Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

2. Kapitel.

Die Diligence brachte zunächst die drei Männer nach dem Hotel, wo sie abstiegen, und dann Amy nach dem Palast ihres Vaters.

Dieser hatte keine Ahnung gehabt, daß seine Tochter so schnell zurückkehren werde, und war daher im höchsten Grade erstaunt sie bei sich eintreten zu sehen.

»Amy!« rief er, sich von seinem Arbeitssessel erheben. »Ist das möglich!« – »Oh, Papa, es ist sogar wirklich«, lachte sie. »Wenigstens hoffe ich, daß du mich nicht als einen Geist ansiehst!« – Aber du kannst ja gar nicht in Jamaika gewesen sein.« – »Freilich war ich dort. Ich werde dir dies beweisen, indem ich dir die Antwort des Gouverneurs überreiche.«

Sie zog ihr Portefeuille und legte ihm die Skripturen vor.

»Wahrhaftig!« meinte der Lord. »Aber wie ist das zugegangen?« – »Das hast du nur den Herren zu verdanken, die mich begleiteten, Pa.« – »Welchen Herren?« – »Nun, vor allen Dingen Herrn Sternau.« – »Herrn Sternau?« fragte er abermals verwundert. – »Ja, Herrn Doktor Sternau.« – »Alle Tausend! Du meinst doch nicht etwa jenen famosen Doktor Sternau, von dem du mir erzählt hast und den du in Rodriganda trafst?« – »Gerade den meine ich.« – »Der hat dich nach Mexiko gebracht?« – »Erst nach Jamaika und dann nach Mexiko. Er ist in Begleitung zweier Herren hier. Ich werde dir das erklären, nachdem du die Antworten des Gouverneurs gelesen hast. Bis dahin habe ich Zeit gefunden, meine Reisetoilette abzulegen.«

Erst jetzt fanden Vater und Tochter Zeit, sich durch eine Umarmung zu begrüßen, dann verließ sie ihn, um sich von den Spuren der Reise zu befreien.

Nach einer Stunde befand sie sich abermals bei ihm. Sie saß an seiner Seite und erzählte, wahr und aufrichtig, wie es einer Tochter geziemt. Er hörte ihr mit sehr ernster Miene zu. Das, was er hörte, klang ja abenteuerlicher als ein Roman und machte ihm schwere Sorgen. Amy war seine einzige Tochter, er hatte weitgehende Pläne mit ihr gehabt, und nun teilte sie ihm auf einmal mit, daß sie – einen spanischen Räuber liebe.

Als sie geendigt hatte, wartete sie vergebens auf Antwort. Er erhob sich und schritt wortlos im Zimmer auf und ab. Endlich aber blieb er vor ihr stehen und sagte mit milder Stimme:

»Amy, mein Kind, ich habe immer nur Freude an dir erlebt, heute aber ist es das erste Mal, daß du mich betrübst.«

Da sprang sie empor und schlang die Arme um seinen Hals.

»Verzeih mir! Ich will dich nicht betrüben«, sagte sie, »aber Gott hat diese Liebe in mein Herz gelegt, und nun kann ich nicht anders.«

Er schob sie leise von sich und fragte:

»Und du glaubst an alles das, was du mir jetzt von diesem Mariano erzählt hast?« – »Ja, ich glaube es sicher und fest.« – »Und du liebst wirklich diesen – diesen Zögling eines Räuberhauptmanns?« – »Ich liebe ihn«, sagte sie, indem sie den Vater offen anblickte, »ich liebe ihn so, daß ich ohne ihn nie glücklich werden kann!« – »Und an mich, deinen Vater, denkst du nicht?« fragte er, beinahe traurig. – »Doch, Pa, ich denke auch an dich.« – »Und dennoch sprichst du von dieser – abenteuerlichen Liebe!«

Da trat sie einen Schritt auf ihn zu und fragte:

»Vater, du gönnst es mir, glücklich zu sein?« – »Gewiß! Und eben weil ich wünsche, daß du glücklich seist, tut es mir so weh, dein Herz in diesen Fesseln zu wissen.« – »Prüfe Mariano, Pa, prüfe ihn. Und wenn du dann noch sagst, daß er meiner unwürdig sei, so werde ich dir gehorchen und ihn nie wiedersehen.«

Es lag ein großes, kindliches Vertrauen in diesen Worten. Der Lord fühlte das, und daher klärten sich seine Züge auf.

