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37. Kapitel.

Als der Komantsche die Hazienda erreichte, waren die Apachen auch bei der Pyramide angekommen. Sie hielten in der Nähe des finsteren Bauwerks, und die Anführer betrachteten dasselbe mit nicht sehr angenehmen Gefühlen. Im Inneren dieses massiven Mauerwerks staken ja diejenigen, denen ihre Liebe gehörte.

»Könnte man das Dings da zertrümmern!« knirschte Donnerpfeil. – »Nur Geduld!« antwortete Sternau. »Wir werden die Unsrigen ganz sicher befreien.« – »Davon bin ich überzeugt. Aber was werden sie zu leiden haben, ehe wir sie finden!« – »Vielleicht gelingt es uns, ihre Leiden sehr bald zu beenden.«

Da sagte Büffelstirn:

»Jeder Seufzer, den Karja, die Tochter der Mixtekas ausgestoßen hat, bezahlt ein Feind mit dem Leben! Wo wird der Eingang sein?«

Sternau wandte sich an ihren Führer, den Mexikaner:

»An welcher Stelle habt ihr angehalten?« – »Kommen Sie.«

Der Mexikaner ritt eine Strecke weiter ab und blieb dann halten.

»Hier war es«, sagte er. – »Und wo verschwand Verdoja mit den Gefangenen?« – »Hier ist der Busch, in dessen Nähe er in das Dickicht drang, und dort die Ecke, an der ich das Licht der Laterne aufleuchten sah.«

»Gut. Wenn alles sich wirklich so verhält, soll dir das Leben geschenkt sein.« – »Señor, ich rede die Wahrheit.« – »Das ist gut für dich.«

Sternau rief die beiden Häuptlinge und Donnerpfeil herbei und zeigte ihnen das Terrain.

»So darf jetzt kein Mensch das Gebüsch und den Fuß der Pyramide betreten«, sagte Büffelstirn. »Verdoja ist öfters hin- und hergegangen, es müssen Spuren vorhanden sein trotz der Länge der Zeit, die seitdem vergangen ist, und diese Spuren können wir erst sehen, wenn es Tag geworden ist.« – »Warum warten bis der Tag anbricht?« fragte Bärenherz. – »Jawohl!« stimmte Donnerpfeil bei. »Meine Braut soll keine Minute länger in diesem Kerker schmachten, als es durchaus notwendig ist« – »Sie meinen, daß uns Verdoja selbst den Weg zeigen soll?« fragte Sternau. – »Ja.« – »So überfallen wir die Hazienda?« – »Ja, unbedingt! Und wehe ihm, wenn er uns nicht gehorcht.« – »Gut, so wollen wir zunächst einmal forschen, wie es in der Hazienda aussieht« – »Warum erst forschen«, sagte Donnerpfeil. »Wir reiten hin, fassen den Kerl fest und schleppen ihn her. Weiter ist ja nichts anderes möglich!«

Der gute Anton Helmers, genannt Donnerpfeil, hätte am liebsten gleich den Himmel herabgerissen, um der Geliebten baldige Erlösung zu bringen. Eben wollte Sternau antworten, als ein lauter Ruf erscholl:

»Uff! No-ki peniyil! – Uff, kommt herbei!«

Das waren Worte im Apachendialekt. Es war also ein Apache, der gerufen hatte. Die Stimme klang in der Nähe, und zwar von der Richtung her, aus der sie gekommen waren.

»Wer war das?« fragte Sternau. – »Der Grizzlytöter«, antwortete der Apache. – »Ist er fort?« – »Ja, er wollte die Gegend durchsuchen, ob wir sicher sind.« – »So hat er etwas Wichtiges entdeckt. Schnell hin zu ihm!«

Sternau selbst sprang eilig vom Pferd und eilte nach dem Ort hin, wo der Ruf erklungen war. Da fand er den jungen Apachen am Boden kniend, und unter ihm lag ein Mensch, den er fest an der Erde hielt.

»Ein Komantsche!« sagte er.

Im Nu war ein Lasso zur Stelle, und der Komantsche wurde gebunden. Es war der Bote, der sich im Wald von seinem Kameraden getrennt hatte, um den Apachen nachzuschleichen.

