Oskar Meding
Zwei Kaiserkronen
Oskar Meding

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Achtes Kapitel

»Sie kommen erwünscht, Marquis,« sagte der Kaiser, indem er seinem Minister die Hand reichte und ihn einlud, neben ihm Platz zu nehmen, – »ich habe Ernstes mit Ihnen zu sprechen – Sie werden zufrieden sein, wie ich hoffe –«

»Eure Majestät scheinen heiterer Stimmung zu sein,« sagte der Marquis, indem er einige Papiere aus seinem Portefeuille hervorzog, – »ich bedaure, daß ich in der Notwendigkeit bin, Eurer Majestät gute Laune durch eine Mitteilung zu stören, die ich soeben erhalten.«

Betroffen blickte Napoleon empor, sein Auge verschleierte sich, er stützte den Arm auf das Knie, neigte den Kopf zur Seite und sagte mit ruhiger Stimme:

»Sprechen Sie, Marquis, – je schneller man eine unangenehme Nachricht erhält, um so besser ist's – und Sie wissen, daß ich mich nicht zu leicht affizieren lasse. Mein Wahlspruch ist das Wort des großen römischen Dichters:

›Aequam memento rebus in arduis
Servare mentem – !«

»Es ist nicht,« sagte der Marquis lächelnd, »ein so arges Unglück, das ich Eurer Majestät mitzuteilen habe, – es ist nur wieder einer jener preußischen Schachzüge, durch welche man von Berlin aus alle unsere Kombinationen durchkreuzt.«

Das Gesicht des Kaisers drückte fast freudige Genugtuung aus.

»Nun?« – fragte er.

»Eure Majestät erinnern sich,« sagte der Marquis de Moustier, »daß die Ostbahngesellschaft die luxemburgische Wilhelmsbahn angekauft hat –«

»Gewiß, gewiß!« rief der Kaiser lebhaft, »es ist dies ja eine der vortrefflichsten Kombinationen, welche wir haben machen können, – durch den Vertrag, welchen wir unsererseits wieder mit der Ostbahngesellschaft abgeschlossen haben, ist eine Frankreich ausschließlich zur Verfügung stehende strategische Bahnlinie nach Deutschland geschaffen, welche von größter Wichtigkeit werden muß –«

»Diese Wichtigkeit, Sire,« sagte der Marquis, »hat man auch, wie es scheint, in Berlin erkannt –«

»Oh!« fiel der Kaiser ein, »man ist sehr scharfblickend dort, – sollte man es gewagt haben, darüber Vorstellungen zu machen,« fuhr er mit voller Stimme fort, – »über eine reine Privatangelegenheit zwischen zwei Eisenbahngesellschaften?«

»Das nicht, Sire,« erwiderte der Marquis, – »indes hat der Staatsrat in Luxemburg die Bestätigung der Übereinkunft zwischen der Wilhelm-Luxemburgbahn und der Ostbahn verweigert, da er internationale Verwicklungen befürchtet. – Zugleich berichtet die Gesandtschaft im Haag, daß jene Befürchtungen des Staatsrats veranlaßt seien durch Bemerkungen des preußischen Vertreters an den Minister des Auswärtigen von Holland, und auch Benedetti schreibt ähnliches aus Berlin.«

»Hat Graf Bismarck ihm etwas über diesen Punkt gesagt?« fragte der Kaiser lebhaft.

»Das nicht,« erwiderte der Minister, »indes glaubt Benedetti nach hingeworfenen Äußerungen in politischen Kreisen, sowie nach einzelnen Notizen und Artikeln der Journale annehmen zu sollen, daß von Preußen aus sehr bestimmte und ernste Erklärungen über den Gegenstand in Holland abgegeben worden sind –«

»Es ist wunderbar,« sagte der Kaiser lächelnd, »hinter welchen Proteusgestalten sich diese große Frage der europäischen Zukunft verbirgt. – Da sind zwei einfache Eisenbahngesellschaften, welche einen einfachen Kaufvertrag abschließen, und hinter diesen Gesellschaften stehen die beiden stärksten Militärmächte Europas, jede weiß, daß die andere ihr gegenübersteht – aber die Welt sieht die furchtbaren Gewalten nicht, welche da hinter so harmlosen Dingen gegeneinanderrücken – erinnert das nicht an jene alten Götter des Olymps, welche auf den Gefilden von Troja in Wolken gehüllt in den Reihen der Streitenden standen, von den Völkern ungesehen, nur sich selbst gegenseitig erkennbar?« –

Der Marquis verneigte sich.

»Jene Götter, Sire,« sagte er, »schleuderten aber aus ihren Wolken heraus ihre Speere, und wenn das Volk sie nicht sah, so fühlte es doch ihre Macht, ihre Anwesenheit –«

»Nun,« sagte der Kaiser, immer mit demselben Ausdruck auf seinem Gesicht – »auch unsere Macht und unsere Anwesenheit soll man fühlen!«

Der Marquis blickte erstaunt auf.

»Der Gesandte im Haag,« sprach er, »bittet um Instruktionen über die von ihm zu beobachtende Haltung und die Sprache, welche er etwa zu führen habe.«

»Wir können,« sagte der Kaiser, nachdenklich den Schnurrbart streichend, »nicht so ohne weiteres aus unserer Wolke heraustreten – das würde unser Spiel dekouvrieren –« Er schwieg einen Augenblick.

»Hat man der Ostbahn bereits Mitteilung über die verweigerte Genehmigung gemacht?«

»Ich zweifle daran nicht,« sagte der Marquis.

