Oskar Meding
Zwei Kaiserkronen
Oskar Meding

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Neunzehntes Kapitel

Die Saison in Biarritz befand sich auf ihrem glänzendsten Gipfelpunkt. Das intensive Licht der Herbstsonne beleuchtete die prachtvollen Villen, welche sich auf den kleinen Hügeln am Ufer der Meeresbucht erheben, an deren Eingang aus dunkelblauen Fluten jener eigentümlich durchbrochene Felsen hervorragt, der wie der letzte Trümmerrest eines in die Tiefe versunkenen Tempels starr und eigentümlich zum Himmel ragt.

Die Badegesellschaft aus allen Ländern Europas bewegte sich auf der Strandpromenade, und wenn man hier die eleganten Toiletten sah, so mochte man kaum glauben, sich in der stillen Zurückgezogenheit eines Badelebens zu befinden, da aller denkbare Luxus der großen Welt sich hier auf dem kleinen Stück gelben Ufersandes vereinigte.

Auf der prachtvollen Villa Eugenie, welche so ziemlich am Ende des Orts sich auf einer schräg aufsteigenden Terrasse erhebt, wehte die Trikolore, das Zeichen, daß die kaiserlichen Majestäten von Frankreich hier ihre Residenz aufgeschlagen, und auf dem mächtigen weiten Altan vor der kaiserlichen Villa sah man den ganzen Tag über die Damen und Herren des Gefolges; die Lakaien in ihren grün und goldenen Livreen und die Hundertgarden, welche den Kaiser auch hierher begleiteten; Kuriere und Ordonnanzen kamen und gingen zwischen der kaiserlichen Villa und der Bahnhofsstation hin und her, und das an sich schon so rege Leben des hochfashionablen Badeorts hatte noch unendlich an Reiz und Regsamkeit gewonnen, seit die Anwesenheit des Kaisers den Mittelpunkt aller politischen Bewegungen in Frankreich hieher verlegt hatte.

Das Interesse der Badegäste war in noch höherem Maße erregt worden, seitdem sich immer mehr und bestimmter das Gerücht verbreitet hatte, daß die Königin Isabella von Spanien auf einige Zeit hieherkommen wolle, um den Besuch zu erwidern, den ihr nach den Mitteilungen der Journale schon in den nächsten Tagen der Kaiser und die Kaiserin in San Sebastian machen sollten, wo sie sich gegenwärtig aufhielt.

Die Erwartung dieser fürstlichen Zusammenkunft hatte noch mehr als sonst die elegante Welt von Paris hiehergezogen, und auch aus Spanien waren viele Badegäste mit großen berühmten Namen angekommen, um ihrer Königin bei der Anwesenheit auf französischem Boden ihre Huldigungen darzubringen und den Glanz ihres Auftretens zu erhöhen.

Der Kaiser Napoleon saß am geöffneten Fenster seines Zimmers der Villa Eugenie und blickte gedankenvoll über das Meer hinaus, indem er zugleich mit tiefen Atemzügen die wunderbar weiche und aromatische Luft einsog.

Sein Geheimsekretär Pietri, der seinen Herrn wie überallhin, so auch hieher begleitet hatte, saß an einem kleinen Tisch in der Nähe des Kaisers, damit beschäftigt, ihm die eingegangenen Briefe einen nach dem andern vorzutragen.

»Die Pariser Blätter«, sagte Herr Pietri, »zeigen bereits den Besuch Eurer Majestät in San Sebastian für morgen an.«

»Das ist mir nicht lieb,« sagte der Kaiser, »ich wünsche durchaus, daß dieser Zusammenkunft äußerlich so wenig Beachtung als möglich geschenkt werde, damit ich in keiner Weise die Aufmerksamkeit der Kabinette erwecke. Man muß das als einen einfachen Austausch von Höflichkeit betrachten, die wir und die Königin uns gegenseitig beweisen, da wir einmal so nahe beieinander uns aufhalten. Sie haben doch die Ordre nach Paris gehen lassen, daß die Presse fortwährend so friedlich als möglich bleiben soll?«

»Zu Befehl, Sire,« erwiderte Herr Pietri, »es ist das pünktlich geschehen, doch hat es keinen großen Erfolg gehabt. denn alle Journale, welche nicht ganz unmittelbar offiziellen Charakters sind, führen in der letzten Zeit eine unendlich kriegerische Sprache, und die öffentliche Meinung scheint unter dem Eindruck zu stehen, daß man sich am Vorabend großer Ereignisse befindet, ohne sich bestimmt Rechenschaft geben zu können, woher dieselben kommen sollten.«

Der Kaiser drehte sich mit zufriedenem Lächeln seinen Schnurrbart.

