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14. Kapitel.

Nach dem Abendmahl begaben sich die Offiziere nach ihren Gemächern. Der eine Leutnant, ein junger Wüstling, legte sich in sein Fenster, um die von dem Wachtfeuer erleuchtete Szenerie zu genießen. Da erblickte er ein weißes Frauengewand, das aus den dunklen Bosketts des Blumengartens emporleuchtete.

»Eine Dame«, dachte er. »Wo Damen sind, da gibt es Abenteuer; da sucht man Liebe und Glück. Ich gehe hinunter.«

Der Mexikaner ist gewöhnt, mit jeder Dame zu tändeln; er findet niemals eine Zurechtweisung, und so machte sich Leutnant Pardero keine Bedenken, ein kleines Abenteuer zu suchen. Die Soldaten hatten den Blumengarten respektiert, sie waren nicht in denselben eingedrungen, und so kam es, daß sich die Dame ganz allein befand. Es war Karja, die Indianerin, die Schwester Büffelstirns.

Sie hatte sich im Garten ergangen, um der Vergangenheit zu gedenken. Sie dachte an Graf Alfonzo, den sie geliebt hatte, und wunderte sich, daß es möglich gewesen war, einem solchen Menschen ihr ganzes Herz zu schenken; jetzt haßte sie ihn. Sie dachte an Bärenherz, den tapferen Häuptling der Apachen, der sie geliebt hatte, und wunderte sich, daß es möglich gewesen war, einem solchen Krieger gegenüber kalt und gleichgültig zu bleiben; jetzt liebte sie ihn. Wie glücklich wäre sie gewesen, ihn einmal wiederzusehen. Aus diesem Sinnen erweckte sie ein leiser Schritt, der in ihrer Nähe erklang. Sie blickte auf und sah den Leutnant. Sie wollte sich entfernen, er aber trat ihr in den Weg und bat mit einer galanten Verbeugung:

»Entfliehen Sie mir nicht, Señorita! Es sollte mir leid tun, wenn ich Sie im Genuß dieser herrlichen Blumendüfte störte.«

Sie blickte ihn forschend an und fragte dann:

»Wen suchen Sie, Señor?«

Es war ziemlich dunkel, aber die Wachtfeuer warfen ihren Schein über die Planken herein, und bei diesem flackernden Licht erblickte er eine schlanke und doch volle Gestalt, die leicht bekleidet war, und ein dunkel gefärbtes Gesicht mit glühenden Augen und einem Lippenpaar, das zum sofortigen Genuß einlud.

»Ich suche niemand«, antwortete er. »Der Abend war so schön, und da trieb es mich in den Garten. Ist der Zutritt zu demselben verboten?« – »Den Gästen des Hauses steht alles offen.« – »Aber Sie werden durch meine Gegenwart gestört, schöne Señorita?« – »Karja läßt sich durch niemand stören«, sagte sie. »Es ist Raum für uns beide in dem Garten.«

Das war ein Wink, sich zu entfernen, aber der Leutnant tat so, als ob er ihn nicht verstanden habe, trat dem Mädchen einen Schritt näher und sagte:

»Karja heißen Sie. Wie kommen Sie auf diese Hazienda?« – »Señorita Emma ist meine Freundin.« – »Wer ist Señorita Emma?« – »Sie sahen sie noch nicht? Sie ist die Tochter von Señor Pedro Arbellez.« – »Haben Sie noch Verwandte hier?« fragte er als ein gewandter Verführer, der stets wissen muß, ob er die Rache eines Verwandten zu fürchten hat. – »Büffelstirn ist mein Bruder.« – »Ah«, sagte er, sehr unangenehm berührt, »Büffelstirn, der Häuptling der Mixtekas?« – »Ja«, antwortete sie in einem selbstbewußten Ton. – »Befindet er sich gegenwärtig auf der Hazienda?« – »Nein.« – »Aber er war doch gestern hier. Er ist mit Señor Sternau nach der Schlucht des Tigers gegangen und hat dort am Kampf mit teilgenommen?« – »Er ist ein freier Mann; er geht und kommt, wie es ihm gefällt, und sagt keinem Menschen, was er tut.« – »Ich habe viel Rühmliches von ihm gehört. Er ist der König der Ciboleros, der Büffeljäger, aber daß er eine so schöne Schwester hat, das wußte ich nicht.«

Er ergriff die Hand der Indianerin, um auf dieselbe einen Kuß zu drücken, aber ehe dies geschehen konnte, entzog sie sie ihm und sagte, sich abwendend:

»Gute Nacht, Señor.«

Jetzt hatte er sie im Profil vor sich. Gerade in diesem Augenblick flackerte eines der Wachtfeuer hoch auf, und diese Flamme beleuchtete hell die weichen, reinen Linien des dunklen Gesichts der schönen Indianerin. Der Leutnant trat hastig einen Schritt näher und versuchte, den Arm um ihre Taille zu legen.