»Ich danke dir für dieses Wort, Amy!« sagte er. »Du sollst dich in deinem Vater nicht täuschen. Gehe jetzt und ruhe von deiner Reise aus, ich werde unterdessen nachdenken, was ich tun kann, um dich glücklich zu sehen.«

Er küßte sie mit väterlicher Zärtlichkeit, und dann wandte er sich seiner Arbeit zu, aber nur scheinbar, denn als Amy ihn verlassen hatte, erhob er sich wieder von seinem Sessel und wanderte ruhelos im Zimmer auf und ab. Endlich schien er einen Entschluß gefaßt zu haben.

»Es gibt nur einen, an den ich mich in dieser schlimmen Angelegenheit wenden kann«, sagte er zu sich selbst. »Das ist kein anderer als jener Sternau, der ein wahrer Held an Geist und Körper zu sein scheint. Ich kenne ihn zwar persönlich nicht, aber was ich von ihm gehört habe, das ist genug, um ihm mein volles Vertrauen zu schenken.«

Er klingelte seinem Diener und ließ sich zum Ausgehen ankleiden. Heute aber machte er von seiner Equipage keinen Gebrauch. Zwar ist es in Mexiko fast eine Schande, sich als Fußgänger auf der Straße sehen zu lassen, aber der Lord zog es dennoch vor, nach dem Hotel zu gehen, das ihm als Absteigequartier der drei Herren von seiner Tochter bezeichnet worden war.

Als er dort angekommen, erkundigte er sich bei dem Wirt nach Señor Sternau.

»Er ist in seinem Zimmer«, lautete die Antwort. »Wollen Sie ihn sprechen?« – »Ja.« – »Wen soll ich melden?« – »Einen Herrn, der ihn unter vier Augen zu sprechen verlangt.«

Sternau wunderte sich allerdings, als er so kurze Zeit nach seiner Ankunft hörte, daß ihn bereits ein Fremder zu sprechen wünsche, noch dazu unter vier Augen, doch gewährte er sofort diese Bitte. Als der Lord eintrat und nun die beiden Männer sich gegenüberstanden, maßen sie sich zunächst mit forschenden Blicken. Sternau erkannte sofort, daß er keinen gewöhnlichen Mann vor sich habe, und das Auge des Lords wiederum hing mit sichtbarem Wohlgefallen an der Riesengestalt und dem offenen Angesicht des Deutschen.

»Sie haben mich zu sprechen verlangt?« fragte der letztere in wohlklingendem Spanisch. – »Allerdings«, antwortete der erstere. »Vielleicht ist es Ihnen lieber, wenn wir uns der deutschen Sprache bedienen?« – »Ah, Sie sind ein Deutscher?« – »Nein, ein Engländer. Mein Name ist Lindsay.«

Sternau machte eine Gebärde der Überraschung.

»Lindsay, Sir? Sie sind vielleicht gar Lord Lindsay, der Vater von ...?« – »Allerdings bin ich der, mein Herr.« – »Dann bitte ich dringend, Platz zu nehmen, Sir. Ich konnte nicht ahnen, daß ich einen so unerwarteten Besuch bei mir sehen würde.« – »Unerwartet ist dieser Besuch allerdings«, sagte Lindsay, indem er sich setzte. Aber Sie werden dennoch den Grund desselben ahnen.« – »Vielleicht«, antwortete Sternau mit einer ernsten Neigung seines Hauptes. – »Lassen Sie sich zunächst Dank sagen, Herr Doktor, für die Freundlichkeit und Aufmerksamkeit, die Sie meiner Tochter erwiesen haben.« – »O bitte! Ich tat nichts anderes, als was jeder gebildete Mann tun würde.« – »Und sodann erlauben Sie mir, mich in einer sehr ernsten Sache an Sie zu wenden.«

Sternau hielt es für seine Pflicht, dem Lord entgegenzukommen.

