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27. Kapitel.

Emma entriegelte die Tür wieder, stieß sie auf, und die beiden Mädchen traten hinaus in den Quergang. Dort schritten sie vorwärts, bis sie an zwei Türen gelangten, die nebeneinanderlagen.

Karja klopfte, aber es antwortete niemand. Auch als sie an die andere Tür klopfte, blieb es hinter derselben still. Da schob sie den Riegel zurück und ließ das Licht ihrer Laterne in das Innere der nun geöffneten Zelle fallen. Es beleuchtete eine männliche Person, die, an zwei Ketten befestigt, auf dem Boden lag.

»Señor Helmers!« sagte sie, ihn erkennend. »Warum antworten Sie nicht?«

Da klirrten die Ketten, denn der Steuermann machte eine Bewegung der freudigsten Überraschung. Er hatte nicht gesehen, wer der Öffnende war, da Karja das Licht in die Zelle fallen ließ, selbst aber im Schatten stand. Jetzt aber erkannte er sie sofort an der Stimme.

»Señorita Karja!« sagte er. »Wie kommen Sie hierher?« – »Wir haben uns befreit«, antwortete sie. – »Wie? Wen meinen Sie noch?« – »Señorita Emma.« – »Ah! Ist sie mit bei Ihnen?« – »Ja, hier bin ich«, antwortete Emma, als sie in die Zelle trat, um sich sehen zu lassen. »Diese mutige Karja hat Pardero getötet, ihm seine Waffen abgenommen und mich befreit. Nun sollen auch Sie erlöst werden.« – »Gott sei Dank!« rief er, tief aufatmend. »Aber ist Verdoja fort?« – »Ja. Er kehrt erst in einer Stunde zurück.« – »So haben wir Zeit. Señor Mariano liegt neben mir.« – »Auch er soll frei sein«, sagte Karja. »Aber wie werden wir Ihre Ketten öffnen können? Wir haben keine Schlüssel zu den Schlössern.« – »Oh«, meinte er, »es gibt gar keine Schlösser, sondern nur Vorsteckeisen, hüben und drüben an der Wand, so daß ich sie nicht erreichen kann. Sehen Sie nach, Señorita!«

Es war so, wie er sagte. Er lag auf dem Rücken und war mit einem jeden Arm vermittels einer Kette an die betreffende Seite der Zelle befestigt. Diese beiden Ketten waren so kurz, daß sie die Arme auseinander hielten, so daß weder der rechte den linken, noch der linke den rechten befreien konnte. Karja erkannte auf den ersten Blick, wie die Ketten gelöst werden konnten, und eine Minute später stand Helmers aufrecht und von den Banden befreit in der Zelle und streckte seine kräftigen Seemannsglieder, um die unterbrochene Zirkulation des Blutes wieder in Gang zu bringen.

»Alle Wetter, ist das Glück bei allem Unglück!« meinte er. »Aber zunächst wollen wir nicht fragen und erzählen, sondern an Mariano denken.«

Sie verließen den Raum und öffneten die nächste Zelle. Es ging Mariano so wie Helmers. Er hatte auf das Klopfen nicht geantwortet, weil er glaubte, daß es einer seiner Peiniger sei, der ihn verhöhnen wolle. Als er aber die drei Personen erkannte, bemächtigte sich eine wahre Wonne seiner.

Er war ganz in derselben Weise wie Helmers befestigt, und darum nahm seine Befreiung auch nur wenige Augenblicke in Anspruch. Nun mußten die beiden Mädchen erzählen, wie es ihnen gelungen war, freizukommen. Sie taten es und ernteten das volle Lob der zwei Männer, in denen sie nun starke und mutige Beschützer fanden.

Mariano schlug vor, daß die Damen die Messer behalten, die Revolver aber ihnen übergeben sollten, da Männer mit denselben besser umzugehen verstehen. Dies geschah, und nun wurde ausgemacht, daß die vier sich unter keiner Bedingung trennen wollten. Wer von den anderen abkam, konnte verloren sein.

Trotzdem wurde der vorhandene Proviant in vier Teile geteilt, von denen jede Person einen bekam; man konnte ja nicht wissen, was passieren möchte. Auch die vier Wasserkrüge wurden geholt, jede Person sollte den ihrigen bei sich tragen. Helmers und Mariano teilten danach die Revolverpatronen, die Pardero bei sich geführt hatte, und der erstere steckte zuletzt auch die Ölflasche zu sich.

