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15. Kapitel.

Pardero ging, der Rittmeister aber verweilte sich noch im Garten, bis seine Uhr die Nähe der zwölften Stunde zeigte. Dann tat er, als ob er die Runde mache, und versuchte dabei, unbeobachtet an die südliche Ecke der Umzäunung zu kommen. Dies war ja der Ort, wohin er den Briganten bestellt hatte.

Dieser war bereits eingetroffen, er hatte sich im tiefsten Schatten so eng niedergehockt, daß ihn niemand sehen konnte, auch der Rittmeister nicht.

»Señor!« flüsterte er, als Verdoja an ihm vorüberschleichen wollte. – »Ah, bist du es?« fragte der Angeredete, indem er stehenblieb. – »Ja, Sie sehen, daß ich pünktlich bin.« – »Das habe ich erwartet. Wo sind deine Gefährten?« – »In der Nähe.« – »Man wird sie doch nicht bemerken?« – »Tragen Sie keine Sorge. Nun, was haben Sie uns zu befehlen?« – »Kennst du diesen Sternau persönlich?« – »Nein.« – »Keiner von euch kennt ihn?« – »Keiner.« – »Das ist unbequem. Er reitet mit mir nach der Schlucht des Tigers.« – »Und wir sollen ihn dort erwarten?« – »Erwarten und niederschießen.« – »Das werden wir tun, bei der heiligen Mutter Gottes, wir werden es tun. Er hat unsere Kameraden getötet, er muß auch sterben, er und die anderen.« – »Aber ihr kennt ihn nicht. Ich weiß noch nicht, wer uns begleitet. Ich kann nicht allein mit ihm reiten und werde wohl einige meiner Leute mitnehmen. Vielleicht gehen noch andere mit. Welch ein Zeichen soll ich dir geben, um ihn zu erkennen?« – »Beschreiben Sie mir ihn!« – »Er ist wohl noch länger und stärker gebaut als ich und trägt einen blonden Vollbart. Was für Kleider er tragen und welch ein Pferd er reiten wird, das weiß ich heute natürlich noch nicht.« – »Nun gut, so wollen wir ein Zeichen bestimmen, an welchem ich ihn erkenne. Halten Sie sich womöglich stets an seiner rechten Seite.« – »Wird das genügen?« – »Vollständig. Aber was wird mit den anderen beiden?« – »Ich liefere sie euch bei einer anderen Gelegenheit. Hauptsache ist, daß du in jeder Mitternacht dich hier einfindest Wir können uns besprechen. Für jetzt aber trennen wir uns. Man könnte uns bemerken.«

Er ging, legte sich schlafen und schlief sehr ruhig; der soeben besprochene Mordanschlag lag ihm nicht im mindesten auf dem Gewissen.

Am anderen Morgen brachte er beim ersten Frühstück, das gemeinschaftlich eingenommen wurde, die Rede auf den beabsichtigten Ritt nach der Schlucht des Tigers. Er hielt es für zweckmäßig, den Morgen dazu zu verwenden, und Sternau erklärte sich bereit dazu. Die beiden Leutnants baten, mitkommen zu dürfen, was ihnen bereitwilligst zugestanden wurde. Von den anderen nahm keiner teil, da ihnen die Offiziere unsympathisch waren.

Das hatte der Rittmeister gewünscht. Sternau war der einzige Zivilist, der bei ihnen war, und so konnte keine Verwechslung vorkommen, die Kugel mußte ihn treffen. Als sie zu Pferd die Hazienda verließen, hatte der Deutsche nicht die entfernteste Ahnung, daß er dem Tod verfallen sei.

Sie ritten ganz denselben Weg, den Sternau mit Büffelstirn gegangen war. Er machte natürlich den Führer. Im Wald wurde abgestiegen, da man die Pferde stellenweise führen mußte. So näherten sie sich der Schlucht. Als man den Eingang zu derselben fast erreicht hatte, blieb Sternau stehen.

»Lassen wir die Pferde hier«, sagte er. »Sie mögen bis zu unserer Rückkehr weiden.«

Die anderen taten mit, und so schritt man ohne die Tiere weiter.

Sternau hatte keine andere Waffe als seinen Stutzen mit, nur das Messer stak ihm noch im Gürtel. Als sie den Eingang der Schlucht erreichten, blieb er plötzlich stehen und blickte nieder, um das Gras zu betrachten.

