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44. Kapitel.

Unterhalb von Colima in Westmexiko bildet der gleichnamige Fluß bei seinem Austritt in den großen Ozean einen ausgezeichneten Hafen, den Puerto de Colima, auch Manzanillo genant. Colima ist eine Stadt von beiläufig 35 000 Einwohnern, liegt in einer sehr fruchtbaren Gegend und betreibt einen nicht unbedeutenden Handel, so daß in der Mündung des Flusses auch Schiffe mit nicht geringem Tonnengehalt vor Anker gehen.

Gerade jetzt lag ein solches Schiff da vor Anker. Es schien ganz neu zu sein, war wie abgeleckt und bot dem Auge des Kenners einen sehr erfreulichen Anblick dar. Dies schienen auch die beiden Männer zu fühlen, die jetzt miteinander am Ufer standen und das Schiff betrachteten.

»Goddam, ein schmuckes Ding!« sagte der eine. Er war längst nicht mehr jung, war lang und dürr aufgeschossen und trug einen gemischt-modischen Anzug an seinem Leib. »Das ist auf einer amerikanischen Werft gebaut!« – »Das sieht man auf den ersten Blick«, meinte der andere, eine starkknochige, viereckige Gestalt, die man für einen Seemann hätte halten können, wenn die Füße nicht in zerrissenen Lackstiefeletten und die Hände in aufgesprungenen Glacehandschuhen gesteckt hätten. – »Ob sich da wohl ein verborgener Kanonenbord anbringen ließe, he?« meinte der erstere. – »Fragt nur nicht, Kapitän; Ihr versteht das Ding ja besser als ich!« – »Meinst du? Hahaha! Aber nenne mich nicht Kapitän, sonst versprichst du dich auch dann, wenn wir belauscht sind. Ich bin der ehrenwerte Schauspieldirektor Guzman, und du bist mein – na – wie heißt es doch ...« – »Regisseur!« – »Ja, mein Regisseur Hermilio Martinez. Verstanden?« – »Jawohl, Herr Direktor!« antwortete der andere mit einer gänzlich mißlungenen Verbeugung.

Der Direktor fragte weiter:

»Wohin muß das Schiff bestimmt sein?« – »Wer weiß es. Aber man kann es ja erfahren. Der Schiffsjunge da im Boot scheint zu der Equipage zu gehören.«

Sie traten näher an das Ufer hin, wo ein Kapitänsboot vor dem Tau lag. In demselben saß ein etwa sechzehnjähriger Junge und blickte den beiden sonderbaren Gestalten mit jugendlichem Mutwillen entgegen. Als sie das Boot erreicht hatten, fragte der Direktor:

»Ah, Señor, gehört Ihr zu dem Schiff da?«

Es war dem Jungen noch nie passiert, Señor genannt zu werden, aber gerade aus diesem Grund bekam er plötzlich eine ganz passable Meinung von den beiden Männern, die ihn mit solcher Höflichkeit behandelten.

»Ja«, antwortet er. – »Wie heißt das Schiff?« – »Die Lady. Da steht's ja mit goldenen Buchstaben!« – »Ja, ja, ich sah das nicht gleich, Señor. Hat dieses schöne Schiff vielleicht auch einen Kapitän?« – »Das versteht sich«, lachte der Bursche. »Was soll es denn haben?« – »Ich dachte, vielleicht einen Leutnant.« – »Das ist bei Kriegsschiffen der Fall.« – »Wie heißt denn dieser Kapitän, Señor?« – »Master Wirkers.« – »Ah, er ist Nordamerikaner?« – Ja, ein echter. Ich auch!« – »Das glaube ich. Was habt Ihr denn geladen?« – »Verschiedenes, nebst einer hübschen Fracht nach Guaymas.« – »Nach Guaymas? Hm! Vielleicht könnte man mit Euch fahren. Wir wollen auch nach Guaymas. Wo ist der Kapitän?« – »Der ist an Land, wird aber bald wiederkommen. Ah, dort kommt er!« – »Welcher? Der Kleine?« – »Ja, der die Hände in den Hosentaschen hat.«

Die beiden stellten sich am Ufer auf und blickten dem Nahenden entgegen. Er war ein kleiner, dürrer Mann, und aus seinen geröteten Wangen, dem wankenden Gang und den wässrigen Augen konnte man leicht schließen, daß er heute einen Schluck zu viel getrunken habe.

