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16. Kapitel.

Der Abend verging wie der gestrige, nur daß die Indianerin sich hütete, in den Garten zu gehen. Als der Rittmeister sich mit einem gute Nacht empfahl, ging Sternau scheinbar auch schlafen, kehrte aber auf der Treppe um und begab sich in eines der Gemächer, die im Parterre neben dem Hausflur lagen.

Wenn der Rittmeister mit dem Mordgesindel in Beziehung stand, so war es klar, daß er nur des Nachts mit diesen Leuten verkehren konnte; daher hatte Sternau beschlossen, sich auf die Lauer zu legen. Die hintere Tür war verschlossen, und da infolgedessen das Haus nur durch die vordere verlassen werden konnte, so mußte Sternau den Rittmeister, sobald dieser einen heimlichen Weg antrat, unbedingt bemerken.

Er öffnete den einen Flügel seines Fensters ein wenig, um besser hören zu können, und ließ sich auf einen Stuhl nieder. Es kam ihm der Gedanke an die Heimat und an sein schönes Weib, aber er drängte diese Vorstellung zurück, da er seine Aufmerksamkeit auf die Gegenwart zu konzentrieren hatte. So saß er lange mit scharf wachenden Sinnen, bis Mitternacht nahe war.

Da kam es ihm vor, als ob er ein Geräusch vernehme, das sich im Flur hören ließ. Er horchte mit doppeltem Fleiß und hörte die vordere Tür, neben der sein Fenster lag, leise öffnen. Ein scharfer Blick durch das Fenster zeigte ihm die Gestalt des Rittmeisters, der behutsam das Haus verließ und nach dem Tor schritt. Dasselbe war nicht verschlossen, da die Gegenwart der Lanzenreiter mehr als genug Schutz und Sicherheit bot. Man mußte es offenlassen, damit Mannschaft und Offiziere auch des Abends und Nachts miteinander verkehren konnten. Der Rittmeister trat in das Freie hinaus.

Sternau sprang durch sein Fenster, dessen Flügel er wieder anlehnte, und folgte ihm, aber nicht hinaus in das Freie, sondern nur bis an die Palisaden, die den Hof umschlossen. Über dieselben hinweg konnte er in das Freie blicken und so den Rittmeister sehen, wie er von Feuer zu Feuer ging, um die Wachen zu inspizieren. Wie dieser draußen ging, so folgte ihm Sternau im Inneren des Hofes.

Bei einem zufälligen Rückblick auf das Gebäude bemerkte Sternau oben auf dem platten Dach desselben eine Gestalt, die langsam auf und nieder schritt. Er konnte ihre Züge nicht erkennen, aber er wußte, daß es Emma sei, der er heute ernstlich anbefohlen hatte, frische Luft zu genießen, da sie sonst sich am Krankenbett zu sehr anstrenge. Des Tages wollte sie mit dem Militär nicht in Berührung kommen, und so zog sie es vor, jetzt, da der Geliebte schlief, sich auf dem Dach des Hauses zu ergehen.

Der Rittmeister hatte das ganze Lager durchschritten und hätte nun zurückkehren müssen, aber er huschte nach der südlichen Ecke des Hauses zu.

Was wollte er dort? Warum schritt er nicht laut, wie ein ehrlicher Spaziergänger? Sternau folgte ihm von innen mit unhörbaren Schritten und kam so an die Stelle, wo draußen vor den Planken die beiden miteinander sprachen. Er hörte eine fremde Stimme sagen:

»Sie selbst waren uns im Weg. Wir hätten ja Sie getroffen!« – »Warum postiertet ihr euch nicht auf die linke Seite?« – »Das blieb sich gleich. Wer denkt, daß dieser Mensch so scharfsinnig ist!« – »Es scheint fast, als ob er allwissend sei. Ich kann für den Augenblick nicht gleich einen neuen Plan entwerfen, sondern muß erst abwarten und beobachten. Zudem ist es möglich, daß dieser Señor Sternau mich beobachtet, darum dürfen wir uns hier nicht wieder treffen.« – »Wo denn?« – »Hast du Papier und Blei?« – »Nein.« – »Aber schreiben und lesen kannst du?« – »Ja.« – »Hier hast du einige Bogen und auch eine Bleifeder, die ich dir mitgebracht habe. Wenn man von hier nach der Schlucht des Tigers geht und an den Wald kommt, liegt zwischen den ersten Bäumen ein nicht zu großer Stein. Dorthin werde ich euch des Vormittags oder wenn es paßt eure Instruktion stecken, sie wird unter dem Stein liegen. Und habt ihr mir eine Antwort zu geben, so werde ich sie an demselben Ort finden. Hast du verstanden?« – »Ja; man braucht kein Gelehrter zu sein, um es zu begreifen. Aber sagen Sie, Señor, was ist das für eine Gestalt, die dort oben hin- und herläuft?« – »Wo?« – »Auf dem Dach.« – »Ich habe sie noch gar nicht bemerkt. Ah, das ist Emma, die Tochter des Haziendero. Ich werde ihr ein wenig Gesellschaft leisten. Hast du sonst vielleicht noch etwas zu fragen?« – »Nein.« – »So gehe. Aber das merke dir: Wenn ihr euch abermals so ungeschickt benehmt wie heute morgen, so ist es aus mit unserem Geschäft. Ich kann keine Dummköpfe gebrauchen. Gute Nacht.«

Als Sternau die beiden letzten Worte hörte, schlüpfte er schleunigst zurück, stieg durch das Fenster wieder ein und verschloß dasselbe. Er hatte genug erfahren. Seine Ahnung hatte ihn nicht betrogen, dieser Rittmeister war als Todfeind zu betrachten; er war von Cortejo beauftragt worden und tat nun sein möglichstes, diesen Auftrag zu erfüllen.

Ein Glück war es, daß Sternau das Versteck der Korrespondenz erfahren hatte, denn nun konnte er leicht die Machinationen seiner Feinde durchkreuzen. Aber was wollte der Rittmeister jetzt droben auf dem Dach? War das nur eine leichtsinnige Bemerkung gewesen, oder war es ihm Ernst, Emma aufzusuchen? Das mußte abgewartet werden.

Sternau sah bald seinen Gegner durch das Tor zurückkehren; er hörte ihn durch den Hausflur eintreten und dann leise, ganz leise die Treppe ersteigen. Nach einigen Minuten öffnete auch er die Tür seines Zimmers geräuschlos und folgte dem Offizier. Mit unhörbaren Schritten stieg er langsam die erste und zweite Treppe empor, welche letztere auf das platte Dach mittels einer leiterähnlichen Fortsetzung führte. Man trat durch eine Falltür hinaus.

Als Sternau diese letztere erreichte, fand er sie offen. Er steckte vorsichtig den Kopf hindurch und erblickte Emma und den Rittmeister, die ganz in der Nähe standen.

»Sie wollen mich wirklich fliehen, Señorita?« fragte soeben der letztere. – »Ich muß fort«, antwortete Emma mit einer Bewegung nach der Tür.

Sternau sah, daß der Rittmeister sie bei der Hand gefaßt hatte und daran festhielt.

»Nein, Sie werden bleiben, Señorita«, entgegnete der Offizier. »Sie werden bleiben und anhören, was ich Ihnen zu sagen habe von meinem vollen Herzen, von meiner unendlichen Liebe und von meinem glühenden Verlangen, Sie an meine Brust zu drücken. Kommen Sie, Emma, sträuben Sie sich nicht, denn dies würde vergeblich sein!« – »Ich bitte inständigst, lassen Sie mich gehen, Señor!« bat sie in einem Ton, der die Größe ihrer Herzensangst erkennen ließ. – »Nein, ich lasse Sie nicht. Ich muß Ihre Lippen küssen.«

Er versuchte sie an sich zu ziehen, sie wehrte sich vergeblich und sagte verzweifelnd:

»Mein Gott, soll ich denn um Hilfe rufen!«

Mit einem raschen Schwung stand da auf einmal Sternau neben ihnen.