Nun hatten sie alles bei sich, was die finsteren Gänge ihnen geboten hatten, und gingen zunächst an die Untersuchung dieser letzteren.

Der Gang, in dem die Zellen der beiden Männer sich befanden, war vorn durch eine Tür verschlossen und hörte hinten in einem offenen Felsenzimmer auf. Von ihm aus trat man in den Gang, der die Gefängnisse der Frauen enthalten hatte. Dieser führte in schnurgerader Richtung fort auf eine Tür, die mit zwei verrosteten Eisenriegeln verschlossen war. Es gelang der vereinigten Kraft der beiden Männer, dieselben zurückzuschieben, aber die Tür öffnete sich dennoch nicht; es war ja dieselbe, von welcher Verdoja gesagt hatte: »Er kann sie nicht öffnen, denn er kennt das Geheimnis nicht.«

»Was tun?« fragte Helmers. »Wir bringen sie nicht auf.« – »Sie soll ja eine geheimnisvolle Vorrichtung haben«, meinte Mariano. »Wir wollen suchen, vielleicht entdecken wir sie.«

Sie beleuchteten jeden Zollbreit der Tür und ihrer Umgebung, sie tasteten mit Händen und Füßen nach jeder, auch der kleinsten Erhöhung oder Vertiefung in der Tür, auf dem Fußboden und an den Wänden, aber vergebens.

»Es hilft kein Suchen«, meinte Helmers. »So kommen wir nicht frei. Wir müssen uns durch List zu erretten suchen.« – »Auf welche Weise?« fragte Emma. – »Die Stunde, nach der der Wächter zurückkehren wollte, muß fast vergangen sein. Wir müssen ihn ergreifen. Haben wir ihn fest, so zwingen wir ihn, uns den Weg in die Freiheit zu zeigen.« – »Das ist das beste und einzig sichere Mittel«, stimmte Mariano bei. »Wir haben ja das Feuerzeug, das Pardero bei sich trug, und können also unsere Laterne getrost verlöschen, damit sie uns nicht verrät. Kehren wir an den Eingang dieses Ganges zurück. Wir öffnen ihn. Einer bleibt im Gang stehen, und der andere versteckt sich hinter die zurückgelehnte Tür. Sobald er kommt, wird er gefaßt und überwältigt.« – »Und wir?« fragte Karja. – »Sie verstecken sich in der Zelle, in der Señorita Emma gesteckt hat. In der anderen liegt die Leiche Parderos, der Sie ja nicht Gesellschaft leisten werden.«

Wie er es angegeben hatte, so geschah es. Die beiden Damen begaben sich in die Zelle, Mariano blieb im Dunkel des Ganges stehen, und Helmers steckte sich hinter die Tür.

Sie hatten eine ziemliche Weile zu warten, bis ein fernes Geräusch zu ihnen drang. Dann hörten sie von weitem das dumpfe Schlagen einer Tür, dem ein eigentümliches Scharren folgte, und jetzt, ja, jetzt hörten sie Schritte, die sich langsam näherten.

Der Wärter kam. Seine kleine Blendlaterne verbreitete auf eine nur sehr kurze Entfernung einen ungewissen Schein, der immer näher rückte, bis er auf die geöffnete Tür fiel. Da blieb der Mann stehen.

»Señor Pardero!« rief er halblaut.

Niemand antwortete; darum trat er näher an den Eingang heran und blickte in den Gang hinein. Das Licht fiel mit seinen zweifelhaften Strahlen auf die Gestalt Marianos, der hier an der Seite des Ganges lehnte.

