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24. Kapitel.

Bis jetzt war alles gut abgelaufen. Man war in die Hazienda gekommen, ohne von den in ihrer Umgebung lagernden Vaqueros bemerkt worden zu sein; man hatte sich bereits des gefürchtetsten Gegners bemächtigt, und nun galt es, das übrige möglichst geräuschlos zu vollenden.

»Der Haziendero ist nicht daheim«, flüsterte Enrico. – »Wo ist er?« fragte Verdoja. – »Auf Vandaqua.« – »Allein?« – »Sein Schwiegersohn ist mit.« – »Alle Teufel! Hat er einen Schwiegersohn?« fragte der Ex-Kapitän hastig. – »Ich wollte sagen, der Verlobte seiner Tochter.« – »Verlobt ist sie? Mit wem?« – »Sie nannte ihn Señor Antonio; er muß, wie ich hörte, sehr krank gewesen sein.« – Ah, dieser! Pah! Und er ist auf Vandaqua?« – »Ja.« – »Immerhin! Ihn brauchen wir nicht. Aber Mariano ist da?« – »Ja.« – »Und Señor Helmers?« – »Ja.« – »Auch Señorita Emma und die Indianerin?« – »Ich habe beide gesehen.« – »Gut Ich kenne die Zimmer, in denen sie alle schlafen. Hast du das Blendlaternchen?« – »Ja. Soll ich anbrennen?« – »Gewiß. Folgt mir!«

Sie öffneten leise die Tür des Zimmers und traten hintereinander hinaus auf den Korridor, auf den Enrico einen Strahl seiner Laterne fallen ließ, damit sie sich orientieren konnten, dann steckte er sie wieder in die Tasche zurück.

Verdoja führte die Leute zunächst vor die Tür Marianos, die sie ganz geräuschlos erreichten. Er klopfte einige Male leise an, bis von drinnen eine Stimme fragte:

»Wer ist da?« – »Ich, Sternau!« antwortete er flüsternd, aber so, daß es drinnen gehört werden konnte. – »Ah, du! Was gibt es?« – »Mach schnell einmal auf! Ich habe dir etwas sehr Notwendiges zu sagen.« – »Gleich!«

Man hörte drin das Lager rascheln.

»Du brauchst kein Licht anzubrennen«, flüsterte der vorsichtige Verdoja.

Mariano zog die nötigsten Kleidungsstücke an und öffnete.

»Komm herein«, sagte er leise, und neugierig, zu erfahren, was Sternau von ihm wolle, hörte er nur einen Mann eintreten, aber nicht, daß ihm mehrere folgten. »Es muß etwas sehr Wichtiges sein«, meinte er. »Willst du nicht die Tür schließen?«

In demselben Augenblick wurde er bei der Gurgel gepackt; zwei Hände schlangen sich um seinen Hals und drückten ihm die Kehle so zusammen, daß ihm der Atem verging und er keinen Laut ausstoßen konnte. Er wollte sich wehren, aber er wurde jetzt von vielen kräftigen Armen ergriffen; feste Riemen wanden sich ihm um Leib, Arme und Beine, und ein Knebel schloß ihm den Mund; dann erst ließen die beiden Hände von seinem Hals ab – er war gefangen.

»Den haben wir! Nun zu Helmers!« sagte Verdoja.

Bei Helmers wurde ganz in derselben Weise und mit demselben Erfolg verfahren. Sternau, Mariano und Helmers waren gefangen, ohne daß jemand im Haus erwacht wäre.

»Jetzt zu der Señorita«, gebot Verdoja.

Auch an Emmas Tür wurde leise geklopft.

»Mein Gott, wer ist draußen?« fragte sie.

Verdoja gab seiner Stimme den weichsten Flüsterton, als er antwortete:

»Ich bin es, Karja!« – »Was willst du?« – »Ich muß mit dir sprechen. Öffne, Emma!« – »Warum?« – »Nicht so laut. Es ist wegen des fremden Offiziers. Ich weiß nicht, ob ich Señor Sternau wecken soll.«

Emma ging in die Falle.

