Oskar Meding
Zwei Kaiserkronen
Oskar Meding

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Viertes Kapitel

Am Morgen nach den Festlichkeiten im Stadtpark hielt ein kleiner sogenannter Komfortable, dieses Gefährte zweiter Klasse, unter den öffentlichen Kommunikationsmitteln Wiens, vor einem Hause in der Hauptstraße von Hietzing, welches, hinter großen Bäumen zurücktretend, nach außen hin fast ganz versteckt im Garten dalag.

Ein nicht großer, sehr einfach gekleideter Mann in den fünfziger Jahren stieg aus.

Er trug in seinen etwas welken Zügen die Spuren der Sorgen und geistigen Arbeit, – die dünnen Lippen waren zwar geschlossen, aber zeigten doch durch ein unwillkürlich zuckendes Muskel- und Nervenspiel, daß sie sich wohl möchten öffnen können zu lebendig geistvoller Beredsamkeit. Die klaren grauen Augen blickten voll Intelligenz und Schärfe, wenn auch etwas ermüdet, unter dem Rande des kleinen runden Hutes hervor, der das ergraute dünne Haar bedeckte.

Mit kleinen, etwas unsicher schwächlichen Schritten ging dieser Mann durch den Vorgarten und stieg eine Treppe im Hause hinauf zu der Wohnung des Doktor Elster, des Finanzbeamten der königlichen Hofverwaltung.

Auf den Ton der Glocke, welche er zog, erschien Herr Elster selbst, begrüßte den Angekommenen herzlich und führte ihn in sein Zimmer, in welchem sich bereits der Regierungsrat Meding befand, in einen Fauteuil zurückgelehnt und die Wiener Morgenjournale durchblätternd.

Der Regierungsrat erhob sich und trat dem Angekommenen in artigster Höflichkeit entgegen.

»Herr Trabert,« sagte der Doktor Elster, den Fremden vorstellend, »der gern die Freundlichkeit gehabt hat, zu einer Unterredung mit Ihnen herauszukommen.« »Ich freue mich,« sagte der Regierungsrat Meding, »einen Mann kennen zu lernen, dessen bisherige politische Tätigkeit ihn auf eine, meinen politischen Überzeugungen und Pflichten entgegenstehende Seite gestellt hat, dessen Charakter und Gesinnung mir jedoch stets die höchste Achtung eingeflößt hat.«

Die Herren setzten sich.

Herr Trabert blickte scharf beobachtend mit einer gewissen Zurückhaltung aus seinen klaren Augen herüber.

»Die Achtung vor den Überzeugungen politischer Gegner ist stets einer meiner ersten Grundsätze gewesen«, sagte er dann. – »Leider ist man auf Ihrer, und – ich muß es einräumen – oft auch auf unserer Seite von diesem Grundsatz abgewichen.«

»Der politische Kampf bringt eben Erbitterungen mit sich,« erwiderte Herr Meding, »welche tief beklagenswert sind und der Ermittlung der objektiven Wahrheit großen Schaden tun. Da wir beide,« fuhr er in verbindlichem Ton fort, »von solchen Vorurteilen frei sind, so werden wir uns um so leichter verständigen können.«

»Wir haben einen gemeinsamen Gegner,« sagte Herr Trabert, indem seine Züge sich in geistiger Bewegung belebten, »ich vertrete das Recht des Volkes, die demokratischen Forderungen der Zeit – Sie das legitime Fürstenrecht. Beide sind durch die Ereignisse des Jahres 1866 schwer verletzt. Selbständige Staatsbildungen sind ohne Achtung vor dem autonomischen Selbstbestimmungsrecht des Volkes zerstört, und legitime Throne sind umgestoßen. Wäre dies geschehen im Namen der Freiheit für das Volk und durch das Volk, ich würde, wie ich Ihnen aufrichtig gestehe, nichts dagegen zu erinnern finden, jetzt aber ist es geschehen zugunsten einer andern Macht, welche an wahrer Freiheit dem Volke eher weniger als mehr bietet im Vergleich mit den gestürzten Regierungen – ein straffer Militarismus hält jede freie Bewegung nieder, und was das Traurigste ist, Deutschland bleibt gespalten.