»Das ist vortrefflich,« sagte er, »mögen sie immerhin das Blut der Nation ein wenig erhitzen, wir werden das brauchen können, wenn die Ereignisse reif sind, doch die Sprache der offiziellen Presse muß immer noch friedlicher werden.«

Er sann einen Augenblick nach.

»Die Rede des Königs von Preußen in Kiel«, sagte er dann, »hat ja den sämtlichen Journalen seit einiger Zeit Veranlassung zu einer sehr kriegerischen Kritik gegeben, welche nicht wenig zur Aufregung des kriegerischen Nationalgefühls beigetragen hat. Die preußischen Blätter haben erwidert, und die öffentlichen Meinungen stehen sich auf beiden Seiten in diesem Augenblick etwas scharf gereizt gegenüber, nicht wahr?«

»Die preußischen Journale, Sire,« erwiderte Herr Pietri, »haben einen sehr hohen Ton angeschlagen, der die Aufregung in Paris noch immer mehr gesteigert hat.«

»Gut,« sagte der Kaiser, »man muß im Moniteur eine Note erscheinen lassen, welche jene Rede des Königs Wilhelm als ganz natürlich darstellt und ihr eine durchaus friedliche Bedeutung beilegt. Die Note muß ziemlich kalt und nichtssagend sein, sie muß nach Berlin hin und vor ganz Europa als ein Beweis meiner friedlichen Gesinnung benutzt werden können und darf dennoch die Aufregung und die Besorgnisse in Frankreich nicht beruhigen. Machen Sie das mit Ihrer gewohnten Geschicklichkeit«, fügte er freundlich hinzu. »Übermorgen werde ich also nach San Sebastian gehen«, sagte er, mit weitem und großem Blick über das Meer hinschauend, »und damit den letzten Ring in der Kette meiner Vorbereitungen schließen. Alles ist reif! Die Organisation und der Geist der Armee ist vortrefflich. Ich habe in Chalons und im Lager von Lannemezan meine Truppen mit den neuen Waffen manövrieren sehen, und ich glaube selbst, daß Niel recht hat, wenn er die Hoffnung hegt, nunmehr der preußischen Armee gewachsen zu sein. Es kommt jetzt darauf an, den Kriegsfall zu bilden, und zwar einen Kriegsfall, der so schnell als möglich uns in eine Staatsaktion hineinführen kann, welche womöglich eintreten muß, solange dieser unermüdliche Graf Bismarck noch durch die Folgen seines Sturzes vom Pferde niedergehalten wird, – denn er ist doch eigentlich die alleinige Seele aller Aktionen dort, selbst der militärischen. Wenn er nicht mit seiner vollen Kraft tätig sein kann, so wird man die Zeit mit Überlegungen und Negoziationen verlieren, und wir werden am Rhein stehen können, bevor man dort bis zur Mobilmachung gekommen sein wird.«

»Eure Majestät sind also unwiderruflich entschlossen,« fragte Herr Pietri, »nunmehr wirklich die Entscheidung herbeizuführen und dieser so rücksichtslos und vorwärts strebenden Macht Preußens ein ernstes und gebieterisches Halt! zuzurufen?«