»Ah, es gibt eine Gefahr!« sagte sie. »Warte, ich öffne sogleich!«

Man hörte, daß sie sich vom Lager erhob, an die Tür kam, den Riegel zurückschob und mit leiser, aber vor Besorgnis zitternder Stimme sagte:

»Komm herein! Was ist es denn?«

Verdoja huschte hinein und hatte sie im nächsten Augenblick bei der Kehle. Sie brach ohne jeden Versuch der Gegenwehr zusammen; der fürchterliche Schreck hatte sie ohnmächtig gemacht, so daß sie am Boden lag, ohne sich zu regen. Verdoja fesselte und knebelte sie selbst; dann ging man nach dem Schlafzimmer der Indianerin.

Auch hier hatte die List denselben Erfolg, nur daß Karja nicht in Ohnmacht fiel. Sie war die Tochter eines Indianerhäuptlings und besaß nicht die zarten Nerven einer verwöhnten Mexikanerin. Jetzt waren alle Personen, die man haben wollte, in den Händen der Räuber.

Die ganze erste Etage befand sich im Besitz derselben. Verdoja und Pardero wußten, daß unten im Parterre einige Räumlichkeiten lagen, in denen Vaqueros schliefen. Sie wollten sich ihren Raub nicht gern streitig machen lassen und verboten daher jede Plünderung. Je vier ihrer Begleiter wurden zu Mariano und Helmers beordert, um ihnen ihre Kleider anzuziehen; Verdoja aber begab sich zu Emma, während Pardero die Indianerin aufsuchte.

Als Verdoja das Zimmer der Señorita betrat, war dasselbe noch dunkel. Er brannte die Kerze an. Emma lag noch ohnmächtig am Boden. Er befreite das Mädchen von seinen Banden und zog ihm die Kleider an, die es am Tag vorher getragen hatte, sie lagen noch auf dem Stuhl; endlich suchte er aus dem Schrank noch einiges hervor, was ihm bei einem weiten Ritt dienlich schien, und nahm bei ihr Platz, um ihr Erwachen zu erwarten.

Pardero fand Karja nicht leblos am Boden liegend. Sie wälzte sich hin und her und gab sich alle Mühe, sich ihrer Fesseln zu entledigen. Er zog die Tür hinter sich zu und brannte die Kerze an.

Die Zeit drängte. Rasch griff er nach ihren Fesseln und löste dieselben vorsichtig so weit, daß sie nicht ihre vollständige Freiheit erhielt, dann zwang er sie, sich ganz anzukleiden. Sie ließ alles ruhig geschehen. Erst hatten ihre Augen mit unendlicher Wildheit auf ihn geblickt und geblitzt, jetzt aber hielt sie dieselben geschlossen, es schien ihr ganz gleichgültig zu sein, was mit ihr geschah, nur, als er ihre Hand berührte, fühlte er, daß diese vollständig kalt war.

Da öffnete sich die Tür, und Verdoja blickte herein.

»Sind Sie fertig?« fragt er. – »Ja.« – »Nehmen Sie noch einige Tücher und Decken. Es geht jetzt fort.«

Auch die beiden männlichen Gefangenen hatten ihre Kleidung bekommen. Sie waren so gefesselt und eingewickelt daß sie kein Glied zu regen vermochten, und wurden nun hinunter in den Hof getragen. Verdoja und Pardero brachten die Mädchen nach.

Das geschah so leise und vorsichtig, daß es von keinem Menschen gehört wurde. Nun öffnete man ebenso leise das große Tor und holte Sternau herbei. Es war dunkel, und man sah also nicht, ob er die Augen geöffnet hielt; eine Bewegung bemerkte man nicht an ihm.

Jetzt nahmen je zwei und zwei einen Gefangenen auf die Schultern und trugen ihn unhörbar davon. Verdoja blieb zurück, um das Tor zu verschließen, über die Palisaden hinauszuspringen und den anderen nachzufolgen. Seit sie die Hazienda erreicht hatten, war eine Stunde vergangen; eine halbe Stunde später erreichten sie ihre Pferde im Wald.

Für die fünf Gefangenen hatte man fünf Pferde mitgebracht, für die Mädchen sogar Damensättel. Man fesselte sie auf die Pferde, und dabei zeigte es sich, daß Sternau wieder zu sich gekommen war.