»Wir, fuhr er fort, »das heißt die wahre und aufrichtige Demokratie, welche der Macht und dem Erfolge keinen nationalliberalen Weihrauch zu streuen gesonnen ist, müssen daher daran arbeiten, daß das Werk eines plötzlichen und überraschenden Militärerfolges wieder zerstört, Deutschland zu einer einigen und freien nationalen Organisation geführt werde. Sie Ihrerseits haben dasselbe Interesse, das Werk des Militarismus zu zerstören und Ihrem Fürsten wieder zu ihrem Recht zu verhelfen. Unsere Wege gehen also eine Zeitlang zusammen im Kampf gegen den gemeinschaftlichen, für den Augenblick übermächtigen Gegner, – wir gebieten beide über eine nicht unbedeutende Summe intelligenter Kräfte – wir unsererseits greifen hinab in die Tiefen des Volkes – Sie haben die Verbindungen mit den Kabinetten und die größeren materiellen Mittel – wenn wir unsere Kräfte und unsere Arbeit vereinigen, so potenzieren sich die Aussichten auf den siegreichen Erfolg. Hierin sehe ich die Grundlage einer Verständigung, eines gemeinschaftlichen Handelns, eines Bündnisses gegen den gemeinschaftlichen Gegner.«

Der Regierungsrat Meding hatte mit gespannter Aufmerksamkeit den Worten zugehört, welche der Märtyrer des hessischen Verfassungskampfes mit leisem, aber eindringlichem Ton gesprochen.

»Ich stimme vollkommen mit Ihrem Ideengange überein«, sagte er, »und erkenne den Standpunkt gemeinschaftlichen Kampfes gegen den gemeinschaftlichen Gegner in vollem Maße an, nur möchte ich mir erlauben, einen bedeutenden Schritt weiterzugehen, denn Ihre Auffassung der Sachlage erscheint mir – ich bitte um Verzeihung – ein wenig zu eng und zu kalt.

»Führt uns«, fuhr er fort, »bloß die Abwehr des gemeinsamen Feindes zusammen, so hat unsere Verbindung nur eine negative Basis, und eine solche ist schwach und gebrechlich. Wir würden uns vereinigen, um einen gemeinsamen Feind zu stürzen, mit dem Hintergedanken, uns dann wieder als erbitterte Gegner untereinander zu bekämpfen. Ich traue einem solchen Bündnisse, welchem vor allem der stärkste Kitt, das gegenseitige Vertrauen, fehlt, keine große Kraft zu, namentlich einer so gewaltigen, kompakt geschlossenen Macht gegenüber, wie diejenige unserer Gegner es ist.

»Außerdem aber«, sprach er weiter, indem der Ton seiner Stimme eine wärmere Nuance annahm, »muß ich Ihnen aufrichtig bekennen, daß ein Bündnis auf solcher Grundlage in diesem Falle meinem Gefühl widerstrebt. Ein Bündnis mit dem Hintergedanken späterer Kämpfe mag abgeschlossen werden zur Erreichung eines unmittelbaren Zweckes zwischen zwei Kabinetten, welche sich in eifersüchtiger Rivalität gegenüberstehen; wo aber das Fürstenrecht mit dem Recht des Volkes sich verbinden will, diese beiden Rechte, welche ja in Deutschland, Gott sei Dank, eine und dieselbe Wurzel haben, da sollte kein Hintergedanke bestehen und die Basis des Bündnisses keine Negation sein. Wenigstens sollten wir versuchen, diejenigen Gesichtspunkte zu finden, unter denen die monarchische Legitimität und die wahre Demokratie auch nach der Überwindung ihrer gegenwärtigen Gegner in positiver und fruchtbarer Verbindung bleiben können zum Heil des öffentlichen Volkslebens.«

Herr Trabert zuckte unwillkürlich mit der Achsel, ein leichtes Lächeln spielte um seine Lippen – indessen verneigte er sich artig, durch seinen Blick und den Ausdruck seiner Züge andeutend, daß er zu hören bereit sei.