»Was suchen Sie?« fragte der Rittmeister. – »Hm, gehen wir weiter.«

Mehr sagte Sternau nicht, aber sein Auge haftete nur am Boden.

Als man die Schlucht erreichte, hielt sich der Rittmeister an seiner Seite. Er suchte mit seinen Blicken die beiden Seitenwände und die Ränder der Schlucht ab, jeden Augenblick konnte der tödliche Schuß fallen, es waren Minuten der peinlichsten Erwartung.

Auf der Sohle des Tales lagen die Toten, wie man sie bei der Plünderung hingeworfen hatte, man konnte bereits den Verwesungsgeruch verspüren.

»Also hier war es, Señor?« fragte der Rittmeister. – »Ja«, antwortete Sternau. – »Und diese Leichen sind Ihr Werk, außer zweien?« – »Man zählt solche Dinge nicht genau. Bemerken Sie, daß alle durch den Kopf getroffen sind?« – »Wirklich!«

Sie betrachteten die Leichen und sahen, daß eine jede ganz genau an demselben Punkt der Stirn getroffen war. Bei dieser Betrachtung gewahrten sie nicht, daß Sternau sich mehr bückte, als notwendig war, und daß er hinter ihren Körpern sehr sorgfältig Deckung suchte. Auch sahen sie nicht, daß seine Blicke verstohlen rechts und links an den Seiten der Schlucht emporblitzten.

»Das ist viel«, meinte der Rittmeister. »Sie sind wirklich ein großer Schütze, Señor. Man hat noch nie gehört, daß ein einziger Mann in der Zeit von zwei Minuten gegen dreißig Feinde erschießt.«

Sternau zuckte geringschätzig die Schultern.

»Ja, so ein Henrystutzen ist eine fürchterliche Waffe«, entgegnete er. »Aber es gehört auch etwas dazu, diese Waffe im geeigneten Augenblick zu gebrauchen. Dreißig sichtbare Feinde sind leichter zu erlegen als ein unsichtbarer.« – »Ein solcher dürfte wohl gar nicht zu erlegen sein«, meinte Leutnant Pardero. – »Ein guter Schütze erlegt auch ihn«, lächelte Sternau, indem er sich noch immer hinter den Körpern der anderen hielt. – »Das ist unmöglich!« versetzte der Rittmeister. – »Soll ich Ihnen die Möglichkeit beweisen?« – »Tun Sie es«, meinte der Leutnant neugierig. – »So frage ich Sie, ob Sie glauben, daß sich hier ein einziger Feind befindet.« – »Wer sollte das sein, und wo sollte er stecken?«

Sternau lächelte überlegen und erwiderte:

»Und dennoch lauert man mir hier auf, um mich zu erschießen.«

Er hatte bei diesen Worten seinen Stutzen schon längst von der Schulter genommen und hielt ihn unter dem Arm. Der Rittmeister erschrak. Woher wußte Sternau, daß man sein Leben bedrohte?

»Sie belieben zu scherzen, Señor Sternau«, sagte der Offizier. – »Ich werde Ihnen beweisen, daß es ernst ist.«

Mit diesen Worten riß Sternau den Stutzen empor, zielte und drückte zweimal ab. Ein mehrmaliger Schrei erscholl vom Rand der Schlucht herunter. Sternau aber sprang nach der Seite dieses Randes hinüber und schnellte dann in mächtigen Sätzen, von den Büschen gedeckt, dem Ausgang der Schlucht zu, hinter dem er verschwand. Von seinem ersten Schuß an bis zu diesem Augenblick war nicht eine Minute vergangen.

»Was war das?« rief Pardero. – »Er hat einen Menschen getötet«, antwortete der andere Leutnant. – »Ein fürchterlicher Kerl!« stieß der Rittmeister hervor.

Er konnte nichts anderes sagen.

»Wir stehen in Gefahr, wir müssen uns zurückziehen«, rief Pardero.

Sie retirierten nun nach dem Eingang der Schlucht und warteten. Nach einer Weile ertönten ganz oben noch zwei Schüsse, dann blieb es längere Zeit still. So verging wohl eine Viertelstunde, da raschelte es hart neben ihnen in den Büschen, so daß sie erschrocken hinblicken und zu den Waffen griffen.

»Fürchten Sie sich nicht, Señores«, klang es ihnen entgegen. »Ich bin es.«

Es war Sternau, der hervortrat.

