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13. Kapitel.

Es wogt der Aufruhr durch die Gassen,
Die Höhen leuchten blutig rot;
Es geht durchs Land ein grimmig Hassen,
Und reiche Ernte hält der Tod.

Der Menschheit wild gewordne Scharen
Zieh'n mordend durch den weiten Gau,
Und tausend tückische Gefahren
Wälzt die Empörung durch die Au'.

Das stille Land wird zum Vulkane,
Der weithin sein Verderben speit.
Und die Elemente zum Orkane,
Zertrümmernd alles, weit und breit.

Es war bereits gegen die Zeit der Abenddämmerung, als donnernder Hufschlag das Nahen der Lanzenreiter verkündigte. Nur die Offiziere sollten in dem Haus wohnen, die Mannschaft mußte es sich unter dem freien Himmel so bequem wie möglich machen. Das ist in jenen Breiten nichts Ungewöhnliches und wird nichts weniger als hart empfunden. Die Pferde sind dort halb wild und bedürfen keiner Stallung, und die Menschen führen ein Leben, das es ihnen ganz gleichgültig macht ob sie in einem weichen Bett einer einfachen Hängematte oder auf harter Erde liegen.

Kapitän Verdoja wurde mit seinen Offizieren in den Salon geführt; dann trat nach dem Willkommenstrunk die alte Hermoyes ein, um die Herren nach ihren Zimmern zu führen. Emma Arbellez hatte das Krankenbett des Geliebten verlassen, um diese Zimmer noch einmal zu revidieren, ob sich alles in Ordnung befinde. Sie stand in dem Raum, der dem Kapitän zugewiesen wurde. Sie hörte seine Schritte; es war zu spät, sich zurückzuziehen.

Er öffnete die Tür, um einzutreten, da sah er sie in der Mitte des Zimmers stehen. Sie war vorher bereits schön gewesen, jetzt aber hatte die Sorge um den Geliebten ihren Zügen etwas Bewegt-Inniges aufgeprägt, das den Eindruck ihrer Erscheinung noch um ein Bedeutendes steigerte. Die Sonne sank soeben hinter dem Horizont hinab; ihre letzten Strahlen drangen durch das Fenster herein und umflossen die Gestalt des schönen Mädchens mit einem rosig goldenen Schein. Es war, als ob die Königin des Tages ihre schönsten Strahlen hereinsende, um auf die schwellenden Lippen der Holden einen Abschiedskuß zu drücken. Verdoja blieb überrascht stehen. Das war ein Bild, wie es die Hand des größten Künstlers nicht auf die Leinwand zu werfen vermochte. Er fühlte sich ergriffen und gepackt, aber nicht von jenem reinen, heiligen Gefühl, welches das Schöne liebt und zugleich ehrt, sondern von einer plötzlichen, leidenschaftlichen Empfindung, wie sie dem Herzen eines in Genußsucht und Frivolität versunkenen Menschen eigen ist.

Emma verbeugte sich errötend und bat mit lieblich klingender Stimme:

»Treten Sie näher, Señor! Sie befinden sich in Ihrer Wohnung.«

Er gehorchte dieser Aufforderung und verbeugte sich mit dem Anstand eines gewandten, im Umgang mit dem schönen Geschlecht erfahrenen Kavaliers.

»Ich bin entzückt, meine Wohnung durch die Anwesenheit der Schönheit geweiht zu sehen«, antwortete er, »und bitte um Ihre milde Verzeihung, daß ich diesen Weiheakt durch meine Dazwischenkunft profaniere.«

Sie hatte bereits im Begriff gestanden, ihm nach mexikanischer Sitte die Hand zum Willkommen entgegenzustrecken, jetzt aber zog sie dieselbe wieder zurück. Es lag in seinem Wesen, seinen Worten, in seinem Gesicht etwas, das sie feindselig berührte.

»O bitte, der ganze Weiheakt bestand nur darin, nachzusehen, ob genügend für Ihre Bequemlichkeit gesorgt sei«, sagte sie. – »Ah, so sind Sie also der Schutzgeist des Hauses! Vielleicht gar ...?« – »Der Haziendero ist mein Vater«, sagte sie kurz. – »Ich danke, Madonna! Mein Name ist Verdoja; ich bin Hauptmann der Lanzenreiter und fühle mich in diesem Augenblick unendlich glücklich, Ihr kleines, reizendes Händchen küssen zu dürfen.«

Er hatte dabei ihre Hand ergriffen und drückte, ohne daß sie es so schnell zu verhindern vermochte, seine Lippen auf dieselbe. Sie zog die Hand wie erschreckt zurück.