»Ich bin es.« sagte Napoleon, indem er den Blick seiner großen, weit aufgeschlagenen und dunkel leuchtenden Augen fest auf seinen vertrauten Sekretär lichtete, »ich bin es, – ich habe alles erwogen, ich habe alle Chancen des Sieges, die ich irgend vereinigen konnte, auf meine Seite gebracht, und ich will nun, nachdem ich das Meinige getan, mit vollem Vertrauen das Urteil des Schicksals abwarten. Der Aufenthalt in dem Lager und die reine Luft hier hat mich wunderbar gestärkt, – und auch das ist notwendig, denn unter körperlichen Leiden kann der Wille sich nicht frei entwickeln und der Geist nicht arbeiten. Ich habe eine neuorganisierte, von dem herrlichsten Geist beseelte Armee; ich habe einen Feldherrn, der es mit jenem vielbewunderten Moltke aufzunehmen vermag, denn er hat wie jener den klaren, durch nichts zu verwirrenden Blick, die unbeugsame Energie und die kalte, unerschütterliche Ruhe. Ich habe das Mittel gefunden, Italien unfähig zu machen, mir zu schaden, und die zwar schwache und untätige Sympathie Österreichs, welche aber dennoch auch ins Gewicht fällt. Ich habe meine Flotte, welcher die Feinde nichts entgegenstellen können, – ich habe endlich ein wenig Gesundheit und Kraft«, fügte er hinzu, indem sich seine Brust in einem tiefen Atemzuge weit ausdehnte. »Warum sollte ich kein Vertrauen auf meinen Stern haben, der mir glückbringend vorangeleuchtet hat in unendlich schwierigeren und dunkleren Zeiten? – Ich glaube an den Erfolg, mein lieber Pietri,« sagte er, »erinnern Sie sich noch jener Prophezeiung, welche mir die Schülerin der großen Lenormand einst gemacht hat in dem Augenblick, da ich unschlüssig und ratlos den durch die Schlacht von Sadowa entstandenen Verhältnissen gegenüberstand?«

»Zu Befehl, Sire,« erwiderte Pietri, – »die Sibylle warnte Eure Majestät vor einem Krieg gegen Deutschland«, fügte er etwas zögernd hinzu.

»Ganz recht,« sagte der Kaiser, indem er aufstand und im Zimmer auf und nieder ging, während er Herrn Pietri mit einem Wink der Hand aufforderte, sitzen zu bleiben, »ganz recht, darum will ich auch nicht gegen Deutschland Krieg führen. Die Verhältnisse liegen in diesem Augenblick für mich so günstig wie möglich, und es wird der preußischen Regierung sehr schwer werden, die süddeutschen Staaten mit sich zu ziehen. Wenn der Krieg nur einigermaßen geschickt eingeleitet wird, so spricht alles dafür, daß die so fest organisierten antipreußischen Parteien in Süddeutschland den Anschluß an Preußen verweigern; und die Regierungen«, fügte er lächelnd hinzu, »werden gewiß geneigt sein, diesem Druck der Parteien, welcher durch meine Armee an den Grenzen unterstützt werden wird, nachzugeben, denn sie beginnen mehr und mehr die Gefahr zu erkennen, welche die preußische Politik ihrer Souveränität und Selbständigkeit bereitet, – und je kleiner die Regierungen, um so fester und zäher halten sie an ihrer Souveränität fest. Ich will Ihnen einige Punkte diktieren, welche Moustier als Instruktion für die von ihm einzuleitenden Schritte dienen sollen, durch welche der Kriegsfall möglich gemacht werden muß.«

Er ging einige Augenblicke schweigend auf und nieder. »Wollen Sie schreiben«, sagte er dann, vor Pietri stehenbleibend.

»Die öffentlichen Blätter,« fuhr er fort, indem er den Blick sinnend emporrichtete, während Pietri seine Worte mit raschen Schriftzügen auf das Papier warf, – »die öffentlichen Blätter sprechen in neuerer Zeit vielfach von einem Vertrage, welcher zwischen Preußen und Baden abgeschlossen sein soll, und es ist Tatsache, daß verschiedene namhafte und der Regierung nahestehende Persönlichkeiten in dem Großherzogtum Baden mit Entschiedenheit für einen solchen Vertrag sich erklärt haben. Ein Vertrag, welchen das Großherzogtum Baden mit Preußen oder dem norddeutschen Bunde abschlösse behufs der Herstellung engerer politischer und militärischer Beziehungen würde aber auf das Bestimmteste dem Wortlaut des Prager Friedens widersprechen, welche Stipulationen allen süddeutschen Staaten eine vollkommene politische Selbständigkeit und Unabhängigkeit garantieren und die Möglichkeit des näheren Anschlusses des süddeutschen Bundes an Österreich in Aussicht nehmen. Frankreich hat, wenn auch nicht eine formelle, so doch eine moralische Garantie des Prager Friedens übernommen und jedenfalls als europäische Großmacht das Interesse und die Verpflichtung, Abmachungen nicht zu dulden, deren Zweck die Veränderung des durch den Prager Frieden geschaffenen und sanktionierten Zustandes wäre.

