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20. Kapitel.

Die drei Offiziere waren nach dem Aufbruch Sternaus und Marianos noch längere Zeit auf dem Kampfplatz geblieben; sie sahen sich durch Verwundungen dazu gezwungen. Die Hand Parderos war vollständig zerschmettert, aber die Blutung zeigte sich bei ihm als nicht übermäßig. Das Taschentuch und ein Stück von der Pferdedecke genügten zum einstweiligen Verband. Anders war es bei dem Kapitän. Die scharfen Schnittflächen seiner vierfachen Fingerwunde begünstigten das Hervorbrechen des Blutes, und die Kugelwunde am Arm, obgleich nicht gefährlich, schien eine bedeutende Vene zerrissen zu haben. Hier war die Blutung mit weit größerer Mühe zu stillen.

Während dieser Verbandarbeiten wurde nur wenig gesprochen, und das, was geredet wurde, trug den Charakter des Grimmes und der Wut an sich.

»Wer hätte das gedacht!« meinte Pardero. – »Daß Sie so ungeschickt sind, auf mich zu schießen!« unterbrach ihn der Kapitän. – »Ich? Sie haben ja bereits gehört, wie es zugegangen ist. Dieser Sternau ist ein Fechter und ein Schütze, wie es keinen zweiten gibt.« – »Und Sie sind ebenso ein Schütze, wie es keinen zweiten gibt, nämlich ein so schlechter!« – »Ich bitte die Herren, sich nicht zu entzweien!« bat der Sekundant, dem das Geschäft des Verbindens allein oblag, da die beiden anderen durch ihre Wunden verhindert waren, ihm durch eine Handreichung beizustehen. »Das Rendezvous war ein ganz außergewöhnliches. Dieser Sternau kann wirklich fast ein Teufel genannt werden, obgleich alles sehr natürlich zugegangen ist. Seine Geschicklichkeit sowohl in der Handhabung von Schieß- und Hiebwaffen ist eine geradezu auffällige, aber noch auffälliger sind mir die Worte, die er sprach.« – »Allerdings auffällig im höchsten Grad«, stimmte Pardero bei. »Er beschuldigte Sie, Kapitän, ja geradezu, einen Mörder gedungen zu haben, der ihn und seinen Sekundanten niederschießen solle.« – »Infamie!« antwortete Verdoja.

Aber trotz dieses Wortes konnte er die tiefe Röte nicht verbergen, die in sein vorher so totenbleiches Gesicht getreten war. Wer bei solchem Blutverlust so tief erröten konnte, der mußte sich getroffen fühlen.

Der Sekundant fixierte ihn mit scharfem Auge. Er war ein Ehrenmann, der, wenngleich Mexikaner, sich der Beihilfe zu einer Unehrenhaftigkeit nicht schuldig machen wollte. Er hatte keine Ahnung von den eigentlichen Absichten seines Vorgesetzten, dem er nur sehr ungern als Sekundant gedient hatte, da es sich ja um die Beleidigung einer Dame handelte; aber gerade daß es sein Vorgesetzter war, hatte ihn vermocht, eine Weigerung nicht auszusprechen. Er fühlte, ja, er war fest überzeugt, daß Sternaus Anschuldigung eine begründete sei, und fragte:

»Was sollte diesen Deutschen zu einer solchen Beschuldigung veranlassen?« – »Eben seine Schlechtigkeit«, antwortete der Kapitän. – »Sie irren wohl, Señor!« erwiderte der Sekundant ruhig. »So wie ich Sternau beurteile, ist er nicht der Mann zu einer solchen Bosheit.« – »So war es ein übel angebrachter Theatercoup, um den Effekt zu erhöhen.« – »Auch das glaube ich nicht. Sternau, der berühmte Jäger, ist kein Schauspieler.«

Da stampfte Verdoja zornig mit dem Fuß.

»Schweigen Sie! Oder wollen Sie mir etwa sagen, daß Sie glauben, was dieser Mensch ausgesprochen hat?« – »Er hat eine offene Anschuldigung ausgesprochen, die Sie nicht widerlegten«, antwortete der Leutnant gemessen. »Ich enthalte mich natürlich eines jeden Urteils, bis erwiesen ist, daß der Ankläger sich geirrt hat.« – »Das will ich Ihnen auch raten!«

Der junge Mann blickte von dem Verband auf, mit dem er beschäftigt war, zog die Brauen zusammen und fragte:

»Soll das eine Drohung sein, Kapitän?« – »Allerdings!« lautete die zornige Antwort.

Sofort ließ der Leutnant das Tuch los und trat zurück.