»Erlauben Sie, daß ich Ihr Gebiet Ihnen überlasse«, sagte sie. »Sie werden der Ruhe und Erfrischung bedürfen.«

Sie machte Miene, sich der Tür zu nähern, er aber trat ihr mit einem schnellen Schritt in den Weg.

»Oh, ich bedarf der Ruhe gar nicht«, sagte er, »und mein eigentliches Gebiet ist die Liebe und die Anbetung der Schönheit. Lassen Sie sich nieder, Madonna. Ich sehe Sie erst seit einer Minute, aber ich schmachte danach, hier an Ihrer Seite bleiben zu dürfen.«

Emma geriet in sichtliche Verlegenheit. Dieser Mann war jedenfalls gewöhnt, mit den koketten Damen der Hauptstadt zu verkehren, sie aber fühlte sich einem so selbstbewußten Auftreten gegenüber fast waffenlos.

»O bitte, erlauben Sie!« bat sie. »Ich habe Pflichten zu erfüllen.«

Sein Auge bohrte sich flammend und verlangend in ihr Angesicht Sie antwortete:

»Die vornehmste Pflicht der Wirtin ist, sich dem Gast angenehm zu machen.« – »Und die Pflicht des Gastes ist es, aufmerksam gegen die Wirtin zu sein!« – »Das bin ich, wahrhaftig, das bin ich!« rief er. »Erlauben Sie mir Ihre Hand, und verlassen Sie mich jetzt noch nicht!«

Er griff nach ihrer Hand, sie aber brachte es fertig, in diesem Augenblick an ihm vorüberzuschlüpfen und die Tür zu erreichen.

»Adieu, Señor!« sagte sie, dieselbe öffnend. – »Halt!« rief er. »Ich lasse Sie nicht fort.«

Er griff nach ihr, aber schneller als seine Hand war, huschte sie hinaus und drückte die Tür hinter sich zu. Er stand da und starrte lange Zeit die Tür an.

»Donnerwetter!« meinte er. »Welch eine Schönheit! Es ist mir noch gar nicht so gegangen wie jetzt, daß ich gleich beim ersten Anblick so perfekt verliebt bin. Das wird ein reizendes Quartier. Wäre ich nicht bereits verheiratet so wäre ich vielleicht imstande, hier an dieser wunderbar hübschen Klippe zu scheitern. Aber mein muß sie werden.«

Emma war froh, glücklich entkommen zu sein. Die unlautere Begierde, mit der die Augen dieses wüsten Mannes auf ihr geruht hatten, erschreckte sie, und sie nahm sich vor, seine Nähe so viel wie möglich zu meiden. Sie begab sich von ihm direkt nach dem Krankenzimmer, wo jetzt ihr immerwährender Aufenthalt war.

Dort fand sie Sternau und Helmers, die neben dem Kranken saßen. Der Zustand desselben war ein befriedigender. Die Operation war vortrefflich gelungen, und das Wundfieber machte ihm noch nicht viel zu schaffen. Er besaß sein vollständiges Bewußtsein, wenigstens in diesem Augenblick, und sprach mit dem Arzt der ganz in der Nähe des Bettes saß. Als er die Geliebte bemerkte, breitete sich die Röte der Freude über sein blasses Gesicht.

»Komm her, Emma«, bat er. »Denke Dir, Herr Doktor Sternau behauptet, meine Heimat zu kennen.«

Emma wußte dies bereits, aber sie stellte sich, als ob es ihr neu sei.

»Ah«, sagte sie, »das ist ein sehr glückliches Zusammentreffen.« – »Ja. Meinen Bruder kennt er auch. Er hat ihn vor seiner Abreise gesehen.«

Dieser Bruder saß hinter dem Fenstervorhang; daß er da sei, durfte der Patient noch nicht wissen. Es war notwendig, jede Aufregung, mochte sie nun eine fröhliche oder traurige sein, von ihm fernzuhalten. Er war durch seinen krankhaften Zustand und die darauf folgende Operation so geschwächt, daß er fast stets im Schlaf oder in einem traumhaften Halbwachen lag, und so waren die hellen Augenblicke, wie der gegenwärtige, selten.

Dies zeigte sich auch jetzt. Kaum hatte sich Sternau erhoben und Emma an seiner Stelle Platz genommen, so ergriff der Kranke ihre Hand, lächelte ihr glücklich zu und schloß die Augen. Er pflegte mit ihrer Hand in der seinigen einzuschlafen. Dies tat er auch jetzt.