»Es ist deshalb notwendig, von Preußen eine entschiedene und bestimmte Erklärung darüber zu verlangen, ob ein solcher Vertrag mit Baden Gegenstand der Verhandlungen zwischen den Kabinetten von Berlin und Karlsruhe sei, und zugleich die Erwartung auszusprechen, daß Preußen sich verpflichten werde, jede von der großherzoglich badischen Regierung in diesem Sinne etwa begriffene Initiative bestimmt, dem Geist und dem Wortlaut des Prager Friedens entsprechend, zurückzuweisen.«

Er hielt einen Augenblick inne, während Pietri den Satz vollendete.

»Zweitens«, fuhr der Kaiser fort, – »die militärischen Verträge, welche Preußen mit Baden und Württemberg geschlossen, involvieren eigentlich, da sie während der Verhandlungen in Nikolsburg sowohl Österreich als Frankreich unbekannt waren, eine Verletzung des Prager Friedens; da dieselben jedoch bereits seit einiger Zeit bestehen und keinen Gegenstand der Interpellation gebildet haben, so soll auch jetzt nicht auf dieselben zurückgekommen werden; jedenfalls aber würde eine weitere Ausführung derselben durch spezielle militärische Organisationen die Selbständigkeit der süddeutschen Staaten illusorisch machen. Insbesondere muß im Interesse dieser Selbständigkeit den Regierungen von Bayern und Württemberg die vollkommen freie Entschließung erhalten bleiben, ob in jedem konkreten Falle casus foederis vorliege oder nicht.

»Es wird notwendig sein, daß Preußen sich bestimmt darüber erkläre, daß dieser freie Entschluß der süddeutschen Staaten niemals beeinträchtigt werden solle.

»Drittens«, fuhr er mit erhöhter Stimme fort, »ist es notwendig daß der Artikel V. des Prager Friedens zur Ausführung komme, und daß den Bestimmungen desselben gemäß die nationale Grenze zwischen Nordschleswig und Dänemark ohne weitere Verzögerung festgestellt werde.

»In diesen drei Richtungen wird der Marquis de Moustier sogleich in höflichster, aber bestimmtester Weise dem Vertreter des Königs von Preußen in Paris gegenüber sich aussprechen und zugleich dem Botschafter Frankreichs in Berlin auftragen, über den gleichen Gegenstand bestimmte und befriedigende Erklärungen von dem preußischen Minister zu verlangen.

»Auf diese Weise«, fuhr er fort, indem er abermals im Zimmer auf und nieder schritt, »wird man gar nicht nötig haben, die Entwaffnungsfrage oder irgendwelchen andern Punkt anzurühren. Die Antwort, welche man in Berlin geben wird, wird gewiß ausweichend und nicht befriedigend sein, und«, fügte er hinzu, indem er sich lächelnd den Schnurrbart strich, »bei der auf diese Weise entamierten Negoziation wird auch Österreich, ohne sich nicht für immer um seinen Kredit in Deutschland zu bringen, nicht ganz passiv bleiben können.

»Schicken Sie«, sprach er weiter, »diese kurze Instruktion sogleich an Moustier. Wenn er sie einleitet, wird er jeden Augenblick den Kriegsfall in der Hand haben, und ich werde, sobald diese spanische Angelegenheit vollständig zum Austrag gebracht ist, imstande sein, mit überwältigender Schnelligkeit in die Aktion einzutreten.«

Er trat an das weit geöffnete Fenster und blickte tief aufatmend über das Meer hin. Rasch öffnete sich die Tür, dem Kammerdiener folgte unmittelbar die Kaiserin im leichten Sommeranzug von heller Farbe, einen kleinen runden Strohhut auf dem Kopf, einen langen Spazierstock von spanischem Rohr mit schön geschnitztem Elfenbeinknopf in der Hand.

