Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

34. Kapitel.

Unterdessen war Sternau mit seinen beiden Begleitern vorwärts geritten, aber nicht so scharf wie vorhin, sondern er hatte den Gang seines Pferdes gezügelt und betrachtete nun mit forschenden Blicken den Bau des Tales und die Entfernung der Bergwände voneinander.

»Ein gefährliches Loch!« sagte er. – »Warum?« fragte Donnerpfeil. – »Wenn Verdoja uns hier nicht einen Hinterhalt gelegt hat, so verdient er totgeprügelt zu werden. Wir wollen langsam vordringen und so tun, als ob wir uns gar nicht umblickten. Aber ich werde dabei die Augen offenhalten.«

Sie ritten im Schritt vorwärts, bis sie an die Stelle kamen, an der Verdoja gelagert hatte. Hier blieben sie stehen.

»Hier haben die Schufte ausgeruht«, sagte Francesco.

Sternau warf einen Blick umher und erwiderte hastig:

»Rasch! Steigt von den Pferden, koppelt sie an und tut, als ob wir hier lagern wollten! Schnell, schnell!«

Donnerpfeils Auge suchte in der Richtung, die der Blick Sternaus gehabt hatte, und sofort sprang er vom Pferd.

»Sie haben recht!« sagte er.»Aber lassen wir uns nichts merken. Wir müssen uns eine Verschanzung suchen.« – »Da, rechts an der Wand, der große Felsblock«, entgegnete Sternau, »die Pferde werden sie nicht erschießen. Wir teilen uns und tun, als ob wir Holz zum Lagerfeuer suchen wollen; dann springen wir hinter den Felsen.«

Sie ließen ihre Pferde grasen und lasen dürre Zweige auf.

»Seht«, meinte der erste Mexikaner, »sie bleiben hier. Wir können sie also in aller Gemütlichkeit niederpuffen.« – »Sie suchen Lesholz«, sagte der zweite. »Wir haben unsere Spuren nicht verwischt.« – »Pah, die haben sie ja gar nicht gesehen. Sie sind ja noch nicht in das Seitentälchen gekommen. Es muß einen anderen Grund haben.« – »Schwerlich. Nun stecken wir hier und sie drüben. Wir sind also ebensogut belagert wie sie!«

So war es in der Tat. Sternau hatte nichts weiter gesehen, als am Eingang zu dem Seitental den abgebrochenen Zweig eines Busches. Als der eine Mexikaner, der vorhin von der Höhe Umschau gehalten hatte, emporgeklommen war, hatte er sich an diesem Zweig angehalten und denselben abgebrochen; die Rinde hatte weitergeschlitzt, so war eine helle Stelle entstanden, die einem scharfen, vorsichtigen Auge sofort auffallen mußte. Auch Donnerpfeil hatte sie bemerkt.

Jetzt lagen die drei Bedrohten hinter dem Felsen in vollständiger Sicherheit.

»Was gab es denn?« fragte Francesco.

Er konnte sich den Grund dieses Versteckspielens nicht erklären.

»Siehst du nicht den abgeschlitzten Zweig da drüben am Busch?« fragte Donnerpfeil. – »Ah! Ja.« – »Und darüber die eigentümlichen Einschärfungen in dem Steingeröll?« – »Ja.« – »Nun, es ist vor ganz kurzer Zeit jemand da oben gewesen und hat nach uns ausgeschaut. Als er uns bemerkte, ist er etwas zu hastig in das Tal zurückgekehrt, mehr gerutscht als gelaufen und hat also jene Spur zurückgelassen. Da drüben stehen Leute, die uns auflauern.« – »Donnerwetter!« fluchte Francesco. – »Du brauchst keine Angst zu haben«, lächelte Sternau. »Es sind nur zwei, höchstens drei Männer.« – »Warum so wenige?« fragte Donnerpfeil. – »Glauben Sie«, antwortete Sternau, »daß sich Verdoja mit seiner ganzen Truppe in den Hinterhalt gelegt hat? Nein! Es muß ihm zuerst daran liegen, seine Gefangenen in Sicherheit zu bringen. Es sind vier, die Eskorte aber beträgt nur elf Mann, und so kann er höchstens drei entbehren. Da er ja nicht gewußt hat, daß ich Hilfe erhalte, und glaubte, daß ich allein kommen werde, so hat er gemeint, ein einziger sei genug, mir eine Kugel zu geben. Der Hinterhalt da drüben liegt natürlich in Schußweite von dem Lagerort. Wir wollen einmal alles genau absuchen. Vielleicht bemerken wir das Versteck.«

Sein scharfes Auge glitt langsam und bedächtig über jeden Busch und Stein, der da drüben Deckung geben konnte.