»Señor, was war das, was haben Sie getan?« fragte der Leutnant. – »Geschossen habe ich«, lachte der Gefragte. – »Das wissen wir. Aber warum?« – »Aus Notwehr, denn ich war es, der erschossen werden sollte.« – »Unmöglich! Wer sollte das sein! Woher wissen Sie das?« – »Meine Augen sagten es mir.« – »Und wir haben nichts bemerkt.« – »Das ist Ihnen nicht zu verdenken, denn Sie sind keine Präriemänner. Der Herr Rittmeister bemerkte, daß ich vorhin das Gras betrachtete. Ich sah die Fußspuren von Menschen, die vor einer Viertelstunde hier waren, sie führten da rechts empor. Hier, blicken Sie her, sie sind noch zu sehen.«

Er deutete auf den Boden nieder. Die Offiziere gaben sich alle Mühe, konnten aber nicht das mindeste erkennen.

»Ja, es gehört ein geübtes Auge dazu«, lachte Sternau. »Nun weiter! Weil die Spuren rechts nach der Höhe führen, suchte ich nach unserem Eintritt in die Schlucht den Rand derselben ab, und da bemerkte ich denn einige Männerköpfe, die, hinter dem dort stehenden Buschwerk versteckt, uns beobachteten. Sie konnten nicht sehen, daß ich sie beobachtete, da meine Augen sich im Schatten meiner Hutkrempe befanden.« – »Wie konnten Sie wissen, daß es Feinde waren?« fragte der Rittmeister. – »Weil sie ihre Büchsen durch die Sträucher steckten, als wir in die Schlucht eindrangen. Ich sah ganz deutlich zwei Läufe auf uns gerichtet« – »Caramba!« fluchte Leutnant Pardero, der keine Ahnung von dem Zusammenhang hatte. »Das konnte auch uns gelten anstatt Ihnen.« – »Nein, das galt mir. Ich weiß, daß ich Veranlassung habe, auf meiner Hut zu sein, darum versteckte ich mich, je weiter wir gingen, immer hinter dem Körper des Herrn Rittmeisters. Wer mich schießen wollte, mußte erst ihn treffen.«

Der Rittmeister sperrte den Mund auf.

»Donnerwetter«, meinte er endlich, »so bin eigentlich ich es gewesen, der sich in Lebensgefahr befunden hat.« – »Allerdings«, lachte Sternau. »Es ist mir dabei sehr auffällig, daß diese Männer den Schild, als der Sie mir dienten, so sorgfältig respektiert haben.«

Diese Bemerkung verursachte dem Rittmeister doch einiges Bedenken. Ahnte dieser Sternau vielleicht den Zusammenhang?

Letzterer fuhr fort:

»Übrigens wurde es mir sehr leicht, mich zu decken, die Büchsen blickten von rechts herab, und der Herr Rittmeister hatte die Güte, sich mit einer gewissen Anstrengung stets auch an meiner rechten Seite zu halten.«

Der Rittmeister erbleichte. Jetzt war kein Zweifel übrig, daß er durchschaut war. Sternau ahnte, wer an dem Überfall Schuld trug. Er fuhr fort:

»Sie sahen die Gewehre nicht. Ich aber weiß ganz genau, in welcher Richtung von der Mündung einer Büchse der Kopf des Zielenden zu suchen ist. Als ich meine beiden Schüsse abfeuerte, traf ich zwei Männer gerade in den Kopf. In demselben Augenblick aber fuhren neben ihnen noch zwei Büchsen durch die Sträucher, darum sprang ich nach rechts hinüber, wo ich Deckung fand, und eilte dem Ausgang zu. Die Burschen hatten ihre Position sehr schlecht gewählt, sie verdienen Ohrfeigen für ihre Dummheit.« – »Und wo gingen Sie dann hin?« fragte der Rittmeister. – »Ich pirschte mich so eilig wie möglich hinauf, um den Leuten in den Rücken zu kommen. Aber als ich an den Ort gelangte, waren sie so klug gewesen, sich davonzumachen. Ich hörte noch von weitem die Büsche knacken und schickte ihnen aufs Geratewohl zwei Kugeln nach.« – »Und die Toten?« – »Sie liegen oben. Wollen Sie sie sehen?« – »Ja.« – »So kommen Sie. Ihre Kameraden haben ihnen nur die Waffen und das Geld abgenommen, das übrige werden wir noch finden.«

Sie folgten dem mutigen Mann am Rand der Schlucht empor und fanden dort oben wirklich zwei Männer liegen, die beide durch den Kopf geschossen waren. Der Rittmeister erkannte mit Befriedigung, daß der Anführer, mit dem er um Mitternacht gesprochen hatte, und den er heute um dieselbe Zeit wieder erwartete, nicht dabei war.

