herren ihre Gelder zu zwei oder drei Prozent, wie dies bei Ihrem König der Fall sein soll, ihren Bankiers übergeben, liegt auf der Hand, und in dieser Beziehung scheint mir ein solches Unternehmen im Interesse der Betreffenden zu liegen. Dabei müßten«, fuhr er fort, »Formen gefunden, Garantien festgestellt werden, durch welche die Beteiligten gegen gefährliche Spekulationen und Verluste sichergestellt würden. In dieser Beziehung würde ich kaum einen Rat geben können. Es würde Sache des Königs und seiner Finanzverwaltung sein, diese Formen und Garantien zu suchen und feststellen zu lassen. Daß ein solches Unternehmen, wenn es durch Österreich befreundete Fürsten ins Leben gerufen würde und schon durch die Persönlichkeit seiner Gründer die Bürgschaft einer reellen Geschäftsbehandlung böte, die kräftigste und nachhaltigste Unterstützung der österreichischen Regierung finden würde, glaube ich bestimmt aussprechen zu können, und wird der Reichsfinanzminister von Becke darin vollkommen mit mir übereinstimmen. Die Regierung wird die verschiedenen in ihrer Hand liegenden Geschäfte einem solchen Finanzinstitut naturgemäß vorzugsweise gern anvertrauen. Was nun die angeregte politische Seite der Frage betrifft,« fuhr er fort, während der Regierungsrat mit gespannter Aufmerksamkeit seinen Worten folgte, »so ist es ja ganz natürlich, daß in kritischen Momenten die Regierung für Befriedigung ihrer finanziellen Bedürfnisse leichter Unterstützung bei einem großen Geldinstitut finden könnte, dessen Gründer und Leiter mehr als irgend gewöhnliche Finanziers Verständnis für politische Fragen und zugleich Interesse daran haben, daß die Politik Österreichs nach innen und nach außen nicht durch finanzielle Schwierigkeiten gehemmt werde. Von diesem Gesichtspunkt aus sehe ich in dem angeregten Unternehmen Lebensfähigkeit und auch Nutzen für Österreich, und ich glaube, daß Sie gewiß wohl tun, über die Sache in diesem Sinne mit Seiner Majestät zu sprechen. Was nun meine persönliche Stellung zu der Konzeption dieser Idee und zu ihrer Ausführung betrifft, so erinnert mich die ganze Sache«, fuhr er lächelnd fort, »an einen Vorgang bei den Dresdener Konferenzen. Dort war ein Maler, welcher gern das Bild des Fürsten Schwarzenberg malen wollte. Er begann deshalb damit, den Mitgliedern der Konferenz unter der Hand mitzuteilen, daß der Fürst gern zur Erinnerung an die Konferenz sein Bild gemacht sehen würde, wenn ihm nur dazu die Anregung von seiten der dort vereinigten Diplomatie gegeben werde. Dem Fürsten Schwarzenberg auf der andern Seite stellte er vor, daß die Konferenzmitglieder sein Bild wünschten, wenn der Fürst nur die Güte haben wolle, irgend merken zu lassen, daß ihm das genehm sei, und auf diese Weise wußte er es richtig dahin zu bringen, daß ihm die Ausfertigung des Bildes übertragen wurde. Sehen Sie,« sagte er, »– der Fürst Schwarzenberg und dieser Maler – das ist meine Stellung zur projektierten Fürstenbank.«

»Ich verstehe vollkommen,« sagte der Regierungsrat, – »ich danke Eurer Exzellenz für diese Mitteilung und werde nicht unterlassen, Seiner Majestät dem Könige darüber noch vor meiner Abreise nach Paris, wohin ich in den nächsten Tagen zurückkehren muß, Mitteilung zu machen. Ich hoffe, daß Eure Exzellenz in nächster Zeit den König selbst sehen, und es wäre gewiß sehr erwünscht, wenn Sie die Güte haben wollten, Seiner Majestät selbst im gleichen Sinne zu sprechen.«

»Ich werde das nicht unterlassen, und der König wird dann selbst ermessen müssen, ob er dem Projekt nähere Beachtung schenken will.«

Der Regierungsrat Meding empfahl sich, verließ das Kabinett und fuhr von der Staatskanzlei nach Hietzing zurück, wo er nach kurzer Zeit vor der Villa Braunschweig hielt und sich durch den alten Kammerdiener Mahlmann sogleich beim Könige melden ließ.

Georg V. saß allein in stillem Nachdenken, wie er öfter zu tun pflegte, in dem schottischen Kabinett, welches ihm als Wohn- und Arbeitszimmer diente.

