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19. Kapitel.

Der Haziendero stand am Portal und staunte, sie mit zwei Begleitern und einem ledigen Pferd ankommen zu sehen.

»Ah, da sind Sie ja. Wir haben nach Ihnen gesucht. Sie bringen mir Gäste mit, Señores?« – »Nicht eigentlich Gäste, Señor«, sagte Sternau. »Es sind Gefangene.«

Der Haziendero machte ein erstauntes Gesicht.

»Gefangene?« fragte er. »Wieso? Mein Gott, was ist Ihnen schon wieder passiert?« – »Das werden Sie erfahren. Aber bitte, öffnen Sie uns ein Gewölbe, in dem wir diese Männer sicher unterbringen können, von deren Hiersein die Offiziere der Lanzenreiter zunächst noch nichts wissen dürfen.«

Es wurden den Männern jetzt die Hände wieder gefesselt, dann band man sie von den Pferden los und steckte sie in ein Gewölbe, das ohne Fenster war und dessen Tür so verschlossen wurde, daß an eine Flucht gar nicht gedacht werden konnte. Die Soldaten merkten nicht das geringste davon.

Nun begaben sich die beiden Freunde nach dem Speisesaal, um das Frühstück einzunehmen. Dort fanden sie Helmers, Karja und Emma, die auf einige Augenblicke ihren genesenden Pflegling verlassen hatten, und erzählten ihnen das gehabte Abenteuer. Pedro Arbellez wußte noch nichts davon, daß seine Tochter auf dem Dach beleidigt worden sei; er erschrak, als er es hörte. Als dann die Rede auf das Duell kam, erbleichte Emma. Mariano berichtete den ganzen Hergang desselben, und Sternau erntete wohlverdiente Bewunderung von den Zuhörern. Diese war aber gemischt mit der Befürchtung, daß die Lanzenreiter nun an der Hazienda und ihren Bewohnern Rache nehmen könnten. Sternau versuchte, diese Befürchtungen zu widerlegen.

»Die Lanzenreiter sind ja Untergebene von Juarez, der es früher oder später ganz sicher zum Präsidenten bringen wird«, sagte er. Juarez aber ist Ihnen wohlgesinnt, Señor Arbellez, das hat er Ihnen bewiesen, indem er Ihnen die Verwaltung der Hacienda Vandaqua anvertraute. Das werden diese Offiziere bedenken müssen. Übrigens haben wir gegen diese eine sehr gefährliche Waffe in der Hand, nämlich unsere Gefangenen, die wir jetzt verhören werden. Der Mensch, den ich gestern abend gefangennahm, liegt wohl noch verschlossen in meinem Zimmer; ich habe heute noch nicht nach ihm sehen können und werde ihn herbeibringen.«

Er ging nach seiner Wohnung und fand den Mann noch in derselben Lage, wie er ihn verlassen. Es stand zu vermuten, daß er sich alle Mühe gegeben hatte, freizukommen, aber seine Fesseln waren zu fest gewesen. Sein Gesicht hatte eine bläuliche Farbe, und ein leises, röchelndes Stöhnen drang unter dem Knebel hervor, der ihn verhindert hatte, in freier Weise zu atmen. Sternau erkannte, daß der Gefesselte in kurzer Zeit dem Erstickungstod erlegen wäre und nahm ihm den Knebel ab. Dann band er ihn vom Bett los und befreite auch seine Beine und Füße von den sich umschlingenden Riemen, so daß er nur noch an den Händen gebunden war.

»Steh auf!« gebot er ihm. »Ich habe mit dir zu sprechen.«

Der Gefangene erhob sich mühsam; er hatte während der Zeit, in der er in Banden gelegen hatte, den freien Gebrauch der Glieder verloren. Er konnte jedoch atmen, und so stellte sich seine natürliche Gesichtsfarbe wieder ein, und seine Augen verloren den stieren Ausdruck, den sie gehabt hatten. Aber der Blick, den er auf Sternau warf, zeigte keine Spur von Ergebung.

»Wie können Sie sich an mir vergreifen!« sagte er. »Ich bin ein freier Mexikaner.« – »Laß diesen dummen Spaß!« antwortete Sternau. »Du siehst ja, daß du jetzt aufgehört hast, ein freier Mexikaner zu sein!« – »Aber ohne meine Schuld. Ich verlange Freiheit und Genugtuung!« – »Was du verlangst, ist uns gleichgültig; was du bekommst, das wird sich baldigst finden. Nur erwarte nicht, daß ich Theater mit dir spiele. Du gehst jetzt mit mir.«

Sternau faßte den Mann und schob ihn vor sich her zur Tür hinaus. Der Mexikaner gab sich Mühe, einen trotzigen Gang und eine ebensolche Haltung anzunehmen, aber es gelang ihm schlecht, da infolge seiner Fesselung das Blut noch nicht in der früheren Weise durch seine Adern pulsierte. Er hatte seine Bewegungen noch nicht wieder in seiner Gewalt, und so kam es, daß er nicht den mindesten Versuch machte, sich durch einen raschen Sprung zu befreien, obgleich ihn Sternau nicht mit der Hand gefaßt hielt.