»Wie kommt mein Bruder Grizzlytöter zu diesem Hund?« – »Ich ritt am Ende des Zuges und hörte ein Schleichen hinter uns«, erklärte der junge Held. »Es folgte uns ein Mann. Darum stieg ich vom Pferd, als wir hier angekommen waren, und suchte ihn. Ich fand ihn hier, er wollte unsere Rede belauschen. Da warf ich mich auf ihn und hielt ihn fest.«

Da trat Sternau herzu und betrachtete den Gefangenen.

»Ja«, sagte er, »es ist ein Komantsche; er ist uns gefolgt.« – »Tötet den Hund!« sagte einer der Apachen.

Nun wandte sich Sternau zu dem Sprecher und erwiderte in scharfem Ton:

»Seit wann sprechen bei den Apachen die Männer, ehe die Häuptlinge gesprochen haben? Wer seine Rede nicht zügeln kann, ist ein Knabe oder ein Weib.«

Jetzt trat der Mann beschämt zurück. Bärenherz stand auch dabei und fragte den Gefangenen:

»Wo hast du deine Gefährten?«

Der Gefragte antwortete nicht. Da versetzte ihm Grizzlytöter einen Hieb in das Gesicht und sagte:

»Wirst du antworten, wenn dich ein Häuptling der Apachen fragt!«

Aber der Mann schwieg. Und auch, als einige andere versuchten, ihn zum Reden zu bringen, war dies vergeblich, bis Sternau die Sache änderte, indem er fragte:

»Du bist ein Krieger der Komantschen und antwortest nur dem, der dich als tapferen Krieger behandelt. Wirst du fliehen, wenn ich deine Fesseln löse?« – »Ich bleibe«, antwortete der Mann. – »Wirst du mir antworten?« – »Dem Fürsten des Felsens antworte ich; er ist gerecht und gut; er schlägt keinen Gefangenen, der sich nicht wehren kann.«

Das ging auf Grizzlytöter, der sich durch einen Schlag in dem Komantschen einen Todfeind erworben hatte.

»Wie, du kennst mich?« fragte Sternau. – »Ich kenne dich und bin dein Gefangener.« – »Du gehörst dem, der dich besiegt hat. Stehe auf!«

Sternau band den Lasso los, und der Gefangene erhob sich vom Boden und machte auch nicht die geringste Miene zu entfliehen.

»Bist du allein hier?« fragte ihn jetzt Sternau. – »Nein«, lautete die Antwort. – »Sind viele bei dir?« – »Nur einer.« – »So seid ihr als Kundschafter gekommen?« – »Ja.« – »Und es kommen sehr viele Krieger hinter euch?« – »Weiter darf ich nichts sagen.« – »Gut, ich werde dich nicht weiter fragen. Also du wirst nicht entfliehen?« – »Ich werde fliehen.« – »Sprechen die Söhne der Komantschen in zwei Zungen? Du versprachst mir doch, zu bleiben.« – »Wenn ich dein Gefangener sein kann. Der Gefangene eines Knaben, der mich schlägt, mag ich nicht bleiben.« – »So müssen wir dich wieder binden.« – »Versucht es!«

Der Komantsche holte aus und hätte Grizzlytöter mit einem Schlag seiner Faust niedergeworfen, wenn Sternau nicht schneller gewesen wäre. Er faßte den erhobenen Arm des Komantschen mit der Linken und versetzte ihm mit der Rechten einen Hieb an die Schläfe, daß er zusammenbrach; in demselben Augenblick aber erhob auch Grizzlytöter sein Messer und stieß es dem Niederstürzenden in das Herz.

»Sein Skalp ist mein!« rief er. – »Ein schlechter Skalp!« sagte Sternau, indem er sich unwillig abwandte.

Grizzlytöter sah ihn betroffen an und fragte:

»Warum soll der Apache nicht den Komantschen töten?« – »Weil er ihn nicht in einem ehrlichen Kampf erlegt hat, soll er den Skalp nicht tragen«, entgegnete statt Sternau Bärenherz. »Der Komantsche war bereits betäubt. Warum hast du ihn geschlagen? Ein tapferer Krieger trägt nicht den Skalp dessen, den er entehrt hat.«

Das war eine harte, aber wohlverdiente Zurechtweisung. Der junge Apache wandte sich ab, warf keinen Blick mehr auf die Leiche und getraute sich nicht wieder in die Nähe der Häuptlinge zu treten, die sich jetzt mit halblauter Stimme berieten.