»Lassen Sie,« sagte der Kaiser, »sofort darüber Erkundigungen einziehen, veranlassen Sie die Direktion der Ostbahn, die Unterstützung meiner Regierung zur Durchführung des von ihr geschlossenen Kaufvertrages zu erbitten.«

»Und Eure Majestät wollen – –«

»Ich will,« sagte der Kaiser mit festem Ton, »mit voller Energie für ein französisches Verkehrsinteresse eintreten und eine ernste Intervention der holländischen Regierung gegenüber eintreten lassen.«

»Wenn aber dann,« fragte der Marquis, »die preußische Regierung die Maske abwirft und bei der holländischen Regierung im Namen Deutschlands im entgegengesetzten Sinn interpelliert – wenn dann die beiden Götter angesichts der Welt aus ihren Wolken heraustreten –«

»Dann,« rief der Kaiser, »mag es versucht sein, in welche Schale der Wage des ewigen Fatums das Los des Sieges fallen wird!«

Der Marquis zuckte fast erschrocken zusammen. Ein heller Strahl der Freude erleuchtete sein blasses Gesicht.

– »Oder glauben Sie nicht,« fuhr der Kaiser fort, »daß es ein vortrefflicher Grund zur Aufnahme des Kampfes sein würde, wenn Preußen Einspruch erhebt gegen den Abschluß eines rein privaten Vertrages, der dem französischen Verkehr hochwichtig und nützlich ist, und wenn ich dann, um jenes nationale Interesse Frankreichs zu schützen, ohne jeden politischen Hintergedanken die Waffen ergreife?«

»Eure Majestät sind also entschlossen, die Waffen zu ergreifen?« fragte der Marquis hoch aufatmend.

Der Kaiser richtete den Kopf empor. Ein Strahl jugendlichen Feuers erleuchtete seine Züge.

»Die Waffen sind geschliffen,« sagte er mit tönender Stimme, – »das Schwert Frankreichs, das vor zwei Jahren stumpf war, blitzt jetzt schneidend in meiner Hand – und ich habe die Pflicht gegen meinen Namen und gegen die Ehre der Nation, es zu schwingen zum entscheidenden Kampf. An der Diplomatie ist es jetzt, die Akten der großen Streitfragen für das Endurteil des Krieges spruchreif zu stellen.«

»Wir haben fast in jeder europäischen Frage einen casus belli in der Hand, wie er besser nicht geschaffen werden kann,« – sagte der Marquis de Moustier lebhaft, – »der Prager Frieden bietet uns die nordschleswigsche Sache, – die Militärverträge mit den Süddeutschen, – außerdem gibt diese luxemburgische Eisenbahnfrage die vortrefflichste Gelegenheit –«

»Ich würde diese letztere vorziehen,« fiel der Kaiser ein, – »sie berührt nicht die deutschen Angelegenheiten unmittelbar, und es würde zugleich die gebieterisch unwiderstehliche Stimme Frankreichs in derselben Sache mit alter voller Kraft ertönen, in welcher wir im vorigen Jahre durch die Klugheit zu einem teilweisen Rückzug gezwungen waren, – doch,« fuhr er dann fort, – »Sie haben recht, – der casus belli bedarf keiner Vorbereitung, – wohl aber die Frage der Allianzen –«

»Wenn Eure Majestät wirklich zu ernstem Handeln entschlossen sind,« sagte der Marquis de Moustier, »so scheint zunächst die österreichische Allianz vollkommen sicher zu sein –«

»Österreich?« – rief der Kaiser mit einer leichten Handbewegung – »Österreich? – glauben Sie denn, daß Österreich irgend einen Allianzvertrag schließen wird, – und daß seine Allianz von irgend einem Nutzen sein könne?« –

– »Ich habe es eine Zeitlang auch geglaubt,« fuhr er nach einer kurzen Pause fort, – »ich habe daran gedacht, in Verbindung mit dem regenerierten Österreich in die Aktion zu treten, – aber, mein lieber Marquis, – ich überzeuge mich mehr und mehr davon, daß dieses Österreich nicht regenerationsfähig ist, – und daß dieser Herr von Beust ganz gewiß nicht der Mann ist, um die alte habsburgische Monarchie wieder auf den ihr gebührenden Platz in Europa zu heben.«

»Man hat da,« – sprach er, »einen künstlichen parlamentarischen Mechanismus geschaffen, in welchem die einzelnen Kräfte sich gegenseitig hemmen und lähmen, – statt daß man sie verbinden und zur gegenseitigen Ergänzung entwickeln sollte, – man hat ein österreichisches und ein ungarisches Parlament geschaffen und über dasselbe wieder einen parlamentarischen Körper gestellt, der sich aus Delegierten jener beiden Parlamente zusammensetzt. Jeder Streit – und streiten wird man sich fortwährend – wird also in die höhere Instanz hinübergetragen und zwischen den Delegierten wiederum weitergeführt werden. Dadurch wird die Verfassungsfrage in Österreich stets offen gehalten werden, – und wenn die Verfassung eines Staates in Frage steht, – wie soll man da verwalten, – wie soll man handeln?

»Nein, mein lieber Marquis,« fuhr er achselzuckend fort, – »die Allianz mit Österreich ist es nicht, worin ich eine Verstärkung unserer Kräfte für den bevorstehenden Kampf suchen will, – Österreich wird schon durch die Verhältnisse gezwungen werden, bis zu einem gewissen Punkt uns nützlich zu sein, – es muß jede weitere Vergrößerung Preußens auf das äußerste fürchten, – und wenn ein erster Erfolg von uns errungen ist – – –«

Er schwieg einen Augenblick, während der Marquis mit äußerster Spannung auf seine Worte wartete.