Jetzt teilten sich die fünfzehn Mann in fünf Gruppen. Je drei Mann hatten einen Gefangenen oder eine Gefangene bei sich. Sie trennten sich und ritten in verschiedenen Richtungen davon. Dies war eine List, die geradezu raffiniert genannt werden konnte, denn sie erschwerte eine Verfolgung auf das äußerste. Verdoja hatte diese Trennung angeraten. Erst nach einer vollen Tagereise sollten je zwei Abteilungen zusammentreffen, und diese sollten dann am Ende der zweiten Tagereise zu ihm stoßen. Die Punkte, wo dies geschehen sollte, waren vorher bestimmt, und ein jeder von den Räubern hatte einige Tage vor dem Überfall den Weg, den er zurückzulegen hatte, ganz genau rekognosziert. So war an einem Gelingen kaum zu zweifeln.

Zwei Punkte freilich fielen hierbei gegenteilig ins Gewicht. Verdoja lief nämlich bei dieser Zersplitterung Gefahr, von seinen eigenen Helfershelfern betrogen zu werden, und außerdem konnten bei einem Überfall drei Mann doch nicht denselben Widerstand leisten wie fünfzehn.

Das überlegte er sich erst, als er mit den Seinen am anderen Morgen den ersten Halt machte. Er hatte Emma bei sich, die anderen Gefangenen waren Pardero und den Mexikanern anvertraut worden. Die erste Tagereise führte ihn auf den Kamm des Gebirges, das als ein Teil der mittelamerikanischen Kordilleren sich von Norden nach Süden durch das Land zieht. Am anderen Morgen ritt er am westlichen Abhang dieses Gebirges herab und erreichte am Nachmittag den Rand der Wüste Mapimi, die als die verrufenste Strecke Mexikos bekannt ist.

Hier war das Rendezvous, wo die vier anderen Trupps zu ihm stoßen sollten, und nun erwartete er mit ängstlicher Spannung den Erfolg der listigen Maßregel, die er getroffen hatte.

Bereits eine Stunde nach seiner Ankunft sah er einen Reitertrupp von Süden kommen. Als derselbe sich näherte, zählte er acht Männer. Sein Herz wurde leicht, denn diese Leute gehörten zu ihm. Es zeigte sich, daß es die vereinigten Abteilungen waren, die Sternau und Mariano zu transportieren hatten. Sie wurden von ihm mit großer Befriedigung empfangen.

Die beiden Gefangenen waren auf eine geradezu unmenschliche Weise gefesselt. Nur die Knebel waren ihnen abgenommen, so daß sie wenigstens Atem holen konnten.

Gegend Abend trafen zur großen Freude Verdojas auch die übrigen mit Karja und Helmers ein. Es war keine einzige der fünf Abteilungen verfolgt oder beunruhigt worden, und so glaubte Verdoja, daß er von jetzt an seinen Ritt mit Sicherheit fortsetzen könne.

Es wurde jedoch zunächst ein Lager errichtet. Man brannte ein Feuer an und aß, dann fütterte man die Gefangenen, die sich ja ihrer Hände nicht bedienen konnten, teilte sich in die Wache und legte sich zur Ruhe.

Verdoja hatte die erste Wache übernommen, obgleich er dies nicht nötig hatte, da er ja der Anführer war. Aber er hatte sich vorgenommen, die Gefangenen, von denen keiner ein Wort gesprochen hatte, zu peinigen. Sie lagen in der Mitte des Kreises, den die dreizehn Mexikaner bildeten. Er trat zunächst zu Helmers.

»Nun, Bursche, wie gefällt dir dieser Spazierritt?« fragte er. »Ich habe euch von jemand zu grüßen, der sich sehr für euch interessiert.« – »Von wem denn?« fragte Helmers. – »Von einem gewissen Cortejo.« – »In Mexiko?« – »Ja. Er scheint ein sehr guter Freund von euch zu sein.«

Verdoja gab hier sein Geheimnis preis, und zwar mit Absicht. Es lag ihm nämlich daran, zu erfahren, weshalb Cortejo den Tod dieser Männer wünschte, er hätte dann eine Waffe gegen ihn in der Hand gehabt. Darum brachte er also die Rede auf ihn, denn er dachte, durch irgendein Wort oder eine unbedachte Äußerung der Gefangenen Aufschluß zu erhalten.

