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21. Kapitel.

Sobald die Offiziere von der Hazienda aufgebrochen waren, stieg auch Sternau mit dem Leutnant zu Pferde und schlug ganz denselben Weg ein, den er gestern geritten war, um zu dem Stein zu gelangen. Sie verbargen ihre Pferde ganz an demselben Ort, wo er gestern das seinige versteckt hatte, und begaben sich dann nach der improvisierten Poste-restante-Station. Der Leutnant bestieg die Zeder, und Sternau versteckte sich hinter einige Büsche, die ihm genügenden Schutz gewährten.

Sie hatten eine längere Weile zu warten, ehe sie den Hufschlag nahender Pferde vernahmen. Die Reiter hielten draußen am Rand des Gehölzes, stiegen ab und kamen dann bis zu dem Stein heran. Es waren Verdoja und Pardero.

Der erstere hob den Stein empor und steckte einen Zettel unter denselben. Sie lauschten einige Sekunden lang, ob sich in der Umgebung etwas rege, dann kehrten sie zu ihren Pferden zurück und ritten davon. Nun verließen die beiden Lauscher ihre Verstecke, und Sternau nahm den Zettel hervor.

»Pardero war dabei«, sagte der Leutnant, »er ist also eingeweiht. Darf ich diesen Zettel lesen, Señor?«

Sternau hatte die Worte bereits überflogen und reichte ihm das Papier hin. Darauf stand:

»Bleibe in der Nähe dieses Ortes. Um Mitternacht treffe ich dich hier beim Stein. Du hast dich zu rechtfertigen.«

Auch dieses Mal fehlte die Unterschrift. Der Leutnant fragte Sternau:

»Das ist für denjenigen bestimmt, der Sie und Señor Mariano erschießen sollte?« – »Ja.« – »Er wird den Zettel finden?« – »Nein.« – »So beabsichtigen Sie nicht, ihn wieder unter den Stein zurückzulegen? Ich würde das tun und dann um Mitternacht das Gespräch belauschen.« – »Das ist nicht möglich, da der betreffende Mann nicht kommen wird. Er befindet sich bereits in meiner Gewalt; er ist Gefangener auf der Hazienda. Kommen Sie zu den Pferden. Nun Sie die beiden Mörder mit eigenen Augen beobachtet haben, werde ich Ihnen alles erzählen, das kann ich während des Heimritts tun.«

Was der Leutnant hörte, das forderte nicht nur sein Erstaunen, sondern auch seinen tiefsten Abscheu heraus; er beschloß, ganz nach den Gefühlen zu handeln, deren er sich jetzt nicht mehr erwehren konnte.

»Was werden Sie tun?« fragte er Sternau. – »Ich werde den Kapitän und seinen Helfer entlarven«, war die Antwort. – »So recht! Werde ich dabeisein dürfen?« – »Gewiß! Ich werde Sie sogar bitten, mein Zeuge zu sein.« – »Und was gedenken Sie mit den Gefangenen zu tun, Señor?« – »Ich habe ihnen versprochen, ihr Leben zu schonen, falls sie ein offenes Geständnis ablegen; sie haben dies getan, und nun ist es meine Pflicht, mein Wort zu halten.« – »Hm, das ist nicht vorsichtig. Diese Kerle haben den Strick verdient. Werden sie ohne Strafe entlassen, so sind Sie Ihres Lebens ja gar nicht mehr sicher.« – »Das sage ich auch, aber ich habe mein Wort noch nie gebrochen und werde es auch jetzt nicht tun. Vielleicht macht meine Nachsicht einen bessernden Eindruck auf sie.« – »Dies glaube ich nicht; auf diese Art von Menschen macht Milde keinen Eindruck, da sie die Humanität doch nur für Schwäche halten. Aber Sie haben leider Ihr Wort einmal gegeben, und so ist nichts daran zu ändern.«

Sie langten eine bedeutende Weile später auf der Hazienda an als der Kapitän und Pardero. Der erste befand sich bereits im Lager der Soldaten und sah sie kommen. Er runzelte die Stirn. Daß der Leutnant sich in Sternaus Gesellschaft befand, war ihm im höchsten Grade unangenehm, ja bedenklich; darum kam er ihm mit finsterer Miene entgegen und fragte:

»Leutnant, wo waren Sie?« – »Spazieren«, lautete die Antwort. – »Hatten Sie meine Erlaubnis?« klang es drohend. – »Bedarf ich derselben?« fragte der Offizier scharf. – »Ich denke. Wir befinden uns nicht in Garnison, sondern auf dem Marsch.« – »Ich meine, daß wir uns nicht auf dem Marsch, sondern im Biwak befinden, Kapitän.« – »Diese Unterscheidungen sind hier nutzlos, Leutnant. Sie haben um Urlaub anzufragen, sobald Sie die Absicht haben, sich zu entfernen.«

Der junge Offizier errötete, aber nicht vor Scham, sondern vor Unwillen, denn die Lanzenreiter standen umher und konnten jedes Wort hören, das gesprochen wurde.

