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50. Kapitel.

»Um Tannen schlingt sich eng die Ranke,
Sie trägt ein Röschen zart und mild:
Der Unschuld lieblichster Gedanke
Verkörpert sich in ihrem Bild.
Du fragst, was man der Holden, Lieben,
Für einen Namen geben mag?
Die Antwort ist sehr bald geschrieben:
Waldröschen ist's, im grünen Hag!

Es wohnt im stillen Heiligtume
Des Forsts, ein zartes, frohes Kind
Wie eine holde Menschenblume,
Um die des Märchens Zauber spinnt.
Welch' Name soll dies Duftbild preisen
Dort in der Tannen dunklem Schlag?
Waldröschen, ja, so soll es heißen,
Wäldröschen ist's, im grünen Hag!«

Wie Lindsay mit Amy verschwunden war, so war es auch mit dem Brief, den sie für den alten Pedro Arbellez nach Deutschland geschrieben hatten. Der Brief gelangte ebensowenig an seine Adresse wie die kostbare Sendung, der er beigegeben war. Der Oberrichter hatte alle Vorsichtsmaßregeln getroffen, aber da keine Reklamation einging, indem der Adressat nicht die mindeste Ahnung von der Sendung hatte, so hielt Juarez sich für überzeugt, daß sie richtig an den Mann gekommen sei.

Mittlerweile war bereits seit Monaten in Erfüllung gegangen, was Rosa ihrem geliebten Sternau mit so innigen, glückatmenden Worten geschrieben hatte: Sie war von einem Töchterchen entbunden worden, bei dessen Geburt hohe, allgemeine Freude in Rheinswalden eingezogen war.

Die weiblichen Bewohner des Schlosses hatten vor und bei Eintritt dieses Ereignisses alles getan, was im Bereich der liebevollsten Hilfeleistung steht, und die männlichen waren schweigend umhergelaufen oder hatten die Köpfe zusammengesteckt und von einem »vielleicht ein Mädchen« oder gar einem »Donnerwetter, wenn's gar ein Junge wäre« gemunkelt. Der Hauptmann aber saß in seinem Arbeitszimmer, rechnete und rechnete, und als er nicht fertig werden konnte, da bemerkte er, daß er subtrahiert statt dividiert und addiert statt multipliziert hatte. Und als er wieder von vorn anfing, um die Bestände seiner Waldungen zu berechnen, da mengte er Scheffeln, Erlen, Hasen, Morgen, Rehe, Tannen, Unterförster, Quadratruten und Rebhühner so gründlich untereinander, daß er die Feder wegwarf und halb zornig, halb lachend ausrief:

»Kreuzbataillon, nun hört's aber auf! Was einen das verrückt macht, wenn sich so eine Bube oder Mädel einstellen will! Ich danke doch meinem lieben Gott, daß er mich nicht mit vielen Kindern gesegnet hat. Wäre ich so ein zwölf- bis sechzehnfacher Familienvater geworden, so möchte ich nur meine Rechnungen, Gutachten und Monatsberichte sehen. Ich mengte Eichen, Ziehflaschen, Dachse, Wiegenpferde, Windeln, Holzklaftern, alles, alles, untereinander. Aber neugierig bin ich, wer da Gevatter wird!«

Und indem er das sagte, ging die Tür auf, und der ehrliche Ludwig Straubenberger trat ein, stellte sich in Achtung und wartete, bis er angeredet werde.

»Was willst du?« fragte der Oberförster. – »Um Verlaub, Herr Hauptmann, ich möchte bloß fragen, was?« – »Was?« wiederholte der Hauptmann, ganz erstaunt über diese geistreiche Ausdrucksweise. »Was?« – »Ja, was?« – »Nun, was denn, zum Teufel?« – »Ja, das ist es ja eben! Was denn, zum Teufel? Es fällt mir vor lauter Neugierde das Richtige gar nicht ein. Ob ›Sah ein Knab' ein Röslein steh'n‹ oder vielleicht ›Ein Schäfermädchen weidete‹. Man weiß ja noch gar nicht, ob's ein Junge oder ein Mädchen wird dahier!«