»Hole ihn der Teufel!« sagte Helmers. – »Das tut er nicht, aber euch wird er holen.« – »Ohne dich sicherlich nicht!« – »Schweig, Schurke! Sonst will ich dir zeigen, wen du vor dir hast.«

Er gab Helmers einen Fußtritt und schritt weiter zu Mariano.

»Siehst du nun, was daraus wird, wenn man Schurken als Sekundant dient?« sagte er. »Mitgegangen, mitgefangen, mitgehangen! Kennst du euern Freund Cortejo?«

Mariano antwortete nicht.

»Kennst du ihn?« wiederholte Verdoja.

Mariano schwieg noch immer.

»Ah, ich sehe, daß ich euch erst gefügig machen muß. Ihr werdet schon noch reden lernen.«

Verdoja gab auch ihm einen Fußtritt und kam nun zu Sternau. Dieser war so gebunden, daß er weder Arme noch Beine rühren konnte, aber die Knie konnte er an den Leib ziehen.

»Nun zu dir, du Hund!« sagte Verdoja. »Du hast uns um unsere Hände gebracht und wirst doppelt büßen müssen. Wie war dir's denn, als du meinen Hieb auf den Kopf bekamst?«

Sternau beachtete ihn gar nicht.

»Was, du willst auch nicht antworten? Warte, ich werde dir gleich Worte machen!«

Er erhob den Fuß, um auch Sternau einen Tritt zu geben, dieser aber zog blitzschnell die Beine an sich, streckte sie wieder aus und trat ihm mit solcher Gewalt auf den Unterleib, daß er hinten überstürzte und mit dem Kopf gerade in das hell lodernde Feuer fiel. Zwar raffte er sich sofort wieder auf, aber ein lautes Schmerzgeheul zeigte, daß er in irgendeiner Weise verwundet worden sei.

»Mein Auge, mein Auge!« brüllte er.

Die Schläfer erhoben sich sofort, nahmen ihm die Hand vom Auge und untersuchten dasselbe. Da stellte sich heraus, daß er sich ein Ästchen des brennenden Holzes in das Auge gestochen hatte, es war abgebrochen, und die Spitze stak noch im Auge.

»Das Auge ist verloren, denn es gibt keinen Arzt«, sagte Pardero.

Verdoja wimmerte noch immer, er mochte furchtbare Schmerzen haben. Er lief im Kreis umher und bat, ihm die Spitze des Ästchens auszuziehen, aber keiner konnte es tun.

»Hier vermag nur einer zu helfen«, sagte Pardero. – »Wer?« fragte Verdoja. – »Sternau.« – »Sternau, dieser Hund, dem ich dieses Unglück verdanke! Totprügeln werde ich ihn!« rief der Verwundete grimmig. – »Es ist mir eingefallen, daß er Arzt ist.« – »Arzt? Ah, wirklich, es ist wahr. Er hat ja den Kranken auf del Erina behandelt.« – »Er wird Ihnen den Splitter entfernen können!« – »Das soll er, ja, das soll er. Und dann, dann werde ich ihn krumm auf das Pferd schließen. Er soll an mich und meine Rache denken.«

Pardero trat an Sternau heran und fragte:

»Sind Sie Augenarzt?«

Da Sternau mit »Sie« und im höflichen Ton angeredet worden war, so antwortete er:

»Ja.«

Er hätte aber trotzdem keine Antwort gegeben, wenn ihm nicht der Gedanke durch den Kopf gefahren wäre, daß er jetzt entfliehen könne.

»Werden Sie den Splitter entfernen können?« – »Das weiß ich nicht. Ich muß das Auge erst untersuchen.« – »So kommen Sie.« – »Ich kann mich ja nicht erheben!« – »Ah, so! Nun, ich werde Ihnen die Fesseln so weit abnehmen, daß Sie aufstehen können. Warten Sie!«

Pardero nahm Sternau die Riemen von den Beinen und Füßen und schob ihn zum Feuer, an dem Verdoja wimmernd saß.