»Señor Pardero, sind Sie fertig?« fragte der Wärter. – »Ja«, antwortete der Gefragte mit verstellter Stimme. – »So kommen Sie. Señor Verdoja ist bereits nach der Hazienda geritten, ich soll Sie nachbringen.« – »Und die anderen?«

Wäre der Gang nicht so eng, feucht, dumpfig und dunkel gewesen, so wäre der Mann wohl nicht so leicht zu täuschen gewesen, so aber erhielt die Gestalt Marianos kaum halbes Licht, und seine Stimme hatte eine eigentümliche Tonart, daß der Wärter wirklich glaubte, Pardero vor sich zu haben. Er antwortete:

»Sie sind alle zurückgekehrt.« – »Alle?« – »Ja. Señor Verdoja wollte nur einige schicken, aber da dieser Sternau ein gar so gewaltiger und schlauer Patron ist, so sind sie alle zurückgekehrt, um ihn zu fangen. Sie werden ihren Lohn erst bekommen, wenn sie ihn lebendig bringen oder seinen abgeschnittenen Kopf. Darum werden sie sich alle Mühe geben, ihn zu erwischen.« – »Aber ihre Pferde waren ja ermattet.«

Helmers sah ein, daß Mariano wünschte, so viel wie möglich über die Pläne Verdojas zu erfahren, aber eine Fortsetzung des Gesprächs konnte gefährlich werden. Er schlich sich also hinter der Tür hervor und stellte sich dicht hinter den Wärter. Dieser schöpfte noch immer keinen Verdacht und antwortete:

»Sie sind zunächst nach der Hazienda, wo sie sofort neue Tiere erhalten. Übrigens sind die beiden Kerle, die Mariano und Helmers heißen, jetzt eingeschlossen und angekettet, sie werden nicht entkommen.« – »Nicht?« fragte Mariano.

Damit trat er hervor, und zu gleicher Zeit faßte Helmers den Mann mit beiden Händen um die Gurgel. Der also Überfallene ließ die Laterne fallen, stieß ein unartikuliertes Stöhnen aus, fuhr mit den Armen in die Luft und bewegte die Beine konvulsivisch. Dann ging ein fühlbares Zittern durch seinen Körper, und nun hing er steif und bewegungslos in den Händen der beiden Männer, denn auch Mariano hatte ihn ergriffen, sobald er bemerkte, daß Helmers ihn gepackt hielt.

»Es ist gut!« sagte Helmers. »Er ist ohnmächtig. Brennen wir die Laterne an!« Sie ließen ihn zu Boden gleiten und steckten das Lämpchen in Brand. Als sie ihn beleuchteten, lag er lang ausgestreckt und steif am Boden. Die Augen standen ihm offen, und die Farbe seines Gesichts hatte ein bleiernes Graublau.

»Der ist nicht ohnmächtig, der ist tot«, meinte Mariano. – »Nein, tot kann er nicht sein«, antwortete Helmers. »Ich habe ihn ja nur ein ganz klein wenig gequetscht.« – »Sehen Sie her, Señor, das ist nicht die Gesichtsfarbe eines Ohnmächtigen, er ist tot, wirklich tot, aber nicht von Ihrer Hand, sondern gestorben vor Schreck, daß er so plötzlich erfaßt wurde.« – »Alle Teufel, das ist möglich! Ganz genau so sieht einer aus, den der Schlag gerührt hat, ich habe mehrere solche Leute gesehen. Aber das ist dumm von diesem Kerl!« – »Warum?« – »Weil er uns nun den Ausgang nicht zeigen kann.« – »Allerdings. Doch vielleicht finden wir den Weg auch ohne ihn. Wir dürfen ja nur da hinausgehen, wo er hereingekommen ist« – »Das klingt sehr einfach, Señor, aber diese Gänge scheinen ein Labyrinth zu bilden, in dem man sich leicht verirren kann, und es gibt hier, wie wir ja gesehen haben, Türen, die nicht ein jeder zu öffnen vermag.« – »Wir werden ja sehen. Vor allen Dingen wollen wir untersuchen, ob der Kerl auch wirklich tot ist. Hier hat er ein Messer und auch ein Doppelpistol im Gürtel, da haben wir neue Waffen.«

Mariano nahm das Messer und machte einen Schnitt in das Handgelenk des Wärters. Was aus der Wunde hervorquoll, war kein Blut zu nennen, es war eine mehr wässrige Flüssigkeit. Jetzt horchten beide auf den Atem, entblößten darauf seine Brust, um zu sehen, ob hier eine Bewegung zu bemerken sei, und beschäftigten sich wohl eine volle Viertelstunde mit ihm, bis sie endlich zu der Überzeugung gelangten, daß er wirklich tot sei.