»Ich finde«, fuhr der Regierungsrat Meding fort, »das Recht der legitimen Monarchie mit den Rechten des Volkes und den Forderungen einer aufrichtigen und vernünftigen Demokratie durchaus nicht unvereinbar, im Gegenteil scheinen mir beide durch eine ehrliche Verbindung an Kraft zu gewinnen. – Das monarchische Recht, wenn es sich von den Forderungen der Zeit abschließt und den Fortschritt der Volksentwicklung ignoriert, führt zur Stagnation, zur Erstarrung und damit zur Vernichtung alles gesunden öffentlichen Lebens. – Die demokratische Bewegung aber, wenn sie, vom monarchischen Boden getrennt, vorwärtsgeht, muß zu republikanischen Zielen führen. Glauben Sie,« fuhr er fort, »daß solche Ziele ohne gewaltige Erschütterungen erreichbar sind, Erschütterungen, bei denen, wie die Geschichte aller Revolutionen zeigt, oft mehr von wahrer Freiheit verloren geht, als unter absoluter Regierung? Glauben Sie, daß überhaupt eine Republik in Deutschland möglich sei? Und vor allem fürchten Sie nicht, daß einer gewaltsam hergestellten Republik, den Lehren der Geschichte gemäß, die Militärdiktatur folgen müsse? Liegt in einer solchen Perspektive, deren Berechtigung Sie gewiß nicht bestreiten werden, nicht eine größere Gefahr für die demokratische Freiheit des Volkes, als in der verfassungsmäßigen Entwicklung der monarchischen Staatszustände?

»Ich bin,« fuhr er nach einer augenblicklichen Pause fort, während Herr Trabert mit nachdenklich niedergeschlagenem Blick die Finger seiner kleinen Hände gegeneinander schlug, – »ich bin gewiß kein Gegner der republikanischen Staatsformen an sich; würden wir heute darüber zu debattieren haben, welche Staatsform einer neu zu bildenden menschlichen Gesellschaft zu geben sei – ich würde mich vielleicht für die Republik entscheiden. Für mich aber ist diese Frage nicht offen, für mich ist die Monarchie etwas Gegebenes, zu Recht Bestehendes, von der Geschichte der Jahrhunderte Überkommenes, ein Recht und eine Form, zu der ich nach Überzeugung und Pflicht zu stehen habe. Wenn ich nun die Berechtigung der Demokratie und des Fortschritts im Völkerleben in hohem Grade anerkenne, wenn ich überzeugt bin, daß nur die wahre Demokratie befruchtend auf das Wesen der Geister einwirken könne, so muß ich doch wünschen und dafür streben, daß die Blüten und Früchte der demokratischen Freiheit auf dem alten Rechtsboden der Monarchie erzogen werden, weil sie dort allein die Sicherheit dauernden Bestandes finden können, und in dieser Auffassung liegt für mich die Grundlage zu einem Bündnis zwischen der Legitimität und der Demokratie, auch über die Grenzen des Kampfes gegen den gemeinschaftlichen Gegner hinaus, – zu einem Bündnis, dessen Wirkungen sich immer segensreicher für das öffentliche Leben der Völker gestalten müssen. Es kommt nur darauf an, sich über dasjenige zu verständigen, was Sie zur demokratischen Entwicklung der Freiheit für notwendig halten: ich bin überzeugt, daß bei ruhiger Erörterung das alles vom Standpunkt der legitimen Monarchie aus unbedenklich zugestanden werden kann.«

Herr Trabert schlug langsam den Blick empor.

»Ich habe«, sagte er, »durch meine ganze politische Tätigkeit gezeigt, daß ich gewiß kein prinzipieller Gegner der Monarchie bin. In den politischen Kämpfen meines Vaterlandes habe ich fortwährend dahin gestrebt, auf dem Boden einer freien Verfassung in der Monarchie dem Volke die Teilnahme, die berechtigte volle Teilnahme am öffentlichen Leben und an der Leitung seiner eigenen Angelegenheiten zu sichern, und ich verkenne die Gefahren nicht, welche eine republikanische Entwicklung der demokratischen Bewegung für die wahre Freiheit in sich schließt.

»Allein,« fuhr er fort, indem er seinen Blick scharf und forschend auf dem Regierungsrat Meding ruhen ließ, »sind es nicht die Fürsten, welche jede Entwicklung des öffentlichen Lebens in der Art, wie Sie selbst soeben als wünschenswert geschildert haben, unmöglich machen? Haben nicht die Fürsten,« sprach er in erregterem Tone, »stets auch dem kleinsten und bescheidensten Fortschritt sich entgegengestellt, haben sie nicht jede Zugeständnisse an die Rechte des Volkes sich erst durch lange und schwere Kämpfe abtrotzen lassen? Haben sie nicht die Führer in solchen Kämpfen als Hoch- und Landesverräter verfolgt und so ihre Gefängnisse mit den besten Männern ihres Volkes angefüllt? Kann die Demokratie nach solcher Erfahrung an ein ernstes Bündnis mit der fürstlichen Legitimität glauben? Ich möchte fast meinen: nicht das Prinzip der Monarchie ist mit der Demokratie unvereinbar, sondern die Personen der Fürsten, welche von ihrer unnahbaren Höhe nicht herabsteigen wollen, welche dem Volk die Hand nicht reichen wollen, welche sich auf diese Weise selbst zu Feinden des Volkes machen, das gezwungen wird, zur Erreichung seiner edelsten Ziele über sie hinzuschreiten.«