»Untersuchen Sie ihn!« gebot Pardero.

Verdoja nahm die Hand vom Auge, das er geschlossen hielt, blickte ihn mit dem anderen grimmig an und sagte:

»Kerl, wenn du mir das Auge nicht sofort wieder herstellst, so lasse ich dich mit glühenden Zangen zwicken. Sieh her!«

Er hielt das verletzte Auge einige Sekunden lang geöffnet, und Pardero leuchtete mit einem Feuerbrand dazu. Das Gespräch wurde natürlich in mexikanisch-spanischer Sprache geführt. Sternau war überzeugt, daß unter allen, die sich hier befanden, nur Helmers Deutsch verstehe, und so sagte er, indem er das Auge sehr aufmerksam betrachtete, in deutscher Sprache:

»Mut! Ich werde euch befreien!« – »Was sagst du da?« brüllte Verdoja. – »Wir Ärzte nennen jede Krankheit und Wunde bei ihrem lateinischen Namen, ich sagte den lateinischen Namen der Verletzung«, antwortete Sternau. – »Geht der Splitter zu entfernen?« – »Ja.« – »Tut es sehr weh?« – »Nein, fast gar nicht.« – »So tut es, augenblicklich!« – »Die Hände sind mir ja gebunden.« – »Bindet ihn los!« gebot Verdoja. – »Aber wenn er entflieht!« meinte Enrico. – »Bist du klug?« fragte Pardero. »Wir sind fünfzehn Mann. Wie will er uns entkommen? Bildet einen Kreis und nehmt ihn in die Mitte.«

Dies geschah. Als Sternau die deutschen Worte sprach, hatte Helmers sich geräuspert, zum Zeichen, daß er ihn verstanden habe. Jetzt konnte Sternau handeln.

»Mit dem Finger kann ich den Splitter nicht fassen«, sagte er. »Gebt mir ein Messer.«

Er erhielt das Messer. Jetzt war er frei von allen Banden und hatte eine Waffe in der Hand. Es handelte sich nur noch darum, ein Gewehr mit Munition zu bekommen.

Um das Lager weideten die Pferde. Die Gewehre waren in Pyramiden zusammengestellt, und Verdoja hatte über seinen um die Hüften gewundenen Schal einen breiten Gurt geschlungen, der ihm als Kasse diente. An demselben hing der Pulver- und Kugelbeutel. Sternaus Plan war in einer Sekunde gefaßt.

Er betrachtete das Messer, es war gut, scharf und spitz. Nun trat er zu Verdoja heran und legte ihm die Hand auf den Kopf. Aller Augen waren auf die beiden gerichtet, am gespanntesten aber die Augen der Gefangenen.

»Öffnen Sie das kranke Auge und schließen Sie das gesunde«, gebot Sternau.

Er beabsichtigte damit, Verdoja solle gar nichts sehen. Dieser folgte der Weisung, und nun näherte Sternau das Messer dem Gesicht des Ex-Kapitäns. Aber plötzlich fuhr er mit demselben niederwärts. Mit einem raschen Schnitt trennte er den Gurt vom Leib Verdojas und faßte ihn, da er seine Hände brauchte, zwischen die Zähne. In demselben Augenblick packte er Verdoja mit herkulischer Kraft und schleuderte ihn gegen die nahe stehenden Mexikaner. Drei oder vier derselben wurden niedergerissen, so entstand eine Bresche, durch die Sternau in einem weiten Sprung hindurchflog. Im nächsten Moment hatte er eines der Gewehre an sich gerissen, und eine Sekunde später saß er auf dem Rücken eines der Pferde und galoppierte davon.

Dies alles war so schnell geschehen, fast schneller als man denken kann. Als ein fünfzehnstimmiger Schrei des Schreckens erscholl, war es bereits zu spät. Ein jeder griff nach Gewehr oder Pistole, mehrere Schüsse wurden abgefeuert, aber keiner traf.

»Auf! Ihm nach! Wir müssen ihn wiederhaben!« brüllte Verdoja.

Sofort warfen sich einige auf die Pferde und sprengten nach der Richtung hin, in der er entflohen war, ihn einzuholen.