Als sie in den Speisesaal traten und er die dort Anwesenden erblickte, fragte er:

»Was soll ich hier?« – »Meine Fragen beantworten, weiter nichts«, antwortete Sternau, indem er ihn vorwärts stieß. »Hier stellst du dich her! Sieh diesen Revolver, bei der geringsten Bewegung, die du etwa unternimmst, um zu entfliehen, schieße ich dich nieder!« – »Ich protestiere gegen eine solche Behandlung!« meinte der Mexikaner trotzig.

Sternau zuckte geringschätzend die Schultern und antwortete nicht, sondern wandte sich zum Fenster. Draußen war der Hufschlag eines Pferdes zu hören, und als er hinausblickte, sah er einen Lanzenreiter, der auf schweißtriefendem Pferd beim Lager ankam. Es war gewiß ein Bote, der irgendeinen Befehl überbrachte.

Nun wandte sich Sternau wieder zu dem Gefangenen und sagte zu ihm:

»Du stehst vor einem Verhör, das über dein Schicksal entscheidet. Ich hoffe, daß du an deinen Vorteil denkst und mir aufrichtig antwortest.« – »Es hat niemand das Recht, mich zu verhören; ich gestehe dieses Recht nur dem Richter zu, das aber ist keiner von Ihnen.« – »Du irrst. Alle, die hier sind, sind deine Richter; du wirst das bald bemerken. Ich sage dir, daß wir wenig Federlesens mit dir machen werden. Du bist gedungen worden, einige von uns zu töten. Ich habe deine Unterhaltung um Mitternacht unten bei den Palisaden und bei der Ruine belauscht und jedes Wort vernommen; ich bin auch bei dem Stein gewesen und habe den Zettel gelesen, den der Kapitän dort für dich verbarg und den du noch in deiner Tasche hast. Ihr habt in der Schlucht des Tigers auf mich geschossen – ich weiß das alles. Du bist ein Mörder, und ich werde dich ohne alle Umstände binnen zehn Minuten aufhängen lassen, wenn du nicht durch eine offene Bereitwilligkeit dein Leben zu retten versuchst.«

Diese Worte waren in strengem Ton gesprochen, der den Mann bedenklich machte. Er hörte zu seinem Schrecken, daß alles verraten sei, und der angenommene Trotz wich aus seinen verwitterten Zügen. Er antwortete nur mit einem Schweigen.

»Ich frage dich zunächst, ob du aufrichtig antworten willst«, fuhr Sternau fort. »Willst du nicht, so ist das Verhör allerdings beendet, und du wirst aufgehängt.«

Der Mann blickte düster zu Boden und entgegnete:

»Wenn Sie das tun, so wird man mich rächen; darauf können Sie sich verlassen!« – »Wer würde denn der Rächer sein?« fragte Sternau. – »Ich habe noch Gefährten.« – »Pah! Du hattest nur noch ihrer zwei übrig. Sie warteten in dem Kalkbruch auf dich, wie du gestern abend zu dem Kapitän sagtest. Wir sind heute dort gewesen und haben sie gefangengenommen. Du wirst sie bald sehen.«

Der Mexikaner erbleichte, antwortete aber doch:

»Das glaube ich nicht. Sie sagen die Unwahrheit, damit ich schüchtern werden soll.« – »Du bist nicht der Mann, um dessentwillen ich eine Unwahrheit sagen würde. Tritt an das Fenster und blicke hinab. Ihre Pferde stehen noch unten im Hof, und das deinige auch.«

Der Mann tat, wie ihm befohlen war. Er sah die beiden Pferde seiner Gefährten, er erkannte auch das seinige und sah nun ein, daß Sternau die Wahrheit gesagt hatte. Dennoch machte er noch einen schwachen Versuch, den Anwesenden Furcht einzuflößen, und sagte:

»Der Kapitän wird mich rächen!«

Sternau war mit seinen Blicken dem Gefangenen, als dieser aus dem Fenster sah, gefolgt, und dabei bemerkte er drei Reiter, die von Westen her auf das Lager zugeritten kamen. Er erkannte sie sofort und antwortete dem Mann:

»Sieh dort hinüber! Erblickst du die drei Reiter? Es ist der Kapitän mit seinen beiden Leutnants. Wenn sie näher kommen, wirst du sehen, daß Verdoja und Pardero die rechte Hand verbunden haben. Ich habe mich heute morgen in dem Kalkbruch mit ihnen geschlagen und dabei beide um die rechte Hand gebracht. Von ihnen hast du keine Hilfe zu erwarten.«