»Nein, Señorita, das brauchen Sie nicht, die Hilfe ist schon da. Wenn Señor Verdoja nicht sofort Ihre Hand freigibt, fliegt er vom Dach hinab in den Hof!« – »Ah, Señor Sternau!« stammelte sie erleichtert. »Helfen Sie mir!« – »Sternau!« knirschte der Rittmeister. – »Ja, ich bin es. Lassen Sie die Dame los!«

Da legte der Offizier nun erst recht seinen Arm um sie und fragte:

»Was wollen Sie hier? Was haben Sie mir zu befehlen? Packen Sie sich, Unverschämter!«

Er hatte dieses Wort kaum ausgesprochen, so sauste die Faust Sternaus durch die Luft, ein fürchterlicher Schlag traf Verdojas Kopf, und er brach zusammen. Dann wandte sich der Deutsche zu dem Mädchen, das von dem Offizier fast mit niedergerissen worden wäre.

»Kommen Sie, Señorita, ich werde Sie hinuntergeleiten!« – »O mein Gott«, klagte sie, am ganzen Körper zitternd, »ich habe nichts getan, was ihm den Mut zu einem solchen Überfall geben könnte!« – »Ich weiß es«, antwortete er. »Diese Art von Menschen hat den Mut zu allem Bösen, aber nicht zum Guten.« – »Diese Lanzenreiter lassen mir nur die Plattform des Hauses zum Promenieren übrig, und nun werde ich auch diese meiden müssen.« – »Nein, Señorita. Sie bedürfen der Erholung in freier Luft, und man soll Ihnen diese abendliche Promenade nicht rauben. Ich werde dafür sorgen, daß Sie fernerhin ungestört bleiben.« – »Aber Sie werden sich dadurch grimmige Feinde machen, Señor!« – »Ich fürchte diese Sorte von Feinden nicht«, sagte er in wegwerfendem Ton. – »Sie haben den Mann niedergeschlagen. Wird das zu keinem Streit führen?« – »Vielleicht. Aber sorgen Sie sich nicht um mich. Eine offene Forderung hat ungleich weniger zu bedeuten als eine versteckte Heimtücke, gegen die man nicht gewappnet ist. Lassen wir jetzt den Mann liegen, und versuchen Sie, die freche Beleidigung im Schlaf zu vergessen. Er ist nicht wert, viel Worte um ihn zu verlieren.«

Er geleitete sie die Treppe hinab bis vor die Tür des Krankenzimmers, wo er sich von ihr verabschiedete, denn sie wollte bei dem Bräutigam bleiben. In sein eigenes Gemach zurückgekehrt, an dem der Kapitän der Lanzenreiter vorüber mußte, lehnte er die Tür nur leicht an und wartete. Erst nach längerer Zeit hörte er ihn mit leisen Schritten vom Dach herabkommen und dann den Korridor durchschleichen. Nun erst begab sich auch Sternau zur Ruhe.

Emma fühlte sich durch die ihr angetane Infamie so aufgeregt und geängstigt, daß sie, in der Hängematte am Krankenbett liegend, keinen Schlaf fand. Sie wurde von peinigenden Gedanken gequält. Die Lanzenreiter wollten noch einige Zeit auf der Hazienda verweilen. Da fand Kapitän Verdoja leicht Gelegenheit, seinen Angriff zu wiederholen, und es war mehr als fraglich, ob sich dann abermals ein so mutiger Beschützer finden werde. Auf ihren Vater konnte sie nicht rechnen. Er war erstens nicht zum Helden geboren und hatte zweitens alle mögliche Rücksicht auf die halb wilden Soldaten, die zudem ja seine Gäste waren, zu nehmen. Sie sagte sich ferner, daß die Rolle eines Beschützers unter den gegenwärtigen Umständen mit einer nicht geringen Gefahr verbunden sei. Sternau hatte ganz gewiß sein rasches und energisches Auftreten zu büßen. Was waren zwei oder drei noch so mutige Männer gegen eine zahlreiche Schar unzivilisierter Lanzenreiter, von denen jeder einzelne so ziemlich außerhalb der gesetzlichen Ordnung stand.