»Ich verbitte sie mir sehr ernstlich!« sagte er. »Sie sind im Dienst mein Vorgesetzter, in einem Ehrenhandel aber ist meine Stellung keine andere als die Ihrige. Ihr Verhalten gegen mich ist mir unbegreiflich, und ich sage Ihnen, daß ich sofort nach unserer Rückkehr mit Señor Sternau sprechen werde. Er hat Sie des Meuchelmords angeklagt, geschah es mit Unrecht, so muß er widerrufen und Genugtuung geben, geschah es aber mit Recht, so werde ich aus meiner Stellung scheiden.« – »Ich verbiete Ihnen, mit diesem Menschen zu sprechen!« schnaubte der Kapitän. – »Sie haben mir nur in dienstlichen Dingen Befehle zu erteilen, sonst nicht. Sie kennen jetzt meine Ansicht. Soll ich den Verband vollenden, so ersuche ich Sie, das jetzige Thema fallenzulassen.«

Der Kapitän schwieg notgedrungen und hielt ihm den Arm hin. Der Zorn, der ihn beherrschte, war nicht geeignet, die Wallungen seines Blutes zu beruhigen, und so kam es, daß das Verbinden längere Zeit in Anspruch nahm. Während der Leutnant mit dem Arm seines Vorgesetzten beschäftigt war, wechselte dieser Blicke mit Pardero, aus denen er erkannte, daß er in letzterem einen Verbündeten haben werde.

Endlich stiegen sie zu Pferde, um nach der Hazienda zurückzukehren. Sie taten dies, wie bereits bemerkt, mit düsteren Mienen, doch war bei dem Leutnant der Grund dazu ein ehrenhafterer als bei den beiden anderen.

Bei den Lanzenreitern befand sich einer, der einmal Arzt hatte werden wollen, aber wegen schlimmen Lebenswandels relegiert worden war. Er war der Chirurg der Schwadron und hätte bei dem Duell eigentlich zugegen sein müssen. Aber Sternau hatte die Anwesenheit eines Arztes abgelehnt, und der Kapitän war so überzeugt gewesen, daß sein meuchlerischer Anschlag gelingen werde, daß man nicht für nötig befunden hatte, ihn zu benachrichtigen. Kaum aber waren Verdoja und Pardero nach der Hazienda zurückgekehrt, so ließen sie ihn kommen, um sich einen regelrechten Verband anlegen zu lassen.

Bei dieser Gelegenheit erfuhren sie von ihm, daß ein Bote angekommen sei, der von Juarez die Weisung gebracht habe, sofort nach Monclova aufzubrechen, da dort die Bevölkerung im Aufstand gegen die Regierung begriffen sei. Der Kapitän ließ ihn zu sich kommen und empfing den schriftlichen Befehl, den Monclovanern gegen die Regierungstruppen beizustehen.

»Werde ich reiten können?« fragte er den Chirurgen. – »Ja«, antwortete dieser. »Das Reiten strengt den Arm nicht an. Es ist nur das Wundfieber zu befürchten, aber da ich das Wundkraut angewandt habe, so wird es gar nicht eintreten.« – »Und Leutnant Pardero?« – »Seine Wunde ist schmerzhafter als die Ihrige, gefährlicher aber nicht. Auch er kann reiten. Allerdings den Degen werden Sie beide nicht wieder führen können.« – »So fechte ich mit der linken Hand. Morgen früh brechen wir auf.«

Während der Chirurg mit den beiden Verwundeten beschäftigt war, führte der Leutnant seinen Vorsatz aus und begab sich zu Sternau. Dieser sah ein, daß er es mit einem Ehrenmann zu tun hatte, verweigerte ihm aber einstweilen jede Auskunft.

»Und doch muß ich auf dieser Auskunft bestehen«, sagte der Leutnant. »Es ist ein Bote angekommen, der unseren schleunigen Aufbruch fordert. Juarez dirigiert uns nach Monclova. Haben Sie ein Recht, den Kapitän des Meuchelmords oder der Anstiftung dazu zu beschuldigen, so trete ich aus oder zwinge ihn auszutreten. Dasselbe wird auch mit Pardero der Fall sein, denn ich vermute sehr, daß die beiden zusammenhalten. Eigentlich genügt schon ihr ehrloser Angriff auf die Damen, mich von ihnen loszusagen.« – »Und doch dienten Sie ihnen als Sekundant!« – »Wer hätte es sonst tun sollen? Übrigens erfuhr ich etwas Ausführliches erst auf dem Weg nach dem Stelldichein. Jetzt sehen Sie wohl ein, daß ich unbedingt um sofortige Aufklärung bitten muß.« – »Sie soll Ihnen werden, wenn auch nicht in dieser Minute, aber doch in ganz kurzer Zeit. Der Kapitän sieht seinen Anschlag mißlungen, und er wird, wie ich vermute, in kurzer Zeit ausreiten, um an denjenigen, der den Mord ausführen sollte, eine Botschaft zu richten. Ich beabsichtige, ihn dabei zu beobachten; Sie werden mich deshalb begleiten, denn dies ist der Weg, Sie von der Wahrheit meiner Behauptungen zu überzeugen. Bereiten Sie sich auf einen baldigen Spazierritt vor, aber ohne daß es jemand merkt.«