Sternau ahnte natürlich, daß man dies tun würde. Indem er in immer gerader Richtung dahinfloh, untersuchte er seine Büchse. Es war ein Doppelgewehr, und zwar geladen. Das genügte, das mußte mehreren Verfolgern das Leben kosten.

Er hielt sein Pferd an und wandte den Kopf desselben in die Richtung, aus der er den Galopp der Verfolger hörte. Sie ritten nicht in einem Haufen, sondern hatten sich auf eine breite Linie verteilt, und da sie nicht die Geistesgegenwart und Gewandtheit Sternaus besaßen, nahmen sie für sicher an, daß dieser in gerader Linie fliehen werde, so daß man ihn immer vor sich habe und den Hufschlag seines Pferdes hören müsse. Daß er anhalten und sie erwarten könne, das fiel ihnen gar nicht ein, das war nach ihrer Ansicht so tollkühn, daß sie es für ganz unmöglich hielten.

Es war so dunkel, daß man einander zwar hören, aber nicht sehen konnte. Sternaus Pferd stand still, und er hielt die Büchse zum Schuß erhoben. Die Verfolger nahten; da durchzuckte ihn ein anderer Gedanke. Er brauchte ja gar nicht zu schießen.

Schnell sprang er vom Pferd und riß auch dieses zu Boden nieder. Da waren die Mexikaner bereits da und sprengten an ihm vorüber, rechts und links von ihm je einer. Im Nu war er wieder auf und sein Pferd ebenso, dann sprang er auf den Rücken desselben und jagte hinter ihnen her. Nach wenigen Augenblicken befand er sich zwischen den zweien. Sie hatten kein Arg, denn ein jeder hielt ihn für den anderen. Nun setzte er die Hähne seines Gewehrs in Ruhe, faßte dasselbe bei den Läufen und trieb sein Pferd mit einigen Sätzen hart an den Mexikaner heran, der ihm zur Rechten ritt. Als dieser es bemerkte, rief er »Weiter nach links!«

Da sauste aber auch bereits Sternaus Kolben auf ihn herab und zerschmetterte ihm den Kopf.

Zugleich erfaßte der kühne Deutsche den Zügel des Mexikaners und hielt das Pferd desselben auf. In weniger als einer Minute hatte er ihn ausgeplündert, galoppierte weiter und hielt jetzt auf den Nachbar zur Linken zu. Als er diesen erreichte, rief derselbe:

»Mir gebietest du, weiter nach links zu gehen, und nun hältst du selbst nicht Richtung. Mehr nach rechts!« – »Gleich!« antwortete Sternau.

Schon war er an ihn heran, und ehe noch der Mann ahnte, was ihm bevorstand, zerschmetterte ihm ein Kolbenschlag den Schädel. Dann hielt Sternau wieder das fremde Pferd an und nahm dem Reiter alles ab, was er selbst gebrauchen konnte.

Jetzt horchte er, und als er vernahm, daß die Mexikaner nur noch rechts von ihm galoppierten, hielt er auf diese Seite hin und untersuchte die beiden erbeuteten Gewehre. Sie hatten nur einen Lauf und waren geladen. Er hatte also vier Schüsse. Das war mehr als genug, denn er konnte nur noch zwei Verfolger unterscheiden. Mit diesen war es leicht aufzunehmen.

»Holla!« rief er. »Hierher! Ich habe ihn!«

Er hielt sein Pferd an und bemerkte, daß die beiden dasselbe taten.

»Wo?« fragte eine Stimme. – »Hier! Hier! Er ist gestürzt!«

Da kamen sie einer hinter dem anderen herbeigesprengt. Sternau erhob das Doppelgewehr, und als sie vor ihm hielten, donnerte er ihnen entgegen:

»So, da habe ich euch, ihr Schurken!«

Im nächsten Moment krachten zwei Schüsse, und die Kugeln trafen so gut, daß die Reiter wankten und von den Pferden stürzten. Die Tiere aber blieben ruhig stehen.