»Es ist überhaupt,« sprach der Kaiser weiter, »weniger eine positive Unterstützung, die ich suche, – wenn die beiden eigentlichen Gegner allein auf dem Terrain stehen,« sagte er, die Spitzen seines Schnurrbarts emporkräuselnd, – »dann wollen wir unserer Armee und dem Stern Frankreichs vertrauen, – aber wir müssen eben den Gegner isolieren, – wir müssen um jeden Preis verhindern, daß er sich durch Kräfte verstärke, welche an sich vielleicht nicht bedeutend, doch im Augenblick so ernster Entscheidungen uns in hohem Grade gefährlich werden könnten.«

»Eure Majestät denken an Italien,« – sagte der Marquis, – »glauben Sie, Sire, daß man dort wagen würde –«

»Man wird alles wagen,« sagte der Kaiser ruhig, – »um die extremste Forderung der nationalen Einheit durchzusetzen – hat man doch selbst die Bomben Orsinis nicht verschmäht!« – sagte er leise mit düsterem Blick, – »dieser nationalen Einheit, die ich vielleicht mit Unrecht begründet habe, – Sie wissen, welche Mühe ich mir gegeben habe, um die Koalition mit Österreich und Italien herzustellen, – denn mit Italien wäre Österreichs Bündnis etwas wert gewesen, – aber seit Mentana ist das alles unmöglich, dieser Zug Garibaldis im vorigen Herbst hat alle meine Pläne zerstört – bei den besten Gesinnungen des Königs Viktor Emanuel wird Italien doch jede Gelegenheit benutzen, sobald wir engagiert sind, – Rom zu nehmen – und uns nach dieser Seite hin Sicherheit zu schaffen, muß die Aufgabe der Diplomatie zur Vorbereitung der militärischen Aktion sein.«

Eine leichte Unruhe zeigte sich auf dem bleichen Gesicht des Marquis de Moustier.

»Eure Majestät denken an eine Transaktion mit Italien in betreff Roms?« fragte er ein wenig zögernd.

Napoleon lächelte. Er schlug das Auge auf und sah den Minister mit einem eigentümlichen Blick an.

»Mein lieber Marquis,« sagte er langsam und mit Betonung, – »ich habe nicht den Einfluß Österreichs in Italien bei Solferino gebrochen, um demnächst denjenigen Frankreichs aufzugeben, für welchen schon seit den Zeiten Franz des Ersten so viel französisches Blut geflossen ist.«

Der Marquis atmete auf.

»Niemals,« sagte der Kaiser mit fester Stimme, – »niemals werde ich Rom aufgeben. Rom ist für mich nicht nur die Bedingung der Freundschaft der katholischen Kirche, dieser Macht, welcher die Frauen Frankreichs gehorchen, und welche dadurch immer wieder die französische Nation beherrschen wird, – Rom ist für mich der Schwerpunkt des französischen Einflusses in Italien, – dieses berechtigten Einflusses des ersten Volkes der lateinischen Rasse. Rom also«, fuhr er fort, – »werde ich nicht aufgeben, – aber es wird unsere Kraft in empfindlicher Weise hemmen, wenn ich es halten soll, während wir nach anderer Seite so ernstlich engagiert sind. – Jetzt genügt eine unbedeutende Besatzung in Rom, – die französische Fahne mit einem Bataillon würde genügen, weil man weiß, daß die ganze Macht Frankreichs dahintersteht, – wenn aber diese Macht in einen furchtbaren Kampf verwickelt ist, – wenn vielleicht einzelne – vorübergehende Mißerfolge –« Der Marquis lächelte ungläubig.

»Selbst im Falle fortwährender Siege,« fuhr der Kaiser fort, – »würde eine Besatzung wie die gegenwärtige nicht genügen, um Rom zu decken, – wir müßten eine Truppenzahl disponibel halten, welche es nötigenfalls mit den italienischen Armeen aufnehmen könnte, – und Sie begreifen, um wie viel dadurch unsere Aktionsfähigkeit gegen Deutschland geschwächt werden würde, – wie wenig wir besonders auf Süddeutschland rechnen könnten, wenn Italien feindlich gegen uns in die Schranken träte.«

Er hielt inne.

Der Marquis sah ihn gespannt an.

Der Kaiser blickte einen Augenblick sinnend zu Boden.

»Glauben Sie,« sagte er dann, – »daß die spanischen Truppen es mit den italienischen aufnehmen können?«

Ein Blick des Verständnisses blitzte aus dem dunkeln, scharfblickenden Auge des Marquis de Mousier.

»Sire,« sagte er, »der spanische Soldat besitzt große Tapferkeit, – zähe Ausdauer und eine bewundernswürdige Genügsamkeit, – gut geführt, müßten diese Truppen vortrefflich sein gegen das so viel untergeordnete italienische Material – besonders wenn es einer dem spanischen Gefühl sympathischen Sache gälte –«

»Und glauben Sie, daß der Schutz des heiligen Stuhles die Spanier begeistern könnte –«

»Gewiß, Sire, – denn wenn Spanien nicht mehr monarchisch ist, wie in alter Zeit, so ist es doch noch fast ebenso katholisch, als in den Tagen Ferdinands und Isabellas –«

»Isabellas,« – sagte der Kaiser leicht lächelnd, – »nun, – eine Isabella sitzt ja wieder aus dem spanischen Thron, und wenn sie auch nicht ganz ihrer großen Vorgängerin gleicht; so ist sie doch gewiß ebenso katholisch als jene. Mit einem Worte, mein lieber Marquis,« fuhr er fort, – »will ich Ihnen meinen Plan mitteilen, – ich denke an eine ernste, feste Allianz mit Spanien zum Schutze des heiligen Vaters, – die Truppen der Königin Isabella sollen Rom besetzen, während ich gegen Preußen marschiere, – wenn dann Italien schlagen will, so mögen jene beiden lateinischen Nationen zweiten Ranges sich miteinander messen, – jedenfalls wird meine ganze Macht frei, und schwerlich dürfte dort eine Entscheidung erfolgen, bevor der Kampf in Deutschland beendet ist. – Uns wird es dann später immer leicht werden, die Stellung wieder einzunehmen, die wir für einige Zeit aufgegeben haben, um sie durch Spanien für uns frei halten zu lassen.«

»Und glauben Eure Majestät,« fragte der Marquis, – »daß Ihre Ideen, – die ich auf das höchste bewundere, – in Madrid gute Aufnahme finden werden? –«

Der Kaiser warf einen schnellen Blick auf seinen Minister – dann strich er mit der Hand über den Knebelbart und sprach in fast gleichgültigem Ton:

»Die Kaiserin steht in Korrespondenz mit der Königin Isabella, – ich weiß, daß die Königin von dem eifrigsten Wunsche beseelt ist, – auch ihrerseits etwas für den Papst und die Unabhängigkeit des heiligen Stuhles tun zu können – sie würde mit Empressement die Gelegenheit ergreifen, um ihren Gesinnungen tätigen Ausdruck zu verleihen – außerdem würde ihr dadurch die Möglichkeit gegeben werden, etwas für die italienischen Bourbons zu tun, – denn wenn einmal ein Kampf zwischen Italien und Spanien ausbricht, und wenn Italien unterliegt, so würde man vielleicht bei der bloßen Verteidigung des römischen Gebietes nicht stehen bleiben. – Es macht sich da, wie es scheint, eine noch engere Verbindung der beiden Linien, – der Graf von Girgenti ist zum Gemahl der Infantin Isabella ersehen, – wie mir die Kaiserin sagt, – und um so mehr würde die Königin erfreut sein, wenn sich ihr die Gelegenheit böte, etwas für die Wiederaufrichtung des neapolitanischen Thrones zu tun.«

»Eure Majestät sehen mich erstaunt darüber,« sagte der Marquis mit dem Tone einer leichten Verstimmung, »wie vortrefflich die erlauchten Damen der Diplomatie vorgearbeitet haben, welcher fast nichts mehr zu tun übrig bleibt; – würden denn aber«, fuhr er fort, – »Eure Majestät damit einverstanden sein, wenn unter Umständen die Dinge so weit gingen, daß das Gebäude der italienischen Einheit wieder zusammenbräche – ?«

»Finden Sie,« fragte Napoleon, – »daß ich und Frankreich besonderen Dank geerntet haben für unsere Mitwirkung bei der Aufrichtung jenes Gebäudes?«

»Wahrlich nicht, Sire,« rief der Marquis, – »ich bin überzeugt, daß, wenn die Gelegenheit sich böte, Italien nicht zögern würde, uns alle erdenklichen Übel zuzufügen –«

»Nun also,« sagte Napoleon lächelnd, – »überlassen wir die Entwicklung dort sich selbst, – und wenn sie den Weg rückwärts nehmen will – che bien – Italia fara da se.

»Doch nun,« fuhr er fort, – »handelt es sich darum, das Werk auszuführen, welches Sie mit mir für zweckmäßig zur Wiederherstellung der vollen Macht Frankreichs in Europa halten. Die vortrefflichsten Dispositionen der Königin Isabella sind sehr wichtig und sehr nützlich, – indes wird es darauf ankommen, den Ansichten der Königin bei ihren Ministern Eingang zu schaffen, und ich fürchte, weder die Rücksicht auf den heiligen Vater, noch die bourbonischen Familieninteressen möchten bei jenen Herren maßgebend sein.«

»Diese Aufgabe«, sagte er verbindlich, »bleibt Ihnen, mein lieber Marquis – und«, fügte er mit Würde und Hoheit hinzu, – »seien Sie überzeugt, – ich werde Ihren Eifer und Ihre Geschicklichkeit, die gewiß von Erfolg gekrönt sein werden, anzuerkennen wissen.«

Der Marquis verneigte sich.

»Ich werde sogleich mit Herrn Mon über die Sache sprechen,« sagte er, – »erlauben Eure Majestät, daß ich den Grafen Chaudordy, der in Madrid die Geschäfte der Botschaft führt, instruiere?«

»Er ist geschickt und verschwiegen?« fragte der Kaiser.

»Der Graf Chaudordy ist einer der Tüchtigsten und Bedeutendsten unter der jüngeren Diplomatie,« erwiderte der Minister, – »Herr Drouyn de Lhuys hatte großes Vertrauen zu ihm, er wird ohne Zweifel noch ausgezeichnete Dienste leisten.«

»So weihen Sie ihn vollständig in meine Ideen ein, – ein Unterhändler kann nur dann reüssieren, wenn er den letzten Zweck kennt, den er erreichen soll.«

Er dachte einen Augenblick nach.

»Bravo Murillo,« sagte er dann, »wird gewiß sehr zufrieden sein, eine Gelegenheit zu finden, um sich den unsicheren Zuständen im Innern gegenüber die Freundschaft Frankreichs zu sichern und die katholischen Elemente des Landes vollständig an sich zu ketten. Man muß ihm in dieser Richtung eine feste Unterstützung versprechen, – außerdem aber muß man die ewig wunde Stelle Spaniens, die Frage von Kuba benutzen, – versprechen Sie in dieser Beziehung unsern nachdrücklichsten Schutz der spanischen Interessen, – diese Rücksichten – und die Abhängigkeit, in welcher sich das innerlich ziemlich schwache Kabinett doch von der Königin befindet, werden genügen, um eine wirksame Pression auszuüben.«

– »Die hoffentlich bald zur vollständigen Realisierung der Ideen Eurer Majestät führen wird.«

»Halt,« sagte der Kaiser nach einem augenblicklichen Nachdenken, wie von einer plötzlichen Idee erfaßt, – »man ist in Madrid nicht ohne Besorgnis über die Umtriebe des Herzogs von Montpensier, die mit den orleanistischen Elementen hier in Frankreich in Zusammenhang stehen, – ich weiß, daß die Königin ihrem Schwager sehr mißtraut, – man muß auch das benutzen. – Bravo Murillo hat das höchste Interesse, eine solche Bewegung zu fürchten, stellen Sie ihm eine scharfe Überwachung der hierher laufenden Fäden in Aussicht, – Chaudordy war mit Drouyn de Lhuys sehr liiert?« fragte er, sich unterbrechend.

»Der Graf Chaudordy ist vor allem der Sache der katholischen Kirche sehr ergeben und wird in dieser Angelegenheit ohne Zweifel seinen ganzen Eifer aufbieten,« erwiderte der Marquis.