»Sie meinen den Freund, der bei mir ist?« fragte er. – »Ja. Ich meine das Verhältnis dieses Herrn zu meiner Tochter.« – »So hat Miß Amy Ihnen sofort erzählt ...?« – »Sofort! Ich konnte das auch gar nicht anders von ihr erwarten. Sie ist gewöhnt, ihrem Vater zu vertrauen. Sie kennen diesen Freund genau, Herr Sternau?« – »Ja.« – »Und auch seine Vergangenheit?« – »Ja.« – »So ist Ihnen dieselbe also kein Rätsel?« – »Nein.« – »Aber Amy sagte doch, daß er sich in Verhältnissen befinde, die eine geradezu abenteuerliche Entwicklung derselben erwarten lassen.« – »Wollen Sie mich nicht falsch verstehen, Sir!« bat Sternau. »Sie fragten mich, ob ich die Verhältnisse meines Freundes kenne, und ich bejahte diese Frage, weil ich die Lage meinte, in der er sich gegenwärtig befindet. Er ist – um kurz zu sein – ein entsprungener Räuberzögling, der auf Gottes weiter Welt nichts, gar nichts sein eigen nennt. Das ist, was ich über ihn zu sagen habe.«

Der Lord sah den Sprecher fragend und ungewiß an. Dann sagte er:

»Aber dieser Zögling der Räuber hat wohl eine Zukunft?« – »Höchstwahrscheinlich.« – »Und welche?«

Sternau zuckte die Schultern. Er kannte den Lord nicht, er wußte nicht, mit welchen Hintergedanken derselbe gekommen sei, und verhielt sich daher zurückhaltend.

»Sie sind sehr reserviert, Herr Sternau«, versetzte Lindsay. »Lassen Sie sich sagen, daß ich nichts so sehnlich wünsche, als daß mein Kind glücklich sei. Sie werden aber einsehen, daß ein vorsichtiger Vater keineswegs das Glück seines Kindes in einer Verbindung mit einem Mann gesichert sieht, von dem er nichts anderes weiß, als daß derselbe ein Räuber war.« – »O bitte, Mariano war nicht Räuber, Sir!« – »Gut, ich will das zugeben. Sie werden jedoch meinen Wunsch begreifen, etwas Näheres über diesen Mariano zu erfahren. Und da Sie mir als ein Ehrenmann geschildert worden sind, so hielt ich es für das einfachste, Sie um Aufklärung zu bitten. Wird diese Bitte eine Fehlbitte sein?«

Diese Worte waren in einem so offenen und herzlichen Ton gesprochen, daß Sternau sich besiegt fühlte. Er antwortete:

»Mylord, was ich weiß, das sollen Sie erfahren. Fragen Sie!« – »Man vermutet, daß Mariano das geraubte Kind des Grafen Emanuel de Rodriganda sei?« – »Ja.« – »Und was halten Sie selbst von dieser Vermutung?« – »Ich halte sie für sehr begründet. Ja, ich bin sogar derjenige, dem diese Vermutung zuerst gekommen ist.« – »Darf ich Sie um die Gründe bitten, die Sie auf einen ebenso seltsamen wie kühnen Gedanken gebracht haben?« – »Gewiß! Wenn es Ihnen Ihre Zeit erlaubt, werde ich Ihnen meine Erlebnisse erzählen.« – »Ich ersuche Sie darum. Zwar hat mir meine Tochter bereits einige Mitteilungen gemacht, doch sind diese noch so lückenhaft, daß ich auf die Ihrigen förmlich gespannt sein muß.« – »So hören Sie!«

Sternau erzählte nun auf das ausführlichste alle seine Erlebnisse und Gedanken, von seiner Ankunft in Spanien an bis auf die gegenwärtige Stunde. Der Lord hörte mit immer mehr wachsender Spannung zu. Sternaus Worte trugen das Gepräge der nüchternsten Wahrheit, und die Schlüsse, die er zog, ruhten auf so sicheren Gründen und Voraussetzungen, daß der Lord sich schließlich ganz überzeugt fühlte.