In solchen Gedanken und Befürchtungen verging ihr die Nacht. Sie konnte denselben um so mehr nachhängen, als der Kranke die im Zimmer herrschende Stille nicht unterbrach. Er lag in einem festen, gesunden Schlaf, daß er sich nicht ein einziges Mal regte. Er schlief sogar noch, als am Morgen Karja, die schöne Indianerin, hereinschlüpfte, um nach ihrer Gewohnheit Emma in den notwendigen häuslichen Anordnungen für einige Zeit abzulösen.

»War seine Nacht eine gute?« fragte sie. – »Ja«, antwortete Emma. »Er hat ohne Unterbrechung geschlafen, und nun steht, Gott sei Dank, zu erwarten, daß seine Genesung sicher und ungestört fortschreiten wird. Señor Sternau sagte, die Trepanation sei an und für sich nicht gefährlich, aber man müsse das Wundfieber und die sonstigen Folgen fürchten. Wir haben ihm von unserem Wundkraut aufgelegt und eingegeben; infolgedessen ist das Fieber kaum zu spüren. Es steht zu erwarten, daß Gott ihn beschützen und recht bald gesund machen wird.« – »Das ist mein innigster Wunsch«, sagte Karja. »Also um Señor Helmers brauchen wir fast nicht mehr bange zu sein; aber um deinetwillen bin ich besorgt.« – »Warum?« – »Du siehst so bleich und angegriffen aus. Das Nachtwachen schwächt dich zu sehr.« – »Das ist es nicht. Wenn ich mich ermüdet fühle, so ist es nicht der Krankenpflege, sondern eines anderen Grundes wegen.«

Sie erzählte nun mit leiser Stimme, um den Schlummernden nicht zu wecken, ihr Abenteuer auf dem Dach. Karja, die ihr mit vollster Teilnahme zuhörte, wurde dadurch veranlaßt, auch ihre Begegnung mit Leutnant Pardero im Garten zu erwähnen. Beide waren noch dabei, ihren Abscheu über solche unverzeihliche Zudringlichkeiten in Worte zu fassen, als Sternau eintrat. Er hatte gleich nach seinem Erwachen nach dem Patienten sehen wollen, war ganz leise eingetreten und hörte die letzten Worte ihrer Unterhaltung, ohne von ihnen bemerkt zu werden. Als sie ihn sahen, war es zum Schweigen zu spät. Er entschuldigte sich und fragte die Indianerin:

»Wie, auch Sie haben in ähnlicher Weise wie Señorita Emma zu leiden gehabt?« – »Leider, ja«, antwortete sie. – »Von wem?« – »Leutnant Pardero fiel mich im Garten an, und als ich entfloh, lief ich dem Kapitän in die Hände, der mich fassen wollte.« – »Schurken!«

Sternau sagte nur dieses eine Wort, dann wandte er sich zu dem Schlafenden. Als er ihn aufmerksam betrachtet und besonders auch seine ruhigen Atemzüge gezählt hatte, nickte er befriedigt. Er hörte nun, daß der Patient ununterbrochen geschlafen habe; da heiterte sich sein Gesicht noch mehr auf, und er sagte:

»Lassen wir ihn ruhig schlafen. Schlaf und Ruhe sind die besten und sichersten Mittel zu seiner Wiederherstellung.«


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