»Ah, ich hab's!« sagte er plötzlich. – »Wo?« fragte Francesco. – »Ich sah ein Knie für einen kurzen Augenblick hinter jenem hohen, viereckigen Felsen erscheinen. Wollen den Leuten einmal eine Kugel geben.« – »Sie wird nicht treffen«, meinte der Vaquero. – »Ich bin vom Gegenteil überzeugt.«

Sternau legte sich platt auf den Boden. Es war aus der Ecke des Steins, hinter dem sie steckten, etwas ausgebröckelt und er konnte also durch diese Öffnung zielen, ohne sich selbst eine Blöße zu geben. Dann bat er Donnerpfeil:

»Wenn Sie Ihren Hut auf den Gewehrlauf stecken und ihn so weit emporhalten, daß es gerade so aussieht, als ob jemand über den Stein hinübersehen wolle, so wird sich wohl einer da drüben verleiten lassen, nach dem Hut zu schießen; er wird also einen Teil von sich sehen lassen müssen, und dann ist es um ihn geschehen.« – »Wollen es versuchen«, meinte Donnerpfeil lächelnd, indem er den Hut vom Kopf nahm und auf den Gewehrlauf steckte.

Drüben hatten vorher die beiden Häuptlinge alles genau beobachtet und legten ihre Büchsen bereit, um jeden Augenblick abdrücken zu können.

»Jetzt sind sie in Schußweite«, sagte Bärenherz. »Sie steigen ab. Der Fürst des Felsens blickt sich um, ah, sein Auge blitzt auf; er hat etwas Verdächtiges bemerkt. Was muß es sein?«

Büffelstirn nickte.

»Er ist gewarnt. Er weiß, daß ihm der Tod nahe ist. Jetzt gibt er den anderen seine Befehle. Wie ruhig! Ja, er ist ein großer Jäger!« – »Uff« flüsterte Bärenherz. »Sie springen hinter den Stein. Sie sind gerettet, auch ohne uns. Was werden sie beginnen?«

Es verging eine Weile; dann erschien da drüben der Hut, und es sah ganz so aus, als ob ein Kopf vorsichtig herüberblickte.

»Uff!« flüsterte Bärenherz. »Welche Unvorsichtigkeit!« – »Hält mein Bruder den Fürsten des Felsens wirklich für so dumm?« fragte Büffelstirn. »Wir wollen den Spaß abwarten.«

Die drei Mexikaner flüsterten miteinander; dann griff der erste nach seinem Karabiner, lehnte ihn an die Kante des Felsens, bog seinen Kopf ein wenig vor und zielte auf den Hut. Noch aber hatte er nicht losgedrückt, so blitzte es drüben auf, ein Schuß krachte, und der Mexikaner sank mit zerschmettertem Kopf hintenüber.

»Sieht nun mein Bruder, daß es eine List war?« fragte Büffelstirn. – »Der Herr des Felsens ist wahrhaftig ein großer Jäger!« antwortete der Gefragte. – »Er würde die beiden anderen auf alle Fälle töten; aber das dauert zu lange. Wollen wir uns zeigen?« – »Ja«, nickte der Apache.

Die beiden Mexikaner waren um ihren Toten so beschäftigt, daß sie gar kein Auge für das hatten, was hinter ihnen vorging. Die beiden Häuptlinge erhoben sich also und winkten hinüber; dann ließen sie sich wieder nieder.

»Alle Teufel, was ist das!« sagte Donnerpfeil. – »Das ist ja Büffelstirn«, meinte Sternau. »Wer war der Indianer an seiner Seite?« – »Bärenherz, der Apache«, antwortete der Gefragte. – »Der berühmte Bärenherz? Welch ein Zusammentreffen! So haben wir den Feind also zwischen zwei Feuern. Wer konnte ahnen, daß die beiden Häuptlinge in der Nähe sind. Kein Zufall konnte so glücklich sein.« – »Sie werden die Mexikaner erschießen, wir brauchen nur ruhig zuzusehen«, meinte Francesco. – »Daran liegt mir nichts«, entgegnete Sternau. »Besser ist es, wir fangen sie lebendig, damit wir sie ausfragen können. Ich hoffe nicht, daß diese Mexikaner die Sprache der Apachen verstehen. Wenn ich also rufe, werden sie nicht ahnen, wem es gilt und wie es heißt. Und ich glaube auch nicht, daß die beiden Häuptlinge so unbedacht sind, mir mit Worten zu antworten.« – »Das fällt ihnen nicht ein«, sagte Donnerpfeil.