»Aber das ist ja etwas ganz Außerordentliches!« rief er. »Das liest man ja auf diese Weise kaum in einem Roman!« – »Ich gebe das zu, Mylord«, erwiderte Sternau. »Aber Sie werden nicht glauben, daß ich Ihnen Unwahrheiten erzählte!« – »Keineswegs!« versetzte Lindsay schnell. – »Und ebensowenig werden Sie sagen, daß meine Berechnungen in der Luft ruhen!« – »Auch das nicht. Ich fühle mich im Gegenteil von der Schärfe Ihrer Schlüsse ganz fortgerissen und überzeugt. Also lassen Sie uns einmal die Summe ziehen: Dem Grafen Emanuel des Rodriganda wurde der einzige noch lebende Sohn geraubt ...« – »So ist es.« – »Der Raub geschah mit Hilfe von Briganten, die den Knaben in ihrer Höhle verbargen. Der eigentliche Räuber aber ist Gasparino Cortejo.« – »Ich bin vollständig überzeugt davon.« – »In welcher Absicht geschah der Raub? Das ist eine hochwichtige Frage.« – »Um einen Sohn dieses Gasparino zum Grafen Rodriganda zu machen.« – »Und die Mutter dieses Kindes ist jene fromme Schwester Clarissa?« – »Ja.« – »Gut, so wollen wir weiter summieren! Der Pater Dominikaner kannte das Geheimnis und verriet es auf Veranlassung jenes Bettlers Pedro so ziemlich an den geraubten Knaben. Dieser erhielt dadurch eine Ahnung von seiner Abstammung. Er kam nach Rodriganda und wurde von Cortejo erkannt. Infolgedessen übergab dieser ihn dem Piratenkapitän, der ihn unschädlich machen sollte. Sie retteten ihn und bringen ihn nach Mexiko. Ist es so?« – »Vollständig.« – »Was aber beabsichtigten Sie mit Ihrer gegenwärtigen Reise nach Mexiko?« – »Zunächst will ich sehen, ob jene Marie Hermoyes, die das untergeschobene Kind nach Mexiko brachte, noch lebt, und ebenso jener Pedro Arbellez, der zur damaligen Zeit Inspektor des Grafen Ferdinando hier war. Und ferner dürfen Sie nicht vergessen, Mylord, daß ich vermute, daß Graf Ferdinando damals gar nicht gestorben ist. Jener Steuermann, der im Gefängnis von Barcelona starb, erzählte von einem Gefangenen, der nach Harrar verkauft worden ist.« – »Und Sie vermuten in jenem Gefangenen den Grafen Ferdinando?« – »Ja. Diese Vermutung mag Ihnen außerordentlich kühn erscheinen, aber wenn Sie bedenken, mit welchen Mitteln Cortejo operiert, so werden Sie keine Unwahrscheinlichkeit darin erblicken. Ich bin fest entschlossen, das Erbbegräbnis der Rodriganda hier in Mexiko zu öffnen, um zu sehen, ob sich die Leiche im Sarg befindet.« – »Ich werde Ihnen behilflich sein, die Erlaubnis der Behörde dazu zu erhalten.«

Sternau machte eine geringschätzige, verneinende Handbewegung und erwiderte:

»Ich danke Ihnen, Mylord. Ich sehe von aller behördlichen Hilfe ab.« – »Aber Sie begeben sich da in große Gefahr, Herr Sternau.« – »Pah, diese Gefahr fürchte ich nicht! Wenn ich Sie um etwas bitte, so ist es ein anderes.« – »Was?« – »Vielleicht ist es Ihnen möglich, mir die Bekanntschaft mit Pablo Cortejo zu erleichtern.« – »Das will ich Ihnen sehr gern zu Gefallen tun. Sie wollen ihn kennenlernen?« – »Ja; es ist dies durchaus notwendig.« – »Gut. Ich verkehre in Kreisen, in denen auch er zuweilen anwesend ist. Übrigens bin ich überzeugt, daß er ein Schurke ist. Er wollte mich kürzlich ah, da fällt mir ja gleich ein ... Sie suchten den Aufenthalt des Pedro Arbellez?« – »Ja; ich sagte dies bereits vorhin.« – »Nun, da kann ich Ihnen Auskunft geben. Er ist jetzt der Besitzer der Hacienda del Erina im Norden des Landes. Cortejo wollte mich betrügen. Ich sollte diese Hazienda von ihm kaufen, obgleich sie Eigentum dieses Arbellez ist. – »So bin ich vielleicht gezwungen, diese Hazienda aufzusuchen.« – »Aber Herr Sternau, warum geben gerade Sie sich so große Mühe in der Sache?« – »Ich bitte daran zu denken, daß Condesa Rosa de Rodriganda jetzt meine Gattin ist. Mariano ist ihr Bruder, folglich mein Schwager.« – »Weiß er das?« – »Nein. Ich habe es vorgezogen, ihm dies noch zu verschweigen. Auch Miß Amy und meinen Begleiter Helmers bat ich, nicht davon zu sprechen. Er soll es erst erfahren, sobald wir vor sicheren Tatsachen stehen. Auf welche Weise kann man wohl ohne Auffälligkeit erfahren, wo das Erbbegräbnis der Rodriganda sich befindet?« – »Danach will ich mich erkundigen, mein Lieber. Eine Frage meinerseits wird kein Befremden erregen.« – »Ich danke Ihnen, Mylord, und bitte, möglichst schnell dabei zu verfahren, denn ...«