Der Kaiser wandte sich um, ging seiner Gemahlin artig entgegen und küßte ihr die Hand.

»Ich habe eine lange Promenade am Strande gemacht,« sagte Eugenie, deren edles Gesicht durch die frische Seeluft leicht gerötet war, – »ich habe verschiedene Personen gesprochen, alle Welt spricht von unserem Besuch in San Sebastian. Ist der Kurier von dort bereits zurückgekommen? Ist der Tag der Zusammenkunft fest bestimmt?«

»Ich habe mich der Königin für übermorgen anmelden lassen,« erwiderte der Kaiser; »der Besuch wird zwar einen ganz ländlichen und privaten Charakter haben, indes möchte ich doch ein ziemlich zahlreiches Gefolge mitnehmen, – in Spanien hält man auf so etwas, und die internationale Höflichkeit fordert dort möglichst glänzendes Auftreten.«

»Endlich also,« rief die Kaiserin, »endlich ist der Augenblick nahe, der uns für dies lange Warten entschädigen soll – und«, fügte sie lächelnd hinzu, »der mir zugleich die kleine persönliche Genugtuung gewähren wird, vor der Königin als Kaiserin von Frankreich zu erscheinen.«

»Eine Stellung,« sagte der Kaiser mit einer galanten Verneigung gegen seine Gemahlin, »welche alle legitimen Fürstinnen von Europa beneiden, und welche Sie so würdig und anmutig auszuführen verstehen.

»Lassen Sie die Depesche nach Paris sofort abgehen«, fuhr er fort, sich an Pietri wendend, welcher sich beim Eintritt der Kaiserin ehrerbietig erhoben hatte und neben seinem Tisch stehengeblieben war. Pietri verneigte sich und wandte sich zur Tür; bevor er das Zimmer verlassen hatte, meldete der Kammerdiener den General Fleury, und dieser langjährige vertraute Adjutant seines Souveräns trat auf einen Wink des Kaisers schnell in das Kabinett. Der General, eine kräftige Erscheinung, dessen gesundes, ausdrucksvolles Gesicht trotz des großen Schnurrbarts mehr den Hofmann als den Militär andeutete, und der einen schwarzen Zivilanzug trug, verneigte sich vor dem Kaiser und der Kaiserin und sprach:

»Soeben ist der Kurier von San Sebastian zurückgekehrt und hat diesen Brief der Königin Isabella überbracht. Zu gleicher Zeit ist auch ein Telegramm für Eure Majestät angelangt.«

Er überreichte dem Kaiser die beiden Briefe.

Napoleon reichte mit verbindlichem Lächeln den Brief der Königin Isabella seiner Gemahlin, welche hastig das große Siegel erbrach, während er selbst die an ihn gerichtete Depesche öffnete.

Die großen Augen der Kaiserin überflogen die Schriftzüge auf dem Papier, das sie ungeduldig entfaltet hatte. Während sie las, wurde sie ernster und ernster, die Farbe wich einen Augenblick von ihren Wangen, sie drückte ihre schönen Zähne tief in die Unterlippe und stieß mehrmals, wie in heftiger Bewegung, den Stock, welchen sie in der Hand hielt, auf den Boden.

Als sie die Augen wieder auf den Kaiser richtete, sah sie denselben in sich zusammengebeugt stehen, die vorhin so heiteren Züge seines Gesichts waren schlaff und müde zusammengesunken, – ein Ausdruck tiefer Niedergeschlagenheit lag auf denselben; seine verschleierten Augen starrten unbeweglich auf die Depesche, welche er in der Hand hielt.

Die Kaiserin trat schnell zu ihrem Gemahl hin, während der General Fleury und Pietri erstaunt auf die beiden Majestäten blickten.

»Die Königin schreibt unter dem Eindruck unangenehmer Nachrichten,« sagte die Kaiserin, – »welche sie soeben erhalten, sie scheint eine Revolution zu befürchten, – es wird nichts sein,« fuhr sie, den Blick forschend auf den Kaiser richtend, fort, – »einer jener häufig wiederkehrenden und stets erfolglosen Versuche.«

»Es ist ernst«, sagte der Kaiser mit dumpfem Ton, ohne seine Stellung zu verändern und ohne den Blick von dem Telegramm abzuwenden.