»Es liegt eine tiefe Wahrheit in dem, was Sie sagen,« erwiderte der Regierungsrat Meding ernst, »und wäre diese Wahrheit früher erkannt worden, es stände wahrlich besser um das öffentliche Leben. Allein,« fuhr er fort, »seien Sie gerecht – sind es nur die Fürsten gewesen, welche sich dem Volke feindlich gegenüberstellten? Haben nicht die Führer der Freiheitsbewegung im Volk fast immer und überall die Personen der Fürsten von vornherein als die Feinde des Volkes dargestellt, ohne auch nur den Versuch zu machen, die Wahrheit anders als in der Form gehässiger Angriffe durch die Presse und von der Tribüne an den Thron zu bringen? Günstiger als jetzt kann die Gelegenheit nie sein, um ein positives, vertrauensvolles Bündnis zwischen Fürstenrechten und Volksrechten zu schließen. Die durch äußere Kriegsgewalt entthronten Fürsten haben Gelegenheit gehabt, sich zu überzeugen, welch eine tiefe Treue und Pietät auch für ihre Rechte im Volke lebt. Auch bei Ihnen in Hessen, wo man nach den früheren öffentlichen Stimmen kaum an eine persönliche Anhänglichkeit für den Kurfürsten hätte glauben sollen, zeigt sich jetzt sehr erkennbar, wie tief doch noch das Bewußtsein für das dynastische Recht im Volke wurzelt.«

Herr Trabert nickte mehrmals mit dem Kopfe.

»Ja, ja,« sprach er, »es regt sich allerseits in Hessen, und ich selbst,« fügte er hinzu, »muß aufrichtig gestehen, der äußeren Gewalt gegenüber fühle ich mich versucht, den Kurfürsten, der mich hat verfolgen und einkerkern lassen, zu verteidigen. Es ist das,« sagte er lächelnd, »wie ein Streit zwischen uneinigen Eheleuten – sie schlagen sich wohl, aber wenn ein Dritter dazwischenkommt, so werden sie schnell gegen ihn wieder einig.«

Herr Meding lachte.

»Sie sprechen jetzt selbst für meine Auffassung. Wenn aber jetzt,« fuhr er ernst fort, »die Fürsten zu klarerer und besserer Einsicht über ihre Stellung dem Volke gegenüber kommen, sollte es denn da so schwer sein, die Grundlage zu einem ernsten und festen Bündnis zu vereinbaren? – Was,« sagte er, »ist die wesentlichste Bedingung für die Sicherheit eines wirklich demokratischen Fortschritts im öffentlichen Leben? Meiner Auffassung nach nicht dieses oder jenes Gesetz, nicht dieser oder jener Paragraph der Verfassung, sondern vielmehr die Garantie dafür, daß das ganze Volk in allen seinen Elementen einen ungeschmälerten, vollen und maßgebenden Anteil am öffentlichen Leben erhalte. Diese Garantie ist in dem allgemeinen Wahlrecht ohne alle Einschränkung und in der Berechtigung der Volksvertretung zur Initiative auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens enthalten.«

Herr Trabert nickte zustimmend mit dem Kopf.

»Ich glaube,« fuhr der Regierungsrat Meding fort, »daß, wenn diese beiden Prinzipien ohne Rückhalt in das Staatsleben eingeführt werden, daß dann der Fortschritt im Sinne der wahren und idealen Demokratie gesichert ist.«

»Wir können weiter nichts verlangen,« sagte Trabert ruhig, – »alles übrige, die Anwendung der freiheitlichen Grundsätze auf die einzelnen Zustände und die besonderen Fälle bleibt dann der eigenen Arbeit des Volkes überlassen, – hat es nur das volle und ungeschmälerte Recht der Mitwirkung, dann wird es bald in langsamerem, bald in schnellerem Vorgehen sich den stetigen Fortschritt zu sichern wissen.«

»Da sind wir also schon ganz einig,« sagte Herr Meding lächelnd, – »einig in den Prinzipien und haben gar nicht nötig, uns noch über Detailfragen und besondere Punkte zu unterhalten, die sich dann von selbst ergeben.«