»Holla, Coq, mach los! Ich komme!« rief er bereits von weitem dem Jungen zu. – »Nicht so schnell, Sir«, antwortete dieser. – »Nicht? Ah, warum nicht schnell? Wenn ich komme, so muß es schnell gehen, dreißig Knoten in einer Viertelstunde. Das merke dir!« – »Aber jetzt nicht, denn diese Gentlemen wollen mit Ihnen reden.« – »Mit mir? Hm! Mit mir? Wer sind sie denn?«

Der Kapitän betrachtete sich die beiden mit gemütlicher Naivität, lachte dann ein wenig, schnipste mit den Fingern und sagte:

»Landratten! Nicht?«

Die Männer hatten die Hüte tief gezogen und standen in demütiger Haltung vor ihm, als ob er ihnen Audienz erteile. Der Lange sagte dabei:

»Verzeihung, Capitano. Ich bin der Theaterdirektor Guzman, und dieser ist mein Regisseur, Martinez.« – »Schauspieler? Hm, gemütliche Leute, spaßhafte Leute! Was wollt Ihr von mir?« – »Wir hören, daß Sie nach Guaymas segeln. Auch ich will nach Guaymas mit meiner ganzen Gesellschaft.« – »Donnerwetter, wie viele Personen sind es?« – »Sechs Herren und fünf Damen, alle jung, schön und munter, Señor!« – »Alle Wetter, das gäbe einen Spaß!« lachte der Kapitän. »Könnt Ihr denn auch zahlen, he?« – »Wenn's nicht zu viel ist!« – »Fünf Dollar pro Person, aber nur die Fuhre. Alles andere ist Eure Sache!« – »Dies macht fünfundfünfzig Dollar. Geht es mit fünfzig, Señor?« – »Fünfzig? Hm, eigentlich nicht. Aber weil Ihr Schauspieler seid und Damen bei Euch habt so mag es sein. Gezahlt wird sofort beim Besteigen des Bords, sonst werfe ich Euch ins Wasser.« – »Wann geht es fort?« – »Heute abend noch. Der Flutwechsel ist um neun Uhr, um elf geht's fort.« – »Wir danken sehr, Señor, für Eure freundliche Bereitwilligkeit. Halb zehn werden wir an Bord sein.«

Die Männer verbeugten sich tief und entfernten sich. Der Kapitän aber blickte ihnen vergnügt lächelnd nach und stieg dann in das Boot.

Die beiden Künstler schlenderten ein wenig durch den Ort, gingen dann mehr landeinwärts und kamen da an ein einstöckiges Gebäude, das außerordentlich verfallen aussah. Es war eine Schenke, und so hatten die beiden Männer wohl kein Bedenken, einzutreten. Sie schienen überhaupt hier nicht unbekannt zu sein, denn sie wurden von einigen Kerlen, die am zerbrochenen Tisch bei dem Saft der Agave saßen, mit Freude begrüßt.

»Nun, Direktor, noch nichts?« fragte der eine. – »Doch, heute endlich!« antwortete der Direktor. – »Es wird Zeit. Aber wie?« – »Schauspieler, sechs Herren und fünf Damen.« – »Schön! Hahaha! Das wird doch mal ein Witz.«

Der Direktor trank ein einziges Glas und verließ dann die Schenke wieder, und zwar mit der Bemerkung, daß er die Gesellschaft abholen werde.