»Was bringen Sie mir?« rief er dem Regierungsrat Meding mit seiner gewohnten Liebenswürdigkeit entgegen, »setzen Sie sich zu mir – ich habe vorhin noch nachträglich verschiedene der Adressen gelesen, welche zum Geburtstage des Kronprinzen aus Hannover hier eingetroffen sind, und es ist mir wieder eine rechte Herzensfreude gewesen, alle diese treuen Ausdrücke liebevoller Erinnerungen aus der Heimat zu vernehmen.«

»Ich komme soeben vom Grafen Beust«, sagte der Regierungsrat Meding, »und habe mit ihm über die Eröffnung gesprochen, welche mir vor kurzem der Staatsrat Klindworth gemacht.«

»Ah, in betreff des Bankprojekts,« rief der König, »mit dem man mich seit einiger Zeit verfolgt!«

»Zu Befehl, Majestät,« sagte der Regierungsrat, »es lag mir wesentlich daran, wie ich bereits früher die Ehre hatte, Eurer Majestät zu bemerken, genau zu konstatieren, wie der Graf Beust und die österreichische Regierung zu diesem Projekt stehen. Für die finanzielle Seite der Sache, – welche zu beurteilen ich allerdings am wenigsten kompetent bin, könnte ja gewiß manches sprechen. Indes scheint es mir doch auch in hohem Grade bedenklich, daß Eure Majestät gerade jetzt, wo Allerhöchstdieselben wirklich bedeutende finanzielle Kapazitäten nicht zu Ihrer Verfügung haben –«

»Ich müßte denn die Herren von Bar und von Malortie hierherrufen!« rief der König lächelnd.

»Selbst diese«, sagte der Regierungsrat Meding mit leichter Ironie, »würden mir immer noch nicht die nötige Beruhigung gewähren.«

»Das glaube ich«, flüsterte der König vor sich hin. »Nun?« fragte er dann laut, indem er den Kopf in die Hand stützte.

»Deshalb«, fuhr der Regierungsrat Meding fort, »würde ich vom finanziellen Gesichtspunkt aus niemals glauben, Eurer Majestät ein Eingehen auf die gemachten Propositionen raten zu können. Der einzige für mich maßgebende Gesichtspunkt würde die politische Seite der Sache sein. Wenn Eure Majestät wirklich die Gewißheit erlangen könnten, durch die betreffende Bank der österreichischen Regierung einen ernsten und nachhaltigen Dienst zu leisten, ihr eine Quelle zur Beschaffung von Aktionsmitteln zu geben und dadurch also einen bedeutungsvollen und bestimmenden Einfluß auf die österreichische Politik zu gewinnen, damit dieselbe unter gewissen Eventualitäten mit Eurer Majestät rechnen müßte, dann würde ich es allerdings für zweckmäßig halten, auf das Unternehmen einzugehen, wobei dann allerdings auch die österreichische Regierung die Verpflichtung übernehmen müßte, durch Übertragung ihrer großen Geschäfte der Bank die Garantie einer prosperierenden Tätigkeit zu geben. Deshalb lag mir vor allen Dingen daran, aus dem Munde des Reichskanzlers selbst etwas Bestimmtes über diese Seite der Frage zu hören.«

»Nun, und was sagte der Graf?« fragte der König gespannt.

»Er ist der Meinung,« erwiderte der Regierungsrat, »daß das Unternehmen finanzielle Erfolge haben könne, daß es auch politisch wichtig und bedeutungsvoll sein könne, dagegen aber hat er mir eine kleine Anekdote erzählt, welche für mich zur Beurteilung der ganzen Sache entscheidend ist.«

»Eine Anekdote?« fragte der König, indem er sich mit dem Ausdruck gespannter Aufmerksamkeit vorwärts neigte.

Der Regierungsrat Meding erzählte den Vorgang mit dem Bilde des Fürsten Schwarzenberg.

Der König lachte laut.

»Sehr gut!« rief er. »Graf Beust hat ganz mit seiner gewohnten Feinheit sich unter diesem Bilde sehr verständlich ausgesprochen.«