Der Leutnant mußte sich damit zufriedengeben und entfernte sich einstweilen. Sternau hatte sich in seinen Vermutungen nicht getäuscht, denn kaum hatte der Chirurg sich entfernt so verließ Verdoja zu Pferde die Hazienda, aber nicht allein, sondern er forderte den Leutnant Pardero auf, ihn zu begleiten, da er mit ihm zu sprechen habe.

Pardero war ein echter Mexikaner, leichtlebig, leidenschaftlich, seinen Wünschen und Begierden alles unterordnend. Er war arm, wollte es aber nicht bleiben, denn der Besitz ist ja das einzige Mittel zur Befriedigung aller Bedürfnisse. Reich zu werden, war ihm kein Mittel zu verwerflich, aber leider hatte er bis jetzt noch keinen Erfolg gehabt. Er hatte es bisher zu nichts gebracht als nur zu Schulden, und sein Hauptgläubiger war der Kapitän, an den er im Spiel Summen verloren hatte, die nicht ganz unbedeutend waren. Dies wollte Verdoja benutzen. Er brauchte einen Verbündeten, der von ihm abhängig war, und dazu paßte niemand besser als Pardero. Daher nahm er ihn auf seinem jetzigen Ritt mit, um ihn für seine Zwecke zu engagieren.

Verdoja wußte nicht, daß seine Helfershelfer gefangen seien; er konnte nicht begreifen, wie Sternau seinen Anschlag erfahren hatte, und wollte nun für den Mörder einen zweiten Zettel unter den Stein stecken, um ihn für Mitternacht abermals zu bestellen. Doch ritt er nicht direkt der Gegend zu, in der sich der Stein befand. Er wußte sich von Sternau beobachtet, darum machte er einen Umweg, und zwar einen noch weiteren, als sein gestriger gewesen war.

»Warum brechen wir erst morgen nach Monclova auf?« fragte Pardero unterwegs. »Der Weisung nach müßten wir doch sofort reiten.« – »Wir haben erst hier noch einiges abzumachen, ich und Sie«, antwortete Verdoja. – »Ich?« fragte Pardero erstaunt. – »Ja. Oder wollen Sie diesen Sternau, der Ihnen die Hand zerschmettert hat, unbestraft lassen?« – »Ah, wenn ich ihn fassen könnte!« knirschte der Leutnant. – »Das werden wir. Übrigens denke ich auch, daß die schöne Indianerin Ihr Blut in Wallung gebracht hat. Sie ist schuld an Ihrem Rencontre mit dem Deutschen. Wollen Sie von hier fortgehen, ohne sich diese Schuld in liebenswürdiger Weise abtragen zu lassen?«

Aus den Augen Parderos leuchtete eine gefährliche Glut.

»Teufel, ja«, sagte er. »Ich gestehe aufrichtig, daß ich vor Lust brenne, sie zu küssen. Sie ist das schönste Mädchen, das ich kenne.«

Dies war ein offenes Geständnis. Der Kapitän nickte mit dem Kopf.

»Gut! Sie werden offen, und so will ich Ihnen ebenso ehrlich sagen, daß es mir geradeso geht mit dieser Señorita Emma. Ich habe mich in sie vergafft und bin wirklich ganz verliebt in den Gedanken, meine innigen Gefühle belohnt zu sehen. Freiwillig wird das nicht geschehen, aber wer kann uns widerstehen, wenn wir vereint handeln? Wollen wir uns verbünden, Leutnant?«

Er streckte Pardero die Hand entgegen.