»Dies hätte ich nur dann zu tun«, antwortete er, »wenn ich die Absicht hätte, zu verreisen oder mich während einer Zeit zu entfernen, die den dienstlichen Angelegenheiten gewidmet sein soll. Gegenwärtig aber habe ich ebenso einen Spazierritt gemacht wie Sie und Leutnant Pardero. Was dem einen gestattet ist, muß auch dem anderen erlaubt sein. Sie werden mir da wohl recht geben?«

Der Kapitän reckte sich zu seiner vollen Höhe empor.

»Señor, wissen Sie, was Widersetzlichkeit zu bedeuten hat?« rief er drohend. – »Das weiß ich genau so gut wie Sie, Señor, aber von Widersetzlichkeit ist hier keine Rede. Es handelt sich um eine einfache Meinungsverschiedenheit, die in ruhiger und anständiger Weise ausgeglichen werden kann. Es versteht sich doch ganz von selbst, daß ein Offizier sich vor den Augen der Mannschaft nicht grundlos maßregeln lassen kann!«

Die Augen des Kapitäns blitzten vor Wut. Er trat einen Schritt näher, streckte die Hand aus und gebot:

»Geben Sie Ihren Degen ab, Leutnant! Sofort!«

Der Leutnant war zwar noch jung, aber doch ein furchtloser Mann. Er vermochte sich so zu beherrschen, daß er lächelnd antworten konnte:

»Meinen Degen? Pah! Den haben Sie nicht zu verlangen!« – »Ich bin Ihr Vorgesetzter!« – »Gewesen! Sie sind ein Schurke, ein großer, ein ausgefeimter Bösewicht. Es wäre für mich die größte Schande, wenn Sie meinen ehrlichen Degen nur anrührten!«

Diese Worte waren mit erhobener Stimme gesprochen worden, so daß sie von sämtlichen Soldaten verstanden werden konnten. Die amerikanische Disziplin ist eine andere als zum Beispiel die preußische. Als die Lanzenreiter die fürchterliche Anschuldigung vernahmen, schlossen sie sofort einen Kreis um die Offiziere. Pardero stand auch dabei, und Sternau hielt an der Seite des mutigen jungen Leutnants, so daß er sich also mit den drei Offizieren in der Mitte des Kreises befand.

Der Schimpf, der in den letzten Worten lag, war so groß, daß der Kapitän für den ersten Augenblick gar keine Worte zur Entgegnung fand, dann aber riß er den Revolver aus dem Gürtel, zielte auf den Leutnant und rief mit donnernder, aber vor Wut zitternder Stimme:

»Widerrufen Sie sofort, oder ich schieße Sie nieder!« – »Widerrufen? Nein. Ich wiederhole, was ich sagte«, lautete die furchtlose Antwort.

Da wollte der Kapitän wirklich losdrücken, aber in demselben Augenblick gab Sternau seinem Pferd die Sporen, er schoß in einer kräftigen Lançade an dem Kapitän vorüber, und dieser erhielt dabei von Sternau einen solchen Faustschlag, daß er augenblicklich zusammenbrach.

»Was ist das? Was wagen Sie?« rief Pardero. – »Nichts!« antwortete Sternau. »Höchstens wage ich, meine Hand zu besudeln.« – »Ja«, rief der junge Leutnant seinem Kameraden zu, »ich erkläre auch Sie für einen Schurken, mit dessen Berührung man sich nur besudeln kann!«

Pardero wurde bleich, entweder vor Ärger oder vor Angst oder aus allen beiden Gründen.

»Sie phantasieren wohl?« rief er. – »Nein, ich bin im Besitz meiner Besinnung, ja sogar eines vollen moralischen Bewußtseins, was bei Ihnen nicht der Fall ist« – »Ah, Sie mögen daran denken, daß ich Ihr Vorgesetzter bin. Sie sind der jüngste Offizier!« – »Sie sind mein Vorgesetzter nicht mehr. Ich diene keinen Augenblick länger mit Ihnen.« – »Ah, Sie treten aus?« – »Das wird sich finden. Entweder trete ich aus oder Sie beide.« – »Sie vergessen, daß man nicht so leicht und schnell auszutreten vermag«, lächelte Pardero höhnisch. »Zunächst verhafte ich Sie wegen Insubordination, und auch Señor Sternau ist wegen Körperverletzung mein Gefangener!« – »Meinen Sie?« fragte Sternau. »Sie Wurm hätten das Geschick, mich gefangenzunehmen? Kommen Sie einmal her.«