Sternau wurde unterbrochen, denn die Tür öffnete sich, und Mariano trat herein. Als er einen Fremden erblickte, wollte er wieder zurücktreten, aber Sternau erhob sich schnell und winkte ihm, herbeizukommen.

»Treten Sie näher, mein Freund«, sagte er. »Sie stören uns nicht.«

Er wandte sich darauf zu dem Lord und erklärte ihm:

»Dieser Herr ist mein Freund Mariano.« Und sich zu dem letzteren wendend, sagte er: »Und hier sehen Sie Lord Lindsay, den Vater der Dame, die zu begleiten wir die Ehre und das Vergnügen hatten.«

Als Mariano den Namen des Vaters seiner Geliebten hörte, errötete er, aber er kämpfte die in ihm aufsteigende Verlegenheit schnell nieder und verbeugte sich mit edlem Anstand vor dem Lord.

»Soeben haben wir von Ihnen gesprochen«, sagte dieser aufrichtig. »Ich wünschte Sie infolgedessen zu sehen, und Ihr Erscheinen erspart es mir, mich bei Ihnen melden zu lassen. Sie sind während der Rückreise meiner Tochter ein treuer Beschützer gewesen. Nehmen Sie meinen herzlichsten Dank entgegen.«

Er reichte dem jungen Mann die Hand. Dieser ergriff sie und erwiderte: »O Mylord, mein Schutz hätte Miß Amy wohl von keiner Gefahr befreien können. Ich bin Patient, und als solcher war es mir unmöglich, der tapfere Ritter einer Dame zu sein.«

Sein müdes Auge hatte sich belebt, und über seine bleichen Züge flog eine leichte Röte. Man sah es ihm an, welch ein schöner Mann er in den Tagen seiner Kraft und Gesundheit gewesen sein müsse. Hatten die Auseinandersetzungen Sternaus dazu beigetragen, die Bedenken des Lords abzuschwächen, so war es jetzt das leidende Aussehen Marianos, welches das Mitgefühl des Engländers erweckte. Er behielt die abgemagerte Hand des Armen in der seinigen und sagte mild und freundlich:

»Sie bedürfen sehr dringend der Pflege und Erholung. Werden Sie diese hier im Hotel bei fremden Leuten finden?« – »Ich hoffe es, Mylord.« – »Ja, Sie hoffen es, aber diese Hoffnung wird eine vergebliche sein. Ein mexikanisches Gasthaus ist kein Aufenthalt für einen Kranken. Ich bitte Sie daher, mit meiner Wohnung vorliebzunehmen.«

Mariano blickte schnell auf. Es leuchtete ein Blitz des Glücks aus seinen Augen.