»Fliehen Sie nicht, Señorita«, bat er, »ich bin ja nicht Ihr Feind!«

Sie schob seinen Arm von sich, aber so kurz die Berührung gewesen war, hatte er doch bemerkt, daß sie nach Art der Indianerinnen nur ein einziges Gewand trug, das hemdartig bis auf die Knöchel herabfließend ihren Körper umschloß.

Er faßte jetzt mit festem Griff ihre Hand und sagte:

»Ich lasse Sie nicht gehen, Señorita, ich liebe Sie!«

Sie ließ ihm ihre Hand, aber er fühlte, daß alle Wärme aus derselben wich.

»Sie lieben mich?« fragte sie. »Wie ist das möglich? Sie kennen mich ja nicht!« – »Ich kenne Sie nicht, meinen Sie? Sie irren. Die Liebe kommt wie der Blitz vom Himmel herab, wie die Sternschnuppe, die plötzlich leuchtet, so ist sie bei mir gekommen, und wen man liebt, den kennt man.« – »Ja, die Liebe der Weißen kommt wie der Blitz, der alles vernichtet, und wie die Sternschnuppe, die in einem einzigen Augenblick kommt und vergeht. Die Liebe der Weißen ist das Verderben, ist Untreue und Falschheit.«

Sie entzog ihm die Hand und wandte sich zum Gehen. Da legte er den Arm um sie und versuchte, sie an sich zu ziehen. Aber es war, als ob ihre Gestalt dadurch nur an Höhe und Kraft gewinne, und ihre schwarzen Augen glühten ihm entgegen, so wild und drohend wie die Augen eines Panthers.

»Was wollen Sie?« fragte sie im strengsten Ton. – »Was ich will?« fragte er. »Dich lieben, dich umarmen und küssen!«

Er zog sie näher an sich und bog sich zu ihr nieder, um sie zu küssen.

Da entzog sie sich ihm mit einer schlangengleichen Bewegung und sagte:

»Lassen Sie mich! Wer gibt Ihnen die Erlaubnis, mich zu berühren?« – »Meine Liebe gibt mir sie.«

Er faßte sie von neuem, er preßte sie an sich. Sie bog den Kopf zurück und versuchte, sich von ihm loszureißen.

»Weg, fort von mir!« sagte sie. »Sonst ...« – »Was sonst?« fragte er. »Ich liebe dich, ich muß dich küssen um jeden Preis!«

Er hatte seinen Mund bereits an ihren Lippen, da gelang es ihr, sich den rechten Arm frei zu machen, und sofort stieß sie ihm die geballte Faust mit solcher Gewalt unter das Kinn, daß ihm der Kopf nach hinten flog, als ob er das Genick gebrochen hätte.

»Donnerwetter!« fluchte er. »Warte, du Teufel! Das sollst du mir entgelten!«

Er hatte sie unwillkürlich fahrenlassen und wollte sie nun wieder ergreifen, aber sie flog schnell über den Sandweg dahin, dem Eingang des Gartens zu. Er eilte ihr nach.

Auch der Rittmeister hatte sein Fenster geöffnet, um dem Duft seiner Zigarette freien Abzug zu verschaffen. Er schritt sinnend in seinem Zimmer auf und ab und trat dabei einmal an das geöffnete Fenster. Sein blick fiel zufällig in den Garten hinab und wurde durch das weißglänzende Gewand gefesselt. Er strengte seine Augen mehr an und bemerkte, daß eine männliche Person neben der Frauengestalt stand.

»Donnerwetter, wer ist das?« fragte er sich. »Ist das die Hazienderita? Und wer ist der Kerl bei ihr? Wenn sie bereits eine Liebschaft hat, so darf ich mich nicht wundern, daß sie spröde gegen mich ist. Ich werde den Menschen kennenlernen.«

Er eilte nach der Tür und begab sich in den Garten hinab. Eben als er die Pforte desselben geöffnet hatte und im Begriff stand, einzutreten, kam die weiße Gestalt auf ihn zugeflogen, ohne ihn in der Eile der Flucht zu bemerken.

»Ah, Señorita«, sagte er.

Da erst gewahrte sie ihn und blieb stehen. Sofort hatte er sie erfaßt und wollte sie an sich drücken. Da holte sie aus und stieß ihm, gerade wie vorher dem Leutnant, die Faust an die Gurgel, so daß er sie fahren ließ und zurückflog.

»Alle Teufel!« rief er. »Wer ist diese Katze?«

In diesem Augenblick kam der Leutnant nachgesprungen und wollte, auch ohne ihn zu bemerken, an ihm vorüber.