Sternau ließ einige Augenblicke vergehen, dann rief er, aber ohne sich sehen zu lassen, mit seiner weithin schallenden Stimme:

»Tlao nte akajia – wie viele Feinde sind drüben?«

Sofort erhoben sich hinter dem Versteck der Häuptlinge zwei Arme.

»Also nur zwei«, meinte Sternau; »ich hatte recht.«

Und er rief abermals:

»Ni nokhi et tastsa, ni nokhi hotli intahinta – ich will sie nicht tot, sondern ich will sie lebendig haben!« – »Was schreit nur dieser Sternau da drüben?« meinte der eine Mexikaner. »Will er uns verhöhnen, so mag er doch spanisch reden! Wir stecken in einer verfluchten Patsche. Sobald wir ein Glied sehen lassen, werden sie schießen. Es bleibt uns wirklich nichts anderes übrig, als hier steckenzubleiben, bis es Nacht wird oder gar bis die Unsrigen zurückkehren.«

Es sollte aber anders kommen, als er gedacht hatte. Die Häuptlinge hatten nämlich Sternau verstanden. Sie legten ihre Büchsen weg, nahmen die Messer zwischen die Zähne, erhoben sich und schlichen sich leise an die Mexikaner heran. Sternau bemerkte dies und sah, daß er die Aufmerksamkeit der letzteren von den Indianern ablenken müsse; er erhob sich also zu seiner vollen Höhe, legte die Büchse an und zielte.

»Ah, er will schießen!« lachte der eine Mexikaner, indem er vorsichtig hinter dem Felsen hervorlugte. »Ich werde ihm eine Kugel geben.«

Damit langte er nach seinem Gewehr, fühlte aber in demselben Augenblick zwei Hände um seinen Hals, die ihm die Kehle mit solcher Gewalt zudrückten, daß ihm der Atem verging, und seinem Kameraden geschah ebenso.

»Hinüber!« sagte jetzt Sternau, indem er quer über das Tal sprang. Die beiden anderen folgten ihm. Sie brauchten gar nicht zu helfen, denn die Häuptlinge waten bereits beschäftigt, die Besinnungslosen mit ihren Lassos zu binden.

»Büffelstirn, der Häuptling der Mixtekas, rettet mich zum zweiten Mal«, sagte Sternau und streckte dem Genannten dankbar die Hand entgegen.

»Der Fürst des Felsens hat sich selbst verteidigt«, sagte der Häuptling bescheiden. »Hier steht Bärenherz, der Häuptling der Apachen.«

Sternau streckte auch diesem die Hand entgegen.

»Ich begrüße den tapferen Häuptling der Apachen«, sagte er. »Sein Name ist berühmt, aber seine Gestalt sehe ich erst heute.« – »Noch berühmter ist der Fürst des Felsens«, antwortete der Apache. »Er ist ein Freund der roten Männer, und ich werde sein Bruder sein.«

Die beiden großen Jäger und Krieger standen einander gegenüber, Hand in Hand, der eine ein hochgebildeter Meister und der andere ein ungebildeter Indianer, aber vom Standpunkt der Menschlichkeit beide von gleich hohem Wert. Sie dachten in diesem Augenblick wohl nicht, welchem gemeinschaftlichen Geschick auf viele Jahre hinaus sie entgegengingen. Auch die anderen, die sich ja bereits kannten, begrüßten sich; dann setzten sie sich zur Beratung nieder, aber so, daß die zwei Mexikaner von der Unterhaltung nichts hören konnten.

»Was treibt unsere Freunde über die Wüste?« fragte Büffelstirn. – »Ein sehr trauriges Ereignis«, antwortete Sternau. »Die Hacienda del Erina ist überfallen worden.« – »Von wem? Von den Mexikanern?« – »Ja, diese Schufte haben vier Personen gefangengenommen, nämlich Señor Mariano, Señor Helmers, Señorita Emma und Señorita Karja.«

Die Indianer sind gewöhnt, selbst der überraschendsten Nachricht mit stoischem Gleichmut entgegenzutreten, bei Nennung dieser Namen aber fuhren die Häuptlinge alle beide erschrocken empor.

»Karja, meine Schwester?« fragte Büffelstirn. – »Karja, die Blume der Mixtekas?« rief Bärenherz. – »Ja«, antwortete Sternau. – »Wie ist das gekommen? Waren keine Männer da?« fragte die beiden wie aus einem Mund. – »Es waren alle Männer da, aber...« – »Nein, es können keine Männer da gewesen sein, wenn man Gefangene fortzuschleppen vermag«, sagte Bärenherz.