»Wir sind einig,« erwiderte Herr Trabert mit Betonung; – »ich zwar kann versichern, daß hinter mir die ehrliche Demokratie steht, und mich nicht desavouieren wird, – aber die Fürsten? – würden sie jenen Grundsätzen beistimmen, – würden sie, wenn ein gemeinschaftlicher Kampf uns zum Siege führte und ihnen die Herrschaft wiedergäbe, – würden sie dann dem Volke die ungeschmälerte und volle Teilnahme an der Leitung der öffentlichen Angelegenheiten zugestehen? Antworten Sie mir aufrichtig ohne diplomatische Umschweife!«

»Ich sage Ihnen als ehrlicher Mann,« erwiderte Herr Meding, – »ich glaube es von meinem Könige, – gibt er sein Wort, so wird er es halten, und wie ich seine Gesinnungen und Anschauungen kenne, ist er überzeugt von der Richtigkeit der Grundsätze, welche Sie selbst soeben als die Grundfundamente alles freiheitlichen und volkstümlichen Fortschritts bezeichnet haben.«

Herr Trabert schwieg längere Zeit.

Gespannt blickte der Regierungsrat Meding in sein ernstes Gesicht.

»Zwischen zwei Parteien,« sagte der hessische Volksmann endlich, – »welche solange in scharfer und oft erbitterter Gegnerschaft einander gegenüber gestanden haben, kann das Vertrauen, – das volle und ganze Vertrauen nicht mit einem Augenblick kommen.«

Der Regierungsrat neigte den Kopf.

»Doch erkenne ich an,« fuhr Herr Trabert fort, »daß unser Gespräch die Elemente zur Herstellung eines solchen Vertrauens und zu einem nützlichen und fruchtbaren Zusammenwirken bietet. Gern bin ich bereit, mit meinen Freunden in dem hier erörterten Sinne zu wirken.«

Er reichte dem Regierungsrat Meding die Hand. Dieser ergriff sie und sprach:

»Möge unsere Verständigung für die Zukunft der Fürsten und des Volkes segensreich werden.«

»Würden Sie nicht, Herr Regierungsrat,« sprach Herr Doktor Elster, »wünschen, auch einige andere Herren von der Volkspartei kennen zu lernen? Freese wird hieherkommen – Struve ist hier –«

»Struve?« rief der Regierungsrat erstaunt, »der alte Struve von 49, von dem man einst sang

»Hecker, Struve, Zitz und Blum,
Kommt und bringt die Preußen um!«

»Derselbe,« sagte Doktor Elster, »er hat noch seine alte Feindschaft bewahrt, – er war hier, hat uns jedoch eigentlich weniger von der Politik als von der Phrenologie unterhalten, und besonders sehr aufmerksam den Kopf des Doktor Onno Klopp untersucht –«

»Und was hat er gefunden?« fragte der Regierungsrat leichthin.

»Ungeheuer viel Knechtssinn«, erwiderte Doktor Elster.

Der Regierungsrat Meding lachte.

»Es würde mir allerdings sehr interessant sein, mich mit Herrn Struve über die Phrenologie zu unterhalten,« sagte er dann, »da ich diese Wissenschaft ebenfalls mit ganz besonderer Vorliebe traktierte, indes in betreff der politischen Fragen können Verhandlungen mit verschiedenen Personen nur zersplitternd wirken – ich glaube, nachdem ich mich mit Herrn Trabert verständigt habe, wird es vollkommen genügen, wenn er die Verbindung mit seinen politischen Freunden aufrecht erhält. – Ich würde persönlich diese Verbindung ja doch nicht fortsetzen können, da ich schleunig nach Paris zurückkehren muß – mit August Rödel habe ich ausführlich gesprochen und hoffe ihn demnächst bei mir zu sehen. Ist einmal die Verständigung erzielt, so wird ja hier das Zusammenwirken immer enger und fester werden, ich werde mir später erlauben, Herrn Trabert ein Memoire über die Art und Weise einer praktischen Tätigkeit zur Verwertung unserer Verständigung im Falle großer Katastrophen zugehen zu lassen.«

Herr Trabert verneigte sich.