»Wenn heute zwei Kundschafter hier sind, so steht es fest, daß die Komantschen bald nachkommen«, sagte Sternau. »Wir müssen vorsichtig sein. Die zwei haben uns gesehen und sich dann jedenfalls geteilt. Der eine ist uns nachgefolgt und der andere ist nach der Hazienda geeilt, um deren Bewohner zu warnen. Wollen wir sie überfallen, so ist es nötig, vorher zu rekognoszieren. Und das werde ich selbst tun. Die Zurückbleibenden mögen absitzen, um ihre Pferde weiden zu lassen. Sie mögen ein Lager ohne Feuer bilden und Wachen aufstellen. Sie mögen ferner dafür sorgen, daß die Spuren Verdojas nicht zerstört werden.«

Nach dieser Anordnung und nachdem er sich bei dem mexikanischen Führer nach der Lage der Hazienda erkundigt hatte, schritt Sternau davon. Die schwere, ihn hindernde Büchse ließ er beim Pferd zurück, aber den Henrystutzen warf er über die Schulter.

Es war ganz dunkel geworden, aber als er ungefähr fünf Minuten gegangen war, sah er die Herdenfeuer leuchten. Sie dienten ihm als untrügliche Wegweiser.

Eines dieser Feuer brannte an der Seite eines großen Felsblocks, der mitten in der Ebene lag. Die Flamme war hier gegen den Luftzug geschützt, und fünf bärtige Vaqueros bildeten einen Halbkreis um dieselbe.

Sternaus scharfes Auge erkannte die günstige Gelegenheit, etwas zu erlauschen, sofort. Rasch schlich er sich herbei, und dies wurde ihm nicht schwer, denn der nur von der einen Seite erleuchtete Felsen warf nach der entgegengesetzten Richtung einen riefen Schlagschatten, in dessen Dunkel Sternau vollständig sicher herbeischleichen konnte. Er faßte an dieser Seite des Felsens Posto und konnte nun jedes Wort des Gesprächs belauschen.

»Verdammt gefährlich ist's für uns«, sagte jetzt einer der Vaqueros. – »Nicht im mindesten«, antwortete ein anderer. – »So? Wenn die Apachen kommen, über wen fallen sie zuerst her? Über uns.« – »Ich wette mein Leben, daß sie erst gegen Morgen kommen, und dann sind wir nicht mehr da. Wir sollen uns ja bereits um Mitternacht in die Hazienda zurückziehen.« – »Wo mögen sie stecken?« – »Das werden wir erfahren, sobald der andere Komantsche kommt; er ist ihnen nachgegangen. Dieser Rittmeister der Dragoner scheint in tüchtiger Kerl zu sein. Er hat die Hazienda verbarrikadiert, daß sicherlich kein Apache über die Palisaden kommt. Und wenn über hundert Dragonergewehre krachen, dann werden nicht viele Rothäute übrigbleiben.«

Ah, war das so! Sternau hörte, daß ein Rittmeister mit einer Schwadron Dragoner hier lag. Das gab der Sache eine ganz andere Wendung. Er trat schnell entschlossen hinter dem Felsen hervor und grüßte. Die Vaqueros sprangen entsetzt auf und griffen nach ihren Gewehren, als sie aber sahen, daß sie einen Weißen vor sich hatten, beruhigten sie sich.

»Es liegen Dragoner in der Hazienda?« fragte er. – »Ja«, antwortete einer. – »Wie viele?« – »Über hundert.« – »Regierungstruppen?« – »Ja.« – »Wird man den Rittmeister sprechen können?« – »Sicher.« – »Gute Nacht.«

Sternau wandte sich ab und schritt der Hazienda zu.

»Santa Madonna«, sagte der Vaquero, »ich dachte zunächst, es sei der Teufel!« – »Ja«, meinte ein zweiter, »ich dachte, es sei der Geist des Riesen Goliath. So einen Kerl habe ich noch gar nicht gesehen!« – »Wie er einen anguckte! Man war ganz verblüfft. Man hätte ihn doch eigentlich examinieren sollen! Wer mag er sein?« – »Er war keine Rothaut, und das ist genug. Er sah aus wie ein Jäger aus dem Norden; wir werden ihn noch kennenlernen, denn jedenfalls sucht er sich ein Nachtlager in der Hazienda.«

Während hier am Feuer diese Vermutungen ausgesprochen wurden, schritt Sternau dem Haus entgegen. Als er die vor demselben weidenden Pferde sah, lächelte er.