»Unerklärlich!« meinte Helmers. »Dieser Mensch schleicht in diesen Gängen herum, ohne sich zu fürchten, und läßt sich bei der geringsten unerwarteten Berührung vom Schlag niederstrecken! Wir wollen ihn zu Pardero schaffen, daß ihn die Damen gar nicht zu sehen bekommen.«

Dies wurde ausgeführt, vorher aber untersuchten sie seine Taschen. Sie fanden darin eine alte tombakene Uhr, die ihnen jetzt aber von hohem Wert war, da sie sehen konnten, ob es Tag oder Nacht draußen sei, ein kleines Taschenmesser und eine ziemliche Menge von Zigaretten, die der Mexikaner stets bei sich führt.

Erst als die Leiche bei der Parderos lag, riefen sie die Damen hervor und erzählten ihnen, welches Mißgeschick sie gehabt hatten.

»Der Mann schien nicht furchtsam zu sein«, meinte Karja. »Aber Señor Helmers hat Seemannshände und wird ihn erwürgt haben.« – »Fällt mir nicht ein!« antwortete Helmers. »Er mag ohne Furcht gewesen sein, aber er war kein guter Mensch und hatte ein böses Gewissen. Wer aber dieses hat, der kann ganz leicht bis zum Tod erschrecken. Ich weiß, wie eine Menschengurgel zu behandeln ist, darauf können Sie sich verlassen. Doch streiten wir uns nicht. Wir wollen sehen, ob dieser Mensch uns den Weg offengelassen hat.«

Sie brachen auf und traten in den Quergang hinaus. Demselben nach rechts hin folgend, denn aus dieser Richtung war der Wärter gekommen, trafen sie auf eine offenstehende Tür, die in einen weiteren Querkorridor führte. Als sie demselben nach rechts hin folgten, kamen sie an eine Felsenwand, hier ging es nicht weiter. Dann kehrten sie zurück und durchschritten die linke Hälfte des Korridors. Da erreichten sie eine Tür, die durch zwei Riegel verschlossen war. Sie schoben dieselben zurück, aber die Tür war nicht zu öffnen.

»Auch sie hat ein Geheimnis«, meinte Helmers enttäuscht. – »Wahrscheinlich«, antwortete Mariano. »Suchen wir!«

Sie wandten nun allen ihren Scharfsinn auf, sie suchten und probierten stundenlang, aber vergebens. Und auch als sie ihre Kräfte anstrengten, um die Tür aus ihren Angeln zu drücken, gelang ihnen dies ebenfalls nicht.

»Unsere Mühe ist umsonst«, sagte endlich Mariano. »Wir müssen einen zweiten Überfall versuchen.« – »Auf wen?« fragte Emma. – »Auf Verdoja.« – »Ja, er hat recht«, meinte Helmers. »Wenn der Wächter Pardero nicht bringt, so wird Verdoja annehmen, daß beiden ein Unglück widerfahren sei. Er wird dann nach der Pyramide kommen, und wir lauern ihm auf dieselbe Weise auf wie seinem Diener.« – »Aber wenn Sie auch ihn totdrücken!« versetzte Emma. – »Fällt mir gar nicht ein. Ich werde ihn gar nicht bei der Gurgel fassen. Wir zwei sind stark genug, ihn festzuhalten, dann rufen wir die Damen herbei, die ihn binden, während wir dafür sorgen, daß er sich nicht wehren kann. Um sein Leben zu retten, wird er uns die Freiheit geben müssen.« – »Das ist der einzige Weg zu unserer Rettung«, stimmte Mariano bei. »Kehren wir nach unserem Gang zurück.« – »Zunächst haben wir noch Zeit«, sagte Karja. »Jetzt wird der Wächter noch nicht erwartet und bis Verdoja besorgt wird, können immerhin noch einige Stunden vergehen.« – »So mögen die Damen zu schlafen versuchen, während wir wachen.«

Das wurde angenommen. Aber da die Mädchen sich vor den beiden Leichen scheuten, so schlugen sie ihr gemeinschaftliches Lager in der Zelle auf, in der Mariano angefesselt gewesen war, und erhielten die brennende Laterne hinein. Mariano und Helmers aber nahmen ihre Posten an der Tür ein, an der sie bereits den Wärter ergriffen hatten. Dort konnten sie Verdoja am sichersten erwarten.


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