»Ihre Aufgabe, mein lieber Doktor, ist es jetzt,« fuhr der Regierungsrat fort, »die Beziehungen der Herren mit dem Hofe zu unterhalten und Mißverständnisse zu vermeiden.«

»Sie können sich vollständig auf mich verlassen,« erwiderte der Doktor Elster, die Hand breit auf die Brust legend und die Augen aufwärts richtend. »Ich werde mit meinen geringen Kräften dahin wirken, daß hier immer nach Ihren Ideen gehandelt wird, und daß die großartigen Auffassungen unseres Allergnädigsten Königs nicht durch kleine Nebenrücksichten, die ihn umgeben, wieder vernichtet werden.«

»Und halten Sie mich au fait über alles, was hier in dieser Beziehung geschieht,« sagte der Regierungsrat; – »nun,« fuhr er fort, sich zu Herrn Trabert wendend, »danke ich Ihnen nochmals für Ihr Entgegenkommen und für das Vertrauen, welches Sie zunächst mir wenigstens persönlich bewiesen haben. Hoffen wir, daß dies Vertrauen sich auch auf die Sache, die wir vertreten, ausdehne und dieselbe zum Siege führe.«

Mit herzlichem Händedruck verabschiedete er sich von Herrn Trabert, verließ das Haus und begab sich nach der Villa Braunschweig, wo er sich durch den in dem chinesischen Talon wartenden Kammerdiener bei dem Könige melden ließ.

Er wurde unmittelbar darauf in das kleine schottische Kabinett, mit Hochlandswaffen, Ölbildern aus Walter Scotts Romanen dekoriert, eingeführt.

»Was bringen Sie Gutes, mein lieber Meding?« rief ihm Georg V. entgegen, welcher noch im österreichischen Militärmantel, seinem gewöhnlichen Morgenkostüm, vor seinem Tische saß, der mit einer aus roter Seide und Gold gewirkten Decke belegt war.

»Ich möchte mich von Eurer Majestät verabschieden,« sagte der Regierungsrat Meding, indem er auf einen Wink Seiner Majestät dem Könige gegenüber Platz nahm, »da ich notwendig nach Paris zurückkehren muß, um die Verhältnisse der Emigration in Ordnung zu bringen.«

»Ich sehe das vollkommen ein, daß Sie dorthin zurückkehren müssen,« sagte der König, »indes bedaure ich lebhaft, daß ich Sie nicht teilen kann, ich möchte Sie hier und dort zugleich haben.«

»Euer Majestät sind zu gnädig,« erwiderte der Regierungsrat, »so oft Allerhöchstdieselben befehlen, bin ich ja augenblicklich hier, – ich möchte aber«, fuhr er fort, »Allerhöchstihnen noch über eine Unterredung berichten, welche ich soeben mit Herrn Trabert hatte.«

»Haben Sie sich mit ihm verständigt?« rief Georg V. lebhaft.

»So gut als dies bei einer ersten Unterredung möglich war,« erwiderte der Regierungsrat, »es wird nun die Aufgabe der hiesigen Organe Eurer Majestät sein, die angebahnten Verbindungen weiterzuführen – ich habe Herrn Trabert gesagt –«

»Warten Sie einen Augenblick!« rief der König, die goldene Glocke bewegend, welche hier auf seinem Schreibtische stand, wie in seinem Kabinett zu Herrenhausen und im Hauptquartier zu Langensalza.

»Eine Zigarre!« rief er dem eintretenden Kammerdiener zu.

Dieser brachte in wenigen Augenblicken eine angebrannte Zigarre in einer langen hölzernen Spitze.

»Rufen Sie den Kronprinzen!« befahl der König, indem er einige lange Züge tat.

»Es war ein schönes Fest gestern, nicht wahr?« sprach er dann zum Regierungsrat Meding gewendet, »es hat mich tief ergriffen, alle diese treuen Hannoveraner um mich zu wissen, die im Unglück so innig an ihrem Königshause festhalten.«

»Ich habe bei meinem Toast«, fuhr er dann lachend fort, »ziemlich deutlich gesprochen, das wird in der Staatskanzlei wieder etwas Angst und Unruhe verursachen!«

»Euer Majestät waren in Ihrem Hause,« sagte der Regierungsrat Meding, »denn Sie hatten den Kursaal des Stadtparkes gemietet und befanden sich unter eingeladenen Gästen. Sie hatten also vollkommen das Recht, zu sagen, was Sie wollten.«

»Gewiß, gewiß,« rief der König, »und ich werde auch in diesem Sinne jede Bemerkung beantworten lassen, die Herr von Beust etwa machen könnte. Graf Platen wird freilich etwas Zuckungen bekommen,« fügte er hinzu, sich lebhaft die Hände reibend.