Der Kaiser nickte langsam mit dem Kopf.

»Also, mein lieber Marquis,« sagte er, – »behandeln Sie diese Negoziation mit Ihrer gewohnten Geschicklichkeit und Energie – und denken Sie daran, daß im September alles zum Beginn der Aktion fertig sein muß.«

Der Marquis verneigte sich.

»Zugleich«, sprach der Kaiser weiter, »halten Sie in der luxemburgischen Eisenbahnfrage wie in den mit dem Prager Frieden zusammenhängenden Angelegenheiten alles offen, so daß wir um einen Kriegsfall nicht in Verlegenheit sind, – und«, – fügte er hinzu, – »suchen Sie die besten Beziehungen zu Rußland zu erhalten, – ich glaube zwar nicht, daß es jemals gelingen kann, diese Macht von Preußen zu trennen, – allein es ist immer gut, Alles anzuwenden, um wenigstens ihre Kooperation an der preußischen Politik auf das geringste Maß zu beschränken, – man muß dem Petersburger Kabinett immer die Möglichkeit zeigen, seine Wünsche im Orient auch ohne Deutschland mit unserer Unterstützung erreichen zu können, – aber natürlich dürfen wir uns in keiner Weise binden –«

»Seine Exzellenz der Staatsminister bittet Eure Majestät um Audienz«, meldete Felix, des Kaisers Kammerdiener.

»Eure Majestät dürfen überzeugt sein, daß ich nach allen Richtungen mit Eifer die Ausführung Ihrer Ideen vorbereiten werde«, sagte der Marquis de Moustier, indem er seine Mappe ergriff und sich zum Gehen anschickte.

Der Kaiser winkte dem Kammerdiener und entließ den Marquis mit freundlichem Gruße, indem er ihn einige Schritte zur Tür hin begleitete und ihm sagte:

»Ich hoffe bald von dem Resultat Ihrer Tätigkeit zu hören.«

Kaum hatte der Minister der auswärtigen Angelegenheiten das Kabinett verlassen, als Herr Rouher eintrat.

Die große, volle Gestalt dieses unermüdlichen Arbeiters und Redners hatte eine gewisse würdevolle Sicherheit in ihrer Haltung, die gleichwohl jeder vornehmen Eleganz entbehrte.

Sein etwas aufgedunsenes Gesicht hatte einen Zug von klarer und scharfer Intelligenz um Mund und Augen, wenn es auch mehr den Advokaten hätte vermuten lassen, als den dirigierenden Minister, – der gewöhnlich in seinen Zügen liegende Ausdruck von fast herausforderndem Selbstbewußtsein war in diesem Augenblick vollkommen verschwunden, und eine beinahe schüchterne Befangenheit drückte sich in seinen Mienen aus.

Er ergriff ehrerbietig des Kaisers dargereichte Hand und setzte sich dann auf dessen Wink ihm gegenüber.

»Ich komme,« begann er, den Blick seines scharfen Auges forschend auf das völlig ruhige und gleichgültige Gesicht Napoleons richtend, – »ich komme, um Eurer Majestät Zustimmung zu einer wichtigen Maßregel zu erbitten, die mir im Interesse der öffentlichen Sicherheit geboten erscheint.«

Der Kaiser neigte den Kopf ein wenig auf die Seite, ohne durch eine Bewegung seines Gesichtes Spannung oder Neugier zu verraten.

»Eure Majestät haben sich stets lebhaft für die Bestrebungen der Arbeiter zur Verbesserung ihrer Lage interessiert«, fuhr der Staatsminister fort, – »und insbesondere auch die internationale Assoziation Ihrer Teilnahme und ihres Wohlwollens gewürdigt.«

»Ich finde,« sagte der Kaiser ruhig, »daß diese Leute vollkommen das Recht haben, für ihre Interessen zu arbeiten, wie jeder Mensch und jeder Stand für die Seinigen arbeitet, – um so mehr, als ihre Lage in der Tat eine ungünstige ist.«

»Niemand kann mehr das sympathische Interesse teilen, welches Eure Majestät für die Bestrebungen der Arbeiter haben, als ich,« sagte der Staatsminister, – »ich habe es ja sogar versucht, mich persönlich mit ihren Führern in Verbindung zu setzen, – doch lehnten sie, wie Eurer Majestät bekannt, – damals jede Beziehung mit der Regierung ab –«

»Doch aber,« fiel der Kaiser ein, »leisteten sie bei Gelegenheit der Unruhen der Weber von Roubaix sehr erhebliche Dienste –«

»Die von der Regierung durch einen stillschweigend ihnen gewährten Schutz belohnt sind,« sagte Herr Rouher, – »immer in der Hoffnung, daß die Internationale ihren Einfluß auf die Massen zur Bekämpfung jener alles zersetzenden Agitatoren der politisch-sozialen roten Republik anwenden würden, – wie man das nach den Gesinnungen ihrer Führer zu erwarten berechtigt war.«

Der Kaiser drehte schweigend seinen Schnurrbart.

»Nun aber«, fuhr der Staatsminister fort, – »begibt sich die Internationale auf einen neuen und gefährlichen Weg, von welchem sie zurückgeschreckt werden muß. Auf dem Kongreß zu Lausanne ist ein Antrag gestellt und angenommen, daß die Internationale mit der republikanischen Bewegung der Zeit in Verbindung gebracht werden solle.«

»Und jene Führer der Internationale, der ruhige, idealistische Tolain, – der nachdenkliche Fribourg haben dem zugestimmt?« fragte der Kaiser.