Er schritt an den Palisaden entlang und hörte dahinter flüstern. Diese Dragoner waren nicht die Leute, einen Savannenmann zu täuschen. Am Tor klopfte er an.

»Wer ist draußen?« fragte eine Stimme. – »Ein Fremder«, antwortete er. – »Was will er?« – »Mit dem Rittmeister sprechen.« – »Ah, ist's ein Roter oder ein Weißer?« – »Ein Weißer.« – »Allein?« – »Ganz allein!« – »Hm, wer darf trauen! Das Tor öffne ich nicht, Könnt Ihr klettern?« – »Ja.« – »So steigt über die Palisaden; wir wollen's erlauben, wenn es nur einer ist; sind es aber mehrere, so schießen wir sie über den Haufen!« – »So tretet hinten weg!«

Sternau schritt eine kurze Strecke zurück und nahm einen Anlauf; im nächsten Augenblick flog er über die Planken hinüber und mitten unter die Dragoner hinein, die nicht geahnt hatten, daß sie es mit einem solchen Voltigeur zu tun hatten. Er riß einige davon zu Boden, während die anderen zusammenprallten, daß die Köpfe krachten.

»Donnerwetter!« rief die Stimme, die bereits vorhin gesprochen hatte. »Was ist denn das? Ihr fliegt ja aus den Wolken herab! Ich denke, Ihr wolltet über die Palisaden steigen?« – »Das tat ich auch, aber nur in meiner Weise«, lachte Sternau. – »Nun, das ist eine ganz verdammte Art und Weise! Ihr könnt dabei Hals und Beine brechen und anderen ehrbaren Leuten die Knochen zerschlagen. Wer seid Ihr denn?«

Es war ein Unteroffizier, der das sagte. Er rieb sich den Rücken, denn er gehörte auch zu denen, welche niedergerissen worden waren.

»Ein Jäger bin ich.« – »Ein Jäger? Hm, ich denke, Ihr hättet es auch zum Seiltänzer bringen können! Und mit dem Rittmeister wollt Ihr reden?« – »Ja.« – »Was denn?« – »Was Euch nichts angeht! Wenn ich es Euch sagen wollte, brauchte ich es nicht dem Rittmeister zu erzählen. Verstanden?« – »Heilige Madonna, seid Ihr ein Grobian! Woher wißt Ihr denn, daß ein Rittmeister hier ist?« – »Es hat mir geträumt. Vorwärts, ich habe nicht viel Zeit.« – »Hopp, hopp! Wenn ein mexikanischer Unteroffizier der Dragoner Auskunft verlangt, so hat man ihm zu antworten!« – »Das tue ich ja auch. Oder bin ich Euch vielleicht zu einsilbig?« – »Beileibe nicht! Ihr redet eher zu viel. Seid Ihr bewaffnet?« – »Ja.« – »So gebt die Waffen ab!« – »Weshalb?« – »Es sind Kriegszeiten, und da muß man vorsichtig sein. Wie nun, wenn Ihr nur kämt, um den Rittmeister zu ermorden!« – »Glaubt Ihr, daß es so einen Wahnsinnigen geben kann? Ich wäre ja sofort des Todes. Oder sind die mexikanischen Dragoner Memmen, die man nicht zu fürchten braucht, weil sie selbst sich fürchten vor einem einzelnen Mann, der eine Flinte hat?« – »Hört, Mann, zu reden versteht Ihr wie sonst einer! Nun, ich will einmal von der Regel absehen und Euch auch bewaffnet zum Rittmeister lassen. Kommt!«

Der Unteroffizier führte Sternau nun in ganz dasselbe Zimmer, in dem nicht lange Zeit vorher der Komantsche gewesen war. Die Offiziere saßen noch immer beim Spiel. Als sie Sternau erblickten, erhoben sie sich unwillkürlich. Der Eindruck seines Äußeren gab sich sofort zu erkennen.


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