»Es ist in der Tat recht sehr zu bedauern,« erwiderte der Regierungsrat, »daß der Graf bei soviel Geschmeidigkeit in der Auffassung und bei soviel wirklich guten Herzenseigenschaften nicht ein wenig mehr Festigkeit in seinem Charakter hat.«

»Ja, ja,« sprach der König nach ernstem Nachdenken, »das ist sehr traurig, aber doch ist es kaum möglich, ihn zu ersetzen.«

»Daran dürfen Eure Majestät, glaube ich nach meiner untertänigsten Auffassung, gar nicht denken,« rief der Regierungsrat Meding lebhaft, »Graf Platen ist mit Allerhöchstihnen in das Exil gegangen, ihn zu entlassen, würde Euer Majestät dem gerechten Vorwurf der Undankbarkeit aussetzen.«

Der König neigte mehrmals nachdenklich das Haupt.

»Seine Königliche Hoheit der Kronprinz,« meldete der Kammerdiener, den Türflügel öffnend, und der Prinz Ernst August in dem Interimsrock der hannoverischen Gardehusarenuniform trat in das Kabinett. Er rauchte eine kurze Pfeife mit braunem Meerschaumkopf.

Der Prinz ging auf seinen Vater zu und küßte ihm die Hand.

Der König drückte die Lippen auf die Stirn seines Sohnes.

»Darf ich rauchen, Papa?« fragte der Prinz.

»Gewiß«, erwiderte der König – dann aber plötzlich die Nase rümpfend, rief er:

»Was um Gotteswillen rauchst du für schlechten Tabak, das ist ja ein entsetzlicher Geruch!«

»Ich finde ihn sehr gut, und er ist sehr wohlfeil«, erwiderte der Prinz ein wenig befremdet.

Der König bewegte lebhaft die Glocke.

»Mahlmann,« rief er dem eintretenden Kammerdiener zu, »geben Sie dem Kronprinzen eine von meinen Zigarren, und tragen Sie seine Pfeife hinaus!«

Nachdem der Befehl befolgt war, wendete sich Georg V. zum Regierungsrat Meding und forderte denselben auf, über seine Unterredung mit Herrn Trabert zu berichten.

Der Regierungsrat erzählte genau, was er mit dem hessischen Volksmann gesprochen hatte.

»Sie haben ganz und gar in meinem Sinne gesprochen,« rief Georg V., als der Vortrag geendet. »Ich erkenne vollkommen die Wichtigkeit einer Verbindung mit den wahren Vertretern des Volkes an, des Volkes, das ja in diesem Augenblick die einzige Stütze meiner gekränkten Rechte ist.«

»Sie werden uns nur schließlich betrügen,« sagte der Kronprinz, ein wenig mit der Zunge anstoßend, »man muß doch mit diesen Leuten sehr vorsichtig sein – es ist ihnen nicht zu trauen.«

»Ich höre aus den Worten Eurer Königlichen Hoheit die Besorgnis des Grafen Platen wiederklingen,« erwiderte der Regierungsrat, »ich meinerseits habe sehr hohe Achtung vor diesen Vertretern der Volksrechte und halte sie für durchaus ehrliche Leute, mit denen man freilich auch wieder ehrliches Spiel spielen muß.

»Würde es aber,« fuhr er mit leichtem Lächeln fort, »bei einer Verbindung mit der Demokratie jemals dahin kommen, daß es sich um gegenseitige Überlistung später handeln sollte, so bin ich in der Tat durchaus nicht geneigt, mich so ohne weiteres von vornherein für den dümmeren Teil zu halten und bestimmt anzunehmen, daß ich der Betrogene sein müsse.«

Der König lachte.

»Staatsminister Graf Platen«, meldete der Kammerdiener, und auf den Wink des Königs erschien der Minister im Kabinett.

»Ich habe Eurer Majestät wichtige und leider nicht erfreuliche Nachrichten mitzuteilen«, sagte er, mit tiefer Verneigung den König und den Kronprinzen begrüßend.

»Nun,« fragte der König, die Stirn runzelnd, »setzen Sie sich und erzählen Sie – ich bin die unangenehmen Nachrichten gewohnt,« fügte er seufzend hinzu.