»Gern!« rief dieser, indem er sofort und kräftig einschlug. »Aber wie?« – »Lassen Sie nur mich sorgen! Ich habe übrigens noch andere Pläne, die nicht nur für mich, sondern auch für Sie von Vorteil sind.« – »Ich hoffe, daß ich sie erfahren werde!« – »Hm, sie sind etwas heikler Natur, und ich weiß nicht, ob ich Ihnen vertrauen darf, ob ich auf alle Fälle und unter allen Umständen auf Ihre Verschwiegenheit rechnen kann.« – »Ganz sicher! Ich schwöre es Ihnen!« – »Nun wohl, ich will einmal kühn sein und Ihnen glauben. Was halten Sie von der Anschuldigung, die Sternau heute gegen mich ausgesprochen hat?« – »Hm!« antwortete Pardero, indem er nachdenklich auf den Sattelknopf niederblickte. – »Nun? Reden Sie offen!« – »Wenn Sie es befehlen, so sage ich Ihnen aufrichtig, daß Ihr Verhalten bei dieser Sache nicht ganz geeignet war, das Gegenteil glauben zu lassen.« – »Richtig. Ich gestehe Ihnen, daß dieser Deutsche recht hatte.«

Dieses rückhaltlose Bekenntnis machte Pardero doch etwas verdutzt.

»Also wirklich!« sagte er erstaunt. – »Ja, und wenn mein vorsichtiger Anschlag gelungen wäre, so befänden wir uns beide noch im Besitz unserer Hände, und den Deutschen mitsamt seinem Sekundanten hätte der Teufel geholt. Ich muß Ihnen nämlich sagen, daß ich von sehr hoher und einflußreicher Seite den Befehl habe, Sternau und seine Begleiter unschädlich zu machen.«

Diese letzten Worte waren schlaue Berechnung, sie sollten Pardero willig machen, dem Kapitän Hilfe zu leisten.

»Das ist überraschend«, sagte dieser. »Darf man nach Namen fragen?« – »Jetzt noch nicht. Dieser Sternau ist mehr, als er scheint. Es hängt von seinem Verschwinden das Gelingen weittragender Pläne ab, und derjenige, der ihn verschwinden läßt oder dabei Hilfe leistet, hat auf eine nachhaltige Dankbarkeit zu rechnen. Sie können sich denken, daß ich mich nicht in Gefahr begeben hätte, wenn ich nicht wüßte, daß mir dadurch eine Karriere, eine Zukunft eröffnet wird, an die ich sonst nicht denken dürfte.«

Das war nicht wahr, das war eine große Lüge, aber der Kapitän sprach sie mit Vorbedacht aus. Indem er vorgab, in einem höheren Auftrag zu handeln, stellte er sich als einen Bevollmächtigten hin, dessen Taten nicht gerichtet werden konnten. Und indem er von einer nachhaltigen Belohnung sprach, versicherte er sich des Beistands Parderos, der keine Ahnung harte, daß die Worte seines Vorgesetzten eine Unwahrheit enthielten.

»Sie glauben, daß auch ich belohnt werde, wenn ich Ihnen behilflich bin?« fragte Pardero. – »Gewiß. Sie werden sogar doppelt belohnt, ebenso wie ich. Zunächst haben wir entweder auf ein schnelles Avancement oder auf eine bedeutende pekuniäre Berücksichtigung zu hoffen, und sodann ist es ja für uns beide eine Genugtuung, diesen Kerlen zu beweisen, daß wir uns zu rächen vermögen. Ich darf also auf Sie rechnen?« – »Vollständig, Kapitän! Ich stehe Ihnen mit größtem Vergnügen zur Verfügung und bitte, mir zu sagen, was ich zu tun habe.« – »Das weiß ich in diesem Augenblick selbst noch nicht. Zunächst muß ich erfahren, weshalb mein Beauftragter heute nicht gekommen ist.« – »Wir werden jetzt mit ihm sprechen?« – »Nein. Wir werden ihm jetzt zunächst ein Zeichen geben, daß ich heute abend mit ihm sprechen will. Da erfahre ich, was ihn abgehalten hat, und werde dann augenblicklich handeln. Dies ist auch der Grund, daß ich heute nicht nach Monclova aufbrechen kann, es kann dies erst morgen geschehen.« – »Aber wie hat Sternau erfahren, was Sie mit ihm vorhatten?« – »Das ist mir ein Rätsel.« – »Ihr Mann wird Sie doch nicht verraten haben?« – »Nein, er ist sicher. Eher glaube ich, daß Sternau uns belauscht hat. Er muß sich zufällig an dem Ort befunden haben, wo ich die Unterredung hatte. Daher werde ich die heutige Besprechung nach einem anderen Platz verlegen. Kommen Sie!«

Pardero mußte sich mit den Andeutungen für jetzt begnügen und folgte dem Kapitän, der sein Pferd in einen schnelleren Gang versetzte. Sie hatten beide keine Ahnung, daß ihr Ritt nicht nur ein vergeblicher sein, sondern ihnen geradezu zum Verderben gereichen werde.


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