Da konnte der Oberförster nicht länger an sich halten und donnerte, indem er sich drohend erhob:

»Kerl, bist du denn ganz und gar verrückt geworden?« – »Zu Befehl, Herr Hauptmann, allerdings ganz verrückt dahier«, nickte Ludwig. – »Aber was, zum Teufel, ist's denn eigentlich mit dem Knab' und dem Schäfermädchen, he?« – »Nun, die Burschen stehen mit den Waldhörnern unten. Wird's ein Junge, so denke ich, wir blasen ›Sah ein Knab' ein Röslein steh'n‹, wird's aber ein Mädchen, so blasen wir ›Ein Schäfermädchen weidete‹. Oder befehlen der Herr Hauptmann vielleicht ›Ich bin vom Berg der Hirtenknab‹ und ›Bin i net a schöne Rußbuttenbub‹ oder ›Das Mädchen hat ein hübsch Gesicht‹ und ›Madle, ruck, ruck, ruck an meine grüne Seite‹. Das sind alles lauter wunderschöne Lieder, und wir blasen sie vierstimmig mit Gefühl und Dreivierteltakt dahier.«

Der Oberförster hatte diese Auslassung seines Lieblingsgehilfen vor lauter Erstaunen wortlos angehört, jetzt aber bekam er die Sprache wieder.

»Kerl, Mensch, Ludwig, soll ich dich etwa hinauswerfen, dich, die anderen, den Rußbuttenbub, die grüne Seite und den ganzen Dreivierteltakt? Bläst man denn einer schwachen Wöchnerin die Ohren voll, he? Leg' du dich doch einmal hin und laß dich anmusizieren, wenn der Storch in deiner Feueresse klappert! Nein, so etwas ist doch unerhört!«

Der arme Ludwig stand da, als ob ihn der Schlag gerührt hätte. Er brachte vor lauter Verlegenheit nichts weiter hervor, als:

»Ich soll mich hinlegen, Herr Hauptmann! Ich habe mir doch noch gar keine Frau genommen und bin zweitens auch nicht verheiratet!« – »Das weiß ich! Aber das war nur so ein Beispiel. Ich sage dir, Ludwig, diese Blaserei ist die größte Dummheit, die du dir in deinem ganzen Leben ausgesonnen hast. Ich denke ...«

Der Oberförster wurde unterbrochen, denn die Tür wurde aufgerissen, und Alimpo keuchte herein, ganz atemlos vor Anstrengung.

»Ein Mädchen, Herr Hauptmann!« meldete er. – »Ein Mädchen?« fragte der Oberförster. »Ist's wahr?« – »Ja. Meine Elvira sagt's auch!« – »Hurra! Und gesund, Alimpo?« – »Wie ein Fisch!« – »Viktoria! Hurra! Hussa! Lauf, Alimpo, lauf zum Herzog von Olsunna und zu meinem Sohn und sag's, daß es ein Mädchen ist! Ludwig, laß satteln! Ich reite sofort nach Darmstadt zum Großherzog. Ein Mädchen! Ein Mädchen! Na, ihr Kanaillen, was steht ihr denn noch! Heute bekommt alles Freibier. Fräulein Sternau soll gleich Napfkuchen backen und gebackene Zwetschgen in der Mitte. Ich nehme den Braunen, Ludwig, der Fuchs läuft nicht mehr so rasch. Bei solchen Anmeldungen muß man pünktlich sein!«

Der gute Hauptmann kannte sich vor Freude selbst nicht mehr. Während er auf seinem Braunen nach Darmstadt jagte, lag die junge Mutter auf dem blütenweißen Lager und betrachtete ihr süßes, schlafendes Kind. Bei ihr saß Flora, die Herzogstochter, die jetzige Frau des einfachen Malers.

»Wie ist dir jetzt, meine Rosa?« flüsterte sie besorgt. – »Ich bin matt, aber glücklich«, hauchte Rosa. »Gib mir sein Bild.«

Sie winkte mit den schönen Augen nach der Wand, an der Sternaus Porträt hing. Flora holte es und legte es auf das Bett neben den kleinen Engel. Nun betrachtete Rosa beide, das Bild und das Kind, um sie miteinander zu vergleichen.

