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41. Kapitel.

Während die Gefahr des Kampfes sich der Pyramide mehr näherte, saßen die vier Gefangenen im Innern derselben und erwogen die Möglichkeit der Rettung untereinander. Sie hatten auf Sternau gerechnet, aber es waren nun bereits zwei Nächte vorüber, und das ist in solchen Verhältnissen eine Ewigkeit. Das Wasser war fast verbraucht, der Proviant reichte nur noch kurze Zeit, die Leichen Parderos und des Wärters verbreiteten bereits einen fast unerträglichen Gestank, und aus dem Brunnen erklang in regelmäßigen Zwischenräumen ein wahnsinniges Schmerzgebrüll oder ein markerschütternder Jammerschrei Verdojas. Es war, als ob ein wildes Tier am Spieß lebendig gebraten werde.

Karja, die Indianerin, war wortkarg, aber Emma konnte ihrer Angst nicht gebieten. Sie glaubte nicht mehr an die Möglichkeit einer Rettung. Sie hatten die Messer an der Tür versucht, sie aber als unzulänglich befunden. Rettung konnte nur von außen kommen, und wer sollte da der Retter sein? Das Innere der Pyramide war ein Geheimnis, und diejenigen, die allein es kannten, lagen tot oder gelähmt in der Zelle und in der Tiefe des Brunnens.

Emma faltete die Hände und flehte:

»Oh, heilige Mutter Gottes, bitte für uns in dieser entsetzlichen Not! Laß uns nicht verschmachten und verderben in dieser Finsternis! Laß uns das Licht des Tages wiedersehen, und ich will Deine Güte preisen, so lange ich lebe!«

Der Steuermann war still geworden, aber Mariano ergriff die Hand der Señorita und bat mit trostvoller Stimme:

»Verzagen Sie noch nicht! Ich kenne Gott, der allmächtig ist, und ich kenne Sternau, den man fast auch allmächtig nennen mag. Er bringt fertig, was kein anderer kann. Er weiß, was für ein Schicksal uns bei Verdoja und Pardero erwartet, und wird alles wagen und tun, um uns zu finden und zu retten.« – »Aber wer soll ihm sagen, daß wir uns hier befinden?« – »Darüber lassen Sie Gott und ihn sorgen. Er findet uns, ich bin überzeugt!« – »Aber wenn ihm selbst ein Unfall widerfährt?« – »Ihm geschieht nichts Böses. Er weiß, was für uns davon abhängt, daß er in keine Fährlichkeit gerät, und wird vorsichtig sein. Vielleicht ist gerade diese Vorsicht schuld, daß wir warten müssen. Es sind ja erst zwei Tage verflossen, es ist sehr leicht möglich, daß er jetzt erst in dieser Gegend eintrifft. Nun wird er nach Spuren suchen und sie finden. Er wird auch ein Mittel entdecken, zu uns zu gelangen. Es ist mir, als ... horch!«

Sie lauschten, hörten aber nichts.

»Was war es?« fragte Emma. – »Es war mir, als ob ich ein leises Rollen hörte, fast wie ferner Donner.« – »Das war eine Täuschung, Señor. In diese Tiefe dringt kein Ton von außen!«

Es trat wieder eine tiefe Stille ein, bis der Steuermann aus seinem Grübeln auffuhr.

»Hol's der Teufel, ich finde nichts!« – »Was suchen Sie?« fragte Mariano. – »Nach einem Mittel, diese verteufelte Pyramide in die Luft zu sprengen, aber natürlich so, daß wir unbeschädigt sitzen bleiben.« – »Geben Sie sich keine Mühe, es ist alles vergeblich. Wir können nur von außen Hilfe erwarten.« – »Nun, dann mag sie bald kommen, nicht um meinetwillen, denn ich halte etwas aus, sondern um dieser Señoritas willen, die so etwas nicht verdient haben. Es muß ein miserabler Tod sein, hier unten so langsam ... horch!«

Jetzt horchten sie alle auf, denn alle hatten einen Donner vernommen.