Der Tag verging; der Abend brach an, und die »Lady« machte sich segelfertig. Es war bereits neun Uhr vorüber, und die Matrosen lugten über Bord nach den Passagieren. Da endlich kamen sie, elf Personen, eine immer hinter der anderen. Da sie nicht in das kleine Boot gingen, so mußte es zweimal fahren; es nahm erst die Herren und dann die Damen.

Kapitän Wilkers stand an der Schiffstreppe und streckte die Hand aus; der Direktor bezahlte, und der Kapitän begab sich auf das Hinterdeck, das war die ganze Zeremonie. Nach einem Paß oder sonstigen Legitimationen wurde nicht gefragt, ein Platz für sich oder ihre Sachen wurde ihnen nicht angewiesen, aber sonderbar, sie zogen sich zusammen, sie machten sich klein, und wo sie etwas hintaten oder sich selbst hinsetzten oder stellten, da waren sie sicherlich nicht im Weg, darum sagten die Matrosen bereits nach einer Stunde, daß diese Gentlemen und Ladies doch recht anständige Leute seien.

»Aber ob's die Ladies aushalten?« meinte einer. »Es ist eine hohe See, und da kommt die dumme Seekrankheit stets darein.«

Er hatte sich umsonst gesorgt, weder einer der Gentlemen noch eine der Ladies bekam einen Krankheitsanfall. Das war nun eigentlich sonderbar, fiel aber den Seeleuten nicht auf. Sie saßen im Vorderdeck und erzählten. Der Steuermann stand hinten, liebäugelte mit den Sternen, und der Kapitän lag in der Kajüte und verschlief seinen Rausch.

Die Künstlergesellschaft saß zusammengerückt auf einem Segel, und alle schienen zu schlafen. Da, es mochten zwei Stunden nach Mitternacht sein, machte der Direktor eine Bewegung.

»Es wird Zeit«, flüsterte er, »wir haben bereits die Breite von Quatalaxaca hinter uns.« – »Alle zugleich?« fragte eine der Damen.

Aber trotzdem sie nur flüsterten, klang es doch nicht wie eine Frauenstimme.

»Ja«, antwortete der Direktor. »Seht die Wolke dort. Sie kommt näher. Sobald sie über dem Schiff steht, nimmt ein jeder seinen Mann. Das Messer gerade in das Herz und darin steckenlassen; das gibt keinen Tropfen Blut.«

Es vergingen noch einige Minuten, da hatte die Wolke die Höhe des Schiffes erreicht, und es wurde um einige Schatten dunkler als bisher.

»Auf! Vorwärts!« flüsterte der Direktor.

Die Leute warfen auf einmal alles Weiße von sich ab, so daß die Kleidung vollständig schwarz war, und huschten wie die Schatten davon. Man hörte hier einen Seufzer und dort ein lautes Atmen, dann war es still wie vorher.

Der Direktor war nach dem Hinterdeck geglitten. Dort stand der Steuermann, hatte sich nach hinten gewandt und schaute der vorübereilenden Wolke nach. Da fühlte er einen Druck auf das Herz, etwas Kaltes, Starres drang in dasselbe ein; er wollte rufen, brachte es aber nicht fertig und sank zu Boden, und in demselben Augenblick stand der Direktor am Steuer.

Er stieß einen leisen Pfiff aus, und sofort stand der Regisseur vor ihm.

»Wie steht es?« fragte er diesen. – »Alles gut, Señor!« – »Nehmt das Steuer. Ich will zum Kapitän.« – »Was wird mit dem Jungen? Er schläft unten.« – »Können ihn nicht gebrauchen.« – »Schade. War so ein netter Frosch.«

So war über zwei weitere Menschenleben entschieden. Der Direktor ging nach der Kajüte. Sie war nicht verschlossen. Er öffnete und trat ein. Der Kapitän schlief. Der Mörder hob ganz ruhig die Decke auf, setzte die Spitze des Messers mit furchtbarer Genauigkeit auf das Herz und stieß zu. Dann ließ er das Messer stecken und trug den Kapitän auf das Deck.