»Sie hegen keine Befürchtung mehr?« flüsterte da Emma Sternau zu. – »Nein. Diese stets wiederkehrende Ruhe, dieser gesunde Schlaf werden ihn körperlich und geistig schnell kräftigen. Wir haben nichts zu tun, als das Besserungsbestreben der Natur zu unterstützen, indem wir alles Störende von ihm fernhalten. Aber Sie selbst müssen sich auch die nötige Ruhe gönnen, sonst bringt uns die Heilung des einen die Erkrankung des anderen.« – »Oh, ich bin stark, Señor!« sagte sie. »Haben Sie um mich keine Sorge.«

Sternau ging und nahm Helmers mit sich. Sie begaben sich hinab vor das Haus, um das Lagerleben der Soldaten in Augenschein zu nehmen. Dort trafen sie auch Mariano, den die gleiche Absicht herbeigetrieben hatte.

Die Lanzenreiter waren beschäftigt, Holz zu ihren Lagerfeuern herbeizuschaffen. Sie trugen, während die Pferde frei zur Weide gingen, die Sättel zusammen, die als Kopfkissen zu dienen hatten. Arbellez hatte ihnen einen Stier zur Verfügung gestellt, den sie geschlachtet hatten und jetzt bereits zerstückten. Alles das gab ein lebhaftes, bewegtes Bild, dem die Männer eine ganze Weile zuschauten.

Dann kam die Zeit des Nachtmahls. Sie begaben sich nach dem Speisesalon, wo sich auch bald die Offiziere einstellten. Der erste Blick des Hauptmanns oder Rittmeisters flog in der Runde herum, um zu sehen, ob Emma anwesend sei. Verdoja fühlte sich enttäuscht, als er bemerkte, daß sie nicht zugegen war. Die alte, gute Hermoyes mußte ihre Stelle vertreten.

Arbellez stellte die Gäste einander vor. Die mexikanischen Offiziere verhielten sich höflich, aber zurückhaltend gegen die Fremden. So feine Caballeros wie sie brauchten um die Gunst eines Deutschen nicht zu buhlen.

Verdoja beobachtete Sternau, Helmers und Mariano; das waren also die Männer, deren Tod ihm einen Länderbesitz im Wert von über eine Million einzubringen hatte. Sein Auge glitt über Mariano und Helmers schnell fort und blieb auf Sternau haften. Die mächtige Gestalt desselben imponierte ihm. Mit diesem Mann war nicht leicht anzubinden, der war ja ein Riese, stärker als Verdoja selbst. Und welches Selbstbewußtsein in jeder seiner Bewegungen und in jedem der wenigen Worte, die er sprach! Der Rittmeister nahm sich vor, bei diesem Mann sein Heil nur in der List zu suchen.

Im Lauf der Unterhaltung während der Tafel machte Arbellez eine Bemerkung, die der Rittmeister sofort aufgriff.

»Es ist uns nicht nur eine Freude, sondern auch eine Beruhigung, Sie hier zu sehen, Señores«, sagte der Haziendero. »Noch gestern erst drohte uns eine große Gefahr.«

Verdoja kannte diese Gefahr aus seiner Unterredung mit Cortejo, aber er tat doch so, als ob er gar nichts davon wisse.

»Eine Gefahr? Welche war es?« fragte er. – »Wir sollten überfallen werden«, antwortete Arbellez. – »Nicht möglich! Von wem?« – »Von einer Schar von Freibeutern oder Briganten.« – »Dann muß diese Schar eine bedeutende gewesen sein.« – »Über dreißig Mann.« – »Alle Wetter! Wenn sich solche Banden zusammentun, so ist es notwendig, die Zügel fester anzuziehen. Galt es Ihrer Hazienda, oder hatte man es nur auf Personen abgesehen?« – »Eigentlich wohl das letztere, aber da diese Personen sich in meinem Haus in Sicherheit befanden, so plante man, dasselbe zu überfallen, zu zerstören und alles zu töten.« – »Teufel! Darf man erfahren, welche Personen das sind?« – »Gewiß. Es sind die Señores Sternau, Mariano und Helmers.« – »Sonderbar! Wie haben Sie sich der Spitzbuben erwehrt?« – »Unser Señor Sternau hat sie alle niedergeschossen.«

Der Rittmeister blickte überrascht zu dem Genannten hinüber, und auch die anderen Offiziere lächelten überlegen und ungläubig.