»Und ich verstehe diesen Ausspruch so,« sagte der Regierungsrat Meding, »daß es sich hier lediglich um ein Projekt des Herrn Klindworth handelt, daß Graf Beust und die österreichische Regierung zwar gern bereit sein würden, die Vorteile, welche etwa aus der Sache erwachsen könnten, anzunehmen, dagegen aber durchaus nicht die Absicht haben, irgendwelche Verantwortung zu übernehmen. Unter diesen Umständen«, fuhr er fort, »glaube ich Eurer Majestät den dringenden Rat geben zu sollen, auf jede Proposition, die an Allerhöchstdieselben herantreten sollte, einfach und kategorisch Nein zu antworten, solange nicht die politische Seite der Frage durch einen festen, mit der österreichischen Regierung abgeschlossenen Vertrag, in welchem die finanziellen und politischen Verpflichtungen zweifellos festgestellt werden, geregelt sein wird. Ohne einen solchen Vertrag«, fuhr er mit Betonung fort, »halte ich die ganze Sache für ein sehr gefährliches und bedenkliches Unternehmen, das nur dazu beitragen kann, Eure Majestät zu kompromittieren und Ihnen unter Umständen schwere Verluste hinzuzufügen.«

Der König stützte einige Augenblicke sinnend das Haupt in die Hand.

»Ich glaube, Sie haben vollkommen recht,« sagte er, »es widerstrebt mir, mich in Bankunternehmungen einzulassen, und nur große Vorteile für meine Sache und die Verfolgung meiner Rechte könnten mich dazu bestimmen.«

»Diese Vorteile aber müßten sehr sicher gewährleistet werden,« sagte der Regierungsrat Meding, »denn die Richtschnur für die Tätigkeit Eurer Majestät muß in dieser Zeit die äußerste Vorsicht sein, die vollkommenste Freiheit des Handelns und die jederzeit freieste Disposition über Ihre materiellen Mittel. Welche Ereignisse die Zukunft bringen kann, läßt sich nicht vorhersagen, daß aber erschütternde Ereignisse kommen werden, das steht fest, und Eure Majestät müssen stets bereit und gerüstet dastehen, um in die Ereignisse in der für Ihre Sache günstigsten Weise eingreifen zu können. Euer Majestät dürfen sich keiner Macht, weder Frankreich noch Österreich, in die Hände geben. Was für Sie zu erreichen ist, können Sie nur selbst durch vollkommen eigene und freie Tätigkeit erreichen. Erinnern sich Eure Majestät,« fuhr er fort, – »wenn die großen Dampfschiffe an Norderney vorbeifuhren, – sie konnten nicht anhalten, auch der Küste sich nicht nähern, die Passagiere mußten in einer Schaluppe hinausfahren, und diese Schaluppe mußte ihren Kurs so einrichten und ihre Zeit so berechnen, daß sie mit dem großen Dampfschiff zusammentraf, um sich an dessen Seite legen zu können. Mißlang dies, so fuhr der Dampfer vorüber, und die Passagiere mußten auf die nächste Gelegenheit warten. So ist Eurer Majestät politische Lage. Eure Majestät sind in der Schaluppe, die Weltereignisse werden ihren Gang gehen, wie der große Dampfer. Unsere Aufgabe ist es, diesen in Sicht zu halten und genau zu verfolgen, damit wir den Anschluß nicht verfehlen. Denn wenn wir denselben verfehlen, so wird sich für uns kaum eine zweite Gelegenheit finden.«

»Wahr, sehr wahr!« rief der König, »und so soll es geschehen, helfen Sie mir nur weiter, in Paris den Gang des großen politischen Schiffs zu verfolgen. Seien Sie überzeugt, daß ich stets bereit sein werde, um den Augenblick nicht zu versäumen.«

»Ich möchte Eure Majestät nun um Erlaubnis bitten,« sagte der Regierungsrat, »nach Paris zurückzukehren. Wenn auch die entscheidende Aktion, welche ganz nahe bevorstand, durch die spanische Revolution verhindert wurde und auf längere Zeit hinausgeschoben sein möchte, so ist es doch von großem Interesse, die Fäden zu verfolgen, welche der Kaiser Napoleon ohne Zweifel unmittelbar wieder anzuknüpfen suchen wird, ja sogar schon anzuknüpfen begonnen hat.«

»Sie haben recht,« sagte der König, »so gern ich Sie noch hier behalten möchte, sehe ich doch die Notwendigkeit ein, daß Sie auf Ihren Posten zurückkehren müssen.«

»Erlauben mir Eure Majestät«, sagte der Regierungsrat, »nun noch eine dringende Bitte auszusprechen, deren Erfüllung von großer Wichtigkeit für Eurer Majestät Sache ist.«

»Sprechen Sie«, sagte der König.

»Für die schon ohnehin so schwierige Vertretung Eurer Majestät in Paris, welche ja nur die Natur rein persönlicher Beziehungen haben darf, ist vor allen Dingen notwendig, auf das Sorgfältigste zu vermeiden, was der französischen Regierung Unannehmlichkeiten und Schwierigkeiten bereiten könnte.