Der Gefangene erschrak von neuem und blickte angestrengt zum Fenster hinaus. Auch die anderen traten herbei, um die Ankömmlinge zu beobachten. Diese kamen im Trab näher, ritten, ohne bei den Ihrigen, den Soldaten, anzuhalten, in den Hof ein und stiegen ab. Nach einigen Augenblicken hörte man an ihren Schritten, daß sie sich nach ihren Zimmern begaben. Alle Anwesenden hatten bemerkt, welch ein Zug entschlossener Rachgier auf den Gesichtern der drei lag; diesen Mienen nach hatte man auf einen friedlichen Weiterverlauf der Dinge allerdings nicht zu rechnen.

»Nun, hoffst du noch auf Hilfe von dem Kapitän?« fragte Sternau.

Der Gefragte schwieg. Er wollte nicht mit Worten eingestehen, daß er bereit sei, seinen bisherigen Widerstand aufzugeben.

»Antworte mir jetzt!« fuhr Sternau fort. »Gestehst du ein, daß ihr von einem gewissen Cortejo gedungen waret, mir und meinen Gefährten aufzulauern?« – »Ja, das will ich gestehen«, sagte der Mann. – »Als dies mißlang und ich eure Leute in der Schlucht des Tigers getötet hatte, engagierte euch übrigen der Kapitän Verdoja, uns niederzuschießen?« – »Ja.« – »Ihr habt infolgedessen auch wirklich auf mich geschossen?« – »Ich nicht, sondern nur die beiden, die Sie in der Schlucht töteten.« – »Entschuldige dich nicht, du warst ihr Anführer. Du hast dann mit Verdoja einige Zusammenkünfte gehabt, und bei der letzten derselben, gestern, forderte er dich auf, mich und Señor Mariano heute mit deinem Doppelgewehr zu erschießen, und zwar in dem Augenblick, in dem ich mit ihm auf der Mensur stehen würde?« – »Ja«, antwortete der Mexikaner kleinlaut. Er sah ein, daß Leugnen ganz vergeblich sei, fügte jedoch hinzu. »Sie können mir aber glauben, Señor Sternau, daß ich es nicht getan hätte; ich hätte Sie auf keinen Fall erschossen.« – »Ah! Was hättest du denn getan?« – »Ich wäre hervorgetreten und hätte Ihnen gesagt, was der Kapitän mit Ihnen im Sinn hatte.« – »Das mache einem anderen weis. Du wirst übrigens jetzt deine Kameraden zu sehen bekommen. – Mariano, willst du die beiden Leute holen?«

Mariano ging und brachte sie nach kurzer Zeit herbei. Sie erschraken sichtlich, als sie ihren Gefährten erblickten, und es bedurfte von seiten Sternaus nur einer kleinen Einschüchterung, um sie zum vollen Geständnis zu bringen. Sie hörten, daß ihr Mithelfer bereits alles gesagt habe, und sahen nun keinen Grund, durch ein unnötiges Leugnen ihre an und für sich bereits gefährliche Lage zu verschlimmern.

»Ihr seid Mörder und wohl auch noch mehr als das«, sagte Sternau, »es gehört euch der Strick ohne alle Gnade und Barmherzigkeit, aber ich will Nachsicht üben, sobald ihr bereit seid, eine Bedingung zu erfüllen.« – »Welche ist es?« fragte der eine. – »Ich fordere von euch, daß ihr euer Geständnis in Gegenwart des Kapitäns wiederholt, sobald ich es verlange. Seid ihr bereit dazu?«

Sie blickten einander an und antworteten nicht. Endlich fragte der Anführer:

»Ist das unbedingt notwendig?« – »Ja. Tut ihr es nicht, so geschieht das mit euch, was ich euch sagte: Ich lasse euch unverzüglich aufhängen. Denket nicht, daß ich nur drohe!« – »Hängen lassen wir uns des Rittmeisters wegen nicht. Wenn es wirklich nicht anders geht, so werden wir also auch in seiner Gegenwart die Wahrheit sagen.« – »Gut. Das Leben ist euch also geschenkt, und das Weitere wird sich finden. Ihr werdet jetzt zusammengesperrt. Versucht nicht, zu entfliehen, denn jeder Versuch wird euren Tod zur Folge haben!«

Sie wurden jetzt zu dreien in dasselbe Gewölbe eingeschlossen, in dem die zwei gesteckt hatten. Sternau ahnte mit den übrigen, daß sehr bald eine Kundgebung feindseliger Art von den Offizieren zu erwarten sei, und so zogen sie es vor, im Haus zu bleiben, um einander in jedem Augenblick zur Hand zu sein.


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