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23. Kapitel.

Nach dieser Zeit der Aufregung folgten auf der Hacienda del Erina einige Wochen ruhigen Stillebens. Sternau wollte nicht eher fortgehen, als bis der Patient hergestellt sei, der geringfügigste, unvorhergesehene Umstand konnte ja dessen Genesung, sogar sein Leben in Frage stellen. Nach vierzehn Tagen war der Kranke bereits so weit, daß er sein Bett verlassen konnte, nach weiteren acht Tagen durfte er sich im Garten ergehen, und als noch eine Woche vergangen war, versuchte er sich bereits in weiteren Fußtouren.

Geistig war er vollständig wiederhergestellt, aber seit dem Augenblick, da sein Gedächtnis von neuem erwacht war, lebte in ihm nur der eine Gedanke, sich an Alfonzo de Rodriganda zu rächen. Darum ließ er die Freunde nicht fort, er wollte sich ihnen auf ihrem Rachezug anschließen, und da er dies nicht konnte, bevor er sich an das Reiten gewöhnt hatte, so mußten sie notgedrungenerweise warten, bis dies geschehen war. Jetzt war ihm die Erschütterung, die der Gang des Pferdes auf sein Gehirn hervorbrachte, noch zu unerträglich, er konnte sich an dieselbe nur durch langsam fortschreitende Übung gewöhnen.

So vergingen noch einige Wochen.

Während dieser Zeit stand Mariano mit seiner Geliebten in brieflichem Verkehr. Er hatte ihr einige Male geschrieben und auch ihre Antworten erhalten. Sie ermunterte ihn, sich der Führung Sternaus auch fernerhin anzuvertrauen, und versicherte ihn ihrer innigsten Liebe und ewigen Treue.

Sternau hatte in Verakruz, ehe er den Ritt nach Mexiko antrat, seiner Frau geschrieben und sie gebeten, ihren nächsten Brief nach Mexiko an ihre Freundin Amy Lindsay zu richten, durch deren Hand er denselben auf alle Fälle erhalten werde, er möge sein, wo er wolle. Heute erhielt Mariano abermals ein Schreiben von der Geliebten, das Kuvert hatte einen ziemlichen Umfang, und als er es öffnete, enthielt es auch einen an Sternau adressierten Brief.

Dieser Brief war aus der Heimat, aus Rheinswalden gekommen, und Sternau öffnete ihn, als er sich in sein Zimmer zurückgezogen, mit vor Freude zitternden Händen. Der Inhalt strömte über von Glück und Liebe, er füllte mehrere eng geschriebene Bogen und enthielt auch ein Blatt an Kapitän Helmers, dessen eine Seite von seiner Frau und die andere von dem kleinen Kurt beschrieben war.

Rosa erzählte alles, was sich während Sternaus Abwesenheit zugetragen hatte, kam dann auf ihre eigene Angelegenheit zu sprechen und erwähnte dabei, daß der Staatsanwalt sich alle Mühe gebe, aber bisher noch keinen weiteren Erfolg zu verzeichnen habe. Das größte Glück aber gewährte dem Leser der Schluß des Schreibens, der in Worten, die die Wangen der schönen Schreiberin sicherlich vor Glück, Freude und wonniger Scham hatten erglühen lassen, ihm eine Kunde brachte, bei deren Lesen er einen lauten Jubelruf ausstieß und das Papier zehnmal und zehnmal küßte. Die Worte lauteten:

 

»Und nun noch eins, mein Carlos, was ich Dir mit entzücktem, wonneschauerndem Herzen mitteile, obgleich eine mädchenhafte Regung mir gebieten will, es Dir zu verschweigen. Sollte Deine Reise länger dauern, als ich hoffe und erwarte, so findest Du deine Rosa nicht mehr allein, sondern sie eilt Dir entgegen, auf dem Arm einen kleinen Carlico oder eine allerliebste Rosilla, denn anders als Carlos oder Rosa werden wir das geliebte Wesen, das mich für die Zukunft begeistert, doch nicht nennen. Freue Dich mit mir und nimm die Millionen Küsse, die Dir über das weite Meer hinübersendet

Deine unendlich glückselige Rosa.«

Und wie selten eine Dame schreiben kann, ohne ein Postskriptum anzufügen, so folgte auch hier ein solches. Es lautete:

»P. S. – Du wirst nicht zürnen, daß ich dieselbe Botschaft auch meiner Amy mitgeteilt habe! Sie ist meine einzige Freundin gewesen und wird ganz glücklich sein zu erfahren, welchen Wonnen ich entgegensehe.