Nach einigen Minuten brachte er auch die Leiche des Schiffsjungen. Nun wurde im Ballastraum nach schweren Steinen gesucht; diese hing man den Leichen an die Füße und versenkte sie in das Meer.

»Vor Cap Lucas kreuzen wir«, sagte der Direktor zu seinem Regisseur, dann ging er in die Kajüte.

Dort studierte er mit der allergrößten Aufmerksamkeit die Schiffsbücher, Tabellen und alle Skripturen, welche er vorfand. Dies dauerte, bis es Tag war; dann kehrte er auf das Deck zurück.

Ein Stoß in eine kleine, silberne Pfeife brachte alle Mann nach dem Hinterdeck.

»Der Spaß ist gelungen, Jungens«, sagte der Mann. »Nun soll ein Leben losgehen, um das euch ein König beneiden könnte. Zunächst müssen wir noch vorsichtig sein. Wir haben Fracht nach Guaymas. Dort ist das Schiff noch unbekannt und seine Bemannung auch. Wir behalten also die Namen, die in dem Buch verzeichnet sind. Ich bin der Kapitän Wilkers.«

Er gab einem jeden seinen Namen und machte ihn mit seiner Rolle bekannt. Dann befahl er, nicht mehr zu kreuzen, sondern in den engen Meerbusen einzulaufen.

Die »Lady« war ein ausgezeichneter Segler, und am nächsten Tag lief sie in den Hafen von Guaymas ein.

Guaymas ist ein hübsches, freundliches Hafenstädtchen, das zur mexikanischen Provinz Sonora gehört. Seine hübsche Umgebung wird von den Seeleuten fleißig auf Ausflügen genossen.

Kapitän Wilkers fragte nach seinen Obliegenheiten bei der Hafenpolizei und bei dem Kaufmann mit einer Unverfrorenheit, als ob er der rechtmäßige Eigentümer dieses Namens und des Schiffs sei. Dann gestattete er sich einige Tage des Genusses. Er war dies seinen Leuten schuldig, obgleich der Ort hier so nahe am Schauplatz des Verbrechens ein gefährlicher genannt werden mußte.

Er machte an einem dieser Tage eine Landpartie und nahm seinen Steuermann dazu. Sie mieteten sich Maultiere und ritten in die Berge. Nachdem sie umhergestreift waren, kehrten sie gegen Abend zurück. Sie brachten noch einige Stunden in einer Kneipe zu und gingen dann nach dem Schiff. Unterwegs kam ihnen eine männliche Gestalt entgegen. Als sie nahe heran war, fiel durch ein offenes Fenster der Lampenschein auf den Fremden, zwar nur auf einen Augenblick, aber doch so, daß man das Gesicht erkennen konnte.

Alle beide stutzten, sowohl der Kapitän wie auch der Steuermann.

»Alle Teufel!« sagte der erstere. »War das ein Geist?« – »Welche Ähnlichkeit!« fügte der zweite bei. – »Der Teufel soll Euch holen, wenn er es nicht war! Kommt, Steuermann, wir müssen ihm nach!«

Sie wandten um und eilten dem Mann nach. Er schwenkte eben nach einem Wohnhaus ein, das inmitten eines Gartens lag. Dort klingelte er. Nach ganz kurzer Pause wurde geöffnet, und es erschien eine sehr schöne, junge Dame, die eine Lampe trug. Das Licht derselben fiel voll auf den Ankommenden, und man hörte deutlich den Gruß der Dame:

»Ah, Señor Mariano! Willkommen! Señor Sternau erwartet Sie schon.« – »Beim Teufel, er ist's!« sagte der Kapitän. – »Ja, er ist's«, stimmte der Steuermann bei. – »Und wißt Ihr, wer hier wohnt?« – »Wer?« – »Jener Sternau, der uns an der Küste von Jamaika mit seiner Jacht angriff und alle meine Offiziere niederschoß, mich aber nur verwundete. Ihr rettetet Euch damals, und darum seid Ihr mein Steuermann geworden.« – »Donnerwetter, könnten wir denn da nicht ein wenig den Chor der Rache spielen? Ich hätte große Lust dazu!« – »Ich habe nicht nur Lust, sondern für mich ist's eine Lebensfrage, ob ich diese Halunken wieder in meine Hand kriege oder nicht. Horch, sie kommen auf die Gartenveranda! Da können wir lauschen. Schnell, über den Zaun!«

Sie schwangen sich über den Zaun hinüber und versteckten sich hinter einigen üppig wuchernden Zierbüschen.

Die Bewohner des Hauses kamen allerdings auf die Veranda. Es wurden zwei Tische zusammengeschoben und mit einem weißen Tuch bedeckt. Man stellte die Lampe darauf, präsentierte einige Früchte und begann eine lebhafte Unterhaltung. Um die Tische saßen Sternau, Mariano, Büffelstirn, Bärenherz, Donnerpfeil, der Steuermann Helmers, Emma und Karja.

Sie waren erst gestern in dem Ort angekommen, und da es nicht sogleich ein Schiff gab, das sie benutzen konnten, so hatten sie sich in Privatwohnungen eingemietet und hielten hier bei Sternau ihre Zusammenkunft.

Das Gespräch erstreckte sich auf verschiedene Tatsachen, die die Lauscher nicht interessierten; endlich aber nahm es doch eine höchst spannende Wendung, denn Emma fragte:

»Und wenn Sie Mexiko erreicht haben, Señor Sternau, was werden Sie dann tun?« – »Ich werde ein wenig nach Afrika fahren«, antwortete er. – »Ah, Sie kühner Mann! Was wollen Sie denn dort?« – »Ich will den alten Grafen Ferdinando de Rodriganda suchen.« – »So glauben Sie also wirklich, daß er noch lebt?« – »Ich glaube, daß er in Mexiko nicht gestorben ist. Sie haben doch von jenem schuftigen Henrico Landola gehört?« – »Dem Seeräuber, den Sie bei Jamaika mit in den Grund schossen?« – »Ja. Dieser hat den alten Grafen nach Afrika geschafft, an die Ostküste dieses Erdteils. Ich weiß ganz genau, wo ich ihn zu suchen habe. Wenn er nicht gestorben und verdorben ist, werde ich ihn in Harrar finden.« – »Und dann, meinen Sie, ist die Schlinge gegen diese Cortejos zum Zusammenziehen fertig?« – »Nein. Erst muß der alte Graf Emanuel de Rodriganda, mein Schwiegervater, aufgefunden werden. Ich bin überzeugt, daß er noch lebt. Aber, weg mit diesen Traurigkeiten! Heute habe ich an meine Frau geschrieben, und ich will mir ihr liebes Bild nicht durch solche Schatten schwärzen lassen.«

Von jetzt an nahm die Unterhaltung einen so einfachen Verlauf, daß die Lauscher gar nicht mehr auf sie hörten.

»Dieser Schuft, dieser Sternau!« knirschte der Kapitän, in dem wir ja schon längst Landola wiedererkannt haben. – »Nehmen wir ihn fest, Kapitän!« meinte der Steuermann. – »Das tue ich, und soll es mir den Hals kosten. Aber wie dies anfangen?« – »Das findet sich. Es gilt zunächst, die jetzigen Verhältnisse und Absichten der ganzen Sippe kennenzulernen. Ihr dürft Euch nicht sehen lassen.« – »Pah, ich habe meine falschen Bärte!« – »Auf die kann man sich solchen Leuten gegenüber nicht verlassen. Ich werde für Euch handeln. Ich werde bereits morgen zu spionieren beginnen, und es müßte mit dem Teufel zugehen, wenn sich nicht eine Durchfahrt finden ließe.« – »Ich hoffe es. Aber hört, sie brechen auf. Wir müssen diesem Mariano nachgehen; ich muß unbedingt wissen, wo er wohnt. Schnell wieder über den Zaun, und dann stecken wir uns da drüben in den Winkel. Es ist am besten, wir bleiben nicht zusammen, folgen ihm aber beide. Sollte ihn der eine ja verlieren, so wird ihn der andere desto sicherer halten.«