»Sieht sie ihm ähnlich, Flora?« fragte sie leise.

»Sehr«, lächelte die Gefragte, obgleich sich die Ähnlichkeit eines Neugeborenen wohl kaum bestimmen läßt.

»Oh, wenn er es doch wüßte, der Liebe, Gute.«

Rosa faltete die Hände, und über ihre schönen, jetzt ermatteten Wangen flossen Tränen des Gebets für den Fernen und für das teure Pfand von ihm, das jetzt an ihrem Herzen lag. Ihre Augen irrten unter diesen Tränen immer wieder vom Bild zum Kind und vom Kind zum Bild, bis sie müde wurden und sich schlossen – sie entschlummerte. Und noch während dieses Schlummers stritten sich in ihren reinen, frommen Zügen das süße, holde Glück der Mutter mit dem Weh des treuen, liebenden Weibes, das den Teuren in der Ferne weiß, mitten in Not und Gefahr.

Nun folgten Tage des ruhigen Abwartens, bis Rosa sich gekräftigt fühlte und Besuch anzunehmen vermochte. Da zeigte es sich so recht, wie sehr die aus dem fernen Spanien Herbeigezogenen beliebt waren. Alle kamen, und selbst sämtliche Chargen des großherzoglichen Hofes erschienen, um ihre Freude zu äußern und ihre Gratulationen darzubringen.

Einige Wochen später wurde die kleine Weltbürgerin getauft. Der Großherzog, die Herzogin von Olsunna und Hauptmann von Rodenstein standen Pate. Das Kind wurde wie seine Mutter genannt, Rosa, und die Liebe verwandelte diesen Namen in das deutsche Röschen, obgleich die der spanischen Sprache Mächtigen gern auch Rosita sagten.

Dieses Glück wurde leider getrübt durch den Gedanken an die Fernen, die noch immer nichts von sich hören ließen. So verging ein Jahr und noch ein zweites, und nun schien es wirklich, daß sie verschollen und unwiderbringlich verloren seien. Auch von Amy Lindsay kam keine Nachricht, obgleich Rosa öfters an sie geschrieben hatte. Da diese Briefe nicht zurückkamen und auch nicht beantwortet wurden, so wußte man sich gar keine Erklärung zu geben.

Rosa betrachtete sich je länger, desto sicherer als Witwe. Hätte sie Röschen nicht gehabt, so hätte sie den Gram nicht zu überwinden vermocht. Nun aber konzentrierte sich ihre Sorge und die Tätigkeit ihrer Seele auf ihr Kind und auf den alten, leider immer noch wahnsinnigen Vater.

Otto von Rodenstein hatte sich auch in Rheinswalden niedergelassen und genoß hier an der Seite seiner Flora, der Herzogstochter, ein Glück, das ungetrübt hätte genannt werden müssen, wenn nicht die Teilnahme für Rosa und die Verschwundenen ihren Schatten auf dasselbe geworfen hätte.

Der Herzog von Olsunna konnte nicht vergessen, daß er durch die Kunst Sternaus, seines jedenfalls echten Sohnes, vom Rand des Grabes hinweggerissen und dem Leben wiedergegeben worden war. Er liebte seine Gemahlin jetzt fast mit dem Feuer einer Jugendliebe und bat Gott Tag und Nacht, zu verhüten, daß sein Sohn verloren gegangen sei.

Aber je länger die Zeit verging, desto hinfälliger wurde die so krampfhaft festgehaltene Hoffnung. Der Kreis dieser guten, wahrhaft edlen Menschen wurde immer stille und stiller, und selbst, wenn der alte Rodenstein einmal in seiner derben Art und Weise Leben und Bewegung schaffen wollte, so bekam er nur ein schwaches, verzagtes Lächeln zur Belohnung.