Rosa.«

 

Sternau faltete den Brief zusammen, steckte ihn in die Brusttasche, damit er auf seinem Herzen ruhe, und ging hinunter, um sich das wildeste Pferd zu fangen, aufzuspringen und in die weite Savanne hineinzujagen. Die Hazienda war zu klein für sein Glück. Und dennoch, als er zurückkehrte, war es das erste, was er tat, daß er sich in sein Zimmer zurückzog, um den Brief aber- und abermals zu lesen und zu küssen. Es gibt einen Himmel bereits auf Erden, und dieser Himmel ist nur zu finden in einem Herzen, das liebt und weiß, daß diese Liebe erwidert wird.

Anton Helmers, der Patient, trug bis jetzt auf dem Loch, das in seine Schädeldecke gebohrt worden war, ein Stück gekochtes Leder, das später mit einer Goldplatte vertauscht werden sollte. Er machte täglich vorsichtige Reitausflüge mit Sternau und erstarkte dabei so weit, daß er bald bedeutendere Strecken zurücklegen konnte, vorausgesetzt, daß er ein gutes Pferd hatte, das einen sanften Gang besaß. Sternau setzte den Tag der Abreise fest; man wollte noch eine Woche in der Hacienda del Erina bleiben.

Diese Wochen waren für Emma und den Geliebten eine Zeit des Glücks gewesen, und beide hegten eine unendliche Dankbarkeit gegen Sternau, dem sie dieses Glück ja ganz allein zu verdanken hatten.

Pedro Arbellez war von Juarez, dem später so berühmten Präsidenten, zum Verwalter der Hacienda Vandaqua ernannt worden und daher oft drüben in der Nachbarbesitzung anwesend. Eines Tages war seine Anwesenheit wieder dort notwendig geworden; er wollte aber seinen künftigen Schwiegersohn vor dessen Abreise noch möglichst genießen, und so bat er ihn um seine Begleitung. Da bereits die Dämmerung nahe war, so sagte er, daß sie erst am nächsten Tag zurückkehren würden. Beide ritten ab.

Kurze Zeit, nachdem sie die Hazienda verlassen hatten, sah Sternau von seinem Fenster aus einen Reiter am Horizont auftauchen, der sich der Besitzung schnell näherte. Als er näher kam, erkannte der Deutsche, daß es ein Lanzenreiter, und zwar ein Offizier sei. Sternau ging rasch zu den übrigen, die sich bereits im Speisesaal versammelt hatten, und meldete ihnen die Ankunft des Fremden.

Dieser ritt bereits nach kurzer Zeit in den Hof ein und wurde von Emma, als der Dame des Hauses, empfangen.

»Hier ist die Hacienda del Erina?« fragte er nach dem ersten Gruß. – »Ja«, antwortete ihm Emma. – »Deren Besitzer Pedro Arbellez heißt?« – »So heißt er, ich bin seine Tochter.« – »Dann erlauben Sie mir die Mitteilung, Señorita, daß ich ein Kurier bin, der mit Depeschen von Juarez nach Monclova geschickt wurde. Juarez sagte, daß Señor Arbellez mir gern Gastfreundschaft gewähren würde, wenn ich mein Ziel vor der Nacht nicht erreichen könnte.« – »Das versteht sich ja von selbst, Señor. Zwar ist Vater nicht anwesend, er kehrt erst morgen zurück, aber Sie werden alles finden, was Sie zu Ihrer Bequemlichkeit bedürfen. Bitte, überlassen Sie Ihr Pferd dem Vaquero, und folgen Sie mir nach dem Saal.«

Er folgte ihr mit dem Anstand und in der Haltung eines Edelmannes nach oben, wo sie ihn den dort anwesenden Herren vorstellte. Er mußte sich setzen und sofort an dem Mahl teilnehmen. An der Unterhaltung beteiligte er sich wenig, und als Sternau ihn nach dem gegenwärtigen Aufenthalt Juarez' fragte, sagte er ausweichend:

»Diplomatische und kriegerische Gründe verbieten zuweilen die Beantwortung einer solchen Frage, Señor. Juarez will nicht wissen lassen, wo er sich befindet.«

Das klang befremdlich. Sternau warf einen forschenden Blick auf den Sprecher und sah von einer Unterhaltung mit ihm gänzlich ab.