»Señor, Sie wagten viel, als Sie die Gewehre auf sich gerichtet sahen und dennoch mit uns gingen«, sagte der zweite Leutnant. – »Ich wagte wenig. Aber diese Toten wagten viel, daß sie mich ihre Läufe sehen ließen, ehe sie zum Schuß kamen. Ein erfahrener Westmann tut das nie.« – »Was tun wir mit den Leichen?« – »Nichts, sie mögen bei den anderen liegen, zu denen sie gehören. Ich irre mich wohl nicht, wenn ich annehme, daß diese beiden Menschen gestern mit einem gewissen Cortejo in El Oro gewesen sind. Sie selbst kamen ja wohl von dort her?«

Sternau sagte dies in einem scheinbar gleichgültigen Ton, aber der Rittmeister hörte aus demselben doch die Spur einer Anklage heraus.

»Ja, ein gewisser Cortejo kam zu Juarez, als wir gerade zur Tafel saßen«, entgegnete der zweite Leutnant unbefangen und ahnungslos.

Der Rittmeister warf ihm einen wütenden Blick zu, der aber nicht bemerkt wurde.

»Waren Leute bei ihm?« fragte Sternau. – »Ja. Fünf oder sechs.« – »Gehörten diese beiden hier zu ihnen?« – »Ich habe sie nicht so genau angesehen, aber es ist mir so, als hätte ich sie bemerkt. Der Herr Rittmeister kann vielleicht nähere Auskunft erteilen.« – »Warum der Herr Rittmeister?« – »Weil jener Cortejo bei ihm geherbergt hat.«

Ein zweiter wütender Blick traf den Sprecher, wurde aber von ihm ebensowenig bemerkt wie der erste. Nur Sternau fing ihn auf, ließ sich aber nichts merken und sagte ruhig:

»Ich glaube nicht, daß ich von Señor Verdoja Auskunft erhalten werde. Übrigens ist ja die Sache abgemacht. Diese beiden Kerle haben ihren Lohn und mögen nun da verwesen, wo ihre Kameraden verfaulen.«

Er stieß die Leichen über den Rand der Schlucht so daß sie den steilen Abhang hinabstürzten und unten halb zerschmettert liegenblieben. Nun kehrten die vier Männer nach dem Ort zurück, wo sie ihre Pferde stehengelassen hatten. Sie fanden dieselben ruhig weidend, stiegen auf und traten den Heimritt an. Während des Rittes wurde von Sternau kein Wort gesprochen; auch der Rittmeister verhielt sich vollständig schweigsam, und nur die beiden Leutnants plauderten halblaut miteinander. Sternau war der Gegenstand des Gesprächs. Sein Mut, seine Geistesgegenwart und Geschicklichkeit wurden von ihnen mit Bewunderung besprochen, und noch waren sie keine Stunde lang zu Hause, so wußten sämtliche Soldaten von dem Abenteuer, das ihre Offiziere mit dem kühnen Deutschen erlebt hatten.

Die Bewohner der Hazienda erfuhren es natürlich auch, und es wurde von ihnen auf verschiedene Weise aufgenommen. Während der eine nur das Verhalten Sternaus pries, hob der andere hervor, daß man sich nun wohl sicher fühlen könne, und ein dritter bedauerte, daß nur zwei getötet worden seien und nicht auch die anderen mit.

Da Sternau sich von dem Rittmeister beobachtet wußte, so hielt er sich von allem Verkehr fern und machte auch während der Mittagsmahlzeit über sein heutiges Erlebnis nur einige allgemeine Bemerkungen. Als aber am Nachmittag Verdoja einen Spazierritt unternahm, ließ er den Haziendero und die Freunde zu sich kommen und teilte ihnen seinen Verdacht mit.

Sie glaubten anfangs, daß er sich getäuscht habe, schenkten später aber doch seinen Gründen einigermaßen Glauben und beschlossen, den Rittmeister genau zu beobachten und sich möglichst vor ihm in acht zu nehmen.


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