»Die ganze Bande?« fragte Verdoja. – »Nur einige wenige ausgenommen.« – »Und das hat Señor Sternau ganz allein fertiggebracht?« – »Ja. Er hatte nur einen Begleiter mit, der vielleicht zwei der Feinde erschossen hat, die anderen kommen alle auf Señor Sternaus Rechnung.« – »Das klingt unglaublich. Dreißig Mann sollten sich so ohne alle Gegenwehr von einem einzigen Mann niederschießen lassen? Ihr irrt!« – »Es ist wahr«, sagte der Haziendero begeistert. »Lassen Sie es sich erzählen.«

Da warf Sternau einen ernsten Blick auf Arbellez und sagte:

»Bitte, lassen wir das. Was geschah, ist keine Heldentat.« – »Es ist eine Heldentat, dreißig Mann zu töten«, sagte der Rittmeister, »und ich hoffe, Señor, daß Sie nichts dagegen haben, daß wir uns diese interessante Tatsache erzählen lassen.«

Sternau zuckte die Schultern und ergab sich in das Unvermeidliche. Pedro Arbellez machte den Berichterstatter, und er erzählte so lebendig, daß die Offiziere mit ihren Blicken bis zu seinem letzten Wort an seinem Mund hingen.

»Kaum glaublich!« rief der Rittmeister. »Señor Sternau, ich gratuliere Ihnen zu einer solchen Tat.« – »Danke«, sagte dieser ziemlich kühl. – »Solche Tapferkeit ist nicht zu verwundern«, meinte Arbellez. »Haben Sie einmal von dem Indianerhäuptling Büffelstirn gehört, Señor Verdoja?« – »Ja. Er ist der König der Büffeljäger.« – »Und kennen Sie vielleicht einen nördlichen Jäger, den man den Fürsten des Felsens nennt?« – »Ja. Er ist der stärkste und verwegenste Jäger, den es geben soll.« – »Nun, Señor Sternau ist dieser Jäger, und Büffelstirn war sein Begleiter nach der Schlucht des Tigers.«

Die Offiziere stießen einen Ruf der Überraschung aus. Sie hatten nicht geahnt, daß sie sich einem so berühmten Mann gegenüber befanden.

»Ist dies wahr, Señor Sternau?« fragte der Rittmeister. – »Ja«, antwortete dieser, »obgleich es mir lieb wäre, meine Person nicht in dieser Weise in den Vordergrund gedrängt zu sehen.«

Verdoja war ein kluger Kombinist. Er sagte sich, dieser Mariano ist die Hauptperson des Geheimnisses, und wenn sich dieser Fürst des Felsens seiner annimmt, so muß das Geheimnis ein wertvolles sein. Er beschloß kurz zu handeln und fragte daher:

»Aber wie kommt es, daß man es gerade auf diese drei Señores abgesehen hat?« – »Das kann ich Ihnen erklären«, antwortete der Haziendero.

Aber ehe er seine Erklärung beginnen konnte, fiel Sternau ein.

»Das ist eine Privatangelegenheit, von der ich nicht glaube, daß sie Señor Verdoja interessieren wird. Brechen wir ab.«

Arbellez nahm diese verdiente Zurechtweisung schweigend entgegen, der Rittmeister gab sich aber nicht zufrieden, sondern fragte:

»Liegt die Schlucht des Tigers weit von hier?« – »Sie ist in einer Stunde zu erreichen«, antwortete Sternau. – »Ich bin begierig, diesen Ort zu sehen. Würden Sie vielleicht die Güte haben, mich oder uns dorthin zu begleiten, Señor Sternau?« – »Ich stehe zur Verfügung«, antwortete der Gefragte.

Über das Gesicht des Rittmeisters glitt ein Zug der Befriedigung, den er nicht sofort zu beherrschen vermochte. Sternau, gewöhnt, selbst auf das Geringste zu achten, bemerkte dies, es fiel ihm auf; es kam ihm vor, als sei der Rittmeister aus irgendeinem Grund froh, diese Zusage der Begleitung zu erhalten. Er wurde aufmerksam und mißtrauisch, ließ sich aber nichts merken.

»Und wann können wir reiten?« fragte Verdoja. – »Ganz wann es Ihnen beliebt, Señor«, antwortete Sternau. – »So werde ich mir erlauben, Ihnen die Stunde mitzuteilen.«

Damit war dieser Gedanke abgetan und wurde im weiteren Verlauf des Gesprächs auch nicht wieder berührt.


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