»Das war ganz wie vorhin, aber stärker«, sagte Mariano. »Es gibt doch jetzt keine Gewitter! Und wie sollte man hier unten den Donner hören können?« – »Das war kein Donner«, erklärte der Steuermann; »das war ein Schuß.« – »Es ist ganz unmöglich, es hier unten zu hören, wenn ein Schuß fällt«, sagte Emma. – »Aber wenn der Schuß von hier unten gefallen wäre?« fragte Helmers. – »Wer sollte da schießen?« – »Weiß ich es? Ich weiß nur so viel, daß ich als Seemann den Donner von einem Schuß sehr genau unterscheiden kann. Es war ein Schuß. Wäre er aber gefallen, so müßte es ein Kanonenschuß gewesen sein, und ich zweifle, ob man selbst einen solchen hier hören würde. Wir haben ihn aber gehört, folglich ist er unten abgefeuert worden.« – »Aber es hat kein Pistol und keine Büchse einen solchen Klang. Und wozu sollte man hier unten schießen? Etwa, um uns ein Zeichen zu geben? Sternau weiß ja, daß wir nicht antworten können.«

Auf diese Worte Emmas schüttelte der Steuermann den Kopf.

»Ja, eine Büchse hat keinen solchen Klang«, sagte er, »aber wissen Sie, was genau so klingen würde?« – »Was?« – »Ein Sprengschuß.« – »Allmächtiger! Sie glauben ...?«

Helmers nickte und antwortete:

»Ich glaube, daß Sternau da ist; ja, es war ein Sprengschuß. Ich kenne meinen Herrn Sternau genau. Ihm ist nichts zu schwer. Vielleicht ist er gar auf die Idee gekommen, die Türen aufzusprengen, weil er sie nicht öffnen kann.«

Diese Worte waren in einem so zuversichtlichen Ton gesprochen, daß Emma mit vor Hoffnung leuchtenden Augen sagte:

»Sie geben mir Trost, Señor Helmers. Es ist mir, als ob ich jetzt an eine Errettung glauben dürfte. Oh, mein Vater, mein armer, guter Vater! Werde ich dich noch einmal wiedersehen?«

Sie weinte, aber es waren doch noch immer Tränen des Schmerzes und nicht der Hoffnung, die sie vergoß. Da ertönte mitten in ihr Schluchzen hinein ein gewaltiger Knall, so daß sie fühlten, wie der Boden und die Wände des Ganges zitterten. Und als auf diesen Knall ein dumpfes Prasseln erscholl, da sprang der Steuermann in die Höhe und rief:

»Hurra! Hurra! Sternau ist da, ist wirklich da! Das war ein Sprengschuß, wie er leibt und lebt, und dahinter prasselte die Mauer ein. Die Rettung ist da, juchhe, sie ist da!«

Auch Emma wollte sich erheben, aber sie wankte und sank wieder in die Knie.

»Wär's möglich!« hauchte sie.

»Ich glaube selbst, daß Señor Helmers recht hat«, entgegnete Mariano. »Was glauben Sie, Señorita Karja?«

Die Indianerin schlug langsam die geschlossen gewesenen Augen auf und erwiderte:

»Es ist Sternau, ich wußte, daß er kommen würde.«

Da fiel Emma der Sprecherin um den Hals, küßte sie und jubelte:

»Herrgott, ich danke dir! Nie will ich deine Liebe vergessen, wie du jetzt auch unserer nicht vergessen hast.«

Jetzt verging eine längere Zeit, während welcher sie lauschten. Sie saßen in dem Gang, in dessen Zellen Mariano und Helmers gesteckt hatten.

»Wollen wir nicht an die vordere Tür gehen?« fragte der Steuermann. – »Ja, vielleicht hören wir da besser, was geschieht«, antwortete Mariano.