»Das kann nicht länger so fortgehen«, meinte er einmal zum Herzog von Olsunna, als beide still und allein durch den Wald strichen. »Sie sind krank, Hoheit, Ihre Frau, meine gute Sternau, ist krank, alles ist krank, alles läßt die Flügel hängen und will nicht ein leises Flattern versuchen. So wird der Mensch ganz und gar alle, so geht er zu Grabe. Man muß Hilfe suchen, nicht bei einem Doktor und bei einem Apotheker, sondern wo ganz anders. Zerstreuung ist das beste. Wie wäre es mit einer Reise?«

Der Herzog schüttelte den Kopf.

»Hier habe ich Ruhe gefunden, hier bleibe ich«, sagte er. – »Und die anderen?« – »Die denken ebenso, ich bin davon überzeugt.« – »Da wäre es also mit meinem Vorschlag nichts«, meinte Rodenstein nachdenklich. »Ließe sich denn nicht etwas anderes finden? Hm! Vielleicht treffe ich es. Also Sie wollen am liebsten hierbleiben?« – »Das ist mein Wunsch.« – »Und die anderen?« – »Sie haben denselben Wunsch. Wir setzten natürlich voraus, daß wir Ihnen nicht beschwerlich fallen.«

Da blieb der Hauptmann schnell stehen, blickte den Herzog verwundert an, machte sein allergrimmigstes Gesicht und antwortete:

»Das ist's ja eben, Sie fallen mir beschwerlich, ganz außerordentlich beschwerlich. Ich halte es nicht länger aus.« – »Ah! Sie scherzen!« meinte der Herzog lächelnd. – »Ich scherzen! Fällt mir gar nicht ein!« brauste da der Hauptmann auf. »Ich habe da diese viele Menschheit auf dem Hals, muß diese sauren Gesichter sehen. Das geht nicht länger. Ich brauche meinen Platz selbst, habe ihn erst schon gebraucht und brauche ihn jetzt noch viel notwendiger.«

Der Herzog erschrak fast bei diesen Worten.

»Aber, mein bester Rodenstein«, bat er, »sagen Sie mir doch, ob dies wirklich Ihr Ernst ist?« – »Mein voller, richtiger, wirklicher Ernst. Ich mag diese trübselige Einquartierung nicht mehr bei mir leiden. Sie wollen hier bleiben, und ich leide es nicht, was bleibt da übrig, Hoheit? Haben Sie Geld?« – »Wenn es an diesem fehlt, so ...« – »Pah, ich brauche keins! Ich frage nur, ob Sie Geld haben. Ja oder nein?« – »Ja.« – »Nun gut, so bauen Sie! Mein Nachbar, Baron Hauwald, verkauft. Kaufen Sie ihm seinen Krimskrams ab, er verlangt nicht zu viel. Dann bauen Sie, bauen Sie ein hübsches, nettes Schlößchen, an dem die Damen etwas Neues sehen und ihre Freude haben. Bauen Sie da ein Maleratelier für meinen Sohn und Ihre Flora. Bauen Sie ein kleines Rodriganda für unsere arme, liebe Rosa und ihr Röschen. Das gibt Zerstreuung. Verstehen Sie mich?«

Da konnte sich der Herzog nicht länger halten. Er streckte dem Hauptmann dankend beide Hände entgegen und rief:

»Ja, jetzt verstehe ich Sie, Sie lieber, grober Oberförster. Jetzt weiß ich, wie Sie es meinen. Ja, ich werde Ihren Rat befolgen, ich werde kaufen und bauen, und wir wollen sehen, ob es Segen bringt.« – »Es bringt Segen, darauf dürfen Sie sich verlassen!«

*

Drei Jahre waren seit Röschens Geburt vergangen, da wurde der Grundstein zu dem neuen Schloß gelegt. Der Plan hatte die Teilnahme aller gefunden. Mitten im Park sollte das Schloß von Rodriganda in Miniatur hinkommen.