»Leutnant Pardero!« sagte er. »Ihr seid es? Wohin so schnell?«

Bei diesem Zuruf blieb Pardero stehen und sagte:

»Ah, Kapitän, Sie sind es? Ist Ihnen diese kleine Hexe begegnet?« – »Allerdings. Ich habe sie nicht nur gesehen, sondern auch gefühlt!« – »Gefühlt?« fragte der Leutnant. – »Ja, leider!« lautete die Antwort. – »Sie sind wohl mit ihr zusammengestoßen?« – »Ja, das heißt, ihre Faust ist mit meiner Kehle zusammengestoßen.« – »Verdammt. So haben Sie sie küssen wollen, gerade wie ich?« – »Möglich! Gerade wie Sie? Ah, Sie verraten sich!« – »Meinetwegen!« – »Und wie schmeckte der Kuß?« – »Verteufelt gesalzen; ich hatte den Stoß viel eher als den Kuß!« – »Aber den Kuß doch auch?« – »Nein. Der Teufel mag küssen, wenn einem der Kopf ins Genick getrieben wird.« – »Gerade wie bei mir«, lachte der Rittmeister. – »Das tröstet mich!« lachte nun auch der Leutnant. – »Aber, Pardero, Sie gehen auf schlimmen Wegen. Vergilt man die Gastfreundschaft auf diese Weise?« – »Pah! Was hat denn Sie in den Garten getrieben?« – »Nur allein der schöne Abend.« – »Das machen Sie mir nicht weis. Ich wette, daß es Ihnen gerade so wie mir gegangen ist.« – »Nun, wie?« – »Sie sahen zum Fenster heraus...« – »Zugegeben.« – »Erblickten ein weißes Frauenkleid ...« – »Auch das.« – »Gedachten sich einen Kuß zu holen oder etwas dergleichen...« – »Eingestanden.« – »Und gingen herab in den Garten.« – »Auch das hat Ihr bekannter Scharfsinn erraten.« – »So haben wir also ganz dieselbe Absicht gehabt und auch ganz denselben Erfolg errungen«, lachte der Leutnant.

Der Rittmeister war der Vorgesetzte, aber in Mexiko sind die Dienstverhältnisse andere als in Deutschland. Übrigens befanden sich beide jetzt nicht im Dienst, und, was die Hauptsache war, sie waren Freunde, sie kannten sich und pflegten sich bei ihren kleinen und großen Abenteuern zu unterstützen. Daher kam es, daß sie jetzt so ohne alle Reserve miteinander sprachen und einander auslachten.

»Wer war denn die Kleine?« fragte der Rittmeister. – »Sie heißt Karja und ist eine Indianerin.« – »Und so spröde. Sie schien reizend zu sein.« – »Außerordentlich. Man könnte dieses Mädchens wegen recht gut irgend jemand umbringen. Ich war ganz Feuer und Flamme.« – »Und sie ganz Eis und Schnee.« – »Leider. Aber ich hoffe, dieses Eis zum Schmelzen zu bringen.« – »Was tut sie denn hier in der Hazienda?« – »Sie scheint eine Gesellschafterin der Tochter des Hauses zu sein.« – »Der Tochter? Also von Señorita Emma?« – »Ja. Kennen Sie diese Emma?« – »Ja.« – »Caramba! Welch ein Glück! Ist sie schön?« – »Schöner noch als diese Karja, weit schöner!« – »Das will viel sagen. Vielleicht auch freundlicher?« – »Ich habe das nicht gefunden. Dieses Haus scheint sehr klösterlich gesinnte Bewohner zu haben. Ich werde Ihnen einen Vorschlag machen, Pardero.« – »Ich höre.« – »Sie wollen diese kleine Indianerin?« – »Um jeden Preis. Und sie diese kleine Señorita Emma?« – »Auch um jeden Preis. Helfen wir uns!« – »Versteht sich! Hier meine Hand.« – »Topp! Da gilt es zunächst zu erfahren, ob die Herzen dieser keuschen Dianen bereits engagiert sind. Es scheint so, nach der Kälte, die wir verspürt haben.« – »Vielleicht ist uns dieser Sternau zuvorgekommen. Er ist ein sehr schöner Mann, der wohl hundert Mädchen die Köpfe verdrehen könnte.« – »Ich meine dies nicht, eher erscheint mir dieser Mariano verdächtig. Haben Sie nicht bemerkt, daß ihn der Haziendero so auf eine stille, unauffällige, feine Weise auszuzeichnen sucht? Es ist fast, als ob er der Höhere von den dreien sei.« – »Ich hatte keine Veranlassung, so scharf zu beobachten. Erlauben Sie mir, schlafen zu gehen. Dieses Mädchen hat eine Faust wie ein indianischer Athlet; man sollte es ihren kleinen weichen Händchen gar nicht anfühlen. Mein Genick schmerzt und ist mir so steif geworden, als ob es aus Holz gedrechselt sei. Der Teufel hole die Liebe, die ihre Stärke und Innigkeit mit der Faust beweist.« – »So schlafen Sie aus, Leutnant. Morgen erneuern wir den Angriff, und ich denke doch, daß es uns gelingen wird, Bresche zu schießen. Gute Nacht!« – »Gute Nacht, Señor Verdoja.«


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