»Sie sind überstimmt worden,« antwortete Herr Rouher, – »aber sie haben sich der Majorität gefügt, – und seitdem in jenem Sinne gehandelt. Jetzt stehen sie mit den politischen Agitatoren der roten Republik in Verbindung – sie haben teil genommen an dem Bankett, welches man dem verwundeten Garibaldiner Combatz gab, – sie haben ihre Rolle gespielt bei dem Leichenbegängnis Daniel Manins –«

»Glauben Sie,« fragte der Kaiser, lächelnd den Kopf schüttelnd, »daß diese Demonstrationen eine ernste Bedeutung haben?«

»Die Internationale führt den Phraseurs, welche sonst bedeutungslose Worte machen würden, die Massen zu, welche mehr und mehr erhitzt werden,« erwiderte der Staatsminister, »und darin sehe ich, wenn es fortgesetzt wird, eine ernste Gefahr, – auch haben die Führer der Internationale eine Konferenz mit Jules Favre gehabt, um ihn zu veranlassen, sein Mandat niederzulegen und die römische Frage vor die Wähler zu bringen.«

»Des Kaisers Stirn faltete sich. Er blickte gespannt zu dem Minister hinüber.

»Zwar hat Jules Favre die Niederlegung seines Mandats abgelehnt –« fuhr Rouher fort.

Der Kaiser lächelte.

»Er geht sicher«, sagte er.

»Dennoch«, sprach der Staatsminister weiter, – »ist es notwendig, den Faden zu zerschneiden, welcher die Internationale mit den politischen Agitatoren verbindet, – denn wenn auch diese Verbindung jetzt noch eine sehr lose ist, so kann sie doch im Augenblick ernster politischer Aufregung sehr gefährlich werden. – Ich habe,« fuhr er, einen fast scheuen Blick auf den Kaiser werfend fort »das Bureau der Internationalen in der Rue des Gravilliers aufheben lassen und dann die ausgedehntesten Korrespondenzen mit den rührigsten Agitatoren gefunden.«

Er zog einige Papiere aus seiner Tasche.

»Ich habe Eurer Majestät die hier kompromittierendsten Schriftstücke mitgebracht,« – fuhr er fort, – »Schreiben von Cäsar de Paëpe–«

»Dem Feinde des Privateigentums?« fragte der Kaiser.

»Demselben, Sire,« sagte Herr Rouher, – »ferner von Hertzen, – von Ogareff, – es ist eine weitverzweigte Verschwörung, welche den Umsturz alles Bestehenden in ganz Europa erstrebt –«

»Phantasten – Phantasten,« – sagte der Kaiser achselzuckend, – »Aufhebung des Privateigentums! – das heißt der menschlichen Natur den Krieg erklären, – das heißt, die mächtigste Eigenschaft des Menschen, den Eigennutz, außer der Berechnung zu lassen.«

»Es scheint mir nötig,« sprach Herr Rouher weiter, ohne auf die Bemerkung des Kaisers zu erwidern, »die Internationale von der politischen Agitation zu trennen, und ich glaube, wenn man den Führern der Arbeiterassoziation deutlich die Gefahren zeigt, denen sie sich aussetzen, indem sie sich mit der politischen Revolution verbinden, daß Tolain, Fribourg und die ersten Begründer der Internationale sehr zufrieden damit sein werden, wenn man ihnen hilft, ihre Verbindung mit den Agitatoren zu lösen und den Arbeitern den Beweis zu liefern, wohin eine solche führen muß.«

»Und wie wollen Sie dahin gelangen?« fragte der Kaiser.

»Man muß sie vor Gericht stellen,« – erwiderte Rouher, »und ihnen zeigen, daß sie keinen gesetzlichen Bestand in Frankreich haben –«

»Aber man hat sie bis jetzt bestehen lassen«, – warf der Kaiser ein. »Es wird nichts im Wege stehen,« erwiderte der Staatsminister, »sie auch ferner bestehen zu lassen, wenn sie sich von der politischen Revolution trennen, sobald nur einmal durch ein Erkenntnis der Gerichte festgestellt ist, daß sie gesetzlich kein Recht der Existenz haben.«

»Aber worauf hin wollen Sie sie anklagen lassen?« fragte Napoleon.

»Als Mitglieder einer geheimen Gesellschaft«, erwiderte Herr Rouher.

»Geheime Gesellschaft?« rief der Kaiser, – »unmöglich, jedermann kennt ihre Existenz und Sie selbst, mein lieber Minister, haben mit ihnen verkehrt, – unmöglich.«

Der Staatsminister schwieg betroffen.

»Man kann auch die Anklage gegen sie erheben als Mitglieder einer gesetzlich nicht erlaubten Gesellschaft –« sagte er.

»Die Welt wird fragen, warum so spät?« sagte der Kaiser.

»Lassen Sie mir die Papiere hier, welche man im Bureau der Internationale gefunden,« fuhr er dann fort, – »ich werde sie prüfen und Ihnen meine Meinung sagen.«

Napoleon hatte dies in einem Ton gesprochen, welcher den Staatsminister verstehen ließ, daß in diesem Augenblick die Angelegenheit nicht weiter erörtert werden dürfe.

Er reichte dem Kaiser die Papiere, welche dieser auf seinen Schreibtisch legte.

»Ich erlaube mir noch, Eure Majestät darauf aufmerksam zu machen, daß Michael Bakunin hier ist und in der letzten Sitzung der Internationale sehr aufregende Reden gehalten hat. Ihn auszuliefern, wäre unwürdig und bedenklich, – sein Aufenthalt hier aber ist gefährlich und würde auch von der russischen Regierung sehr übel vermerkt werden, – ich würde Eurer Majestät Erlaubnis erbitten, ihn aufheben und über die Grenze bringen zu lassen.«

»Michael Bakunin? – der Nihilist par excellence?« sagte der Kaiser, ohne besondere Überraschung zu verraten, – »gut, – lassen Sie ihn fortbringen – und sorgen Sie dafür, daß diese Maßregel der russischen Regierung als eine besondere Rücksicht und Aufmerksamkeit gegen sie zur Kenntnis gebracht werde.«

»Seine Kaiserliche Hoheit der Prinz Napoleon,« rief der Kammerdiener, »bittet Eure Majestät einen Augenblick um Gehör.«

»Wir sind mit unsern Angelegenheiten fertig, nicht wahr?« fragte der Kaiser den Minister, indem er mit einem leichten Seufzer sich erhob.