Pardero stand in seiner unmittelbaren Nähe; das war eine Unvorsichtigkeit von ihm, denn Sternau langte zu, faßte ihn beim Kragen, riß ihn zu sich empor und schmetterte ihn darauf mit solcher Gewalt zu Boden, daß er liegenblieb. Das war den Lanzenreitern denn doch zu viel. Der alte Wachtmeister der Truppe trat hervor, salutierte vor dem Leutnant und fragte:

»Señor Leutnant, dürfen wir erfahren, was dies alles zu bedeuten hat?«

Der Gefragte nickte ihm freundlich zu und erwiderte:

»Bartholo, wer ist euch der liebste Offizier? Sage es aufrichtig!« – »Hm! Sie, Herr Leutnant; das wissen Sie. Wir hätten sonst wahrlich nicht so ruhig zugesehen, daß Señor Verdoja und Señor Pardero von Ihnen in dieser Weise insultiert wurden. Und von einem Zivilisten erst recht nicht.« – »Nun gut, Bartholo, so will ich dir sagen, daß diese beiden Señores durchaus infam gehandelt haben. Sie haben sich mit Räubern und Mördern verbunden, um ehrliche Leute zu morden und brave Damen zu beleidigen.« – »Ist das wahr, Señor?« – »Ja, du kannst es glauben. Wir haben heute morgen ein Duell gehabt; dabei sind sie um ihre rechten Hände gekommen; das war ein Gottesgericht. Und eben jetzt war ich mit diesem Señor draußen im Wald, um sie zu belauschen. Sie sind nicht wert, brave, mexikanische Lanzenreiter zu befehligen. Ich diene nicht weiter unter ihnen.« – »Caramba, Señor, da trete auch ich aus!« meinte der Alte. – »Das ist nicht nötig, Bartholo. Du bist ein altgedienter Haudegen und weißt genau, was sich schickt. Ich meine, wir untersuchen den Fall und bestimmen dann, wer auszutreten hat, sie beide oder ich.« – »Das ist wahr, Señor Leutnant«, meinte der Wachtmeister, indem er sich den Schnauzbart strich. »Müssen Sie austreten, dann trete ich mit aus, und ich glaube, es löst sich die ganze Schwadron auf. Werden aber diese beiden, denen wir ja alle nicht grün sind, zum Teufel gejagt, so sind Sie Kapitän.« – »Und du wirst Oberleutnant. Die anderen folgen nach, ganz nach der Reihenfolge.« – »So meinen Sie also, wir konstituieren ein Kriegsgericht?« – »Nein, denn ihre Verbrechen sind keine militärischen. Ich meine ein Ehrengericht.« – »Gut. Nehmen wir ihnen die Waffen ab?« – »Das versteht sich.« – »Fesseln wir sie?« – »Nein. Aber sie sind einstweilen Arrestanten und werden in einem Zimmer der Hazienda bewacht. Das Gericht wird im Hof abgehalten, so daß die ganze Schwadron es hören kann. Sie sind besinnungslos. Laß sie einschließen und bewachen, und dann kommst du herauf zu mir, um bei der Voruntersuchung zugegen zu sein.«

Es war ein Glück, daß der junge Leutnant die Liebe seiner Untergebenen in diesem Maß besaß, sonst wäre der Ausgang dieser gefährlichen Szene sicherlich ein ganz anderer gewesen. Wie zwei Helden hielten er und Sternau in der Mitte der halbwilden Soldateska; auf seinen Wink wurden den beiden Bewußtlosen die Waffen genommen, und dann schaffte man sie in ein kleines Zimmer, dessen Tür und Fenster bewacht wurden.

Nun begaben sich die beiden hinauf in den Saal, wo sie erzählten, was sie erlebt hatten. Mariano bestand darauf, daß das Ehrengericht in Anwesenheit der Bewohner der Hazienda gehalten werde und die beiden Gefangenen unter Aufsicht einiger kräftiger Vaqueros vorgeführt werden sollten. Beides wurde zugestanden und dann auch sofort die Vorbereitung zu der Sitzung getroffen.

Während unten die Lanzenreiter in einzelnen Gruppen den ungewöhnlichen Vorfall besprachen, kam der alte Wachtmeister und wurde mit dem Leutnant zu den drei gefangenen Mexikanern geführt, die ihre Aussagen wiederholen sollten. Sie taten es, und da hiermit alle Vorbereitungen erledigt waren, so wurden nun mehrere Stühle und Bänke in den Hof geschafft, auf denen die Hauptpersonen Platz zu nehmen hatten.


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