Der Fremde erklärte nach einiger Zeit zur Ruhe gehen zu wollen, da er in der Frühe wieder aufbrechen müsse, und so wurde ihm von der alten Marie Hermoyes sein Zimmer angewiesen. Dort angekommen aber entkleidete er sich nicht, um schlafen zu gehen, sondern streckte sich auf seine Hängematte und brannte eine Zigarette an. Als diese zu Ende, nahm er eine zweite, dritte und vierte; so rauchte er fort und horchte dabei auf den Korridor hinaus, bis die Mitternacht herankam. Er nahm jetzt das Licht und trat zum Fenster, vor dem er mit demselben einen Kreis beschrieb. Dies tat er noch zweimal, dann löschte er es aus. Einige Minuten später wurden einige Sandkörnchen gegen das Fenster geworfen, und er öffnete.

Als der Offizier den Speisesaal verlassen hatte, kam das Gespräch erst in ordentlichen Fluß. Seine Anwesenheit hatte nicht wohltuend gewirkt. Sein Auge hatte etwas Stechendes, seine Stimme etwas Scharfes, Zurückstoßendes gehabt. Am nachdenklichsten war Sternau gestimmt. Es sprach ein Etwas in ihm gegen diesen fremden Offizier, aber er konnte sich nicht klarwerden, was es war. Die Uniform hatte ihm nicht gepaßt, es war gewesen, als ob sie für einen anderen gemacht worden sei; weiter aber ließ sich nichts sagen.

Als man sich getrennt hatte, um zur Ruhe zu gehen, und Sternau sich in seinem Zimmer befand, schritt er nachdenklich in demselben auf und nieder. Er fühlte eine Unruhe in sich, die er nicht begreifen konnte; nur das wußte er, daß sie mit der Anwesenheit dieses Offiziers zusammenhing.

War der Mann wirklich Offizier? Verdoja und Pardero waren mit Rachegedanken fortgegangen, und seit Arbellez die Hacienda Vandaqua zu verwalten hatte, war die Hacienda del Erina von Vaqueros entblößt. Sternau beschloß, wachsam zu sein. Er schlich sich also hinaus auf den Korridor und horchte an der Tür des Fremden. Dieser mußte schlafen, denn es ließ sich nicht das mindeste Geräusch vernehmen. Er schlich sich nun wieder zurück und begab sich hinunter in den Hof, um da einen Rundgang zu machen und zu sehen, ob alles in Ordnung sei. Er ahnte nicht, was ihm bevorstand.

Von dem Städtchen Nombre de Dios her nämlich kam, als die Sonne im Untergehen war, eine bewaffnete Reiterschar. Sie zählte fünfzehn Mann, und an ihrer Spitze ritten – Verdoja und Pardero. Die Männer ritten der Hacienda del Erina entgegen und hielten, nachdem es dunkel geworden war, bei dem Wald an, an dessen äußerster Ecke sich der Stein befand, der dem Kapitän als Postoffice gedient hatte. Dort stiegen sie ab, führten die Tiere zwischen die Bäume und banden sie an. Drei Mann blieben als Wache zurück, und die anderen zehn folgten ihren beiden Anführern nun zu Fuß nach der Hazienda.

Verdoja und Pardero flüsterten leise.

»Es war doch gut, daß sich unsere Uniformen noch in der Stadt befanden«, meinte der erstere; »so konnte sich Enrico als Spion einschleichen, und wir sind von allem unterrichtet, ehe wir beginnen.« – »Wenn man ihn nur nicht durchschaut!« sagte Pardero. – »Ich habe keine Sorge. Er ist ein gewandter Halunke, der sich durch keinen Blick, keine Miene verraten wird. Ich habe die Ahnung, daß alles glücklich gelingen wird.«

Es war Neumond und also dunkel. Die Männer umschlichen die Hazienda und kamen an deren hintere Seite, als Mitternacht in der Nähe war.

»Da oben sind die Fremdenzimmer; da oben wohnt er«, sagte Pardero leise. »Er wird uns bald das Zeichen geben. Wollen wir einstweilen übersteigen?« – »Wir verstecken uns in einer dunklen Ecke.«

Die Mannschaften mußten draußen halten bleiben und sich hinter den Palisaden niederducken; die beiden aber stiegen über dieselben hinweg und schlichen sich in die nahe Ecke. Kaum hatten sie dort Posto gefaßt, so hörten sie den Sand des Hofes leise knirschen. Sternau war es, der daherkam.

»Nieder, ganz nieder! Es kommt jemand!« flüsterte Verdoja.