Emma stützte sich auf den letzteren; so begaben sie sich nach der Tür, an der sie ihre Messer vergebens versucht hatten. Dort ließen sie sich auf den feuchten Boden nieder und lauschten. Nun hörten sie ein dumpfes Stoßen und Schieben, das kein Ende nehmen wollte.

»Wissen Sie, was das ist, Señorita?« fragte Helmers. – »Nein.« – »Sie räumen den Schutt weg. Der letzte Schuß war stark und hat den Gang höchstwahrscheinlich sehr beschädigt.« – »Ach, wenn es doch so wäre!« – »Es ist so, Señorita. Ich bin still gewesen da hinten in dem Gang, denn ich dachte an mein Weib und an meine Lieben, die mir Gott erhalten möge, aber den Mut habe ich doch nicht verloren gehabt. Der Tod ist ein eigentümlicher Kauz; er wagt sich nicht an jedes Menschenkind sogleich heran.« – »Aber horcht, man hört jetzt nichts mehr.« – »Sie ruhen wohl aus«, tröstete der brave Steuermann.

Es war gerade die Zeit, in der die Häuptlinge nach oben gerufen wurden, um die Umzingelung der Komantschen zu beobachten.

Nun herrschte eine erwartungsvolle Stille unter den Eingeschlossenen, bis sich das Stoßen und Schieben wieder vernehmen ließ. Dann hörte man laute Schläge wie mit einem Beil oder einer Hacke gegen Holz, und dabei war es, als ob ferne Menschenstimmen erklängen. Da – da nahten Schritte, die laut und deutlich zu vernehmen waren.

»Nun diese Tür«, sagte eine sonore Stimme. »Sie führt ganz sicher nach dem Brunnen. Wir haben noch Pulver genug.«

Den Eingeschlossenen war es, als ob sie einen elektrischen Schlag erhielten; sie konnten vor Wonne nicht sprechen und hielten einander fest mit der Hand gefaßt.

»Sternau!« flüsterte endlich der Steuermann. »Ich wußte es! Und ihm ist sogar bekannt, daß diese Tür nach dem Brunnen führt.«

Sie lauschten. Ein suchendes Tasten ließ sich an der Tür vernehmen, dann sagte eine andere Stimme:

»Das kostet wieder viel Pulver; es ist eine Tür mit Doppelriegel.«

Da schnellte Emma empor und stieß einen Schrei des Entzückens aus:

»Gott, mein Gott! Antonio, Antonio!«

Einen Augenblick lang war es drüben still, der freudige Schreck lähmte die Zungen; dann aber rief Donnerpfeil herüber:

»Emma, meine Emma, bist du es?« – »Ja«, antwortete sie, »ich bin es, Geliebter!« – »Gott sei tausend Dank! Bist du allein?« – »Nein, wir sind da, alle vier.«

Da rief eine Stimme, die man bisher noch nicht gehört hatte:

»Alle vier, Karja, du auch?«

Der Ton dieser Stimme rief die Röte des Entzückens auf die bleichen Wangen der Indianerin.

»Ja«, rief sie, »Karja, deine Schwester, ist da!« – »Uff! Uff!« ließ sich darauf eine neue Stimme vernehmen.

Die Wangen Karjas wurden beim Klang dieser Stimme wieder blaß. War dies vor Schreck oder vor Freude?

»Wer sprach da?« fragte der Steuermann leise. – »Diese Stimme kenne ich«, antwortete Emma leise. »Es ist Bärenherz, der Häuptling der Apachen. Die Helden sind alle beisammen: Bärenherz, Büffelstirn, Donnerpfeil, aber wo ist Sternau? Ich höre ihn nicht mehr. Habe ich mich vorhin in jener Stimme getäuscht?«

Diese Wechselreden und Ausrufungen folgten natürlich viel schneller aufeinander, als sie geschrieben oder gelesen werden können. Sie flogen herüber und hinüber, und es gab zwischen ihnen keine Pause, die auch nur den zehnten Teil einer Sekunde lang gewesen wäre. Jetzt wieder fragte Donnerpfeil:

»Wie befindet ihr euch, Emma?« – »Gut. Oh, nun ist ja alles vergessen!«

Da klopfte es, und endlich erklang Sternaus Stimme zum zweiten Mal:

»Wie geht es denn meinem braven Steuermann? Er wird ja ganz vergessen über die anderen, sogar von seinem Bruder!« – »Danke sehr, Herr Doktor!« rief Helmers hinüber. »Ich bin noch fest auf dem Kiel. Machen Sie nur das Fahrwasser frei, daß wir bald hinaussegeln können.« – »Soll gleich geschehen! Fragen und antworten können wir ja später; jetzt aber nur das eine: Ist Verdoja drüben? Und Pardero?« – »Ja.« – »Was tun sie? Sie scheinen doch nicht bei euch zu sein?« – »Sie sind in der Nähe und haben genug. Pardero ist tot und auch der Gefängniswärter. Verdoja ist in den Brunnen gefallen und hat das Rückgrat und beide Arme gebrochen; er lebt aber noch.« – »Ach, welch eine Schickung!« hörte man Sternau drüben sagen. »Sie scheinen sich wacker gewehrt zu haben. Nun schnell, daß wir zu ihnen kommen!« Und dann fragte er noch durch die Tür: »Ist's finster drüben?« – »Nein. Wir haben sogar zwei Laternen«, antwortete Helmers. – »Das ist gut. Zieht euch so weit wie möglich zurück. Wir sprengen die Tür. Oder könnt ihr nicht?« – »Oh, sehr weit!« – »So geht jetzt! Dann kommen wir gleich.«

Die Eingeschlossenen kehrten nun bis in den nächsten Gang zurück und teilten sich ihr Glück in glühenden Worten mit. Dann lauschten sie dem knirschenden Bohren der Messer.

»Sagte ich es nicht, daß Sternau kommen würde?« meinte Helmers. »Das ist ein Mann, wie es keinen zweiten gibt.« – »Ich wußte es sicher!« bestätigte Mariano in dem Ton der vollsten Überzeugung. »Wäre ich ein Heide, so würde ich sagen, er sei ein Halbgott oder ein Liebling der Götter. Niemand kann ihm genug danken!«

Es verging einige Zeit, und dann erfolgte abermals ein Krach, der wegen der größeren Nähe fast ebenso gefühlt wie gehört wurde. Die Wände bröckelten, und aus der Decke brachen ganze Stücke, dann aber erklang vorn an der Sprengstelle Donnerpfeils Stimme:

»Emma, wo bist du?« – »Hier!« jubelte sie und eilte den Gang vor.

Dort stand Donnerpfeil diesseits des Schutts, zwar im Dunkeln, aber von den jenseitigen Laterne genügend beleuchtet Sie flog an seine Brust, und er legte seine Arme um sie, so fest und innig, daß sie sein stilles Gelübde fühlen konnte, sie nie, nie wieder zu verlassen.

»Mein Antonio!« flüsterte sie. »Fast wäre ich gestorben!« – »Gott sei Dank, daß dies nicht geschehen ist«, antwortete er mit tiefster Innigkeit. »Mein kranker Kopf hätte das nicht ausgehalten, und ich wäre wieder wahnsinnig geworden.«

Da tauchte neben ihnen die Gestalt Büffelstirns auf.

»Wo ist Karja, die Tochter der Mixtekas?« rief er.

Da kam die Genannte herbeigeflogen, und sie fanden sich zu glückseliger Umarmung. Nenne man nicht den Indianer einen Wilden. Er ist dasselbe Ebenbild Gottes wie der Weiße, der sich doch unendlich höher dünkt.

Jetzt kam Sternau herüber und reichte allen die Hand. Mariano umarmte ihn und sagte in innigster Dankbarkeit.

»Schon wiederrettest du mich! Carlos, du bist mein Schutzgeist für und für.«

Und der Steuermann meinte bewegt.