Endlich wurde das Schloß fertiggestellt, und der Herzog lud zur Einweihung desselben den Adel der Umgegend ein. Es verstand sich von selbst, daß der Großherzog nebst Gemahlin erschien. Die letztere fuhr mit einigen ihrer Hofdamen etwas vorher, um vorerst nach Klein-Rodriganda zu gehen und ihr liebes Patenkind zu sehen. Da sahen sie etwas Helles durch die Büsche schimmern. Sie traten näher und erblickten Röschen, mit einem aus Tannenreisern und Hageröschen geflochtenen Strauß auf dem Kopf und einer ebensolchen Girlande um den Leib. Kurt kniete vor ihr, um sie zu schmücken. Die beiden Kinder erschraken nicht, als sie die hohe Frau erblickten, sondern traten unbefangen näher.

»Was spielt ihr da?« fragte die Großherzogin freundlich. – »Weil Röschen jetzt im Wald wohnt, möchte sie gern Waldröschen heißen, und so habe ich sie gerade wie ein Waldröschen geschmückt.«

Da bog sich die Großherzogin, hingerissen von der kindlichen Schönheit des lieblichen Wesens, zu ihr nieder, küßte sie und sagte gerührt:

»Ja, du sollst Waldröschen heißen, denn du bist so zart und rein, so hold und so schön wie die Blüten, die du trägst. Gott schütze dich, mein Liebling!«

Seit jener Stunde wurde Röschen Waldröschen genannt. Kurt hatte ihr diesen Namen gegeben, und die Großherzogin hatte ihn bestätigt.

Am anderen Tag ging Röschen wieder in den Park. Sie suchte Kurt und fand ihn nicht. Darum ging sie weiter. Da endlich sah sie ein kleines Häuschen vor sich, und als sie die Pforte des Staketenzäunchens offen und die Tür der Hütte angelehnt sah, trat sie ein.

Aber fast hätte sie vor Schreck laut aufgeschrien, denn auf einem Schemel inmitten des engen, niederen Raumes saß zwar der Waldhüter, aber vor ihm auf dem Stuhl eine alte Frau, so häßlich, wie sie noch gar keine gesehen hatte. Sie wollte fliehen, aber Tombi hatte sie bereits bemerkt und winkte sie näher. Da drehte sich auch die Alte nach ihr um, blickte sie scharf an und sagte:

»Das ist sie! Diese Züge tragen fürstliches und gräfliches Gepräge. Wache über sie, mein Sohn! Ich aber will dem Unglück gebieten, von ihrem reinen Haupt fernzubleiben!«

Sie trat zu Röschen, legte ihr die Hände wie segnend auf das schöne Lockenköpfchen, und während sich ihre Augen emporrichteten, bewegten sich ihre Lippen wie im Gebet. Das Mädchen hob die Wimpern leise und blickte verstohlen zu der Alten empor. Und als sie dieselbe so warm und innig beten sah, war es ihr, als ob sie jetzt nicht mehr häßlich aussehe, sondern lieb und gut, wenn auch ein wenig alt. Dann nahm die Frau die Hand wieder zurück, beugte sich freundlich herab und fragte:

»Fürchtest du dich vor mir?« – »Nein«, antwortete Röschen mit zutraulichem Augenaufschlag. – »Das sollst du auch nicht, mein Kind. Merk' auf, was ich dir jetzt sage! Ich heiße Zarba und bin der Schutzgeist der Deinen, obgleich sie mich jetzt verkennen. Ich werde euch erscheinen zu der Zeit, die da ist für euch die Stunde des Glücks, für eure Widersacher aber die Stunde der Rache.«

Das waren für Röschen unverständliche Worte, aber sie gruben sich ihr tief in das kleine Herz hinein, und noch als sie die Hütte verließ, blieb sie am Gartenpförtchen stehen, um nachzudenken, was Zarba, der Schutzgeist, gemeint habe. Die Alte aber stand unter der Tür, beschattete mit der Hand ihre Augen und blickte dem Waldröschen nach, das den Zügen ihres tief ausgewitterten Gesichts einen Abendschein jener Glorie gab, mit der einst die Sonne des Südens ihren glücklichen, damals noch unentweihten Lebensmorgen bestrahlte.

Und was hatte die einst so schöne Gitana auf das Haupt des Kindes herabgefleht? Wir können es uns denken und werden baldigst erfahren, daß ihr Gebet bei dem allmächtigen Lenker des Geschicks Erhörung fand.


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