Sternau kam langsam und leise herbei, blieb an der Ecke des Hauses stehen, horchte eine Weile nach der anderen Seite hin und schritt weiter.

»Er war es!« sagte Pardero leise. »Was tun wir?« – »Drauf! Ich schlage ihn mit dem Kolben nieder. Droben macht er uns mehr Arbeit als hier, wo wir ihn überraschen.« – »Aber wenn man ihn vermißt?« – »Man wird ihn nicht vermissen. Es sind alle zu Bett, und er ist auf eigenen Antrieb rekognoszieren gegangen. Aufgepaßt!«

Verdoja nahm sein Doppelgewehr bei den Läufen und schlich sich an den Palisaden hin, Sternau nach. Dort an den Palisaden war so reichlich Gras aus dem Sand hervorgewachsen, daß man seine Schritte nicht hörte. Hart bei Sternau angekommen, duckte er sich einen Augenblick nieder, um die Figur des letzteren und die Entfernung von ihm gegen das Sternenlicht genau abzumessen, und sprang vorwärts.

Sternaus Ohren waren scharf; er hörte hinter sich ein leises Geräusch und drehte sich um; aber gerade in diesem Augenblick krachte ein fürchterlicher Kolbenschlag auf seinen Kopf hernieder, so daß er sofort, ohne einen Laut auszustoßen, zusammenstürzte.

»Pardero!« sagte der Ex-Kapitän halblaut. – »Hier!« – »Kommen Sie!« – »Haben Sie ihn?« – »Ja; ich binde ihn bereits. Lassen Sie sich einen Knebel herüberwerfen!«

Nach einigen Augenblicken brachte Pardero den Knebel.

»Hier!« sagte er. »Das ist günstig abgelaufen. Dieser Kerl war der einzige, den man zu fürchten hatte; nun wir ihn haben, werden uns die anderen keine große Arbeit machen. Ah, dort gibt Enrico das Zeichen!«

Man sah eben jetzt den dreimaligen Lichtkreis, den der angebliche Offizier an seinem Fenster beschrieb; dann verlöschte das Licht.

»Wo bringen wir Sternau unter?« fragte Pardero. – »Wir legen ihn ganz einfach in die Ecke, in der wir uns befanden, dort ist er sicher. Er ist festgebunden; vielleicht habe ich ihn gar erschlagen; entkommen kann er uns auf keinen Fall.«

Nachdem Sternau fortgeschafft war, warf Verdoja einige Sandkörner gegen das Fenster, hinter dem vorher das Lichtzeichen erschienen war.

»Enrico?« – »Ja«, antwortete es leise von oben. – »Alles in Ordnung?« – »Alles!« – »Den Faden herab!«

Während Enrico eine Schnur aus dem Fenster herabließ, ließ Pardero sich von einem der draußen harrenden Männer eine Strickleiter geben, die zu diesem Zweck mitgebracht worden war. Sie wurde an die Schnur gebunden, an derselben emporgezogen und oben befestigt.

»Sie wird halten!« flüsterte Enrico von oben herab.

Verdoja stieg empor, und als er an das Fenster gelangte, sagte er:

»Wir sind glücklich gewesen. Wir haben Sternau schon.« – »Ah! Wie denn?« – »Er schlich um das Haus, da habe ich ihn niedergeschlagen und gefesselt.« – »Das ist gut. Er ist ein starker Mensch, und seinetwegen war es mir bange. Er muß durch die vordere Tür gegangen sein, denn diese steht offen. Da bedürfen Sie der Strickleiter nun eigentlich gar nicht.« – »O doch. Wenn wir hier bei dir einsteigen, sind wir sofort oben, während wir hier im Flur und auf der Treppe Geräusche erregen könnten. Aber ich will zwei Mann an das Portal beordern, damit niemand entkommen kann.«

Verdoja stieg wieder die Leiter hinab und befahl seinen Leuten, sich leise über die Palisaden herüberzuschwingen. Als dies geschehen war, gebot er ihnen, einer nach dem anderen an der Leiter empor in das Zimmer Enricos zu steigen. Zwei aber nahm er mit sich und führte sie geräuschlos um die Ecke nach der Vorderfront des Gebäudes, wo er die Tür wirklich nur angelehnt fand. Hinter ihr mußten diese beiden sich aufstellen und erhielten den Befehl, darauf zu sehen, daß kein Bewohner des Hauses dasselbe verlasse.

Nun kehrte Verdoja zur Strickleiter zurück, stieg empor, und nachdem sie wieder emporgekommen war, schloß man das Fenster.


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