»Gewiß, gewiß«, sagte der König.

»Ich bitte deshalb dringend darum,« sagte der Regierungsrat, »in dem Verkehr mit der Emigration alles zu vermeiden, was derselben einen militärischen Charakter geben könnte, und allen Wünschen der französischen Regierung entgegen zu kommen.«

»Geschieht es nicht?« fragte der König.

»Nein, Majestät,« erwiderte der Regierungsrat, »wenigstens geschieht es nicht in genügendem Maße. So scheint es mir durchaus ungeeignet, daß Graf Platen von hier aus Befehle in militärischer Form an das Kommando der Emigration erläßt. Jeder Brief kann, wie Eure Majestät wissen, in falsche Hände geraten. Solchem Fall verdanken wir ja schon die Konfiskation des königlichen Vermögens, und außerdem werden der französischen Regierung durch jeden solchen Fall Verlegenheiten bereitet, vor allen Dingen, wenn die von hier erteilten Befehle die Wünsche vollkommen unberücksichtigt lassen, welche die kaiserliche Regierung nie ausspricht. So ist jetzt zum Beispiel verfügt worden, daß das Kommando der Emigration von Paris nach einer Provinzialstadt verlegt werden soll, und trotz meiner Gegenvorstellung hat der Major von Düring den bestimmten Befehl erhalten, die Maßregel auszuführen. Die französische Regierung wünscht dies aber durchaus nicht, weil der Mittelpunkt der Emigration in einem jeder Beachtung offenstehenden Provinzialort viel leichter einen militärischen Charakter annehmen kann, als in Paris, der großen Weltstadt, wo sich das Leben und Treiben der Emigranten weit mehr der öffentlichen Kenntnis entzieht.«

»Wie kann man aber militärische Befehle geben,« sagte der König, indem er die Zähne zusammenbiß und einen zischenden Atemzug aus seinen Lippen hervorstieß, »und wenn man militärische Befehle gibt, wie kann Graf Platen, der ja nicht Militär ist – seien Sie ganz ruhig,« sagte er, sich unterbrechend, »ich werde Sorge tragen, daß dergleichen nicht wieder geschieht, und sagen Sie Düring, daß das Kommando der Emigration in Paris bleiben soll.«

»Dann möchte ich Eure Majestät noch bitten,« fuhr der Regierungsrat Meding fort, »doch auch mit Entschiedenheit dem Absenden geheimer Agenten hinter meinem Rücken Einhalt zu tun. Unausgesetzt erfahre ich, daß bald die eine, bald die andere zweifelhafte und kompromittierende Persönlichkeit sich in Paris als Agent Eurer Majestät ausgibt. Ja sogar zwei Frauen von ziemlich zweifelhafter Natur haben sich diese Eigenschaft beigelegt, und neuerdings ist ein aus der französischen Diplomatie entfernter Graf Breda wiederum dort erschienen.«

»Graf Breda?« fragte der König, »Breda – was ist das? ich habe nie davon gehört.«

»Ich habe auch niemals voraussetzen können, daß Eure Majestät mit solchen Personen nur im entferntesten in Verbindung stehen könnte. Indes Allerhöchstdieselben werden ermessen, welch einen Eindruck ein solches Treiben auf die französische Regierung machen muß, und wie peinlich es für mich ist, fortwährend derartige Mitteilungen zu erhalten und dann eine so schwierige Aufgabe zu erfüllen, als in diesem Augenblick die Vertretung Eurer Majestät ist. Dazu gehört wenigstens das, was die Franzosen le feu sacre nennen, und dieses feu sacre muß allmählich erlöschen, wenn man fortwährend neben den äußeren Gegnern noch mit den Intriguen aus dem Schoße der eigenen Sache zu kämpfen hat.«

»Nun,« rief der König lebhaft, »das alles soll aufhören. Seien Sie überzeugt, daß ich daran gar keinen Teil habe, und lassen Sie sich durch solche Intriguen nicht entmutigen, für meine Sache tätig zu sein. Ich sage Ihnen noch nicht Lebewohl, denn ich hoffe, Sie noch bei der Tafel zu sehen.«

Er reichte dem Regierungsrat Meding die Hand, welche dieser an seine Lippen führte.

»Ich bitte Eure Majestät nochmals dringend,« sagte er dann, »jede Beteiligung an der projektierten Bank zurückzuweisen, wenn nicht ein bindender Vertrag mit der österreichischen Regierung Ihnen alle möglichen finanziellen und politischen Garantien gibt.«

»Seien Sie unbesorgt,« sagte der König, »auf Wiedersehen!«


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