Sie warteten, bis Mariano vorüber war, und folgten ihm dann nach, getrennt voneinander und sich den Anschein von unbefangenen Spaziergängern gebend. Er schritt nach dem Strand zu und trat da in das Haus, in dem er sich eingemietet hatte. Sie beobachteten ihn, bis er verschwunden war, dann trat der Kapitän zu dem Steuermann und sagte:

»Jetzt wissen wir, wo er wohnt, und die Logis der anderen kennen wir auch. Es handelt sich also darum, zu erfahren, was sie beabsichtigen.« – »Ich werde mich erkundigen«, meinte der Steuermann. »Mich kennt weder Sternau noch ein anderer dieser Leute.« – »Das muß aber bald geschehen, möglichst morgen früh bereits.«

Sie begaben sich nach Hause, und am anderen Morgen beabsichtigte der Steuermann, seine Nachforschungen anzustellen, begab sich aber vorher nach dem Hafen, um zu sehen, ob an Bord alles in Ordnung sei. Das Glück lächelte ihm, denn am Ufer stand Sternau mit Mariano. Beide betrachteten das Schiff, und als sie bemerkten, daß der Steuermann die Absicht habe, an Bord zu gehen, und also wohl zu der Bemannung des Fahrzeugs gehöre, fragte Sternau:

»Kennen Sie vielleicht die Bestimmung dieses Schiffs, Señor?«

Den Steuermann durchzuckte ein Gedanke, der für die Absichten seines Kapitäns außerordentlich vorteilhaft war, er beschloß, denselben auszuführen, sich aber vorher über die Absichten Sternaus zu informieren. Darum entgegnete er:

»Warum fragen Sie, Señor? Wollen Sie vielleicht als Passagier an Bord gehen, oder können Sie uns eine Ladung überweisen?« – »Das erstere ist der Fall«, antwortete Sternau. »Ich beabsichtige, mit einigen Gefährten nach Acapulco oder einem anderen südländischen Hafen zu gehen.« – »Hm!« nickte der Steuermann, »das dürfte passen, denn ich habe allerdings die Absicht, auf meiner Fahrt den Hafen von Acapulco anzulaufen.« – »Ah, Sie sind der Kapitän?« –»Allerdings.« – »Wann lichten Sie die Anker?« – »Morgen mit dem Frühesten. Die Passagiere müßten noch heute gegen Abend an Bord kommen. Wollen Sie sich das Schiff ansehen?« – »Ich werde dies in vielleicht einer Stunde tun, dann können wir uns ja über die Bedingungen einigen.«

Sternau wollte sich das Schiff in Gegenwart seines Steuermanns Helmers betrachten, da dieser in solchen Angelegenheiten der erfahrenste war. Während er mit Mariano zur Stadt ging, um Helmers zu holen, ruderte der Steuermann nach dem Schiff. Es war ihm lieb, daß Sternau erst später kommen wollte, denn auf diese Weise bot sich die nötige Zeit, alles Verdächtige zu entfernen und das Innere des Schiffs so einzurichten, daß die Passagiere nicht abgeschreckt wurden. Das Personal erhielt die notwendigen Instruktionen, und als Sternau mit Helmers kam, wurden beide in der höflichsten Weise empfangen, und die Besichtigung fiel so günstig aus, daß Sternau sogleich den Handel abschloß und auch das Reisegeld bezahlte.