»Herr Doktor, wenn ich die Meinen wiedersehe, so habe ich das nur Urnen zu verdanken. Gott vergelte es Ihnen, ich kann es nicht.«

Nun wurde in kurzen, abgerissenen Sätzen das Geschehene schnell erzählt.

»Wie, du hast diesem Verdoja das Messer entrissen und ihm gedroht?« fragte Donnerpfeil seine Braut – »Ja. Er durfte mich nicht anfassen, ich hätte ihn oder mich getötet.« – »Meine Heldin!«

Mit diesem Ausruf der Bewunderung drückte er sie an sich, fest und warm.

Und in demselben Augenblick wurde hinter Karja eine Frage hörbar:

»Die Tochter der Mixtekas hat diesen Pardero mit eigener Hand getötet?«

Es war Bärenherz, der Apache, den Karja jetzt liebte mit der vollen Glut ihres Herzens, obgleich sie einst so töricht gewesen war, ihm Graf Alfonzo vorzuziehen.

»Ja«, antwortete sie leise. – »Und dann ihre Mitgefangenen befreit?« – »Ja.« – »Die Tochter der Mixtekas ist eine Heldin, sie verdiente, die einzige Squaw eines großen Häuptlings zu werden.«

Der Apache fuhr ihr mit der Hand liebkosend über das Haar und wandte sich dann ab, aber Karja wußte, daß seine Worte und dieses fast unfühlbare Streichen ihres Haares bei ihm mehr zu bedeuten hatte, als bei einem anderen eine Rede von tausend Worten.

Da aber kam noch einer und sagte schüchtern:

»Señorita, wie freue ich mich, Euch wiederzusehen.«

Emma blickte sich um und erkannte den Vaquero.

»Francesco, du auch hier?« sagte sie hocherfreut. »Du bist mir wie ein Gruß vom Vaterhaus. Das werde ich dir nicht vergessen!«

Sie reichte ihm die Hand, und dann sagte Sternau:

»Verschieben wir alles für später und denken wir zunächst an die Gegenwart. Wir wollen die Zellen sehen, in denen Sie gesteckt haben, und die Leichen.«

Mariano ergriff die eine Laterne und machte den Führer. Die Retter schauderten, als sie die engen, modrigen Zellen erblickten. Als sie zu den beiden Leichen kamen, sprach keiner ein Wort. Sie fühlten, daß hier Gottes Strafgericht gewaltet habe.

Da ertönte ein entsetzlicher, langgezogener Schrei.

»Was ist das?« fragte Donnerpfeil. – »Verdoja ist's«, antwortete Mariano. – »Fürchterlich!« meinte Sternau. »Ich muß ihn sehen!«

Sie schritten vorwärts, und nur die beiden Mädchen blieben zagend zurück und baten den Steuermann, bei ihnen zu bleiben.

Gerade als sie an den Brunnen traten, ertönte ein neuer Schrei. Es gibt kein Tier, das einen solchen Laut ausstoßen könnte. Er durchzitterte die Männer, die oben am Rand standen, so daß sie sich schüttelten.

»Und er hat nicht sagen wollen, wie die Türen geöffnet werden?« fragte Sternau. – »Nein. Wir sollten zugrunde gehen.« – »So ist er wirklich ein Teufel. Ich gehe hinab zu ihm.«

Damit rollte er seinen Lasso los, ließ sich diejenigen von Büffelstirn und Bärenherz geben, band sich fest und wurde, nachdem er die Laterne genommen, hinabgelassen.

Als er unten ankam, ließ er das Licht auf den Zerschmetterten fallen. Dieser öffnete die blutunterlaufenen Augen, starrte auf ihn wie auf ein Gespenst, und rief:

»Hund, bist du es?« – »Ja, ich bin es«, sagte Sternau. »Du Teufel in Menschengestalt sollst erfahren, daß deine Pläne zuschanden geworden sind. Wir sind gekommen, deine Gefangenen zu befreien, die Türen sind offen, sie sind erlöst.« – »So verdamme euch der ...«

Verdoja wollte sich vor Wut aufrichten, aber diese Bewegung verursachte ihm solche Schmerzen, daß er seinen Fluch nicht aussprechen konnte, sondern einen seiner entsetzlichen Schreie ausstieß.