»Serrano steht an der Spitze der Erhebung, – der Admiral Topete mit einem großen Teil der Flotte hat sich ihr angeschlossen, – die Armee wendet sich ihm zu, – Prim hat Brüssel verlassen und befindet sich auf dem Wege nach Spanien, – hinter dem allem steckt Montpensier,« sprach er nach einem kurzen Stillschweigen mit düsterem Ausdruck, – »das ist sehr böse, das macht alle meine Kombinationen scheitern, – Moustier teilt mir mit, daß der Graf von Girgenti die Sache ebenfalls sehr ernst ansieht und im Begriff steht, sich zur Königin zu begeben, um sich an die Spitze seines Regiments zu stellen, – sollte es möglich sein,« sagte er in flüsterndem Ton, indem seine Hand mit dem Telegramm langsam herabsank, »sollte es möglich sein, daß auch hier die Hand jenes Mannes im Spiel wäre, der alles vorhersieht, alles berechnet und es überall versteht, meine Pläne zu durchkreuzen?«

»Aber«, rief die Kaiserin fast ungeduldig, »die Königin scheint die Sache noch gar nicht gefährlich anzusehen, sie hat die energischsten Maßregeln befohlen und wünscht die Zusammenkunft um so dringender und schleuniger, um Ihren Rat zu hören.«

Der Kaiser nahm langsam, fast mechanisch den Brief der Königin Isabella und durchlas denselben.

»Sie wünscht meinen Rat,« sagte er dann achselzuckend, – »welchen Rat kann ich ihr geben, wenn sie sich selbst nicht helfen kann? Ich kann mich unmöglich in dieser Sache engagieren, – ich kann keine spanische Expedition unternehmen.«

»Aber Sie können mit Ihrer Kenntnis der Verhältnisse, mit Ihren Erfahrungen ihr sagen, was sie zu tun hat, ihr, der armen Frau, welche niemanden hat, an den sie sich halten kann.«

»Jetzt eine Zusammenkunft,« sagte der Kaiser nachdenklich den Kopf schüttelnd, »unmöglich; wenn die Königin nicht Herrin des Aufstandes wird, – ich darf mich nicht engagieren, ich muß die Möglichkeit behalten, mit der Regierung, welche ihr folgen könnte, gute Beziehungen zu erhalten, – mit Prim wäre das vielleicht möglich.«

Er blickte lange schweigend, in tiefen Gedanken zu Boden.

Die Kaiserin schritt ungeduldig auf und nieder, mit der Spitze ihres Stockes auf den Boden stoßend.

»Und doch,« rief der Kaiser endlich, aus seinen Gedanken sich emporrichtend, »es hängt alles davon ab, daß meine Kombinationen nicht zerstört werden. Ich muß alles tun, was in meinen Kräften steht, ich muß klar in der Sache sehen, – vielleicht kann die Königin durch richtige Leitung und vernünftigen Rat noch Herrin der Situation bleiben.«

Er wandte sich mit energischer, kräftiger Haltung zu Pietri.

»Halten Sie die Instruktionen an Moustier zurück, die ich Ihnen vorhin diktiert, aber senden Sie den Befehl nach Paris, diese spanische Bewegung der öffentlichen Meinung gegenüber als vollkommen unbedeutend darzustellen, – man muß das Vertrauen erhalten, man darf die Feinde nicht zu früh triumphieren lassen.

»Sie, General Fleury,« fuhr er fort, »bereiten Sie alles vor, daß ich heute Abend ohne alles Aufsehen abreisen kann, und senden Sie einen Offizier an die Königin mit der Bitte, ihrerseits ohne Aufsehen zu erregen nach St. Jean de Luz zu kommen, – eine offizielle Zusammenkunft muß unter diesen Umständen durchaus vermieden werden. Die Königin wird das selbst einsehen, ich darf nicht den Anschein haben, mich in die spanischen Angelegenheiten zu mischen, ihr selbst und ihrer Sache würde das nur in hohem Grade schaden.«

Der General Fleury und Pietri verließen das Kabinett, um die erhaltenen Befehle auszuführen.