Der Staatsminister verneigte sich, und auf den Wink des Kaisers öffnete Felix den Flügel der Eingangstür. Herr Rouher verneigte sich ehrfurchtsvoll vor dem Kaiser, der ihm die Hand reichte, und erwiderte dann mit gemessener Würde den flüchtigen Gruß des Prinzen, der, rasch eintretend, seinem kaiserlichen Vetter entgegeneilte.

Es war kaum möglich, einen größeren Kontrast zu finden, als ihn die Erscheinung des Kaisers und seines Vetters bildete. Die unsichere, etwas schwankende Haltung des Kaisers stand im scharfen Gegensatz zu der vollen, starken Gestalt des Prinzen. Die phlegmatische Ruhe in den Gesichtszügen des Kaisers, seine müden, verschleierten Augen, sein starker militärischer Bart stachen merkwürdig ab gegen das bewegliche Mienenspiel des glatten Gesichts seines Vetters mit den dunkeln, lebhaft und beinahe unstät umherblickenden Augen. Das Gesicht des Prinzen zeigte eine frappante Ähnlichkeit mit Napoleon I., eine Ähnlichkeit, die früher noch hervortretender gewesen, bevor der Prinz so stark geworden, als es in der letzten Zeit der Fall war. Nur fehlte diesem Gesicht die antike marmorne Ruhe, welche dem Kopfe des großen Imperators etwas so wunderbar Imponierendes gibt, – es war, als sähe man die Kopie eines Kopfes von Raphael, von einem geringeren Maler gemalt. Der Prinz trug einen schwarzen Morgenüberrock, – den Hut in der Hand.

Als der Staatsminister das Kabinett verlassen, lud der Kaiser seinen Vetter ein, sich neben ihn zu setzen, und sprach mit jener gewinnenden Freundlichkeit, welche ihm so sehr zu Gebot stand, und welche die Franzosen so sehr treffend politesse du coeur nennen:

»Was bringst du, mein Vetter? – ich hoffe, daß es ein Wunsch ist, den ich zu erfüllen imstande bin, damit ich die Freude habe, dir einen Dienst zu leisten.«

»Ich danke Eurer Majestät für Ihre gnädigen Intentionen,« erwiderte der Prinz in einem zeremoniellen Ton, – »es ist keine persönliche Bitte, die mich zu Ihnen führt, sondern nur der Wunsch, Ihnen meine Meinung über eine Sache zu sagen, welche, wie ich glaube, von der höchsten Wichtigkeit für Frankreich und für unsere Dynastie ist.«

Der Kaiser lächelte.

»Du sprichst in so feierlichem Tone,« sagte er, »daß es sich in der Tat um etwas Ernstes handeln muß. – Ich fürchte, daß meine Politik schon wieder nicht deinen Beifall gefunden hatte.«

»Ich komme nicht zu dem Vetter,« erwiderte der Prinz, »sondern zu dem Souverän meines Landes, und zu demjenigen, welchem die Vorsehung die Geschicke unserer Familie anvertraut hat, weil ich sehe, daß man im Begriff steht, einen falschen und gefährlichen Schritt zu tun, – und die Anwesenheit des Herrn Rouher, der soeben fortging, läßt mich fast fürchten, daß ich zu spät komme.«

Der Kaiser neigte leicht den Kopf auf die Seite, strich den Schnurrbart langsam in die Höhe und sagte ruhig:

»Ein guter Rat kommt nie zu spät, – ich bin, wie du weißt, stets bereit, zu hören und zu prüfen, was man mir sagt.«

»Du weißt,« rief der Prinz lebhaft, den gezwungen feierlichen Ton seiner ersten Anrede vollständig aufgebend, – »Du weißt, wie lebhaft ich mich für die Arbeiterassoziation interessiere, – und für wie nützlich ich diese Leute halte, die uns so große Dienste zu leisten imstande sind –«

»Du kannst dich nicht mehr für sie interessieren, als ich das tue,« sagte der Kaiser, – »auch ich erblicke in ihnen wichtige Bundesgenossen für gewisse Fälle, – wir haben ja schon öfter darüber gesprochen, und ich freue mich, daß du mit ihnen Verbindungen unterhältst.«

»Nun,« rief der Prinz heftig, – »soeben ist Tolain bei meinem Sekretär Hubaine gewesen und hat sich bitter beklagt, daß die Polizei in die Bureaus der Internationale eingebrochen und ihre Papiere fortgenommen habe. Er befürchtet weitere Verfolgungsmaßregeln, und ich bin deshalb zu dir geeilt, um dich zu warnen, den Einflüsterungen einer törichten Reaktion kein Gehör zu geben. Die Internationale ist eine sehr starke Macht und kann ebenso gefährlich als nützlich werden, – je nachdem man sich mit ihr stellt, – vernichten kann man sie nicht, – also muß man sie nicht reizen.

»Weißt du etwas von jener Maßregel,« fuhr er fort, als der Kaiser schwieg, – »und hast du sie genehmigt?«

Er blickte erwartungsvoll in das völlig bewegungslose Gesicht des Kaisers, während er eine Art von krampfhaftem Gähnen unterdrückte, das ihn mit unwillkürlichem Nervenreiz überfiel.

»Ich weiß davon,« sagte Napoleon III.

»Und du billigst es?« rief der Prinz.

»Soeben hat mir der Staatsminister die Papiere gebracht, welche man in dem Bureau der Internationale gefunden hat,« sagte der Kaiser, »und mich um die Erlaubnis gebeten, die Führer der Gesellschaft als Mitglieder einer gesetzlich nicht erlaubten Gesellschaft vor Gericht zu stellen – er war sehr dringend und wünschte schnell vorzugehen –«

»Und du?« rief der Prinz.