»Euer Majestät erinnern sich,« sagte Graf Platen, einige Papiere aus seiner Tasche hervorziehend, »daß vor kurzem die zur Erhaltung der Legion notwendigen Summen an den Hauptmann von Hartwig gesendet wurden. Das Telegramm, welches ihn davon in Kenntnis setzte, ist auf eine unerklärliche Weise in die Hände der preußischen Regierung gekommen, und bereits spricht man in Berlin laut von einer Beschlagnahme des welfischen Vermögens. Ich glaube zwar nicht, daß man es wagen wird, mit einer solchen Maßregel vorzugehen –«

»Ich bin überzeugt, daß dies geschehen wird,« sagte der Regierungsrat Meding, »und ich möchte doch dringend raten, daß alle die Vermögensobjekte, welche sich noch in Hannover in den Händen des Herrn von Malortie befinden, schleunigst hierher beordert werden, damit sie bei der wohl in kurzem zu erwartenden Beschlagnahme nicht so gar bequem zur Hand liegen.«

»Dasselbe, Majestät,« sagte Graf Platen mit dem Ausdruck einer gewissen Verlegenheit, »befürwortet auf das Dringendste der geheime Finanzrat von Klenk, indem er darauf aufmerksam macht, wie wichtig für den Fall einer Beschlagnahme die noch in Hannover befindlichen Wertpapiere im Betrag von fast einer Million werden können. Ich kann indes,« fuhr er achselzuckend fort, »die Besorgnisse der Herren nicht vollständig teilen, man wird gewiß nicht so schnell mit der Beschlagnahme vorgehen, und Herr von Malortie würde sehr böse sein, wenn man jene Werte schnell und plötzlich seiner Verwaltung entziehen und hierherkommen lassen wollte –«

»Ich kann in der Tat nicht begreifen,« rief der Regierungsrat Meding lebhaft, »daß wegen eines bösen Blicks des Herrn von Malortie Seine Majestät der Gefahr ausgesetzt werden soll, fast eine Million zu verlieren, denn ich bin, wie ich wiederholen muß, fest überzeugt, daß, nachdem jene Depesche an die Legion bekannt geworden ist, die Beschlagnahme des Vermögens erfolgen, und zwar sehr schnell erfolgen wird.«

»Man könnte,« sagte Graf Platen, »Herrn von Malortie –«

»Schreiben Sie ihm auf der Stelle,« rief der König in bestimmtem Ton, indem er einen scharfen Atemzug durch die Zähne herausstieß, – »oder besser, schicken Sie ihm sofort eine vertraute Person mit dem Befehl, augenblicklich alle Wertpapiere, welche sich in seinen Händen befinden, hierher zu senden!«

»Zu Befehl, Majestät,« sagte Graf Platen, sich zusammenbiegend, – »Eure Majestät werden aber doch gewiß wollen, daß Herrn von Malortie so schonend als möglich geschrieben werde –«

»Gewiß, gewiß,« rief der König mit einem leichten Anflug von Ungeduld in der Stimme, »obgleich ich nicht recht einsehe, welche Schonung nötig sein soll, wenn ich meinem Diener gegenüber über mein Vermögen disponiere!«

»Dürfte ich Eure Majestät bei dieser Gelegenheit nochmals daran erinnern,« sagte der Regierungsrat Meding, »wie dringend notwendig es ist, daß in dem Verkehr mit der Emigration in Frankreich die äußerste Vorsicht beobachtet werde. Das Bekanntwerden der unglücklichen Depesche beweist, wie begründet meine Warnung war, – und wenn die Folgen davon überhaupt noch vermieden oder hinausgeschoben werden können, so ist das nur möglich, wenn von jetzt an wenigstens alles vermieden wird, was der Emigration den Charakter eines militärischen Korps geben kann. – Diese neueste Nachricht, Majestät,« fuhr er fort, »macht es übrigens für mich notwendig, meine Abreise keinen Augenblick aufzuschieben – ich bitte Eure Majestät, mich alleruntertänigst beurlauben zu dürfen, – ich möchte noch heute nachmittag die Rückreise nach Paris antreten.«

»Sie haben recht, – Sie haben ganz recht,« rief der König aufstehend – »Sie sind dort nötiger als hier, – Gott segne Sie, und geben Sie mir bald günstige Nachrichten von meinen armen Emigranten. – Bald werde ich Sie hoffentlich wieder hier sehen, – ich hoffe, Sie werden uns in Gmunden besuchen, wo wir den Sommer zubringen wollen, – die Bergluft wird Ihnen ebenfalls gut tun – also auf Wiedersehen, auf baldiges Wiedersehen!«

Er reichte dem Regierungsrat die Hand, die dieser an die Lippen führte.

Darauf verließ er mit dem Grafen Platen das Kabinett, während der König sich von dem Kronprinzen in sein Schlafzimmer führen ließ, um sich für den Empfang der einzelnen hannoverischen Festdeputationen ankleiden zu lassen.


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