Der Umstand, daß er Sternau gar nicht ausreden ließ, verriet deutlich, wie sehr sein Herz noch heute an Karja hing.

»Ich sage dem Häuptling der Apachen, daß ich selbst gefangen war«, entgegnete Sternau. – »Der Fürst des Felsens war gefangen?« fragte Bärenherz ungläubig. – »Ja.« – »Aber ich sehe ihn doch frei.« – »Weil ich mich befreit habe. Die beiden Häuptlinge mögen hören, was geschehen ist.«

Er erzählte nunmehr in kurzen, gedrängten Worten das Erlebnis der letzten Tage. Als er geendet hatte, reichte ihm der Apache die Hand und bat:

»Der Fürst des Felsens möge mir verzeihen. Im Dunkel der Nacht ist es leicht, den stärksten und tapfersten Helden hinterrücks niederzuschlagen. Jetzt aber wollen wir die Pferde verbergen, denn keiner weiß, wer kommen kann.«

Sternau ging selbst mit, und die Pferde wurden in das Nebental geführt, wo man bei dieser Gelegenheit die drei Pferde der Mexikaner fand, die hinter dem Gebüsch verborgen waren, wo sie ruhig weideten. Die Mexikaner, die wieder zu sich gekommen waren, wurden jetzt herbeigeschafft; Francesco blieb am Eingang des Seitentals als Wache zurück, und die übrigen hörten den Fragen zu, die Sternau an die Gefangenen richtete.

»Ihr gehört zu der Truppe Verdojas?« fragte er.

Keiner antwortete.

»Ich sah euch bei ihm, es hilft euch weder das Schweigen noch eine Leugnung etwas«, sagte er. »Aber ich will euch bemerken, daß ihr euer Schicksal verschlimmert, wenn ihr hartköpfig seid. Weshalb bliebt ihr zurück?« – »Verdoja gebot es uns«, erwiderte der eine barsch. – »Was solltet ihr?« – »Wir sollten Sie fangen oder töten.« – »Das konnte ich mir denken. Aber getrautet ihr drei euch denn wirklich an mich? Ihr habt mich ja kennengelernt. Töten war leicht, aber das Fangen wäre euch schwergeworden.« – »Wir dachten, Sie würden erst morgen hier vorüberkommen, und Verdoja wollte uns ja Hilfe senden.« – »Ah! Es kommen noch Leute?« – »Ja.« – »Wann?« – »Vielleicht bereits morgen am Vormittag.« – »Wie viele?« – »Das wissen wir nicht.« – »Wohin hat Verdoja seine Gefangenen geführt?« – »Auch das wissen wir nicht.« – »Lüge nicht!« – »Glauben Sie, daß Verdoja uns solche Geheimnisse mitteilt?« – »Hm! Aber diejenigen, die morgen nach hier zurückkehren, werden es wissen?« – Jedenfalls.« – »Wo wollten sie mit euch zusammentreffen?« – »Hier im Tal.« – »Wieviel hat Verdoja euch für den Raub versprochen?« – »Dem Mann hundert Pesos.« – »Es ist gut. Man wird über euer Schicksal beraten.«

Diese Beratung fiel für die beiden Gefangenen sehr ungünstig aus. Sternau hätte ihnen gern das Leben geschenkt, aber die beiden Häuptlinge gaben es nicht zu, und Donnerpfeil nebst Francesco schlossen sich ihnen an.

Die Mexikaner wurden tiefer in das Seitental hineingeführt, während Sternau zurückblieb. Als er zwei Schüsse fallen hörte, wußte er, wem sie gegolten hatten. Zu den beiden Toten wurde nun auch der Leichnam des dritten geschleift, und man begrub sie gar nicht, sondern ließ sie den Geiern, die sich bald versammelten, zum Fraß liegen.

Jetzt waren sie zu fünf Mann versammelt und konnten auch von der Veranlassung sprechen, welche die Apachen herbeigeführt hatte. Sternau wußte weiter nichts, als daß ein Leutnant mit einer Schwadron Lanzenreiter, die zu Juarez gehörten, in Monclova hielt, und daß Verdoja sechs Mexikaner bei sich hatte. Selbst wenn diese morgen zurückkehrten, brauchte man sie nicht zu fürchten, und so wurde beschlossen, daß Bärenherz zu seinen Apachen gehen solle, um sie über sein Wegbleiben zu beruhigen und jenseits des Gebirgszuges auf die anderen zu warten. Bärenherz entfernte sich daher zusammen mit Büffelstirn, und beide suchten ihre Pferde auf, worauf sie sich trennten und Büffelstirn zu Sternau zurückkehrte.


 << zurück weiter >>