Um nach der Hacienda del Erina zurückzukehren, hätten die beiden Damen unter der Begleitung Donnerpfeils und der beiden Häuptlinge den Landweg einschlagen können, aber dieser war zu gefährlich und anstrengend, darum entschlossen sie sich, mit nach Acapulco zu fahren und von da aus nach Mexiko zu gehen, wo es dann leichter war, die Hazienda zu erreichen. Büffelstirn und Bärenherz jedoch schlossen sich nicht mit an. Sie wollten den direkten Landweg wählen, um auf demselben eher nach del Erina zu gelangen und dem Besitzer die gewiß heißersehnte Nachricht zu bringen, daß seine Tochter gerettet sei und über die Hauptstadt Mexiko wohlbehalten zurückkehren werde. Beide jedoch wollten vor ihrer Abreise mit an Bord gehen, um den Abend noch mit den Freunden vereinigt sein zu können.

Als Kapitän Landola hörte, wie glücklich sein Steuermann gewesen sei, konnte er seine Freude kaum beherrschen.

»Das fügt sich ja günstiger, als man erwarten konnte«, sagte er zu ihm. »Auf diese Weise habe ich weder einen falschen Bart noch irgendeine Verkleidung nötig. Ich komme an Bord, wenn es ganz dunkel ist. Dann nehmen wir sie gefangen.« – »Sollen sie leben bleiben?« – »Ja, es ist vorteilhafter für mich.« – »Aber das wird einen fürchterlichen Kampf geben! Ein jeder dieser Kerle nimmt es mit einigen von uns auf.« – »Pah, wir überrumpeln sie einzeln. Man wird das nicht schwer zu bewerkstelligen wissen. Sternau ist der gefährlichste, er muß zunächst unschädlich gemacht werden.« – »Aber doch erst dann, wenn die beiden Indianer das Schiff verlassen haben?« – »Sie werden es gar nicht verlassen, sondern auch mit gefangen werden. Ich bin dazu gezwungen, damit später kein Mensch weiß, auf welche Weise die Gesellschaft verschwunden ist. Haben wir uns ihrer bemächtigt, so segeln wir nach Westen. Ich kenne eine einzelne Insel, die so ganz und gar verloren in der See liegt, daß kein Schiff in ihre Nähe kommt. Dort setzen wir sie aus. Sie können sich erhalten, denn es gibt Quellwasser und Früchte genug für sie. Es wird ein jeder Fluchtversuch vergebens sein, und so bleiben sie unsere Gefangenen entweder auf Lebenszeit oder bis ich vielleicht Gründe finde, ihrer zu bedürfen.« – »Wo liegt die Insel?« – »Sie liegt weit von jedem Schiffahrtskurs entfernt und unter dem vierzigsten Grad südlicher Breite auf der Höhe der Osterinseln und ist ein sichereres Gefängnis, als eine von den stärksten Mauern umgebene Bastille. Sie hat noch keinen Namen und besteht aus Korallen. Die auf ihr vorhandenen Bäume sind nicht so groß, daß man ein Schiff bauen könnte, und selbst wenn dies den Gefangenen gelänge, so würden sie mit einem so unvollkommenen Fahrzeug nicht durch die fürchterliche Brandung kommen, die Tag und Nacht sich an den Korallenriffen bricht.« – »Aber wir werden zu viele Zeugen haben. Ein jeder einzelne von unseren Leuten kann später das Geheimnis ausplaudern.«

Der Kapitän warf seinem Steuermann einen mitleidigen Blick zu und sagte dann langsam mit Nachdruck:

»Wir werden keine Zeugen haben, denn wir beide werden die einzigen sein, die, von dieser Fahrt zurückgekehrt, lebendig das Schiff verlassen.«

Das war sehr deutlich gesprochen. Der Steuermann schauderte. Wie nun, wenn der Kapitän gar keinen Zeugen haben wollte und infolgedessen auch ihm das Leben nahm? Er beschloß, sehr vorsichtig zu sein.


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