»Ich habe die Papiere genommen,« erwiderte der Kaiser lächelnd, »und meine Entscheidung vorbehalten.«

»So ist also noch alles zu redressieren,« rief der Prinz freudig, – »und wir haben jene Leute noch nicht zu unversöhnlichen Feinden gemacht. – Und was denkst du zu tun?« fragte er mit einem fast ängstlichen Blick auf den Kaiser.

»Ich muß dir gestehen,« sagte Napoleon III., »daß ich aus dem Vortrage des Staatsministers noch keine mich überzeugenden Gründe für die ernstliche Verfolgung der Internationale zu entnehmen imstande gewesen bin.«

Der Prinz atmete auf.

»Du siehst mich hocherfreut,« rief er, »denn aus deinen Worten schöpfe ich die Hoffnung, daß jene törichte und unpolitische Maßregel nicht durchgeführt werden wird. Das ist nun auch aus persönlichen Gründen sehr angenehm, – denn in der Tat, ich wäre diesen guten Leuten gegenüber ein wenig kompromittiert gewesen, wenn man sie verfolgt hätte, – ich habe mit ihnen verkehrt, – ich habe oft meine Übereinstimmung mit ihren Bestrebungen ausgesprochen, – sie setzen jetzt ihre Hoffnung auf mich, und wenn sie sich täuschten, würde ich jeden Einfluß auf sie verlieren.

Der Kaiser neigte den Kopf und verbarg unter seinen herabsinkenden Augenlidern den eigentümlichen Blick, welcher bei den letzten Worten schnell und scharf zu dem Prinzen hinüberfuhr.

Der Prinz stand auf.

»Ich will deine Zeit nicht lange in Anspruch nehmen,« sagte er, – »da ich Hoffnung geschöpft habe, den gefürchteten Fehler vermieden zu sehen, so ist der Zweck meines Besuches erfüllt, und ich gehe beruhigt fort.«

»Wie geht es deiner Frau?« fragte der Kaiser.

»Sie ist ein wenig leidend,« antwortete der Prinz, – »nichts Bedeutendes – aber es betrübt mich, denn wenn es ihr so ginge, wie sie es verdient, so dürfte sie niemals leiden, – sie ist in der Tat ein Engel an Güte, Sanftmut und Frömmigkeit, – ich habe das ein wenig nötig,« fügte er lächelnd hinzu, – »und hoffe, daß die Gebete meiner Frau bei dem Himmel wieder gut machen werden, was ich zuweilen gegen seine Gebote begehe.«

»Ich hoffe, das Beispiel deiner Frau wird dich bessern,« sagte der Kaiser, mit dem Finger drohend, – »hast du Nachrichten aus Italien, – wie sieht es dort aus?«

»Alles ist voll Haß und Abneigung gegen Frankreich und uns,« rief der Prinz, – »die Folge der Priesterpolitik und des unglücklichen Tages von Mentana.«

»Ich bitte dich, die Prinzessin zu grüßen,« sagte der Kaiser aufstehend, – und mit herzlichem Händedruck verabschiedete er den Prinzen, der sich ganz zufrieden zurückzog.

»– Er würde allen Einfluß auf die Internationale verlieren,« sagte der Kaiser nachdenklich, als er allein war. – »Sein Einfluß war vielleicht schon ein wenig zu groß geworden – ich fürchte, Conti hat das unterschätzt – und man kann bei einem solchen brausenden und unklaren Kopf niemals wissen, wozu er solchen Einfluß benutzt.

»Ich glaube, Rouher hat nicht unrecht,« fuhr er fort, – »wenn man den Führern der Internationale zeigt, daß sie mit der Politik keine Verbindung haben können, ohne die Existenz der Assoziation auf das Spiel zu setzen, so wird man es ihnen selbst erleichtern, die Masse der Arbeiter auf dem richtigen Wege zu erhalten, und sie werden zu ihren ursprünglichen Bestrebungen zurückkehren.«

Er öffnete eine dunkle Portiere im Hintergrunde des Kabinetts und rief seinen geheimen Sekretär Pietri. Dieser erschien nach einigen Augenblicken.

»Mein lieber Pietri,« sagte der Kaiser, indem er die Papiere der Internationale von seinem Schreibtisch nahm und seinem Sekretär reichte, – »fahren Sie sogleich zu dem Staatsminister, bringen Sie ihm diese Papiere, und sagen Sie ihm, daß ich die gerichtliche Verfolgung der Führer der internationalen Arbeiterassoziation genehmige. Doch soll dem kaiserlichen Prokurator zur Pflicht gemacht werden, die Angeklagten mit Freundlichkeit und mit besonderer Achtung vor ihrem persönlichen Charakter und ihrer Ehrenhaftigkeit zu behandeln.«

Pietri verneigte sich.

»Dann,« sagte der Kaiser, »habe ich noch einen ganz persönlichen Auftrag.«

»Ich erwarte Eurer Majestät Befehle,« erwiderte der geheime Sekretär, – »die pünktlichst ausgeführt werden sollen.«

»Michel Bakunin ist hier,« fuhr Napoleon fort, – »Sie werden seinen Aufenthalt leicht ermitteln –«

»Ich kenne ihn«, sagte Pietri.

»Gut,« – sagte der Kaiser, – »die Polizei soll ihn aufheben und zwangsweise über die Grenze bringen. Die Anordnungen sind getroffen und werden schnell ausgeführt werden, – ich wünsche indes nicht, daß die Maßregel wirklich zur Anwendung komme, – es wird mir besonders lieb sein, wenn Bakunin von der Polizei nicht gefunden wird.«

»Er wird sicher und unangefochten Paris verlassen, Sire«, sagte Herr Pietri.

»So eilen Sie. – Ist die Kaiserin im Palais?« fragte der Kaiser den Kammerdiener.

»Zu Befehl, Sire.«

»So melden Sie mich Ihrer Majestät.«

Und langsam dem voraneilenden Kammerdiener folgend, verließ er das Kabinett.


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