Der Kaiser und seine Gemahlin blieben allein.

»Darf ich Sie begleiten, Louis?« fragte die Kaiserin.

Napoleon blickte sie ein wenig erstaunt an.

»Und warum?« fragte er, – »das notwendige Geheimnis der Reise könnte dadurch leichter kompromittiert werden, und was die Königin bedarf, ist mehr kaltblütiger Rat, als Trost und Teilnahme.«

»Vor allen Dingen bedarf sie Mut und Festigkeit,« rief die Kaiserin, »und vielleicht wird es mir als Frau der Frau gegenüber eher gelingen können, ihr diese Festigkeit zu geben. O,« rief sie mit stammendem Blick, »wenn ich Königin von Spanien wäre, – ich würde nach Madrid gehen, mich an die Spitze der Truppen stellen und diesen kecken Pronunciamientos der ehrgeizigen Generale ein für allemal ein Ende machen!«

»Ihr unwillkürliches Gefühl,« sagte der Kaiser, »hat Sie zu demselben Resultat geführt, welches aus meinem Nachdenken über die Sache bis jetzt hervorgegangen ist, – die Königin muß nach Madrid gehen, das ist der einzige Weg zu ihrer Rettung. In dem abgelegenen Winkel ihres Landes, in dem sie sich jetzt befindet, muß sie die Herrschaft über die Verhältnisse verlieren, und les absents ont tort«, fügte er seufzend hinzu. »Ja,« sagte er dann, – »Sie sollen mich begleiten, Sie haben recht, es wird Ihnen vielleicht besser gelingen, die Königin den richtigen und notwendigen Entschluß fassen zu lassen, – es könnten da Gesichtspunkte in Frage kommen, welche Sie besser berühren können als ich. Aber«, fügte er mit einem Lächeln hinzu, das nur mühsam auf seinen sorgenvollen und niedergeschlagenen Zügen erschien, »es wird eine anstrengende Reise ohne Komfort werden.«

»Ich kann alles ertragen,« rief die Kaiserin lebhaft, »und ein kleines Abenteuer, von Schwierigkeiten und Geheimnissen umgeben, wird noch ganz besondern Reiz für mich haben. Ich eile, meine Vorbereitungen zu treffen.«

Sie reichte dem Kaiser ihre Wange, auf welche derselbe nicht so eifrig und galant als sonst seine Lippen drückte und ging hinaus.

Napoleon sank wie gebrochen in seinen Lehnstuhl.

»So oft meine Pläne sich der Ausführung nahen,« sprach er, düster vor sich hinstarrend, »so treten jedesmal jene wunderbar geheimnisvollen und unerklärlichen Ereignisse ein, welche niemand vorhersehen, niemand erwarten oder auch nur ahnen konnte, und welche doch stets alles vernichten, was ich lange und mühsam kombiniert habe. Jene Indiskretion des Königs von Holland,« sprach er sinnend, »jener Aufstand Garibaldis im vorigen Jahre und jetzt wieder diese urplötzliche, ungeahnte Revolution, welche gerade den Schwerpunkt aller meiner Pläne zerstört. Ist das Zufall?« – fragte er sich, den Blick seiner weit geöffneten Augen aufwärts richtend, – »ist das das Verhängnis, welches meine Größe niederdrücken will? – ist das eine Warnung des Schicksals? – oder sind es berechnete Schachzüge meines Gegners? – dann müßte er mehr als menschliche Macht haben,« sprach er leise, den Kopf in die Hand stützend, – »dann müßte er ein Werkzeug in der Hand des Fatums sein, vorherbestimmt, mich zu zertrümmern, – dann,« sagte er mit noch tiefer herabsinkender Stimme, »dann habe ich mein Spiel verloren, oder ich müßte mich mit ihm in die Welt teilen.«

Er stützte die Stirn in beide Hände und blieb schweigend, in sich zusammengesunken sitzen, während durch das geöffnete Fenster das ferne Rauschen des Meeres und die heiter plaudernden Stimmen der Gesellschaft auf der Strandpromenade heraufdrangen.


 << zurück weiter >>