Jetzt horchte Sternau nochmals in die Nacht hinaus; es ließ sich nichts hören. Also waren es nur vier gewesen, die so unvorsichtig waren, ihn zu verfolgen. Er stieg darauf ab und untersuchte die Gefallenen. Sie hatten wirklich kein Leben mehr. Auch ihnen nahm er alles ab, was sie bei sich trugen, und hatte nun fünf Gewehre, mehrere Messer und Pistolen, zwei Lassos und eine hinreichende Menge Munition, denn ein jeder der vier Reiter hatte die seinige bei sich getragen. Außerdem fühlte er in dem Gurt Verdojas eine Menge Goldstücke und Banknoten. Er war also mit allem versehen, nur nicht mit Proviant. Doch dies machte ihm keine Sorge.

Schnell befestigte er seine Beute auf die Sättel der erbeuteten Tiere, koppelte dieselben zusammen, nahm sie beim Zügel und ritt in die unbekannte Wüste hinein.

Seine Hauptsorge war, der Nachstellung zu entgehen, denn er wußte, daß man bei Anbruch des Morgens die vier Leichen finden werde. Er erwartete auch, daß man seiner Spur folgen werde, und so galt es, die Verfolger irrezuführen.

Er dachte sich, daß man von der Hazienda aus den Räubern nachsetzen werde; darum galt es, sie so lange wie möglich an einer Stelle festzuhalten, und er beschloß, einen Kreis zu reiten. Nachdem er so einige Stunden nach Westen fortgeritten war, lenkte er nach Süden um und ritt darauf nach Verlauf von abermals zwei Stunden nach Osten zurück. So erreichte er bei Morgengrauen den Fuß des Gebirges zwei Stunden südlicher als da, wo sich das Lager befunden hatte.

Hier gönnte er den Pferden einige Ruhe, ließ sie grasen und trinken und rauchte einige der Zigaretten, die er den Toten abgenommen hatte.

Jetzt stieg er wieder auf und ritt gerade nach Norden. Das mußte aber mit sehr großer Vorsicht geschehen, da er in jedem Augenblick die Mexikaner sehen konnte, die ja von Nord nach Süd, also ihm entgegen, ihre Verfolgung beginnen mußten. Es waren seit Tagesanbruch wohl über vier Stunden vergangen, als er die Stelle erreichte, an der er die beiden letzten Mexikaner vom Pferd geschossen hatte. Er fand statt ihrer einen Steinhaufen. Man hatte sie also bereits gefunden und begraben.

Als Sternau nun den Boden untersuchte, kam er zu der Überzeugung, daß der ganze Trupp mitsamt den Gefangenen aufgebrochen sei, um seine Spur zu verfolgen. Er lachte, denn er befand sich, da er einen Kreis geritten war, ja hinter ihnen, während sie ihn vor sich glaubten. Unverzüglich folgte er ihnen, gab aber vorher eines seiner Pferde frei, indem er ihm alles, sogar Sattel und Zaum abnahm und es in die Berge trieb. So hatte er nur noch ein Leittier zu führen, darum ging es nun leichter vorwärts als vorher. Als Sternau die Stelle erreichte, an der er nach Süden abgelenkt war, sah er an den Spuren, daß man hier zwar angehalten hatte, um zu beraten, ihm aber nachher gefolgt war, und als er darauf nach zwei Stunden an die Stelle kam, wo er nach Osten umgekehrt war, zeigten die Hufspuren, daß man hier abermals eine Beratung vorgenommen hatte, daß aber das Ergebnis derselben jetzt doch ein anderes gewesen war. Die Mexikaner hatten nämlich von seiner Spur abgelassen und waren von hier aus nach Westen geritten, also gerade in die Wüste Mapimi hinein.

Er folgte ihnen. Sie waren einen solchen Ritt nicht gewöhnt Indianer und Jäger reiten stets im Gänsemarsch, damit man aus der Fährte ja nicht ihre Anzahl erkennen kann, diese Mexikaner aber hatten eine breite Truppe gebildet. Sternau zählte fünfzehn einzelne Pferdespuren, sie waren also, außer den vier Getöteten, alle beisammen, Verdoja, Pardero, vier Gefangene und neun Mexikaner. Er hatte gute Hoffnung, heute abend ihr Lager zu beschleichen und wieder einige von ihnen zu töten. Mit diesem tröstlichen Gedanken sprengte er vorwärts, zumal er sah, daß auch sie Galopp geritten waren.


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