»Mylord«, erwiderte er, »ich bin ein armer, ausgestoßener Mann; ich darf es nicht wagen, von Ihrer Güte Gebrauch zu machen.« – »Tun Sie das immerhin, mein Freund. Herr Sternau hat mir von Ihrem Schicksal einiges mitgeteilt, und das veranlaßt mich gerade erst recht, Ihnen zu beweisen, daß Sie zwar arm, aber doch nicht ausgestoßen sind. Wollen Sie?«

Mariano blickte überlegend nach Sternau hin. Dann sagte er: »Ich möchte mich nicht gern von meinem Freund trennen, Mylord.«

Der Engländer antwortete mit einem Lächeln:

»Was das betrifft, so versteht es sich ja von selbst, daß Herr Sternau mit Ihnen kommt. Auch Herr Helmers, der bei Ihnen ist, wird sich vielleicht bereit finden lassen, das Hotel mit meiner Wohnung zu vertauschen. Nicht?«

Diese Frage war an Sternau gerichtet. Dieser trat erfreut zu dem Lord heran, streckte ihm die Hände entgegen und erwiderte mit einem Leuchten seiner treuen Augen:

»Mylord, das ist mehr als Gastlichkeit. Gott vergelte es Ihnen! Wir kommen!«

»Aber so bald wie möglich, meine Herren! Ich verlasse Sie jetzt, um Ihnen einen Wagen zu senden. Adieu!«

Dann ging der Lord, und Sternau begleitete ihn bis vor die Tür. Als letzterer sein Zimmer wieder betrat, fand er Mariano auf dem Sofa sitzend und mit Tränen in den Augen.

»Was ist Ihnen?« fragte er besorgt. – »Nichts, mein Freund«, antwortete der Spanier. »Es sind Tränen des Glücks. Ich hatte eine solche Bangigkeit, wie der Lord Amys Eröffnung aufnehmen werde.« – »Nun, Sie sehen, daß er Ihnen wenigstens nicht zürnt, mein Lieber.« – »Ja, und das habe ich Ihnen zu verdanken. Ich ahnte ja, daß er zu Ihnen kam, um sich nach mir zu erkundigen. Zürnen Sie mir ob meiner Tränen nicht. Ein Kranker gibt sich sowohl dem Schmerz als auch der Freude leichter hin als ein Gesunder. Und Freude habe ich, nein, noch mehr: Ich fühle mich entzückt und selig darüber, daß dieser Mann mir nicht zürnt, daß er so lieb und mild zu mir gesprochen hat.«

Nach einiger Zeit fuhr eine glänzende Equipage vor, um Sternau, Mariano und Helmers nach dem Palast des Lords zu bringen. Dieser war einer der prächtigsten Palazzis der Stadt und hatte eine Menge der herrlichsten Zimmer. Die drei Gäste erhielten Wohnungen, mit denen ein König hätte zufrieden sein können, und die Bedienung war bemüht, jeden ihrer Wünsche auf das beste und schnellste zu erfüllen.

Mariano konnte nicht ausreiten, und der brave Helmers war kein Pferdebändiger; er hatte während seines Lebens kaum zehnmal auf einem Pferd gesessen, aber der Doktor Sternau mußte bereits am nächsten Tag mit dem Lord auf die Alameda reiten, und dort erregte er nicht geringes Aufsehen.

Der Lord hatte ihm das beste Pferd seines Marstalls anvertraut. Seine hohe, imposante Gestalt zog die Augen aller auf sich, und als er sich, von so vielen Blicken geradezu dazu aufgefordert nun auch als Reiter kühn und gewandt zeigte, da lächelte Lindsay sehr zufrieden und sagte zu ihm:

»Ich mache Effekt mit Ihnen. Sehen Sie das Fächerspiel der Damen, Herr Sternau?« – »Ich habe meine Dame, Mylord«, antwortete Sternau ernst. – »Oh, man nimmt es hier nicht so genau!« – »Desto genauer nehme ich es!« – »So beabsichtigen Sie nicht, einen dieser Mexikaner eifersüchtig zu machen?« – »Ich verzichte darauf.« – »Nun, wollen sehen, ob Sie wirklich so hieb- und stichfest sind. Jetzt aber wollen wir die Gelegenheit benützen. Ich werde Sie einigen dieser eleganten Reiter und Reiterinnen vorstellen.«

Dies geschah, und es war den Mexikanern anzusehen, daß sie sich wunderten, daß ein deutscher Arzt eine so noble Haltung besitzen könne. Als die beiden heimkehrten, brachten sie eine ganze Menge Einladungen mit, und in Zeit von nur einigen Tagen sprachen alle Damen der Aristokratie mit Vorliebe von dem ritterlichen Deutschen, der alle Mexikaner tief in den Schatten stellte.


 << zurück weiter >>