»Du stehst an der Schwelle des Todes, du stehst vor dem ewigen Richter«, sagte Sternau, »bitte Gott um Erbarmen, statt zu fluchen!«

Verdoja wollte die Hände ballen, aber es ging nicht. Er knirschte mit den Zähnen, fletschte sie wie ein Raubtier und schrie:

»Fort! Ich mag keine Gnade!«

Diese Gottlosigkeit ertötete jeden Funken von Mitgefühl in Sternaus Brust.

»Nun gut so sollst du auch keine Gnade haben«, sagt er, »wenigstens bei mir nicht. Gott hat dich gestraft und diese Strafe sollst du auskosten bis zum letzten Tropfen. Du gehörst in die Hölle und sollst eine Hölle haben, eine Hölle voll unbeschreiblicher Qualen und Schmerzen bereits hier auf Erden. Ich werde dich untersuchen und dann alles tun, dich mitsamt deinen Schmerzen am Leben zu erhalten.«

Damit bückte Sternau sich nieder und begann seine Untersuchung. Er gab sich dabei keine Mühe, zart und behutsam zu sein, und so entfuhr dem Mund des Verruchten ein Schmerzgeheul, das geradezu schrecklich war.

Endlich war Sternau fertig.

»Das ist Gottes Gericht«, sagte er. »Du bist zermalmt am ganzen Leib, deine Glieder sind gebrochen und können nie wieder vereinigt werden, aber dennoch ist dies alles nicht tödlich. Deine Eingeweide sind unverletzt und kräftig, du wirst leben, aber den Schmerz, der dich jetzt zerfrißt nie loswerden. Eine solche Strafe kann nur Gott oder der Teufel ersinnen, und du, du sollst sie leiden, dafür will ich sorgen.«

Sternau band sich nun von den Lassos los und befestigte den Zerschmetterten daran, ohne Rücksicht auf dessen Zustand zu nehmen. Dann gab er das Zeichen. Die Männer oben zogen an, in dem Glauben, daß es Sternau sei, aber bald sagte ihnen ein näherkommendes Qualgebrüll, wen sie emporzogen. Als Verdoja oben war, legten sie ihn in den Gang, knüpften ihn ab und ließen die Lassos wieder in den Brunnen hinab. Sternau kletterte jetzt selbst daran empor.

»Aber was soll mit diesem Menschen werden?« fragte Donnerpfeil. – »Er soll nicht sterben, denn sein Tod wäre ja eine Belohnung für ihn. Er soll leben, aber dabei keinen Augenblick frei von Schmerzen sein.« – »Das ist recht!« stimmte Bärenherz bei. »Der große Geist ist gerecht!« – »Er hat es verdient«, meinte Büffelstirn einfach, dann wandte er sich ab. – »Ich werde einige Apachen senden«, sagte Sternau, »die ihn nach dem vordersten Gang schaffen, dort soll er liegen, so lange es mir gefällt. Jetzt aber laßt uns an das Licht des Tages zurückkehren!«

Sie gingen zu den Frauen und führten sie durch die jetzt aufgesprengten Türen nach dem Ausgang. Als Emma dort anlangte, blieb sie wie geblendet stehen. Dann füllten sich ihre Augen mit Tränen, und sie breitete ihre Arme aus, um Sternau zu umfassen.

»Wenn ich Ihnen dies vergesse, Señor, so möge mir die Seligkeit verschlossen sein!«

Auch Büffelstirn reichte Sternau die Hand.

»Der Fürst des Felsens fordere mein Leben, es ist sein!« sagte er.

Sie alle drängten sich an ihn, und er hatte Mühe, von all den Dankesbezeugungen und Liebesbeweisen nicht erdrückt zu werden.


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